Tanja Schwan

T.V. – Tiziano Vecellio in La Télévision

Das Kürzel „T.V.“ steht im Roman La télévision (1997) von Jean-Philippe Toussaint nicht nur für die sowohl graphische als auch materielle Gestalt des gleichnamigen Geräts, das, überragt von einer Antenne in Form eines „V“, wie ein stiller Vorwurf auf einem „T“-förmigen Fuß im Wohnzimmer des fernsehsüchtigen Ich-Erzählers und Protagonisten thront. Vielmehr verstecken sich dahinter auch die Initialen des italienischen Renaissancemalers Tizian, mit vollständigem Namen Tiziano Vecellio. Über dessen Porträt Kaiser Karls V. (1548) sollte der Erzähler während eines Studienaufenthalts in Berlin eigentlich eine kunsthistorische Abhandlung schreiben – wäre da nicht die ständige Versuchung durch die omnipräsente und alles beherrschende Flimmerkiste. Fernsehanaloge Bilder verfolgen ihn auf den Überwachungsmonitoren, über die verschwommene Aufzeichnungen der Exponate flimmern, bis ins Museum. Kaum glaubt er auf den Bildschirmen eine grobkörnige TV-Version des Herrscherbildnisses auszumachen, erscheint dort sein verzerrtes eigenes Gesicht, überblendet mit dem Antlitz Karls V.

Mithilfe narrativer Verfahren, die in der Forschung als „televisuelles Schreiben“ (Susanne Schlünder), „[t]elevisive Fiktionen“ (Kathrin Ackermann) oder „[d]iaphanes Erzählen“ (Irina Rajewsky) beschrieben worden sind, wird auch die geplante wissenschaftliche Studie „Le Pinceau“ überschrieben mit dem uns vorliegenden Text La télévision. Während das erste Schreibprojekt – die ‚große Erzählung‘ über Kunst und Macht in der Renaissance – nie über das Stadium der Konzeption hinausgelangt und immer wieder aufgeschoben wird, entsteht aus Müßiggang und Prokrastination wie nebenbei ein anderes, minimalistisches Produkt: ein Stück Mikroliteratur im Medienzeitalter, dessen Genese aus dem (Un‑)Geist des Fernsehens wir ‚live und in Farbe‘ beiwohnen. „[T]out occupé à ne rien faire“, gelingt es dem Erzähler, der mit Fernsehkonsum und zapping durch die Kanäle vermeintlich verschwendeten Zeit die Erkenntnis abzugewinnen, dass auch Literatur und Malerei seit jeher nicht nur abgeschlossene Werke hervorbringen, sondern ebenso wie das technische Medium Fernsehen der Reproduzierbarkeit unterliegen und Realitätseffekte erzeugen. Die Sigle „T.V.“ und ihre Versinnbildlichung in der Materialität des Fernsehers auf dem Couchtisch erhält dabei die Qualität eines metafiktionalen Signals, das zu besagen scheint: il n’y a pas de hors-T.V.