Shoa-Texte im Deutschunterricht

Seit 1996 ist der 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland ein gesetzlich verankerter Gedenktag. An diesem Tag wurde 1945 das KZ Auschwitz durch die Rote Armee befreit. Vielfältige Aktivitäten erinnern in diesem Jahr an die Opfer, unter anderem eine Gedenkstunde im Bundestag mit den Rednerinnen Charlotte Knobloch, Präsidentin der jüdischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und der Publizistin Marina Weisband, digitale Aktionen der Gedenkstätten sowie zahlreiche social-media-Posts unter den Hashtags #wirerinnern und #weremember.

Dennoch wissen Schülerinnen und Schüler oft wenig über die Shoa. Wie der Geschichtsdidaktiker Meik Zülsdorf-Kersting erläutert, ist historische Bildung zu selten an den Interessen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet. Historische Ereignisse werden als Faktenwissen und mit einer feststehenden Bewertung vermittelt, oft ohne direkten Bezug zu gegenwärtigen Phänomenen der Schuldabwehr, der Täter-Opfer-Umkehr, von Rassismus und Antisemitismus in weiten Teilen der Gesellschaft, aktuell etwa in Gestalt strukturell antisemitischer Verschwörungsmythen.

Die Lektüre von Shoa-Texten im Deutschunterricht kann in diesem Zusammenhang wichtige Impulse für die historische Bildung und das Reflexionsvermögen von Schülerinnen und Schülern geben, weil Literatur als Medium der Erinnerungsarbeit historisches Geschehen anschaulich und aus der Innenperspektive von Figuren nachvollziehbar macht. Literatur transportiert Werte und regt zu eigener Auseinandersetzung an; dabei spielt die Literaturvermittlung im Unterricht eine entscheidende Rolle.

Lit4School enthält eine Reihe von Literaturempfehlungen für die Auseinandersetzung mit der Shoa, auch schon in jüngeren Klassenstufen; weitere Beiträge sind in Arbeit. Besonders empfehlen wir folgende Bücher:

  • Die Graphic Novel Peter in Gefahr erzählt eine wahre Geschichte über die Shoa in Ungarn. Das Buch stand 2020 auf der Empfehlungsliste für den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis und eignet sich gut für einen ersten Einstieg in das Thema in den Grundschulklassen 3 oder 4.
  • Das Bilderbuch Erikas Geschichte erzählt von einem Kind, das aus dem Deportations-Zug geworfen wurde. Erika kennt weder ihr Geburtsdatum noch ihren wahren Namen. Detaillierte, großformatige Zeichnungen bebildern Erikas Gedanken und Erinnerungen: wer waren ihre Eltern? Die Kombination aus Illustrationen und reflektierendem Text sowie das aufwendig gestaltete Cover mit herausnehmbaren Pappstern bieten vielfältige Möglichkeiten, das Buch in den oberen Grundschulklassen zu behandeln.
  • Sternkinder von Clara Asscher-Pinkhof ist ein sehr früher kinderliterarischer Shoa-Text und erschien im niederländischen Original erstmals 1946. Die Autorin, selbst Shoa-Überlebende, erzählt in Kurzgeschichten von Angst, Überleben und Tod der meist namenlosen Protagonisten. Besonders die Erzählungen aus dem ersten Teil des Buches eignen sich bereits für die Klassen 3 und 4; spätere Erzählungen eher für die Sekundarstufe 1.
  • Die Adaption des berühmten Tagebuch der Anne Frank als Graphic Diary kombiniert den Originaltext mit fiktiven Dialogen und lebendigen Illustrationen; sie eignet sich für die Klassenstufen 7 und 8. 
  • Auch der Roman Und im Fenster der Himmel von Johanna Reiss ist autobiografisch. Erzählt wird vom Überleben im Versteck; dabei führt die Ich-Erzählerin Lesende durch das Geschehen, schafft Authentizität und bietet Orientierung für den Wissens- und Erfahrungshorizont kindlicher Lesender. Ein zweiter Fokus des Romans liegt auf Widerstand und Hilfe für Jüdinnen und Juden durch nicht-jüdische Mitbürger*innen. Der Roman eignet sich für die Sekundarstufe 1, dabei sollte im Unterricht deutlich gemacht werden, dass Hilfe für Jüdinnen und Juden eine Ausnahme war – im Deutschen Reich gab es nur insgesamt 10.000 Helfer, das sind 0,16% der Bevölkerung.

Silke Horstkotte