Nachrichten aus der Redaktion

Der Frühling ist da und bringt wie immer die große Buchmesse in Leipzig mit sich. Für den Preis der Leipziger Buchmesse im Jahr 2025 sind insgesamt 15 Titel in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung nominiert. Dieses Jahr gab es übers 500 Einreichungen – so viele wie noch nie! Heute stellen wir die nominierten Werke der Kategorie Belletristik kurz vor.

  • Halbinsel von Kristine Bilkau: Mutter-Tochter-Roman über emotionale Annährung zwischen den Generationen und die Klimakrise.
  • Ein Haufen Dollarscheine von Esther Dischereit: Familienroman über die Überlebenden der Shoa – in der Vergangenheit und im jüdischen Leben der Gegenwart.
  • Wackelkontakt von Wolf Haas: Verschachtelter Roman über einen Mann, der auf den Elektriker wartet und von einem Kronzeugen in einem Mafia-Prozess liest und einem Kronzeugen im Mafiaprozess, der von einem Mann liest, der auf den Elektriker wartet.
  • Air von Christian Kracht: Experimenteller Roman über einen Inneneinrichter, der auf Reisen geht.
  • Kommando Ajax von Cemile Sahin: Actionroman über einen Kunstraub, der eine kurdische Familie auf den Kopf stellt.

Die diesjährige Jury besteht aus Katrin Schumacher, Kais Harrabi, Judith von Sternburg, Zita Bereuter, Thomas Hummitzsch, Cornelia Geißler und David Hugendick. Der Preis ist mit insgesamt 60.000 Euro dotiert und wird am Donnerstag, den 27. März 2025 um 16:00 in der Glashalle verliehen. 

Weitere Veranstaltungstipps für die diesjährige Buchmesse:

  • Das diesjährige Gastland ist Norwegen – und am Donnerstag wird die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit den norwegischen Stand eröffnen!
  • Zum ersten Mal wird es eine Audiowelt geben, in der Bücher auch als Hörbuch gehört werden können. Dies kann man in Halle 2 ausprobieren!
  • Leipzig bekommt Besuch von zwei Nobelpreisträgerinnen: Olga Tokarzuk aus Polen (Samstag, 20:00 in der Bibliotheca Albertina) und Swetlana Alexijewitsch aus Belarus (Podiumsdiskussion am Samstag, 13:00 in Halle 4)!
  • „Sächsische Büchermenschen stellen sich vor“ – Workshops, Lesungen und Gespräche gibt es ganztägig am Freitag und Samstag in der Hugendubel-Buchhandlung in der Petersstraße.
  • Der Podcast „Schreibzeug“ wird am Samstag um 15:00 in Halle 5 live performen. Hier kann man seine Fragen rund ums Schreiben stellen!

In diesem Sinne wünschen wir allen eine schöne Buchmesse in Leipzig! 

— Susanna Frank


Auf sozialen Plattformen werden längst nicht mehr nur Memes und Makeup-Tutorials geteilt. Mittlerweile gibt es viele Influencer:innen, die tausenden Follower:innen jeden Tag neue Bücher empfehlen. Die Hashtags #Booktok (eine Mischung aus Books und TikTok) und #Bookstagram (Books und Instagram) sind insbesondere bei jungen Menschen sehr beliebt. Hier werden Bücher rezensiert, weiterempfohlen, kreativ besprochen und ästhetisch ansprechend ausgestellt. Es gibt ganze inoffizielle Bestsellerlisten, die die Bücher aufzählen, die am häufigsten besprochen und für gut befunden wurden. Diese Bücher lösen einen Hype aus – jede:r will sie gelesen haben, überall hört man von ihnen. Manche Verlage nutzen dies auch als Werbung. Unter „Booktok Highlights“ kann man beim dtv-Verlag nachschauen, welche Bücher am meisten weiterempfohlen wurden. Besonders beliebt: die Genres Romance, Fantasy und New Adult.

Dass dieser Trend viele Vorteile mit sich bringt, liegt wohl auf der Hand. So steigert sich insgesamt die Lesemotivation, neue Inspirationsquellen werden gefunden und zudem sind die Plattformen ein Ort sozialen Austauschs, wo Communities sich zusammenfinden und ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln. Nachdem Lesen als Hobby lange Zeit lang etwas aus der Mode gekommen war, ist ein Bücherwurm zu sein nun wieder gesellschaftsfähig. Zudem haben nun auch kleinere Autor:innen und Selfpublisher:innen die Chance, eine breite Masse zu erreichen. 

Auf der Schattenseite steht, dass manchmal auch Bücher gehypet werden, deren Inhalte nicht für alle Altersstufen gleich angemessen sind. Besonders Dark Romance ist sehr beliebt, doch dieses Genre ist auch bekannt für explizite Gewaltdarstellungen und andere Trigger. Zudem bekommen bestimmte Bücher asymmetrisch viel Aufmerksamkeit und andere rücken dadurch in den Hintergrund. 

Insgesamt gilt immer noch: man muss ein Buch einfach selbst lesen, um zu entscheiden, ob es gut ist.


Reisewarnung für die ganze Welt

Und auf dem Mars der Rover sitzt und bellt

Begreift nicht, was die Erde grad befällt

Die Anglerfische tief im Meer erhellen

Ihr sorgenvolles Antlitz. Robben bellen:

Die Warnung gilt nur für die ganze Welt

Doch Gottseidank nicht für die ganzen Wellen

(Clemens Setz, 2024)

Soziale Medien sind ein Ort des Austauschs und der Mittelungen. Längst haben dies auch Dichter:innen für sich entdeckt: ganz ohne direkt ein Buch schreiben zu müssen, können niedrigschwellig kleine Gedichte auf dem eigenen Account hochgeladen werden. Diese Gedichte können sich auf die Beiträge anderer Nutzer:innen, alltägliche Situationen oder auch auf Werbung beziehen, die auf der Plattform geschaltet wurde. Meistens sind sie durch ein Zeichenlimit und einen Algorithmus beschränkt, der beispielsweise anstößige Wörter herausfiltert und den entsprechenden Beitrag meldet.

Die Ausgestaltung ist ansonsten völlig frei und kann von der Autorin oder dem Autoren selbst bestimmt werden: ob Reim oder freie Verse, der Verwendung von Großschreibungen, Emojis oder absichtlichen Falschschreibungen ist völlig ihnen überlassen, solange sie nicht die von den Plattformen vorgegebenen Regeln – Zeichenlimits o.ä. – verletzen.

Einer dieser Online-Poeten ist Clemenz Setz, der 2024 sein Buch Das All im eigenem Fell herausbrachte. Dort beschreibt er die Anfänge seiner Twitter-Poesie und sammelt zum einem seine eigenen Twitter-Gedichte, stellt aber zum anderen auch die Poet:innen vor, die ihn inspiriert haben. Neben Gedichten über Jahreszeiten und aktuellen Begebenheiten wie der Corona-Krise reagiert er häufig auf die Tweets anderer Nutzer:innen, vertont Tarotkarten und Wikihow-Artikel und schreibt Schlagzeilen weiter. Das obige Gedicht beispielsweise ist auf eine Schlagzeile hin entstanden, bei der während der Corona-Krise eine Reisewarnung in Österreich verhängt wurde. Wenn er bei einem Gedicht nicht weiterkam, haben ihm teilweise auch befreundete Autor:innen geholfen und sein Gedicht retweetet, um es weiterzuschreiben.

So kann mit Online-Poesie eine neue Unterkategorie von Lyrik entstehen, die eigenen Regeln folgt und neue Möglichkeiten bietet.

