Forschungsprozess

Wissenschaftlich zu arbeiten, ist vielschichtig. Es besteht aus einer Reihe verzahnter Teilprozesse. Anders als bei Aufgaben mit klar definiertem Ziel und feststehenden Operatoren, etwa beim Aufbau eines neuen Tisches mit Anleitung, ist wissenschaftliches Arbeiten kreativ, also verlaufs- und ergebnisoffen: Weder weiß man vorher sicher, wo die Reise hingeht, noch ist von vornherein klar, welcher Weg passt. Hinzu kommt, dass WissenschaftlerInnen auch den Anfang dieses Weges selbst finden und ihr Forschungsproblem selbst identifizieren und definieren müssen. Wissenschaftliches Arbeiten ist also komplex und lässt sich, metaphorisch gesprochen, als eine Gleichung mit vielen Unbekannten beschreiben.
Trotzdem müssen nicht alle Forschenden das berühmte Rad neu erfinden – weder in Hinblick auf den Gegenstand der Forschung noch in Hinblick auf den Forschungsprozess. Vielmehr kann auf die Ergebnisse anderer Untersuchungen ebenso zurückgegriffen werden wie auf Erfahrungen aus anderen Forschungsprozessen. Ob ein Prozess gelingt, wird von individuellen und eine sachbezogen-methodischen Aspekten beeinflusst.

Der Forschungsprozess aus individueller Perspektive
Den Forschungsprozess aus individueller Perspektive zu betrachten, bedeutet, die Person und ihren Arbeitsprozess in den Blick zu nehmen. Wenngleich sich nicht normieren lässt, was einen gut funktionierenden und produktiven von einem schwierigen und bisweilen unproduktiven Arbeitsprozess unterscheidet – schließlich kann das, was für den einen gut und richtig ist, für den anderen falsch sein –, so lassen sich doch Faktoren benennen, die Einfluss auf die Produktivität des Arbeitsprozesses haben können. Hier sind einige davon:
Motivation
Worauf fußt meine Motivation für die bevorstehende Arbeit? Ist die Arbeit für mich eher Pflicht oder Freude? Interessiert mich das Thema? Was motiviert oder demotiviert mich an meiner Arbeit insgesamt und an einzelnen Aufgaben? Was bestärkt mich, was verunsichert mich?
Arbeitsatmosphäre/Arbeitsumgebung
Kann ich störungsfrei und konzentriert arbeiten? Oder wird mein Arbeitsprozess regelmäßig unterbrochen? Wann und wo arbeite ich am besten? Habe ich alles, was ich zum Arbeiten brauche?
Arbeitsfähigkeit
Bin ich aktuell arbeitsfähig und kann mich gut konzentrieren? Bin ich ausgeglichen oder stehe ich akut unter Stress? Gibt es Sorgen oder Nöte, die meiner Aufmerksamkeit bedürfen und mich ablenken?
Aufwand und Nutzen
Stehen Aufwand und Nutzen in einem für mich angemessenen und ausgeglichenen Verhältnis? Was kann ich tun, um dieses Verhältnis zu optimieren?
Wissen, was zu tun ist
Weiß ich, welche Aufgaben ich zu bewältigen habe? Weiß ich, wie ich diese Aufgaben bewältigen kann oder wie ich dies herausfinde? Plane ich meine Arbeit sinnvoll? Wie hoch ist meine Frustrationstoleranz bei Problemen, Fehlern oder Verzögerungen? Weiß ich, was ich tun kann, wenn es mal nicht läuft?
Fähigkeiten und Fertigkeiten
Habe ich die für meine Arbeit notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten oder bin in der Lage, mir diese anzueignen und vielleicht Unterstützung zu organisieren? Welche Strategien und Techniken setze ich mit welcher Wirkung ein? Könnte ein probeweiser Strategiewechsel meinen Arbeitsprozess verbessern?
Wissen
Verfüge ich über das für meine Arbeit notwendige deklarative und prozedurale Wissen? Kann ich dieses Wissen souverän anwenden und weiterdenken? Welche Strategien und Techniken setze ich für mein persönliches Wissens- und Informationsmanagementein?
Emotion
Wie geht es mir mit meiner Arbeit? Wie geht es mir, wenn ich arbeite? Bei welchen Aufgaben fühle ich mich schlecht, unsicher oder überfordert? Welche Aufgaben erledige ich gern und scheinbar wie von selbst? Sehe ich einen Sinn in meiner Arbeit? Denke ich in Vor- oder Schaffensfreude an die nächsten Arbeitsschritte?
Selbstkonzept/Selbstwirksamkeit
Sehe ich mich als einen interessierten und grundbegabten Menschen? Glaube ich daran, dass ich die vor mir liegende Arbeit bewältigen kann? Habe ich Angst zu versagen oder erwarte dies sogar? Glaube ich daran, dass ich meine Ziele und Ideen kraft meines Handelns verwirklichen kann?
Rahmenbedingungen und soziales Umfeld
Unter welchen Rahmenbedingungen findet meine Arbeit statt? Habe ich (zu) viel oder (zu) wenig Zeit? Habe ich Vorwissen oder muss ich mich komplett neu einarbeiten? Habe ich einen Plan B für den Fall der Fälle? Fühle ich mich im universitären Umfeld wohl? Erfahre ich in meinem privaten Umfeld Unterstützung, Bestärkung oder Anregung? Wo kann ich eventuell Unterstützung finden?
Verhältnis zur/zum BetreuerIn
Habe ich ein gutes Verhältnis zu meiner Betreuerin oder meinem Betreuer? Ist er oder sie erreichbar? Sprechen wir die gleiche Sprache oder aneinander vorbei? Gibt es offene oder verborgene Konflikte? Bekomme ich die Unterstützung, die ich brauche? Kann ich woanders Unterstützung finden?
Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln ist ein wichtiger Bestandteil des wissenschaftlichen Arbeitens. Ziel muss es sein, den eigenen Arbeitsprozess aktiv und gesund zu gestalten. Sich bewusst zu machen, was man wie mit welchem Effekt tut und wie man sich dabei fühlt, ist hierfür ebenso Voraussetzung wie ein Nachdenken darüber, was man braucht, um produktiv arbeiten zu können. Schreibberatung kann dabei unterstützen.
Der Forschungsprozess aus sachbezogen-methodischer Perspektive

