Die 22. Tagung der AG Italien findet vom 22. bis 24. Juni 2023 an der Universität Leipzig statt und wird organisiert von Axel Körner (Professur für Neuere Kultur- und Ideengeschichte, Universität Leipzig), in Zusammenarbeit mit Gabriele Clemens (Vorsitzende der AG Italien, Universität des Saarlandes) und Lutz Klinkhammer (Deutsches Historisches Institut Rom). Der Tagungsort ist der Vortragssaal in der Bibliotheca Albertina (Beethovenstraße 6, 04107 Leipzig).
Themenstellung
Das Thema der Tagung versteht sich umfassend und schließt sowohl den intellektuellen und künstlerischen Austausch als auch den Transfer in Wissens-, Alltags- und Konsumkulturen ein. Anhand dieser Zusammenhänge wollen wir Inhalte, Akteure, Räume und Bedingungen von Kulturtransfers untersuchen. Der weitgefasste chronologische Rahmen des Tagungsthemas ermöglicht einerseits eine Auseinandersetzung mit den seit dem Wiener Kongress bestehenden italienischen Staaten, den Ländern des Deutschen Bundes, sowie den Gebieten der Habsburgermonarchie, andererseits mit den in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts entstandenen italienischen und deutschen Nationalstaaten. Aufgrund ihrer geographischen Lage, ethnischen Konstituierung und Handelsbeziehungen, aber auch als Ort politischen Exils und der Arbeitsmigration, war zudem die Schweiz ein Raum des deutsch-italienischen Kulturtransfers.
Historische Expertise im Umfeld der Arbeitsgemeinschaft für die Neueste Geschichte Italiens möchten wir bei dieser Tagung mit laufenden Forschungen auf dem Gebiet des „Cultural Transfer“ am Research Center Global Dynamics (ReCentGlobe) der Universität Leipzig und der Professur für Neuere Kultur- und Ideengeschichte in Kontakt bringen. Forschungen der letzten Jahre zur Transfergeschichte gehen in der Regel davon aus, dass der Austausch von Kultur nicht zwischen isoliert handelnden Akteuren erfolgt, sondern dass diese in ihrem Denken und Wirken von interkulturellen Kontakten geprägt sind. Kulturkontakt hybridisiert die beteiligten Akteure und durchkreuzt in der inneren und äußeren Wahrnehmung konventionelle Zuordnungen nach Herkunft, Nationalität oder anderen Faktoren kultureller Identität. Gleichzeitig werden die materiellen und intellektuellen Inhalte des Austauschs von Amalgamierungsprozessen und von der spezifischen Adaption in den neuen Kulturräumen bestimmt. Auf diese Weise kann ein ursprünglich aus einem bestimmten Umfeld stammendes Kulturgut im neuen Kontext eine veränderte Funktion oder Anwendung finden.
Der spatial turn in der Geschichtswissenschaft hat das Augenmerk der Transferforschung auf Räume gerichtet, die einen solchen Austausch auf besondere Weise befördert haben. Die Alpen ziehen seit Jahrhunderten nicht nur eine Grenze zwischen der deutschen und der italienischen Kultur, sondern sie schaffen auch Verbindungen, wirken als Ort des Austauschs zwischen Italien und den deutschsprachigen Ländern, und befördern den Transfer kultureller Praktiken, von Wissen, Werten und Waren. Der Austausch wird unterstützt durch die Mobilität historischer Akteure, aber auch durch grenzüberschreitende Institutionen. Nationale, sprachliche und kulturelle Identitäten werden durch diesen Austausch ergänzt, manchmal auch untergraben, und durch hybride Formen sozialen Zusammenhalts über nationale und staatliche Grenzen hinweg geprägt. Seit Generationen bestehend Wege und Routen werden dabei ergänzt durch moderne Straßen, Tunnel und schließlich die Eisenbahn. Auch die Navigation per Schiff im deutsch-italienischen Grenzgebiet wurde im 19. Jahrhundert ausgebaut und beförderte den Verkehr von Menschen und Gütern. Neben dem Alpenraum ist die Adria durch gemischtsprachige Städte wie Triest oder Fiume/Rijeka ein wichtiger Ort des Austauschs zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Kultur. Gleiches gilt für Länder wie Dalmatien, das Küstenland oder das Herzogtum Krain, die von Handel, Technologie- und Wissenstransfer, sowie der Mobilität historischer Akteure geprägt sind. Akademien, Industrie- und Handelskammern, aber auch religiöse Institutionen und militärische Strukturen förderten Kontakte. Hier seien beispielhaft gemischtsprachige Regimenter der Habsburgermonarchie mit ihren Offizierskasinos, Militärkapellen und Wohlfahrtsorganisationen genannt. Erfahrungen in diesen Institutionen prägten neben der Konsum- und Alltagskultur die Sensibilität für intellektuelles Schaffen, Literatur und Musik. Auch die Medienlandschaft solcher Orte profitierte vom transnationalen Austausch, durch die Rezeption von Wissen, literarische Debatten und die Mobilität von Autoren. Gute Beispiele dafür sind die Periodika, die von politischen Denkern wie Carlo Cattaneo und Gian Domenico Romagnosi in Oberitalien herausgegeben wurden, aber auch die seit jüngster Zeit durch digitale Projekte besonders gut erschlossene österreichische Presse.
Der Kulturtransfer beschränkte sich jedoch nicht auf Gegenden, die durch räumliche Nähe den Kontakt erleichterten. Ein Beispiel des italienisch-deutschen Kulturtransfers über direkte Kontaktzonen hinaus ist die Rolle italienischer Architekten, Künstler und Kunsthandwerker vor allem im süddeutschen Raum und in den Kapitalen der Habsburgermonarchie. Seit dem 17. Jahrhundert steht die Oper für eine Kulturform, die geprägt ist von der Mobilität der Musiker, Impresari und Komponisten, aber auch des Repertoires, das ergänzt wurde durch Übersetzungen und Adaptionen von Werken für unterschiedliche Bühnen. Theater des deutschsprachigen Raums spielten vor allem italienische opera seria, gleichzeitig wurden in Italien unzählige Werke aus der Feder von Komponisten wie Peter von Winter, Simon Mayr oder dem katholischen Bach-Sohn Johann Christian Bach aufgeführt. In keiner italienischen Stadt wurden in den 1820er Jahren mehr Opern Rossinis aufgeführt als in Wien, gleichzeitig wurde das Opernleben Italiens entscheidend von Meyerbeer in Florenz und von Wagner in Bologna mitbestimmt. Im Bereich der Wissenskulturen sticht die Rezeption von Denkern wie Vico in Leipzig oder von Hegel in Neapel hervor, was die Geschichtsphilosophie beider Länder, aber auch das politische Agieren von Personen wie den Gebrüdern Spaventa entscheidend beeinflusste. Wissenschaftliche Veranstaltungen, wie der spektakuläre Congrès des Sciences Préhistoriques 1871 in Bologna, wurden durch die Präsenz von Personen wie Rudolf Virchow inhaltlich beeinflusst, erlaubten aber zugleich deutschen Wissenschaftlern durch Ausgrabungen vor Ort für ihre eigenen Sammlungen zu lernen.
Diesen und ähnlichen Beispielen möchte die Konferenz ein Forum für eine vertiefende Analyse bieten.
Weitere Informationen und das Programm entnehmen Sie bitte der Webseite des Historischen Seminars.