— Susanna Frank


Marie Helene „Marlen“ Haushofer wurde 11. April im Jahre 1920 in Frauenstein geboren. Die Schriftstellerin aus Österreich publizierte nach dem Krieg zunächst kleinere Erzählungen in österreichischen Zeitschriften und Zeitungen. Schließlich veröffentlichte sie auch Romane und Novellen, unter anderem Die WandDas fünfte Jahr und Himmel, der nirgendwo endet. In vielen ihrer Erzählungen geht es um die Gedanken und Gefühle von starken Frauen, die ihren Weg in einer männerdominierten Welt suchen. Insbesondere wird thematisiert, wie der Alltag von Frauen in einer patriarchal geprägten Gesellschaft häufig verhindert, dass diese Frauen sich selbst verwirklichen können. 

So wurden Haushofers Werke bald bedeutend für die Frauenrechtsbewegung und Frauenliteraturforschung. Anfangs abfällig als „Frauenliteratur“ abgetan, zählt Haushofer heute zu den wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Ihre Geschichten wurden vielfach für Film, Hörspiel und Theater adaptiert und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.

Marlen Haushofer starb am 21. März 1970. Heute bieten ihre Werke sich an, um in die Perspektive von Frauen in der Literatur abzutauchen und Mädchen und Frauen Mut zu machen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.


Am 20. Dezember 1968 starb Max Brod. Bis heute ist er insbesondere als enger Freund Franz Kafkas bekannt. Er war es auch, der nach Kafkas Tod dessen Schriften veröffentlichte, statt sie, wie von Kafka gewünscht, zu verbrennen. Er selbst war Schriftsteller der sogenannten Prager deutschen Literatur. Aber was bedeutet das?

Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Prag zahlreiche Schriftsteller:innen, die deutsche Literatur veröffentlicht haben. Dass in Prag so viele Menschen Deutsch sprachen, lag daran, dass die Oberschicht im Königreich Böhmen bis 1620 deutschsprachig war, auch wenn in Prag selbst mehrheitlich tschechisch gesprochen wurde. Um 1900 waren Deutsche die größte Minderheit in Prag, aber auch die jüdische Bevölkerung nahm eine große Rolle ein. Tatsächlich waren die meisten Autor:innen der Prager deutschen Literatur jüdischer Herkunft, und so ist die Literatur dieser Zeit geprägt von jüdischen und tschechischen Einflüssen. Vertreter:innen der Prager deutschen Literatur sind neben Max Brod und Franz Kafka insbesondere Franz Werfel, Egon Erwin Kisch, Gustav Meyrink, Auguste Hauschner und Lenka Reinerová. Letztere wird häufig als die letzte Vertreterin der Prager deutschen Literatur bezeichnet.

Die Weltkriege und der Nationalsozialismus hinterließen tiefe Spuren in der Prager Literaturszene. Viele Autor:innen flüchteten ins Exil. Dem Schrecken der NS-Diktatur konnten sie trotzdem nicht vollständig entkommen. So ist zum Beispiel verzeichnet, dass im Konzentrationslager Ravensbrück nicht nur die Schwestern Kafkas und seine Geliebte und Übersetzerin Milena Jesesnká (bekannt durch die Briefe an Milena) starben, sondern auch die Familie von Lenka Reinerová. Dies verarbeitete sie in ihrer berühmten Erzählung Ausflug zum Schwanensee. Mit dem Nationalsozialismus endete auch die Prager deutsche Literatur.

— Susanna Frank


Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(Rainer Maria Rilke: „Herbsttag“, 1902)

Der Oktober hat begonnen und mit ihm kommt der Herbst. Orangene und gelbe Blätter fallen langsam von den Bäumen, es wird wieder kälter und früher dunkel. Zeit also, sich mit einem heißen Getränk auf eine Bank im Park zu setzen und vielleicht ein paar Gedichte zu lesen.

Der Wechsel der Jahreszeiten ist seit jeher ein beliebtes Motiv für Literatur. Wie an Rilkes Gedicht zu sehen ist, wird der Herbst häufig mit Dunkelheit, Stille, Melancholie und Einsamkeit assoziiert. Die Gedichte können aber auch von Veränderung, Farben und Aufbruch handeln. Neben Rilke gibt es natürlich auch viele andere Autor:innen, die den Herbst in ihrer Lyrik thematisieren. Hierzu gehören unter anderem Theodor Storm, Joseph Eichendorff, Clara Müller-Jahnke und Luise Büchner.

In Schulen kann die Lektüre von Herbstlyrik eine spannende Möglichkeit sein, sich alltagsnah mit dem Wechsel der Jahreszeiten auseinanderzusetzen. Um die Gedichte mit mehr Leben zu füllen, bieten sich Spaziergänge mit den Klassen an, in denen unterwegs einzelne Texte vorgelesen und besprochen werden können.

— Susanna Frank


Sommerzeit ist Lesezeit – und damit Gelegenheit, sich mit den Nominierungslisten des Preises der Leipziger Buchmesse und des Deutschen Jugendliteraturpreises zu beschäftigen. Beide wurden am 23.3. 2023 verkündet, der Preis der Buchmesse am 27.4. verliehen, während der Deutsche Jugendliteraturpreis am 20.10. im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verliehen wird.

Für den Deutschen Jugendliteraturpreis wurden 32 Titel von 669 eingereichten Bewerbungen aus rund 7.500 Titeln nominiert, die jährlich auf dem deutschen Kinder- und Jugendliteraturmarkt erscheinen. Der Deutsche Jugendliteraturpreis kann in dieser unübersichtlichen Fülle an Angebot eine erste Orientierungshilfe bieten. Die Nominierungen der Kritikerjury sind in die Kategorien Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch gegliedert, gesondert herausgestellt werden der Preis der Jugendjury und der Sonderpreis Neue Talente. Die Zusammenstellung der nominierten Titel ist in Form und Inhalt abwechslungsreich und die kurzen Inhaltsangaben der Jurys wirken teilweise sofort lesemotivierend. Vertreten sind neben Romanen spielerische Bilderbücher zum Mitmachen (Wie man bis eins zählt oder Spinne spielt Klavier), Versromane (Die Sonne, so strahlend und Schwarz) und Graphic Novels (Harte Schale, Weichtierkern).

Auch auf inhaltlicher Ebene stellt die Nominierungsliste eine Auswahl an Literatur dar, die eine Vielfalt an Identifikationsangeboten für Kinder und Jugendliche bietet: Die Titel handeln unter anderem von dem Verhältnis zwischen den Generationen (Wie anders ist alt), queerer Liebe (Queergestreift), Verlust (Birdie und ich) und Kinderarmut (Nordstadt). Viele Protagonist:innen scheinen auf der Suche nach ihrer Identität für sich und innerhalb der Gesellschaft zu sein, stellen dabei aber verschiedene Lebensbereiche in den Fokus. Die Vorsitzende der Kritikerjury, Prof. Dr. Iris Kruse fasst zusammen: „Es sind kraftvolle Titel, die mit beachtlicher Kreativität Themen verhandeln, die für ein gerechtes und gutes Zusammenleben in einer Gesellschaft wichtig sind.“ Die Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis kann daher auch für den Deutschunterricht interessant sein und die Bücherwahl für das kommende Schuljahr inspirieren. Lit4School wird in den nächsten Wochen und Monaten nominierte Titel in der Datenbank aufnehmen und – sofern schon vorhanden – die Praxistipps für eine Umsetzung im Unterricht des Arbeitskreis Jugendliteratur verlinken.

