Geändertes Programm wegen der Corona-Pandemie: 06. November 2020 – Livestream aus dem Grünen Salon der Schaubühne Lindenfels Leipzig
Nur das Kino ermöglicht, so Gilles Deleuze, jenen „surcroît de théâtralité“, jenen Zuwachs an Theatralität, der die Theatralität des Theaters zu übertreffen vermag. Kann es doch gleichzeitig Theater spielen und reflektieren, Theaterräume und Theaterrollen ad infinitum multiplizieren.
So erscheint das Kino als Heterotopie des Theaters par excellence, das von einer Proliferation theatraler Topographien, Narrative und Figuren bestimmt wird.
Die ganze Welt ist Maskerade – alles ist Theater. Auf keinen anderen Regisseur treffen die habitualisierten barocken Denkfiguren eines omnipräsenten theatrum mundi, eines allumfassenden Verständnisses der Welt als Theater so gut zu wie auf Federico Fellini, der sich selbst als Magier, Zirkusdirektor, Theatermacher verstanden hat.
Die internationale Fachtagung „Il gran teatro della vita. Theater und Theatralität bei Federico Fellini“ untersucht die filmische Modellierung theatraler Räume, Figuren und Narrative im intermedialen, epistemologischen und filmgeschichtlichen Kontext und konzentriert sich hierbei auf folgende Schwerpunkte:
- Rom als Theaterbühne/ La città di Roma come palcoscenico teatrale
- Das Theater des Eros. Intimkommunikation als Theater/ Il teatro dell’Eros. La comunicazione intima come teatro
- Das Spektakel der Madonna. Ruinöses Christentum zwischen optischem Drama und Medienspektakel/ Lo spettacolo della Madonna. Frammenti dell’immaginario cristiano: Fra dramma ottico e spettacolo mediale
- Virilität und Weiblichkeit als Maskerade/ Virilità e femminilità come mascherata
Ad 1. Rom als Theaterbühne:
Die Stadt Rom ist im filmischen Werk Federico Fellinis eine große Theaterbühne, bevölkert von Nomaden und Nomadinnen, Paparazzi, Huren, Schauspielern und Flaneuren, die sich auf eine labyrinthische Suche nach dem Simulakrum der Liebe begeben, die zuweilen im Nichts endet.
Ad 2. Das Theater des Eros:
Gerade in der Liebe gibt es bei Fellini kein Jenseits des Theaters. Alle Liebesszenen sind durch Theaterszenen präfiguriert und werden als aktualisierende Rekurse auf antike Mythen, Figuren und Narrative wie zum Beispiel Odysseus und Kalypso durchschaubar.
Ad 3. Das Spektakel der Madonna:
Vor allem das sogenannte „Cinema della grazia e della salvezza“ Fellinis ist von Figuren, Rollenspielen und Narrativen des christlichen Imaginären determiniert, die häufig in einem optischen Drama gipfeln. Ab den 1960er Jahren werden christliche Denkfiguren zunehmend ruinös und zu parodistisch-deformatorischen Elementen eines Medienspektakels transformiert. Die filmischen Modellierungen und Transformation theatraler Modelle, die sich aus dem christlichen Imaginären speisen, sollen einen zentralen Fokus der Analyse bilden.
Ad 4. Virilität und Weiblichkeit:
Virilität und Weiblichkeit sind bei Fellini im höchsten Maße als Maskerade, als Konstruktion und Parodie durchschaubar. Anita Ekberg als „grossa bambola“ in La dolce vita repräsentiert in ihrer Hyperfeminität und Hypersexualisierung Weiblichkeit als Spiel und Performanz, Marcello Mastroianni erzählt in seinen Figuren die Geschichte eines scheiternden Latin Lover, dessen Virilität als Maskenspiel ausgestellt wird.
Darüber hinaus soll die Bedeutung und Rezeption der spezifischen Theatralität Fellinis für das aktuelle italienische und transnationale Kino bei Sorrentino, Almodóvar, Ozon und Dolan analysiert werden.