Bildanalyse

Bilder sind ein wichtiger Bestandteil unserer täglichen Kommunikation. Wir deuten die Mimik und Gestik unserer Mitmenschen, sind mit Bildern im Straßenverkehr, beim Lesen von Nachrichten, im Bereich von Social Media oder in der Werbung konfrontiert. Anders als (schriftliche oder mündliche) Texte sind Bilder nicht sequentiell. Texte erschließen sich uns nacheinander, Schritt für Schritt, Wort für Wort. Bilder können wir auf einmal erfassen und verschiedene Aspekte und Elemente gleichzeitig wahrnehmen und interpretieren.

Sinnvoll für …

Die Bildanalyse ist nicht nur wichtiger Bestandteil der Kunstgeschichte, etwa zur Beschreibung und Interpretation von Malerei. Sie kann auch aufdecken, wie zum Beispiel Fotos zur Bebilderung von Zeitschriftenartikeln angeordnet oder komponiert sind und somit den Inhalt und die Interpretation beeinflussen. Selten sind solche Bilder rein dokumentarisch. Meist wird eine spezielle Perspektive oder ein bestimmter Ausschnitt gewählt. Eine präzise Bildanalyse kann dazu beitragen, die Motivation hinter den Bildern zu erkennen und zu erfragen, warum der oder die FotografIn oder die Redaktion gerade dieses Bild und diesen Ausschnitt gewählt hat.

Beispiel
Bilder von einer politischen Demonstration können je nach Perspektive oder Ausschnitt große Menschenmengen oder nur kleine Gruppen zeigen. Der zugehörige Text steuert die Deutung. Da mittlerweile häufig sehr viele Bilder von verschiedenen FotografInnen produziert werden, können solche Situationen meist gut abgeglichen werden.

Eine wichtige Unterscheidung zum Verständnis, wie Bilder analysiert werden können, ist die zwischen der Kommunikation über das Bild (die sich metasprachlich ausdrückt als „Wie findest du das Bild?“ oder „Wie wirkt es auf dich?“) und der Kommunikation durch das Bild oder in Bildern (nur das Bild wirkt auf den oder die BetrachterIn, es gibt keine Sprache dazu). So gesehen ist auch die Deutung von Mimik und Gestik Kommunikation durch das Bild, wenn mein Gegenüber nicht spricht.

Man kann fragen, was dargestellt ist, aber auch, wie das etwas dargestellt wird. Mit der Bildanalyse kann also einerseits untersucht werden, was kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene sind, und andererseits, wie diese hergestellt werden.

Beispiel
Das Gemälde „Das Abendmahl“ von Leonardo da Vinci.

  1. Beschreibung: Mehrere Personen sitzen um eine lange Tafel mit Speisen etc.
  2. Deutung: Diese Personen, die in einer bestimmten Anordnung an einer Speisetafel sitzen, stellen das letzte Abendmahl dar. (Der Bezug auf die Bibelstelle kann nur mit Vorwissen hergestellt werden.)

Beispiel
Eine Geste

  1. Beschreibung: Eine Person auf der gegenüberliegender Straßenseite hebt die Hand und bewegt sie von rechts nach links.
  2. Deutung: Die Person hebt die Hand und winkt, um zu grüßen.
Dokumentarische Bildinterpretation

Eine spezielle bildanalytische Herangehensweise ist die dokumentarische Bildinterpretation, die sich aus verschiedenen Schritten zusammensetzt.

  1. Beschreibung des Vorder-, Mittel- und Hintergrunds des Bildes, allgemeine Beschreibung dessen, was zu sehen ist (Welche Personen genau? Mit welchen Kategorien wird gearbeitet? Was ist das Thema?)
  2. Beschreibung der Komposition eines Bildes
    • Perspektive: Welche Personen, welche Situationen werden aus welcher Perspektive dargestellt? Wo ist der Fluchtpunkt, die Horizontlinie etc.?
    • Szenische Choreografie: Wie stehen die Personen zueinander, welche Dynamiken gibt es? Wie sind ihre Mimik und Gestik, wohin gehen ihre Blicke?
    • Planimetrische Struktur: Wie sind die Ebenen/Flächen des Bildes strukturiert? Welche Linien bestimmen das Bild?
  3. Eigentliche, tiefergehende Interpretation des Bildes (ikonologische und ikonische Interpretation)
  4. Interpretation des Bildtitels

 

Mit Eyetracking-Kameras, die Blickbewegungen einfangen, können weitere Aspekte in die Bildanalyse einfließen. Mit dieser Technik ist es möglich aufzuzeichnen, wohin jemand zuerst schaut oder wie lange ihr oder sein Blick an einem konkreten Element hängenbleibt. Eyetracking kommt auch in der Leseforschung zum Einsatz. Die Auswertung der Daten erfolgt immer statistisch.

Die Arbeit mit großen Korpora ermöglicht eine serielle Bildanalyse. Hier werden zunächst einzelne Bilder analysiert. Aus diesem Schritt abgeleitete Hypothesen werden auf den ganzen Bildkorpus angewandt, und daraus werden wiederum Hypothesen abgeleitet, die an den Einzelbildern überprüft werden.

 


Literatur
  • Bohnsack, Ralf (2014): Rekonstruktive Sozialforschung, 9. Auflage. Opladen: Utb.
  • Breidenstein, Georg; Hirschauer, Stefan; Kalthoff, Herbert; Nieswand, Boris (2013): Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Stuttgart: UTB.
  • Kuckartz, Udo (2014): Qualitative Inhaltsanalyse. Methoden, Praxis, Computerunterstützung, 2. Auflage. Weinheim: Juventa Verlag.