Perspektivreich für den Deutschunterricht – und somit lohnend für die Sommerlektüre von Lehrkräften – sind auch die Nominierungen für den Preis der Leipziger Buchmesse: Neben Dinçer Güçyeters Unser Deutschlandmärchen, dem Gewinner, wurden Ulrike Draesners Die Verwandelten Joshua Groß‘ Prana Extrem, Clemens Setz‘ Monde vor der Landung sowie Angela Steideles Aufklärung nominiert. Auch auf dieser Liste findet sich eine Fülle von Themen und Formen: Das Gewinnerbuch Unser Deutschlandmärchen zeichnet in experimentellen Formen, die Gebete, Monologe, Dialoge und Chöre verbinden die Suche einer türkisch-deutschen Familie nach Sprache und Heimat. Im Mittelpunkt steht das Anwerbeabkommen der Bundesrepublik Deutschland, dessen Folgen für die Angeworbenen vor allem aus weiblicher Sicht dargestellt werden. Unser Deutschlandmärchen könnte als Gegenstand des Deutschunterrichts vor allem für westdeutsche Bundesländer mit einem hohen Anteil Türkeistämmiger interessant sein.

Eine ganz andere, aber ebenfalls weiblich dominierte und transnationale Familiengeschichte erzählt Ulrike Draesners Die Verwandelten. In der Begründung der Jury heißt es: „Die Verwandelten sind Frauen, die im Zuge von Krieg und Ideologie ihre Rolle oder gar ihre Identität wechseln mussten. Ulrike Draesner folgt den weiblichen Linien einer verzweigten Familie, um über Macht und deren Wirkung zu erzählen. Die zeitlich und regional unterschiedlich gefärbte Sprache des Romans, die auch Humor kennt, führt drängend zu Fragen der Gegenwart.“

Sächsichen Lehrkräften möchten wir besonders Angela Steideles Aufklärung ans Herz legen: Dieser Roman über das Leipzig des 18. Jahrhunderts wird erzählt von Dorothea Bach, der ältesten Tochter Johann Sebastian Bachs. Auch hier dominiert also ein weiblicher Blick und stiftet ungewöhnliche Einsichten in die Kultur der Aufklärung, in Musik, Dichtung und Wissenschaft des 18. Jahrhunderts. Durch den „fremden“ Blick Dorothea Bachs erweisen sich viele der behandelten Themen als überraschend aktuell.

— Silke Horstkotte und Charlotte Nagels



Da mählich gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück Noch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war’s fürchterlich,

O schaurig war’s in der Heide!
(Annette von Droste Hülshoff: Der Knabe im Moor, 1842)

Annette von Droste Hülshoff (voller Name: Anna Elisabeth Franziska Adolphina Wilhelmine Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff) starb heute vor 175 Jahren: am 24. Mai im Jahre 1848. Als ihr Vermächtnis hinterließ sie uns nicht nur Musikstücke, sondern auch Balladen, Lyrik und ihre berühmte Novelle die Judenbuche. Wenngleich zu Lebzeiten recht unbekannt, kannte doch jede Person, die vor 2001 geboren wurde, ihr Gesicht: Sie war auf dem 20-DM-Schein gedruckt.

In Westfalen bei Münster geboren und aufgewachsen, wird gerade ihre Naturlyrik stark von den Eindrücken ihrer Heimat geprägt. Dort findet man insbesondere Beschreibungen von Wiesen, Heiden und Moorlandschaften. Diese werden nicht nur idyllisch, sondern mitunter auch gespenstisch beschrieben, wie der Auszug aus Der Knabe im Moor zeigt. Durch diese Motive wird sie häufig auch als Dichterin des Münsterlandes bezeichnet. Relevant für den schulischen Kontext ist Droste-Hülshoff vor allem deshalb, weil sie als eine von nur wenigen Frauen im bestehenden Kanon etabliert ist. Heute gilt sie als eine der bekanntesten und berühmtesten deutschen Dichterinnen.

— Susanna Frank


Raumschiffe, Lichtschwerter, Wesen von einem anderem Stern – das Star-Wars-Universum zählt zu den bekanntesten Franchises der Welt. Schon seit dem Jahre 1977 begeistert George Lucas‘ „Krieg der Sterne“ Millionen von Fans und wurde zum bis dahin erfolgreichsten Film der Filmgeschichte. Im Mittelpunkt steht der junge Luke Skywalker, der von seinem Meister Obi-Wan Kenobi zu einem Jedi-Ritter ausgebildet wird, um gegen das totalitäre System des Imperiums und dessen Anführer, den Diktator Darth Vader zu kämpfen und so die Galaxis zu befreien.

Aus den Filmen wurden Bücher, die von mehreren Autor*innen verfasst wurden. Im Jahr 1999 kam Episode I –  Die dunkle Bedrohung von Terry Brooks auf den Markt und wurde seither stark rezipiert. Die Reihe ist dem Genre Science Fiction zuzuordnen. Science Fiction ist zusammen mit Fantasy und Horror ein Teil des Metagenres Fantastik. Dabei geht es um fiktive Zukunftsszenarien oder alternative Vergangenheiten, oft in dystopischem Kontext. In diesen Universen spielen wissenschaftliche Erkenntnisse und futuristische Technologien eine große Rolle. Häufig genutzte Elemente sind Zeitreisen, außerirdische Lebensformen und neuartige Medikamente, Fortbewegungsmittel  oder Waffen. So ist auch in Star Wars das Reisen bei Lichtgeschwindigkeit in technisch hochkomplizierten Raumschiffen von Planet zu Planet ein wichtiges Element, die Laser-Blaster immer im Rucksack dabei. Andere berühmte Science-Fiction-Romane sind unter anderem Schöne neue Welt von Aldous Huxley, 1984 von George Orwell und Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.

Die Faszination, die in dem Erschaffen einer Sci-Fi-Welt liegt, gründet zum einem darin, dass das Fortschreiten der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung unserer Zeit Lesenden das Gefühl gibt, es sei zumindest im Bereich des Möglichen, dass sich unsere Welt einmal in diese Richtung entwickelt. Wenn sich künstliche Intelligenz und Roboter im selben rasanten Tempo weiterentwickeln wie bisher, was spricht dagegen, dass künftig jeder Haushalt einen Androiden besitzt, der im Alltag hilft, wie bei Star Wars? Aber die zukünftigen Welten wecken auch Angst: Was spräche dagegen, dass diese Androiden irgendwann zu einer Waffe werden, die in Kriegen eingesetzt wird? Häufig werden reale Ängste und Problematiken verarbeitet. So auch die Angst, dass uns unsere Technologien irgendwann überholen. Oftmals werden auch koloniale Vergangenheiten und Invasionen, totalitäre Systeme, Umweltkatastrophen und Ressourcenknappheit aufgegriffen und kritisiert. Auch in Star Wars werden solche Verbindungen hergestellt. So ist der Kampf zwischen den Rebellentruppen und der Schreckensherrschaft des Imperiums beispielsweise an die Vietnamkriege und das nationalsozialistische Regime angelehnt und bietet so einen Raum, um auf die politischen Geschehnisse der Vergangenheit und Gegenwart zu reagieren.

So lässt dieses Genre zwar genug Platz für Fantasie und Fiktion, spielt aber auch mit realen Ängsten und Konflikten in unserer heutigen Gesellschaft. Damit sind Bücher dieser Art insbesondere für Schulklassen geeignet, da hier auf spannende und faszinierende Art über aktuelle Themen gesprochen werden kann.

— Susanna Frank


Am 13. Dezember 1797 wurde Heinrich Heine geboren. Das 225. Jubiläum dieses Tages kann als Anlass dienen, sich mit dem facettenreichen Leben des Autors und dessen literarischen Werken zu beschäftigen und mögliche Herangehensweisen für den Literaturunterricht zu beleuchten. 

