Nachrichten aus der Redaktion

Knapp 30 Preise gibt es, die in Deutschland für deutschsprachige Jugendbücher vergeben werden. Der öffentlichkeitswirksamste unter ihnen ist der seit 1956 vergebene und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendgestiftete Deutsche Jugendliteraturpreis. Dieser umfasst allerdings mehr als nur einen Preis: Während eine Kritiker*innenjury Preise in den Sparten Bilderbuch, Kinderbuch, Jugendbuch und Sachbuch vergibt, lobt eine Jugendjury, bestehend aus sechs Leseclubs, zusätzlich den „Preis der Jugendjury“ aus. Eine Sonderpreisjury verleiht schließlich eine Auszeichnung für Nachwuchsschriftsteller*innen sowie für das schriftstellerische Gesamtwerk eines*r Autor*in. Insgesamt sind die Preise mit 72.000 Euro dotiert.

Seit der Leipziger Buchmesse im Frühjahr sind die jeweils sechs nominierten Bücher in jeder Sparte bekannt. Nun wurde der Deutsche Jugendliteraturpreis 2020 auf der Frankfurter Buchmesse vergeben. In der Kategorie Bilderbuch gewinnt die Trilogie Dreieck Quadrat Kreis von Mac Barnett (Text) und Jon Klassen (Illustration), übersetzt von Thomas Bodmer. Als Kinderbuch wird Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel von Will Gmehling prämiert. Den Preis der Sparte Sachbuch erhält A wie Antarktis. Ansichten vom anderen Ende der Welt von David Böhm (Text und Illustration), übersetzt von Lena Dorn. Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte von Dita Zipfel (Text) und Rán Flygenring (Illustration) ist das Jugendbuch des Jahres und Wer ist Edward Moon? von Sarah Crossan (Text) in Übersetzung von Cordula Setsman erhält den Preis der Jugendjury.

Den Sonderpreis als „Neues Talent“ erhält Rieke Patwardhan für ihr Kinderbuch Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir Omas großem Geheimnis auf die Spur kamen. Für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet wird Cornelia Funke.

Soweit die Hard Facts. Das sind viele neue Ideen für die herbstliche Lesegemütlichkeit und für den Deutschunterricht natürlich! Lust auf die Vorbereitung machen die vom Arbeitskreis für Jugendliteratur zusammengestellten Praxistipps, die kostenlos zum Download bereitstehen. Diese stellen für alle prämierten und fast alle nominierten Bücher Vorschläge für den Einsatz im Unterricht sowie erste methodische Erprobungen vor. Auch für die nominierten Jugendbücher Elektrische Fische von Susan Kreller und Kein Teil der Welt von Stefanie de Velasco. Den Lit4School-Eintrag zu Kein Teil der Welt legen wir Ihnen noch einmal ans Herz. Weitere Einträge folgen! Wir lesen uns erstmal weiter durch die Liste der Prämierungen. Hier entlang für weitere Infos zu den Preisträgern und den Praxistipps!

Katharina Kraus


Gemessen an seiner öffentlichen Sichtbarkeit ist der Deutsche Buchpreis ohne Zweifel der  wichtigste jährlich vergebene Preis für einen deutschsprachigen Roman. Seit 2005 wird er jedes Jahr am Vorabend der Frankfurter Buchmesse verliehen. Gestiftet wird der Preis in Höhe von 25.000 € vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, einem eingetragenen Verein, der die Interessen der Verlage, Zwischenbuchhändler und Sortimentsbuchhandlungen in Deutschland vertritt. Mit dem Preis verbindet der Börsenverein das Ziel, „über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autor*innen, das Lesen und das Leitmedium Buch“. Der Deutsche Buchpreis ist damit ein Preis mit einem klar erkennbaren Interesse: dem Interesse des Buchhandels, Bücher zu verkaufen. Und zwar literarisch hochwertige Bücher, die von einer jedes Jahr wechselnden siebenköpfigen Jury unter einer Fülle von Einreichungen in einem mehrstufigen Verfahren ausgewählt werden. In diesem Jahr haben 120 Verlage 187 Titel eingereicht, mehr als je zuvor.

Mit Anne Webers Annette, ein Heldinnenepos wurde gestern abend ein ungewöhnlicher Sieger gekürt: die in Form eines epischen Langgedichts verfasste Geschichte der französischen Widerstandskämpferin Annette Beaumanoir, die im Zweiten Weltkrieg Juden rettete und später in der algerischen FLN aktiv war, spielt mit der ehrwürdigen Gattung Versepos, die eigentlich „seit über hundert Jahren mausetot“ ist. So schreibt es Moritz Baßler, Professor für Germanistik an der Universität Münster, in seiner (ansonsten hymnischen) Rezension. Die meisten Kommentator*innen reagierten überrascht. Als Favoritin für den Preis galt eigentlich Deniz Ohdes Roman Streulicht, der am Wochenende bereits mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet wurde.

Eine Heldinnengeschichte in einer erschwerten Form, prämiert mit dem Ziel, Aufmerksamkeit für dieses Buch zu schaffen – wie geht das zusammen? Die Jury schreibt in ihrer Begründung: „Die Kraft von Anne Webers Erzählung kann sich mit der Kraft ihrer Heldin messen: Es ist atemberaubend, wie frisch hier die alte Form des Epos klingt und mit welcher Leichtigkeit Weber die Lebensgeschichte der französischen Widerstandskämpferin Anne Beaumanoir zu einem Roman über Mut, Widerstandskraft und den Kampf um Freiheit verdichtet. Annette, ein Heldinnenepos ist eine Geschichte voller Härten, die Weber aber mit souveräner Dezenz und feiner Ironie erzählt. Dabei geht es um nichts weniger als die deutsch-französische Geschichte als eine der Grundlagen unseres heutigen Europas. Wir sind dankbar, dass Anne Weber Annette für uns entdeckt hat und von ihr erzählt.“

Sollten Lehrkräfte sich für den Deutschen Buchpreis interessieren? Unbedingt! Die Longlist und mehr noch die Shortlist des Deutschen Buchpreises haben einen entscheidenden Einfluss darauf, was im Herbst gelesen wird, und sie bieten eine gute Orientierung über Entwicklungen aktueller Literatur. Und ist Annette, ein Heldinnenepos auch ein Buch für den Deutschunterricht? Ja! Das Thema Held*innen und die Form des Epos legen Bezüge zur mittelalterlichen Literatur nahe, die im Unterricht (oft: zu) wenig vorkommt, obwohl sie in vielfältigen Adaptionen durch die Moderne und Postmoderne geistert – von der „Nibelungentreue“ des Deutschen Reichs (der Begriff wurde 1909 von Reichskanzler von Bülow geprägt) bis zu den vielfältigen Bezügen auf die Artusepik in Fantasy-Literatur und -Serien. Annette, ein Heldinnenepos bietet die Gelegenheit, diesen Bezügen einmal nachzugehen und dabei nach Held*innen der Gegenwart zu fragen – vielleicht in einer fächerverbindenden Einheit mit dem Religions- oder Ethikunterricht? Ein Eintrag zu Anne Webers Buch für Lit4School ist auf jeden Fall schon einmal in Arbeit!

Silke Horstkotte