Beobachtungen

Es gibt viele Varianten von wissenschaftlichen Beobachtungen. Sie gelten als ethnografische Erhebungsformen, da sie (ähnlich wie das ethnografische Interview) vom Forscher oder von der Forscherin maximale Offenheit in Bezug auf mögliche Untersuchungsergebnisse verlangen. Ob ein Beobachter oder eine Beobachterin bei der Datenerhebung dabei ist, ist nicht egal, weil die Anwesenheit eines beobachtenden Subjekts die Situation zwingend verändert.

1. Nicht anwesend
In diesem Fall ist der/die ForscherIn nicht bei der Datenerhebung dabei. Es handelt sich stattdessen um Videoaufzeichnungen oder Tondokumente, die ausgewertet werden. Besonders in der Linguistik oder in der Soziologie ist diese Form der Beobachtung relevant, wenn etwa Kommunikationsprozesse oder die Struktur der Sprache untersucht werden sollen. Auch konkrete Problemzusammenhänge können damit verdeutlicht werden, zum Beispiel die Arzt-Patientenkommunikation, Prüfungssituationen oder Gespräche am Familientisch. Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind diese indirekten Beobachtungen häufig sinnvoll, weil große Teile nonverbaler Kommunikation und sozialer Interaktion ausgewertet werden können, die nicht zum Vorschein kommen, wenn eine fremde Person daneben sitzt.

Dieses Beobachtungsverfahren bietet sich in institutionalisierten Kontexten wie Schule oder Kindergarten an. Üblicherweise ist nur eine kurze Gewöhnungszeit nötig, bis eine Kamera oder eine Aufnahmegerät keine Beachtung mehr findet. Allerdings sind Datenschutz und Persönlichkeitsrechte zu beachten (alle Teilnehmenden müssen Bescheid wissen und mit der Aufnahme einverstanden sein) und organisatorische Belange zu klären (Wer kümmert sich um die Aufnahmen? Wann wird die Aufnahme beendet? etc).

2. Anwesend (offen), teilnehmend
Im Fall der teilnehmenden Beobachtung sitzt der Beobachter oder die Beobachterin in der zu beobachtenden Situation neben den Befragten oder im Hintergrund. Allen Beteiligten ist die Rolle dieser Person klar, die protokolliert und eventuell zusätzlich ein Aufnahmegerät (Ton/Video) mitlaufen lässt, um die Situation später präziser analysieren zu können. Die Anwesenheit des Forschers oder der Forscherin muss bei der Datenerhebung und -auswertung bedacht werden, da zwangsläufig eine Situation entsteht, in der ForscherIn und Untersuchte miteinander kommunizieren. Diese Kommunikation ist jedoch in der Regel nicht Teil der Forschungsfrage. Soziale oder regionale Herkunft, Geschlecht, Vorwissen, individuelle Eigenschaften spielen eine Rolle in diesem Prozess. Sitzt die Forscherin nur daneben, wenn jemand einen Fragebogen ausfüllt, mögen diese Details weniger bedeutend sein, aber wenn sie eine Stunde lang eine Gruppe beobachtet, die sich mindestens in einem gewissen Maß beobachtet fühlt, werden sich bestimmte Aspekte auf das Verhalten und die Gesprächsdynamik der Gruppe auswirken.

Als offen teilnehmendeR BeobachterIn ist man zwangsläufig selbst Teil des Untersuchungsbereichs und gleichzeitig doch nur BeobachterIn in einer konkreten Situation. Das eigene Verständnis dieses Verhältnisses von Nähe und Distanz muss protokolliert und analysiert werden. Möglicherweise ändert sich das Verhältnis zwischen ForscherIn und Befragten, weil man eine Gruppe mehrfach beobachtet und sich mit den Menschen vertraut macht oder weil man sich allgemein im Feld besser auskennt.

3. Anwesend (verdeckt), teilnehmend
Es gibt auch teilnehmende Beobachtungen, in denen der Forscher oder die Forscherin anwesend ist, sich aber nicht als ForscherIn zu erkennen gibt. Dafür muss es gute Gründe geben, schließlich ist es ethisch bedenklich, Menschen ohne ihre Kenntnis und ihr Einverständnis zu beobachten. Allerdings lassen sich manche sozialen Phänomene nicht offen beobachten. Insgesamt gilt der Grundsatz: So offen wie möglich, so verdeckt wie nötig.

Beispiel
Das Thema „Klatsch und Tratsch“ kann am besten verdeckt untersucht werden. Die Anwesenheit eines Beobachters oder einer Beobachterin oder der Einsatz eines Aufnahmegerätes würde sehr wahrscheinlich dazu führen, dass Menschen nicht mehr in gleichem Umfang, wenn überhaupt, tratschen.

Wie alle empirischen Erhebungen müssen auch Beobachtungen protokolliert werden.

Protokolle von Beobachtungen

Was wird protokolliert?

  • die eigentlichen Beobachtungen (empirische Notizen)
  • Kontextinformationen
  • methodische Reflexion und Reflexion der eigenen Rolle
  • theoretische Reflexion

Je detaillierter das Protokoll ist, desto weniger muss man für die Analyse der Daten abstrahieren oder generalisieren, was zwangsläufig schon eine Interpretation ist und so die Ergebnisse verzerren kann. Allerdings kann es sehr zeitaufwendig und für Ungeübte schwierig sein, präzise zu protokollieren und gleichzeitig zu beobachten. Auch gibt es Situationen, in denen es unpassend wäre, sofort alles zu protokollieren, weil sich die Beobachteten womöglich kontrolliert und bewertet vorkommen. Ideal ist dann eine Videoaufzeichnung, bei der im Nachgang noch einmal geprüft werden kann, ob das eigene Protokoll stimmt oder ob man es ergänzen sollte. Ist für den Forscher oder die Forscherin vieles neu und unbekannt, kann ein Video mit Ton zudem hilfreich sein, weil Interessantes vielleicht erst nach mehrmaligem Durchgehen des Materials auffällt. Video- und Tonaufzeichnungen eignen sich jedoch nicht für jede Erhebungssituation. Außerdem erhöht sich der zeitliche Aufwand deutlich für die Sichtung des Bild- und/oder Tonmaterials.

Will oder muss man aus dem Gedächtnis protokollieren, sollte man das so bald wie möglich nach der eigentlichen Erhebung machen, da man sehr schnell vergisst, was genau gesagt oder in welcher Abfolge getan wurde.

 


Literatur
  • Thierbach, Cornelia & Petschick, Grit (2019): Beobachtung. In: Baur, Nina & Blasius Jörg (Hrsg.): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 1165–1183.
  • Münst, Agnes Senganata (2010): Teilnehmende Beobachtung. In: Becker Ruth & Kortendiek, Beate (Hrsg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 380–385.
  • Lamnek, Siegfried & Krell, Claudia (2016): Qualitative Sozialforschung. Weinheim/Basel: Beltz. (S. 515–607 Teilnehmende Beobachtung).
  • Lederer, Bernd. Quantitative Datenerhebungsmethoden (hier als PDF).