Heinrich Heine gilt weitläufig als letzter Dichter und gleichzeitig als Überwinder der Romantik; neben seinen Romanzen und Gedichten verfasste er jedoch auch Reiseberichte und betätigte sich als politischer Journalist. Nicht ohne Grund ist er also fest im Deutschunterricht verankert. Im sächsischen Lehrplan wird die Behandlung von Heinrich Heine und seinen Titeln Deutschland, ein Sommermärchen, Harzreise und Buch der Lieder im Wahlbereich 3 für die Deutsch-Leistungskurse vorgeschlagen. Eine Betrachtung der Werke könnten hinsichtlich politischer,  historischer, philosophischer und künstlerischer Anschauungen und Einflüsse erfolgen (vgl. Lehrplan, S. 61). Eine weitere Facette, unter der einige Werke des Autors betrachtet werden können, ist der Einfluss von Religion. Der Schwerpunkt des folgenden Beitrags soll daher auf Heines Beziehung zum Judentum liegen. Denn obwohl die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus eine wichtige Rolle im Unterricht spielt, wird das Werk Heines seltener vor dem Hintergrund seiner Zugehörigkeit zur diskriminierten jüdischen Gemeinschaft behandelt. 

Heine wuchs unter dem Vornamen Harry als Sohn einer jüdischen Familie in Düsseldorf auf. Die französische Besatzung seines Heimatortes unter Napoleon konnte für eine gewisse Emanzipation der Juden sorgen, bis Düsseldorf 1815 preußisch wurde und sich die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung wieder veränderten. 1819 ermöglichte sein Onkel ihm ein Jurastudium, welches Heine aus pragmatischen Gründen der finanziellen Sicherheit antrat. Er studierte in Bonn, Göttingen und Berlin, beschäftigte sich in diesen Jahren aber dennoch viel mit Literatur sowie Geschichte und schrieb erste eigene literarische Werke. 

Während seines Berlin-Aufenthalts bekam er nicht nur Kontakt zu literarischen Kreisen, sondern wurde darüber hinaus auch Mitglied im Verein für Wissenschaft und Cultur des Judentums, welcher sich mit der Geschichte des Judentums beschäftigte. Nachdem Heine 1825 sein Studium beendet und seinen Doktortitel erhalten hatte, ließ er sich auf den Namen Heinrich taufen – in der Hoffnung auf gesellschaftliche Anerkennung und weil er erwartete, als Protestant eine staatliche Stelle antreten zu können. Die angestrebte Assimilation blieb bei ihm jedoch wie auch bei anderen Konvertiten seiner Zeit aus. Heine zog 1831 nach Paris und arbeitete dort als Journalist für die Augsburger Allgemeine Zeitung. 

1835 wurde die gesamte Produktion seines deutschen Verlegers unterbunden und Heine blieb in seinem Pariser Exil, das er lediglich 1843/44 für eine Reise nach Deutschland verließ. Ab 1845 ging es ihm gesundheitlich immer schlechter und seine letzte Schaffensphase in der so genannten „Matratzengruft“ begann. Hier entstand seine letzte Gedichtsammlung Romanzero. Der dritte Teil dieser Sammlung, die Hebräischen Melodien, beinhaltet spezifisch jüdische Thematiken; das längste der drei Gedichte, Jehuda ben Halevy, schildert etwa die Biografie eines spanisch-jüdischen Dichters des Mittelalters. 

Auch in anderen Werken setzte sich Heine literarisch mit dem Judentum und dessen gesellschaftlicher Stellung auseinander: In Die Bäder von Lucca, einem Teil der Reisebilder, treten drei jüdische Figuren auf, die konvertiert sind und deren Assimilation genau wie die des Autors Heine scheitert. Sein Romanfragment Der Rabbi von Bacherach, dessen erstes Kapitel bereits während Heines Mitgliedschaft im Verein für Wissenschaft und Cultur des Judentums in Arbeit war, erzählt in drei Kapiteln zunächst die Geschichte einer jüdischen Gemeinde, die durch Ritualmordvorwürfe bedroht wird, und anschließend von jüdischen Figuren, bei deren Beschreibung Heine sich in satirischer Weise auch antisemitischer Klischees bedient. 

Heine machte durch sein Schreiben auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam und kritisierte politische Vorgänge. Darüber hinaus beschäftigte er sich in einigen seiner Werke mit der Diskriminierung des Judentums und der Problematik der scheiternden Assimilation und der ausbleibenden rechtlichen Emanzipation. Gerade die Aspekte der Diskriminierung und Assimilation sind auch heute noch aktuell und bieten die Möglichkeit, mit den Werken Heines an die Lebenswelt der Schüler*innen anzuknüpfen und mit ihnen Diskussionen über Ausgrenzung und Integration zu führen. 

— Charlotte Nagels


Wenn ich tot bin,
möchte ich immerhin
so eine Laterne sein,
und die müßte vor deiner Türe sein
und den fahlen
Abend überstrahlen.

(Wolfgang Borchert: „Laternentraum“, 1946)

Am 20. November 1947 starb Wolfgang Borchert im Alter von nur 26 Jahren. Anlässlich seines 75. Todestages am vergangenen Sonntag möchten wir an den Schriftsteller erinnern und einige seiner Texte für den Deutschunterricht empfehlen.

Wolfgang Borchert ist einer der wichtigsten Vertreter der Nachkriegsliteratur. Er wuchs in Hamburg auf und konnte sich schon früh für die Literatur begeistern. Bereits im Jugendalter schrieb Borchert eigene Gedichte und träumte davon, selbst einmal als Künstler auf der Bühne zu stehen. Dennoch fing er nach der abgebrochenen Schulausbildung zunächst eine Lehre als Buchhändler an. Zeitgleich nahm er heimlich Schauspielunterricht und konnte einige Monate als Schauspieler arbeiten, bevor er 1941 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Schon früh übte Borchert Kritik am Nationalsozialismus und sinnloser Kriegsgewalt. Regimekritische Briefe brachten ihn während seiner Zeit als Soldat wiederholt ins Gefängnis. Auch litt er unter Mangelernährung und diversen Krankheitszuständen.

Nach vier Jahren an der Ostfront kehrte der junge Borchert schließlich zurück nach Hamburg und begann, in seinen Texten die traumatischen Erfahrungen und das Lebensgefühl einer „verlorenen Generation“ zu verarbeiten. Wie viele junge Menschen seiner Zeit fühlte auch Borchert sich seiner Jugend beraubt. In einem Manifest proklamierte er: „Unsere Moral ist die Wahrheit. Und die Wahrheit ist neu und hart wie der Tod. Doch auch so milde, so überraschend und so gerecht. Beide sind nackt.“ („Das ist unser Manifest“, 1947). Doch Borcherts Gesundheitszustand verschlechterte sich und im September 1947 musste er schließlich mit schweren Leberschäden eingeliefert werden. Wenige Wochen später verstarb Borchert – nur einen Tag vor der Uraufführung seines Dramas Draußen vor der Tür, das kurz zuvor Erfolge als Hörspiel feierte. Die meisten seiner Werke, darunter vor allem Gedichte und Erzählsammlungen, wurden erst posthum zum Erfolg. Das ist auch seiner Mutter Hertha zu verdanken, die Borcherts Nachlass verwaltete und ein Archiv gründete.

Wolfgang Borchert hatte großen Einfluss auf die deutschsprachige Literaturlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Er gilt als Neubegründer der deutschen Kurzgeschichte und wird oft als Symbolfigur der Friedensbewegung geführt. In seiner sehr kurzen Schaffenszeit brachte Borchert ein bedeutsames Gesamtwerk hervor. Auch im schulischen Literaturkanon ist Wolfgang Borchert fest etabliert; seine Texte tauchen konstant in Empfehlungslisten, Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien auf. Und das hat gute Gründe:  Borcherts Texte weisen eine gedankliche Dichte sowie eine Nähe zum Expressionismus auf, sind jedoch gleichzeitig exemplarisch für die Literatur einer zertrümmerten Welt und ermöglichen das Mitfühlen mit Schicksalen dieser Zeit.