Den Forschungsprozess sachbezogen-methodisch zu betrachten, bedeutet, sich mit den Spezifika des jeweiligen Forschungsgebietes, seinen Forschungsansätzen und methodischen Perspektiven auseinanderzusetzen. Der Weg von der ersten Idee bis zur fertigen Arbeit kann sehr unterschiedlich sein. Die folgenden beiden Modelle stellen den Prozess systematisch dar. Das erste Modell ist von Schnell, Hill und Esser und zeigt einzelne Phasen der empirischen Forschungsarbeit. Das zweite Modell stammt von Girgensohn und Sennewald und bezieht sich auf den Schreibprozess. Näheres zum Prozess gibt es auch auf unserem Schreibportal.

Phasen und Aufgaben in der empirischen Forschung(Quelle: Schnell/Hill/Esser 2013: 4)

Phasen und Aufgaben beim wissenschaftlichen Schreiben

(Quelle: Girgensohn/Sennewald 2012: 13)

 


Literatur
  • Esselborn-Krumbiegel, Helga (2017): Von der Idee zum Text. Eine Anleitung zum wissenschaftlichen Schreiben. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
  • Girgensohn, Katrin; Sennewald, Nadja (2016): Schreiben lehren, Schreiben lernen. Eine Einführung. Darmstadt: WBG.
  • Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung. Ein Arbeitsbuch. München: Oldenbourg, Kapitel 1: Erkenntnisinteresse, methodologische Positionierung, Forschungsfeld, Methode.
  • Schnell, Rainer; Hill, Paul Bernhard; Esser, Elke (2013): Methoden der empirischen Sozialforschung. München: Oldenbourg.
Allgemeines
Was sind Methoden, wozu sind sie da? Welche Probleme macht die Empirie, was unterscheidet deduktiv von induktiv und qualitativ von quantitativ?