Beobachtungen
Es gibt viele Varianten von wissenschaftlichen Beobachtungen. Sie gelten als ethnografische Erhebungsformen, da sie (ähnlich wie das ethnografische Interview) vom Forscher oder von der Forscherin maximale Offenheit in Bezug auf mögliche Untersuchungsergebnisse verlangen. Ob ein Beobachter oder eine Beobachterin bei der Datenerhebung dabei ist, ist nicht egal, weil die Anwesenheit eines beobachtenden Subjekts die Situation zwingend verändert.
Dieses Beobachtungsverfahren bietet sich in institutionalisierten Kontexten wie Schule oder Kindergarten an. Üblicherweise ist nur eine kurze Gewöhnungszeit nötig, bis eine Kamera oder eine Aufnahmegerät keine Beachtung mehr findet. Allerdings sind Datenschutz und Persönlichkeitsrechte zu beachten (alle Teilnehmenden müssen Bescheid wissen und mit der Aufnahme einverstanden sein) und organisatorische Belange zu klären (Wer kümmert sich um die Aufnahmen? Wann wird die Aufnahme beendet? etc).
Als offen teilnehmendeR BeobachterIn ist man zwangsläufig selbst Teil des Untersuchungsbereichs und gleichzeitig doch nur BeobachterIn in einer konkreten Situation. Das eigene Verständnis dieses Verhältnisses von Nähe und Distanz muss protokolliert und analysiert werden. Möglicherweise ändert sich das Verhältnis zwischen ForscherIn und Befragten, weil man eine Gruppe mehrfach beobachtet und sich mit den Menschen vertraut macht oder weil man sich allgemein im Feld besser auskennt.
Beispiel
Das Thema „Klatsch und Tratsch“ kann am besten verdeckt untersucht werden. Die Anwesenheit eines Beobachters oder einer Beobachterin oder der Einsatz eines Aufnahmegerätes würde sehr wahrscheinlich dazu führen, dass Menschen nicht mehr in gleichem Umfang, wenn überhaupt, tratschen.
Wie alle empirischen Erhebungen müssen auch Beobachtungen protokolliert werden.
Protokolle von BeobachtungenWas wird protokolliert?
- die eigentlichen Beobachtungen (empirische Notizen)
- Kontextinformationen
- methodische Reflexion und Reflexion der eigenen Rolle
- theoretische Reflexion
Je detaillierter das Protokoll ist, desto weniger muss man für die Analyse der Daten abstrahieren oder generalisieren, was zwangsläufig schon eine Interpretation ist und so die Ergebnisse verzerren kann. Allerdings kann es sehr zeitaufwendig und für Ungeübte schwierig sein, präzise zu protokollieren und gleichzeitig zu beobachten. Auch gibt es Situationen, in denen es unpassend wäre, sofort alles zu protokollieren, weil sich die Beobachteten womöglich kontrolliert und bewertet vorkommen. Ideal ist dann eine Videoaufzeichnung, bei der im Nachgang noch einmal geprüft werden kann, ob das eigene Protokoll stimmt oder ob man es ergänzen sollte. Ist für den Forscher oder die Forscherin vieles neu und unbekannt, kann ein Video mit Ton zudem hilfreich sein, weil Interessantes vielleicht erst nach mehrmaligem Durchgehen des Materials auffällt. Video- und Tonaufzeichnungen eignen sich jedoch nicht für jede Erhebungssituation. Außerdem erhöht sich der zeitliche Aufwand deutlich für die Sichtung des Bild- und/oder Tonmaterials.
Will oder muss man aus dem Gedächtnis protokollieren, sollte man das so bald wie möglich nach der eigentlichen Erhebung machen, da man sehr schnell vergisst, was genau gesagt oder in welcher Abfolge getan wurde.
- Thierbach, Cornelia & Petschick, Grit (2019): Beobachtung. In: Baur, Nina & Blasius Jörg (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 1165–1183.
- Münst, Agnes Senganata (2010): Teilnehmende Beobachtung. In: Becker Ruth & Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 380–385.
- Lamnek, Siegfried & Krell, Claudia (2016): Qualitative Sozialforschung. Weinheim/Basel: Beltz. (S. 515–607 Teilnehmende Beobachtung).
- Lederer, Bernd. Quantitative Datenerhebungsmethoden (hier als PDF).