In unserer Datenbank befinden sich derzeit zwei Titel des Autors, die sich für die Behandlung im Deutschunterricht anbieten:

  • Draußen vor der Tür als ein zentrales Werk der Trümmerliteratur: Nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft kehrt der ehemalige Unteroffizier Beckmann zurück nach Deutschland. Er ist traumatisiert von den Erlebnissen als Soldat, aber kommt in eine Welt, die die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs verdrängen will. Einen Ort in der Zivilgesellschaft kann Beckmann nicht finden.
  • An diesem Dienstag: Borcherts zweiter Erzählband besteht aus neunzehn Kurzgeschichten, die im November 1947 veröffentlicht wurden. Neben der titelgebenden Kurzgeschichte enthält der Band u.a. auch die Erzählungen „Die Küchenuhr“, „Nachts schlafen die Ratten doch“ und „Die drei dunklen Könige“.

– Nils Rosenkranz


Frauen sind im (Schul-)Kanon unterrepräsentiert. Dies zeigt sich unter anderem bei einer Analyse der Liste mit Lektüreempfehlungen, die dem sächsischen Lehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien beiliegt. Von den angegebenen Titeln stammt nur etwa ein Viertel von Autorinnen, wobei dieses Missverhältnis bei älteren Werken besonders deutlich zutage tritt. Vor allem im Literaturunterricht der höheren Klassen, in denen verstärkt Werke vergangener Epochen behandelt werden, könnte bei Schüler*innen so der Eindruck entstehen, dass Frauen lange Zeit keine erwähnenswerte Literatur geschaffen hätten. Dass dies jedoch nicht der Fall ist und sich eine Beschäftigung mit Literatur von Frauen im Literaturunterricht durchaus lohnen kann, möchte ich in diesem Blogeintrag zeigen. 

Frauen waren bis ins 20. Jahrhundert kulturell, sozial und ökonomisch benachteiligt. Die strukturelle Benachteiligung zeigt sich auch darin, dass ihnen der Zugang zum Literaturbetrieb erschwert wurde. Dies fing bereits bei der Erziehung an: Das primäre Ziel war es, Frauen zur Arbeit im Haushalt zu qualifizieren; Bildungsinhalte im engeren Sinne spielten nur eine randständige Rolle. – Dies waren Disziplinen, die außerhalb des häuslichen Umfelds stattfinden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Hausfrauen auch zu Hause wenige Möglichkeiten hatten zu schreiben. Die Ursachen dafür beschreibt etwa Virginia Woolf in ihrem Essay A Room of One’s One: Autor*innen benötigten für ihr Schaffen sowohl eine finanzielle Grundsicherheit als auch einen Raum, in dem sie ungestört arbeiten können. Doch sowohl an finanzieller Unabhängigkeit als auch an Privatsphäre mangelte es vielen Frauen lange.

Trotz dieser erschwerten Zugangsvoraussetzungen veröffentlichten Frauen aber bereits im 17. Jahrhundert dichterische Werke unter ihrem eigenen Namen. Teilweise ließen sie sich vorher von Privatlehrern bilden oder sie bedienten Gattungen wie etwa das Gelegenheitsgedicht, in denen es weniger um formale Virtuosität als um den frommen Inhalt ging. Während im Barock die Lyrik im Vordergrund gestanden hatte, wagten sich Frauen im 18. und 19. Jahrhundert auch an andere Gattungen heran. Nicht selten veröffentlichten sie ihre Werke dabei aber anonym oder nutzten Pseudonyme. Geschah die Veröffentlichung unter dem Klarnamen, so finden sich in den Vorworten teilweise sogenannte Bescheidenheitstopoi, in denen die literarische Qualität der Werke etwa dadurch herabgewürdigt wird, dass sie als bloße Erlebnisberichte bezeichnet werden. Daneben stehen bisweilen auch Worte der männlichen Befürwortung und Rechtfertigung der Veröffentlichung.

Auch wenn nun gezeigt wurde, dass in den vergangenen Jahrhunderten durchaus Autorinnen gewirkt haben, stellt sich noch immer die Frage, weshalb sie im Literaturunterricht Beachtung finden sollten. Welchen Zugewinn bringt es dem Literaturunterricht, wenn auch Werke von Autorinnen gelesen werden? Meiner Meinung nach geht die Antwort auf diese Frage über den Hinweis hinaus, dass eine Repräsentation von Autor*innen beider Geschlechter aus Gründen der Gleichberechtigung sinnvoll wäre. 

Das Ziel des Literaturunterrichts, die „Teilhabe am Handlungsfeld Literatur“ (Leubner/Saupe/Richter, De Gruyter 2016), entsteht durch ein Wechselspiel zwischen „Lesefreude“, „Textverstehen“ und „Wissen über Literatur und ihre Kontexte“ (ebd.). Diese drei Teilbereiche können durch den Einbezug von Autorinnen gestärkt werden. Die Beschäftigung mit den Hürden weiblichen Schreibens, die eng mit gesellschaftlichen Normen verbunden waren, erweitert das Epochenwissen um Facetten, die bei der Behandlung von Werken männliche Autoren nicht zur Sprache kommen. Diese neue Perspektive auf die jeweilige Epoche kann damit einhergehen, Teilziele des Textverstehen – zum Beispiel das Erkennen von Textelementen – durch die oben erwähnten Besonderheiten des weiblichen Schreibens zu erweitern. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass die weibliche Perspektive von Autorinnen eine ebenso starke emotionale Beteiligung und Vorstellungsbildung hervorrufen kann, wie die von einem Mann formulierte. Dass auch das ästhetische Vergnügen nicht darunter leiden muss, wenn ebenfalls Literatur von Autorinnen vergangener Jahrhunderte gelesen würden, zeigt die Tatsache, dass einige Autorinnen von ihrem zeitgenössischen Publikum besser angenommen wurden als ihre männlichen Kollegen (z.B. Victorie Gottsched und Gabriele Reuters). 

Der Literaturunterricht sollte also aus ästhetischen wie auch aus fachdidaktischen Gründen durch die Literatur von Frauen ergänzt werden – zum einen, um auch die Werke von weiblichen Autorinnen sichtbar zu machen, und zum anderen, weil eine Beschäftigung mit dieser Literatur neue Perspektiven auf die jeweiligen Epochen und damit vor allem eine Erweiterung des Wissens über Literatur und ihre Kontexte ermöglicht.

Eine erste Umsetzung ist nicht von einer Änderung des Lehrplans abhängig. Es finden sich bereits jetzt Anknüpfpunkte an den Sächsischen Lehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien. In Klasse 8 bietet sich eine konkrete Thematisierung der Benachteiligung von Frauen in der Literatur an, um Teil des fächerübergreifend angelegten Themas „Sexuelle Bildung“ zu sein, die vorsieht, unter anderem Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu thematisieren. In Klasse 9 und 10 sollen die Schüler*innen Kompetenzen der Textanalyse und Interpretation erlangen; die Textwahl steht den Lehrkräften hier frei, solange am Text die vorgegebenen Motive und Themen erkennbar sind. In Klasse 11 und 12 ist die Lektüre verbindlich, aber auch hier könnte man mit den Schüler*innen den vorgegebenen Kanon besprechen und gemeinsam darüber diskutieren. Eine solche Diskussion regt nicht nur dazu an, das Wissen über Literatur und ihre Kontexte anzuwenden, sondern kann auch eines der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele des Gymnasiums – die Reflexions- und Diskursionsfähigkeit – fördern. 

