Experteninterview

Werden SpezialistInnen mit einem leitfadengestützten Interview zu ihrem Gebiet befragt, handelt es sich um ein Experteninterview. Nicht alle SpezialistInnen veröffentlichen ihre Erkenntnisse und stellen ihr Wissen von sich aus der Öffentlichkeit zur Verfügung. ExpertInnen sind also Sachverständige bezüglich des interessierenden Sachverhaltes. Sie gehören zum untersuchten Handlungsfeld. Umgangssprachlich würde man auch von Insidern sprechen.

Experteninterviews sind auch bei Themen interessant, zu denen es womöglich nichts Veröffentlichtes gibt. Allerdings sind diese Interviews manchmal lange Monologe, mitunter im Fachjargon gehalten, deren Auswertung mit einigem Aufwand verbunden ist. Zudem, und das ist wichtig, sollten die Aussagen von ExpertInnen nicht mit der Wahrheit an sich verwechselt werden. Auch ExpertInnen deuten, interpretieren – und können sich irren.

Beispiele

  • Betriebswissen über Abläufe in Institutionen, Organisationen, Verwaltungen, Netzwerken etc.
  • Deutungswissen/Deutungsmacht als Sachverständige, etwa Einschätzung von Risiken, Entwicklungen oder Relevanzen
  • Kontextwissen über andere Personengruppen, zu denen die ExpertInnen selbst nicht gehören (GefängnispsychologInnen können z.B. über Gefangene sprechen und Resozialisierungserfolge deuten, sind aber – offensichtlich – nicht selbst Teil dieser Gruppe)

Experteninterviews eignen sich zudem gut, um das Forschungsfeld zunächst zu sondieren und dann zu entscheiden, wie die Untersuchung gestaltet sein sollte.

Mitunter ist es gar nicht so einfach, genau die Person zu finden, die für das Forschungsthema ExpertIn ist. Sollen etwa die Abläufe bei Bewerbung und Einstellung in der Personalabteilung einer großen Firma untersucht werden, hilft es wenig, die Chefin des Unternehmens zu befragen. Sie wird dazu vielleicht wenig sagen können und eher im Allgemeinen bleiben. Der oder die Personalbeauftragte dürfte in diesem Fall die bessere Wahl sein.

Ablauf

Vorgespräch

Der/die ExpertIn muss erfahren, worum es in der Untersuchung geht und was man sich von dem Gespräch erhofft. Allerdings ist es wichtig zu verdeutlichen, dass es nicht um reine Fakten geht, die auch anderweitig recherchiert werden könnten, sondern dass die Befragten als ExpertInnen angesprochen werden, deren Wissen und Einschätzung von Interesse sind. Dabei ist der Hinweis auf die Anonymität der Person und/oder Firma wichtig: Um keine Betriebsgeheimnisse zu verraten, würden einige ExpertInnen sonst nicht viel sagen. Diese Befragten haben zudem oft wenig Zeit, weil man sie meist während der Arbeitszeit befragt.

Das eigentliche Interview

  1. Der/die ExpertIn stellt sich am besten kurz selbst vor.
  2. Er/sie wird anhand des Leitfadens gebeten, sich zum eigentlichen Thema zu äußern.
  3. Immanente Nachfragen: Bitte um detaillierte Beschreibungen, Beispiele, Negativbeispiele (z.B. „Gab es denn schon einmal eine Situation, in der das nicht so gut geklappt hat?“).
  4. Exmanente Nachfragen: Es werden spezielle Dinge erfragt, die noch nicht Thema waren.
  5. Deutungsfragen: Fragen nach Einschätzungen, Abwägungen oder Theoretisierungen.
  6. Biografische Daten des/der ExpertIn (können auch vor dem Gespräch, später oder anderweitig eingeholt werden, weil ExpertInnen oft wenig Zeit haben).

Sehr wichtig ist, dass der Interviewer/die Interviewerin schon einiges Wissen über das Feld der ExpertInnen mitbringen sollte, damit diese keine Allgemeinplätze referieren müssen, die man auch in Büchern hätte lesen können. Ein paar Fachbegriffe sollte man schon kennen, sonst kommt die Expertenfunktion der Befragten zu kurz. Die Leitfragen helfen, beim Thema zu bleiben und möglicherweise ausschweifende ExpertInnen wieder in Richtung der eigenen Forschungsfrage zu bringen.

 


Literatur
  • Meuser, Michael & Nagel, Ulrike (2010) ExpertInneninterview. Zur Rekonstruktion spezialisierten Sonderwissens. In: Becker Ruth & Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 376–379.
  • Helfferich, Cornelia (2019) Leitfaden- und Experteninterviews. In: Baur, Nina & Blasius Jörg (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 669–686.
  • Helfferich, Cornelia (2011): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitative Interviews. 4. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 178–189 (Praxisanleitung zur Erstellung eines Leitfaden).