Am 21. März wird weltweit der Internationale Tag gegen Rassismus begangen. An diesem Tag wurden im Jahr 1960 in der südafrikanischen Stadt Sharpeville 69 Menschen ermordet. Sie hatten sich mit 5000 anderen versammelt, ohne einen Pass bei sich zu tragen. Die Versammelten waren angetreten, sich verhaften zu lassen, so wie es die Rechtslage ihres Staates für diesen Fall vorsah – ziviler Ungehorsam in der Nachfolge Mahatma Gandhis. Die Ermordeten waren Schwarze Bürger*innen, die Täter Polizisten, Vertreter eines Staates, in dem die Segregationspolitik der Apartheid herrschte. Also eine Politik, die die schwarze Mehrheitsbevölkerung unterdrückte, vom öffentlichen Leben in weiten Bereichen ausschloss, Schwarze zu Menschen zweiter Klasse erklärte, um einer weißen Minderheit massive Vorteile zu verschaffen.
Der Ermordeten von Sharpeville gedenken wir in anderer Form als etwa der Opfer der Sachsenkriege Karls des Großen. Während diese Geschichte im allgemeinen Bewusstsein als abgeschlossen gilt und mit unserer Gegenwart lediglich so wie jede Vergangenheit als Vorzeit der Jetztzeit verbunden ist, ist die Geschichte des Massakers von Sharpeville aktuell. Das Gedenken der Opfer von 1960 ist zugleich ein Gedenken der Opfer jeglicher rassistischen Gewalt; ist ein Aufruf gegen Rassismus in unserer Gegenwart.
Rassismus gibt es tagtäglich und weltweit. Beobachtungen in Deutschland fördern ebenso alarmierende Befunde zu Tage wie anderswo. Bereits die offiziellen Zahlen des Bundesinnenministeriums zeigen es. In der Kategorie ‚Hasskriminalität‘ werden hier Straftaten gezählt, die durch gruppenbezogene Vorurteile motiviert sind: 2019 waren es 7909, die mit dem – problematischen – Vermerk ‚fremdenfeindlich‘ registriert wurden. 7909mal wurde also einem Menschen aufgrund seiner Herkunft, seines Aussehens, seiner Sprache, seiner Religionszugehörigkeit und vielem, das ihn in seinem Sosein auszeichnet, Leid zugefügt. Das sind lediglich die Vorfälle, die behördlich als Straftaten erfasst wurden, viele weitere bleiben im Dunkel.
Am 21. März wird aber nicht nur der Internationale Tag gegen Rassismus, sondern auch der Welttag der Poesie begangen. Möglicherweise fragt sich die eine oder der andere Leser*in: Wie kann man an 69 Todesopfer rassistischer Gewalt erinnern und zugleich die Schönheit sprachlicher Kunstwerke feiern? Einige beispielhafte Gedanken in dieser Richtung machen vielleicht deutlich, dass hier kein Widerspruch gesehen werden muss.
Stellen wir uns vor: Trister, grauer Alltag. Wir greifen zu einem Buch, beginnen zu lesen, lesen von Nuri, einem Mädchen aus Syrien, und Calvin, einem Jungen, einem Neonazi, wir lesen von den Schwierigkeiten, Anfeindungen und Ängsten die Nuri zu überstehen hat, lesen vom Hass und den Vorurteilen die Calvin und seine Freunde gegenüber Menschen wie Nuri haben, lesen davon, dass Nuri Calvin Nachhilfe gibt, lesen, dass Calvin sich in Nuri verliebt. lesen von dem Konflikt, in den ihn seine Liebe bringt. Wir lesen die letzte Seite und klappen das Buch zu. Und vielleicht haben wir Fragen, die bleiben: Warum sind solche Liebesgeschichten in unserer Welt die Ausnahme? Warum haben Vorurteile so viel Macht? Warum siegt so oft der Hass und nicht die Liebe? Was können wir tun, damit sich daran etwas ändert? – Peer Martins Jugendroman Sommer unter schwarzen Flügeln zeigt, dass Poesie nicht fehl am Platz ist, wenn es darum geht, Rassismus zum Thema zu machen. Im Gegenteil, sie bietet Gelegenheit, Wirklichkeit und Möglichkeit zu verbinden. Sie ist mehr als der Artikel in einer Zeitschrift, der zählbare Fakten über rassistische Verbrechen zusammenträgt, sie ist mehr als das Programm einer Organisation, das antirassistische Forderungspunkte zusammenstellt. Poesie kann Aufforderungscharakter in sich tragen, ohne aufzufordern, kann Fragen stellen, ohne zu fragen.
Lit4School ist angetreten, Beispiele zu sammeln, die dazu Chancen bieten. Viele Bücher und Gedichte schaffen es, Schülerinnen und Schüler für das Thema Rassismus zu sensibilisieren. Manche tun das direkter, ausdrücklicher, konkreter als andere. Wir empfehlen besonders folgende Titel; die Liste wird ständig aktualisiert:
Deutschsprachige Titel:
Kirsten Boie: Erwachsene reden. Marco hat was getan
Faber: Wer nicht schwimmen kann, der taucht
Yaa Gyasi: Heimkehren
Peer Martin: Sommer unter schwarzen Flügeln
Davide Morosinotto: Die Mississippi-Bande. Als wir mit drei Dollar reich wurden
Lukas Rietzschel: Mit der Faust in die Welt schlagen
Senthuran Varatharajah: Vor der Zunahme der Zeichen
Englischsprachige Titel:
Nana Kwame Adjei-Brenyah: Black Friday
James Barry: Black Kid in a New Place
Langston Hughes: That Is My Dream!
August Wilson: Fences
Hintergrundlektüre für Lehrkräfte (deutschsprachig):
Mohamed Amjahid: Der weiße Fleck: Eine Anleitung zu antirassistischem Denken
Alice Hasters: Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten
Tupoka Ogette: Exit Racism
Noah Sow: Deutschland schwarz weiß
Englischsprachig:
Afua Hirsch: Brit(ish): On Race, Identity and Belonging
Ibrahim X. Kendi: How to Be an Antiracist
Johny Pitts: Afropean
Anders Walker: The Burning House: Jim Crow and the Making of Modern America
— Frieder Stange