Das Team von Lit4School bemüht sich, verstärkt Literatur von Autorinnen aus vergangenen Jahrhunderten in der Datenbank zu integrieren. Eine Übersicht der Titel findet man gesammelt unter der Filterkombination Identitäten: Weibliche Stimmen und Veröffentlichungsjahr: vor 1945. Auch das dazugehörige Thema kann gefiltert werden, sodass eine Anpassung von noch unbekannterer Literatur an die Ziele des Lehrplans mit möglichst wenig Aufwand verbunden ist.

– Charlotte Nagels


Vor 110 Jahren starb am 14. Mai 1912 der schwedische Schriftsteller und Künstler August Strindberg. Strindberg verfasste neben Romanen, Gedichten und Novellen vor allem Dramen, durch die er auch international bekannt wurde. Er wurde am 22. Januar 1849 als Sohn einer Familie des Mittelstandes in Stockholm geboren. Sein Vater war Dampfschiffkomissionär, seine Mutter starb an Tuberkulose, als Strindberg 13 Jahre alt war. Seine Kindheit und Jugend waren geprägt von vielen Wohnortswechseln und er wurde in dieser Zeit eher als verschlossen und schüchtern beschrieben. Auch wenn Musik und Theater in seiner Familie thematisiert wurden, wurde sein künstlerisches Interesse erst später geweckt.
1867 begann Strindberg das Studium der „Ästhetik und lebenden Sprachen“ in Uppsala und war nebenher als Grundschul- und Hauslehrer tätig. Zwei Jahre später versuchte er sich als Schauspieler, nahm jedoch sein Studium 1870 wieder auf. Kurz darauf brach er es aus finanziellen Gründen wieder ab und kehrte nach Stockholm zurück, wo er zunächst als Journalist und Redakteur, später dann als Sekretär in der königlichen Bibliothek arbeitete. Er lernte die Schauspielerin Siri von Essen kennen und sie heirateten 1877. In dieser Zeit schaffte Strindberg auch seinen literarischen Durchbruch mit dem satirischen Gesellschaftsroman Das rote Zimmer (1879) und der Aufführung seines Dramas Meister Olof. Er erfuhr für weitere gesellschaftskritische Werke scharfe Kritik und verließ daraufhin 1883 mit seiner Familie Stockholm und lebte in Frankreich, in der Schweiz und in Dänemark. Im Jahr darauf musste Strindberg für eine Gerichtsverhandlung nach Stockholm zurückkehren, da er durch die Veröffentlichung seiner Novellensammlung Heiraten (1884) wegen Gotteslästerung angeklagt wurde. Siri von Essen und August Strindberg ließen sich 1891 scheiden und das darauffolgende Jahr verbrachte er in Berlin, wo er zu einem Freundeskreis von skandinavischen und deutschen Schriftstellern und Malern gehörte. Von 1893 bis 1897 war Strindberg mit der Journalistin Maria Friederike Uhl verheiratet und lebte in Österreich, bis er 1897 wieder nach Schweden zurückkehrte. Mit dem Ende der Ehe erlitt er psychische Krisen, auch die sogenannte Inferno-Krise. Es folgte von 1898 bis 1907 eine sehr produktive Zeit. So entstanden in dieser Zeit beispielsweise die Trilogie Nach Damaskus I-III (1898-1904) sowie weitere Dramen, die nachhaltigen Einfluss auf die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts in Europa hatten. In dieser Zeit (1901-1904) war er auch ein drittes Mal verheiratet, mit der Schauspielerin Harriet Bosse. Nach der Scheidung blieb Strindberg in Stockholm, wo er mit 63 Jahren verstarb und auf dem Nordfriedhof begraben liegt.
August Strindberg gehört zu einem der produktivsten Autoren Schwedens; sein Gesamtwerk umfasst mehr als zehn Romane, zehn Novellensammlungen und 60 Dramen. Seine Werke sind nicht nur einer Ideenströmung zuzuordnen. So erlebte er in seinen frühen Jahren als Schriftsteller eine naturalistische Phase, während er sich infolge seiner psychischen Krise in den 1890er Jahren eher dem Expressionismus zuwandte. Seine Schriften sind von sozial- und gesellschaftskritischen Themen geprägt, was ihm nicht nur Lob einbrachte. Sein Verhältnis zur Religion und zur Kirche ist ähnlich ambivalent wie zu der gesellschaftlichen Rolle der Frau und den Frauen in seinem Leben. Er interessierte sich nicht nur für andere Kunstformen, wie der Fotografie und der Malerei, sondern widmete sich auch immer wieder der Wissenschaft. August Strindbergs Werke beeinflussten nicht nur die Literaturszene Schwedens, er inspirierte auch nach seinem Tod weitere Autor*innen und Künstler*innen und galt in Deutschland zwischen 1912 und 1925 als einer der meistgespielten Dramatiker. Lit4School stellt das Trauerspiel Fräulein Julie von August Strindberg vor. Es entstand im Sommer 1888, als Strindberg mit seiner Familie in Kopenhagen lebte.


—Daphne Rose


Am 9. Februar 2022 wurde bekannt gegeben, dass auch 2022— im dritten Jahr in Folge— keine Leipziger Buchmesse stattfindet. Noch wenige Tage und Wochen zuvor schienen die Zeichen positiv zu stehen, denn die sächsische Corona-Schutzverordnung hätte die Großveranstaltung mit Besuchern und einer 2G-Plus-Regelung zugelassen.

Allerdings hatten zwischenzeitlich zahlreiche Verlage und Aussteller ihre Teilnahme abgesagt. Als Grund wurden Personalmangel für den Messeauftritt und die Befürchtung zahlreicher Ausfälle nach Infektionen genannt. 

Durch die Terminierung im Frühjahr eines jeden Jahres gilt die Leipziger Buchmesse als erster großer Branchentreff und erlaubt dem Publikum das Entdecken von Neuerscheinungen im breiten Rahmen. Denn die Leipziger Buchmesse ist nach der Frankfurter Buchmesse — die zweitgrößte Deutschlands, anders als diese jedoch hauptsächlich eine Publikumsmesse. 

Einige Lichtblicke bleiben für alle Buchliebhaber*innen bestehen. Auf auf dem Gelände des Werk 2 am Connewitzer Kreuz findet die Pop-Up-Buchmesse mit Ausstellungen und Lesungen statt. Über 60 Verlage präsentieren hier an Ständen und in Lesungen ihre Neuerscheinungen. Tickets sind auf zwei Stunden begrenzt und online erhältlich.

Auch der Preis der Leipziger Buchmesse wird trotz der Absage vergeben. Am heutigen Donnerstag, den 17. März 2022 um 16 Uhr, findet die Verleihung in der Glashalle auf dem Leipziger Messegelände statt und kann über die Website im Livestream verfolgt werden. Die siebenköpfige Jury, bestehend aus Literaturkritiker*innen und -wissenschaftler*innen, nominierte unter dem Vorsitz von Insa Wilke insgesamt 15 Autor*innen in den drei Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung. Der hochkarätige Preis, der die Vielfalt von Gegenwartsliteratur abbilden möchte, ist mit 60.000 Euro dotiert und zieht breites Interesse auf sich. Die Spannung steigt also nicht nur bei den Autor*innen, wer die diesjährigen Preisträger*innen sein werden. 

Und: Leipzig liest trotzdem. Dezentral findet das alljährliche Lese-Festival mit Autor*innen-Lesungen und Gesprächen an unterschiedlichen Orten statt. Literatur hat eine Bühne und den Zugang zum Publikum.

 Zuletzt bleibt die Hoffnung auf die Buchmesse vom 2023. Bis dahin: weiterlesen.

— Anne Seeger


Wie kann man den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Unterricht behandeln? Schon bald nach dem Angriff veröffentlichte das Landesinstitut für Lehrbildung und Schulentwicklung Hamburg ein Padlet mit Informationen und Unterrichtsressourcen. Auch die Seite Ukraineverstehen des Zentrums liberale Moderne verlinkt eine Fülle an Ressourcen. Die Materialsammlung „Was bedeutet Krieg?“ bietet Impulse zu einer allgemeineren Behandlung des Themas Krieg, besonders für jüngere Kinder.

Wir, die Redaktion Deutsch von Lit4School, meinen: auch für den Literaturunterricht lohnt es sich, auf den Krieg in der Ukraine einzugehen, denn viele ukrainische Texte sind ins Deutsche übersetzt, außerdem leben und schreiben in Deutschland eine Reihe von aus der Ukraine stammenden Autor*innen. Dazu stellen wir in diesem Blog-Post eine Reihe von Ressourcen vor. Für unseren Ukraine-Schwerpunkt haben wir bereits Einträge zu folgenden Texten und Autor*innen erstellt, weitere sollen in den nächsten Tagen folgen:

Oleksandr Irwanez: Pralinen vom roten Stern

Katja Petrowskaja: Vielleicht Esther

Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol

Sasha Marianna Salzmann: Im Menschen muss alles herrlich sein

Serhij Zhadan: Internat

Auf der Seite Lyrikline finden sich zahlreiche Gedichte ukrainischer oder aus der Ukraine stammender Lyriker*innen, u.a. von Juri Andruchowytsch, Serhij Zhadan, Miriam Dragina, Olena Herasymyuk und Yevgeniy Breyger.

Neben anspruchsvollen Romanen und Gedichten gibt es auch zahlreiche ukrainische Texte, die bereits für die Sekundarstufe I empfehlenswert sind:

Oksana, es reicht von Maria Kuznetsova erzählt von einer jungen ukrainisch-jüdischen Immigrantin in den USA und den Schwierigkeiten, in einem neuen Land Fuß zu fassen.

In Frau Müller hat nicht die Absicht, mehr zu bezahlen von Natalka Sniadanko machen sich zwei junge Protagonistinnen von Lviv/Lemberg auf den Weg nach Athen, bleiben aber in Berlin hängen.

Die Kurzgeschichtensammlung Skype Mama erzählt von Familien, deren Mütter im Ausland arbeiten und nur online mit ihren Kindern kommunizieren können.

Eine Überblicksdarstellung der ukrainischen Gegenwartsliteratur hat die Slawistin Sylvia Sasse für das geschichtswissenschaftliche Blog Geschichte der Gegenwart verfasst.

Die Literaturdatenbank Vivavostok, eine Kooperation der Internationalen Jugendbibliothek und der Robert Bosch Stiftung, stellt aktuelle Kinder- und Jugendliteratur aus Mittel- und Osteuropa vor.

Der Verein Translit setzt sich für den kulturellen Austausch zwischen dem deutschsprachigen Raum und dem Osten Europas ein. In einem Projekt des Vereins aus dem Jahr 2015 wurden Ausschnitte ukrainischer Kinder- und Jugendliteratur ins Deutsche übersetzt und die Autor*innen dazu vorgestellt.

Der Trabanten-Verlag kuratiert das Instagram-Projekt #ANTIKRIEGSLYRIK. Über den Kanal kann man Gedichte zur aktuellen Thematik einreichen, die dann dort veröffentlicht werden.


Sie sprechen mehr als eine Sprache? Dann gehören Sie damit zur großen Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen! 

Laut einer Spracherhebung des Leibniz-Instituts und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung gaben im Jahr 2018 ein Fünftel der Befragten an, mehr als eine Sprache in ihrem Haushalt zu sprechen. Über ein Drittel aller Schüler*innen sprechen bei der Einschulung neben dem Deutschen noch mindestens eine weitere Sprache, wie das Mercator Institut für Sprachförderung in einem Faktencheck feststellt. Spätestens mit dem Fremdsprachenunterricht in der Schule werden alle Kinder und Jugendlichen mehrsprachig. Diese individuelle Mehrsprachigkeit bedeutet nach heutigem Konsens nicht, dass beide (oder mehrere) Sprachen auf muttersprachlichem Niveau beherrscht werden müssen. Vielmehr definiert sie sich durch die „Fähigkeit […], in mehreren Sprachkontexten zu kommunizieren – und dies unabhängig davon, auf welche Weise die beteiligten Sprachen erworben oder wie gut sie beherrscht werden“.

Sprachliche Vielfalt ist gesellschaftliche Realität und gerade in Schulen und Kitas für viele Kinder alltägliche Normalität. Eine Grundannahme dabei ist, dass für eine effektive Sprachförderung eine sprachenfreundliche Atmosphäre und Wertschätzung von Mehrsprachigkeit die Basis sind – dabei sollte nicht nur auf die (prestigeträchtigen) Schulfremdsprachen eingegangen werden, sondern auch auf die Sprachen die die Schüler*innen aus ihren Familien oder migrationsbedingt mitbringen. Sprachen bieten Zugang zu Wissen und Kultur. Mehrsprachigkeit kann sich zudem positiv auf die kognitive und sprachliche Entwicklung auswirken. Studien zeigen zum Beispiel, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, leichter weitere Sprachen lernen und sich besser in andere hineinversetzen können.

Wie kann in Schule und KiTa eine entsprechende Wertschätzung von Mehrsprachigkeit sichtbar gemacht werden?

Anstatt eines „Deutschgebots“ auf Schulhof oder im Unterricht kann zum Beispiel eine freie Sprachwahl bei Gruppen- oder Partnerarbeit angeboten werden – natürlich nur, wenn alle Beteiligten die Sprache beherrschen und einverstanden sind. Das Schulhaus kann mehrsprachig beschildert werden, Begrüßungen können in den verschiedenen Sprachen der Schüler*innen gelernt werden. Schüler*innen können sogenannte Sprachportraits anfertigen, wobei sie in die Umrisse eines Körpers alle Sprachen mit Farben malen und vorstellen, weshalb welche Sprache an welcher Stelle des Körpers verortet wurde. Sprachvergleiche können im Unterricht angestellt werden. Den Ideen sind keine Grenzen gesetzt und sie sollen zu einem unterstützenden Umgang führen.

Wir, als Team von Lit4School, möchten Bücher vorstellen, die mehrsprachig sind oder Mehrsprachigkeit einbeziehen und sichtbar machen. Diese Bücher können in einer Leseecke zur freien Verfügung stehen, vorgelesen werden – auch unter Einbezug von Eltern – und gemeinsam besprochen werden. 

Hier eine Auswahl unserer Bücher, die sich mit Mehrsprachigkeit beschäftigen:

Mehrsprachige Bilderbücher:

Romane über Mehrsprachigkeit: 

— Anne Seeger


Wenn Sie an deutschsprachige Lyrikerinnen denken, wer fällt Ihnen ein? Wie viele Autorinnen konnten Sie nennen? Und: ist von Droste-Hülshoff eine von Ihnen? 

Annette von Droste-Hülshoff wurde 1797 auf dem Wasserschloss Hülshoff nahe Münster als zweites von vier Kindern in eine angesehene, westfälische Adelsfamilie geboren. Über Generationen war diese maßgeblich an der politisch-geistlichen Führung des Landes beteiligt gewesen. Zum Ende des 18. Jahrhundert bröckelte die Macht der Fürstentümer in Folge der französischen Revolution jedoch auch in Deutschland. Zu von Droste-Hülshoffs Lebzeiten war die Autorin deutlich weniger bekannt als sie es heute ist, obwohl ihre literarische und musikalische Begabung früh erkannt und gefördert wurde. Ihre erste halb-anonyme Veröffentlichung des Gedichtbandes 1838 war ein Misserfolg mit nur 74 verkauften Exemplaren- den Zeitgenos*innen erschien die schreibende adelige Frau als unschicklich. Doch von Droste-Hülshoff schrieb weiter. Ihr literarisches Werk gewann erst im „Kulturkampf“ der 1870er Jahre (20 Jahre nach ihrem Tod) an Bedeutung, in welchem sie – mit den Attributen „katholische“ und „westfälisch“ versehenen – zur Gallionsfigur stilisiert wurde. So erklärte man sie zur „größten deutschen Dichterin“, was ihr wissenschaftliches Interesse und einen prominenten Platz in der Literaturgeschichte, aber auch Fehldeutungen ihres Werkes einbrachte.

Die vielfältige Literatur von Droste-Hülshoffs verbindet Romantik, Realismus und Biedermeier. Ihre eigene Ambivalenz ihrer weiblich-ständischen und ihrer dichterischen Rolle gegenüber prägt fast all ihre Arbeiten und trägt sehr zu ihrer Wirkung bei. Heute ist Annette von Droste-Hülshoff als eine der wenigen Frauen fest im Literaturkanon etabliert. Anna Bers schreibt hierzu im Nachwort ihrer Anthologie Frauen I Lyrik: „Kanones, die meist nach verborgenen, aber machtvollen Normen gebildet werden, kann man am besten durch empirische Untersuchungen beschreiben […] Ein wertvolles und umfangreiches Datenprojekt hat Hans Braam verfolgt: Bei einer Auswertung von über 75.000 Texten findet sich an 63. Stelle der am häufigsten anthologisierten Texte Annette von Droste-Hülshoffs „Knabe im Moor“– als erstes Gedicht einer Autorin. Davor finden sich 23 Gedichte von Goethe.“

Lit4School stellt das Gedicht „Am Turme“ von Droste-Hülshoff vor. Dieses ist im Winter 1841/1842 auf der Meersburg am Bodensee entstanden und reflektiert in vier Strophen die gesellschaftliche Stellung der Frau, beschäftigt sich mit dem Gedankenexperiment „ein Jäger auf freier Flur zu sein“ und kann daher als emanzipatorischer Text gelten. Als Projekt, das durch seine Auswahl von Texten für Schulen ebenfalls zur Kanonisierung beiträgt, versuchen wir scheibenden Frauen* eine Plattform zu geben, damit sie gleichberechtigt gelesen werden. Das zeigt sich mitunter am angegebenen Kontext „Weibliche Stimme“, unter welchem Sie Texte von Frauen finden. 

Annette von Droste-Hülshoff hat erreicht, was auch heute noch längst nicht die Normalität ist – als schreibende Frau im literarischen Kanon etabliert zu sein. Von Droste-Hülshoffs Biografie zeugt von einem schriftstellerischen Selbstbewusstsein, das sie trotz hegemonialer Macht auf dem Feld der Literatur nicht davon abhielt zu schreiben. Uns bleibt, unsere Kanones zu hinterfragen und sie um die vielfältigen, interessanten Texte zu erweitern, die bereits von Frauen* geschrieben wurden und werden.

— Anne Seeger

Buchempfehlung: Anna Bers: Frauen | Lyrik. Reclam 2020.


„Die Gefahr einer einzigen Geschichte“ oder „The danger of a single story“ – der so betitelte Vortrag der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie ist mit fast 9,5 Millionen Aufrufen auf youtube (Stand November 2021) eines der am meisten gesehenen Videos einer TEDx-Konferenz.

Von welcher Geschichte erzählt die Autorin? Adichie schrieb schon als Kind Geschichten. Geschichten, in denen zunächst ausschließlich weiße Menschen des globalen Nordens vorkamen und das, obwohl sie selbst nie außerhalb Nigerias gewesen war. Denn die Protagonist*innen ihrer Geschichten ähnelten den Figuren, die sie selbst aus ihren Kinder- und Jugendbüchern kannte.

Als Adichie zum ersten Mal ein Buch des nigerianischen Schriftstellers Chinua Achebe liest, macht sie eine bestärkende, augenöffnende Entdeckung: Figuren, die ihr Leben widerspiegeln, die ihr ähnlich sind und sie repräsentieren. Adichie weist anhand weiterer Beispiele daraufhin, wie iel Macht Geschichten haben und welche Gefahr damit einhergeht, wenn nur eine Perspektive beziehungsweise eine Erzählung über eine Region oder Gruppe an Menschen gelesen oder gehört wird: die – der Realität innewohnende – Komplexität wird zugunsten von Stereotypen und Vorurteilen aberkannt.

Wie können wir dieser „einzigen Geschichte“ entkommen und unseren Blick weiten? Wir brauchen neue Geschichten und diverse Erzählungen. Und aus diesem Grund sollten Gruppen, die weniger gesellschaftliche Macht haben, zum Beispiel Migrant*innen, Schwarze Menschen oder Personen mit Behinderung, die Möglichkeit bekommen, ihre Geschichten zu teilen. Und wo, wenn nicht im Kindergarten oder in der Schule wäre ein geeigneter Ort, an dem wir lernen, zuzuhören und zu erzählen, diese verschiedenen Geschichten zu lesen und zu schreiben?

Seit der Tötung George Floyds im Mai 2020 und den sich anschließenden Protesten zum Thema „Black Lives Matter“ bekomme das Thema Rassismus und Anti-Diskriminierung in der Bildung endlich auch in Deutschland mehr Aufmerksamkeit, so die Literaturwissenschaftlerin Élodie Malanda und die Pädagogin und Kulturmittlerin Sarah Berg.  In ihrem Vortrag „Wie es beginnt- Racial Diversity im Kinder- und Jugendbuch“, der am 21. Oktober im Haus des Buches in Leipzig stattfand, stellten sie Bücher vor, die eine positive, selbstermächtigenden Wirkung erzielen können. Sie schlugen Literatur vor, die dazu beitragen soll, dass alle Kinder sich in Figuren mit selbstbewusst handelnden und fordernden Akteur*innen wiedererkennen.

Wie wählt man nun als Pädagog*in Bücher aus?  Hier liefert die „Fachstelle Kinderwelten für vorurteilsbewusste Bildung und Erziehung“ Prüffragen, um Kinderbücher besser einschätzen zu können. Die Fragen können anregen den aktuellen Kanon zu überdenken und bewusste Neuanschaffungen zu tätigen:

  1. Welche Kinder finden sich mit ihrer Familienkultur – ihren Sprachen, Festen, Alltagsabläufen, Wohnformen, Interessen, Äußerlichkeiten wieder? Welche nicht?
  2. Welche Personen haben (k)eine aktive Rolle?
  3. Wer wird als „normal“ dargestellt? Wer muss seinen Wert beweisen?
  4. Liegen der Charakterisierung einzelner Menschen Vorurteile über bestimmte Gruppen zugrunde?
  5. Auf wessen Kosten funktionieren die Witze oder die „Moral von der Geschichte“?

Lit4School versucht die Suche nach den neuen, diversen Geschichten zu vereinfachen. Wie unser Blogbeitrag aus dem Juli 2021 dargelegt, ist es Lit4School ein Anliegen Gegenstände für den Literaturunterricht vorzuschlagen, die bisher keine oder nur wenig Berücksichtigung gefunden haben. Das zeigt sich unter anderem in unserem Auswahlkriterium „Diversität“.

Denn Bücher haben eine große Bedeutung:  Kinder machen sich durch das Betrachten und Lesen ein Bild von sich, von anderen Menschen und der Welt. Wie erstrebenswert scheint es da, wenn die uns umgebende reale Vielfalt auch in Kinder- und Jugendbüchern sichtbar(er) wird.

— Anne Seeger