Wolfgang Borchert – zum 75. Todestag

Wenn ich tot bin,
möchte ich immerhin
so eine Laterne sein,
und die müßte vor deiner Türe sein
und den fahlen
Abend überstrahlen.

(Wolfgang Borchert: „Laternentraum“, 1946)

Am 20. November 1947 starb Wolfgang Borchert im Alter von nur 26 Jahren. Anlässlich seines 75. Todestages am vergangenen Sonntag möchten wir an den Schriftsteller erinnern und einige seiner Texte für den Deutschunterricht empfehlen.

Wolfgang Borchert ist einer der wichtigsten Vertreter der Nachkriegsliteratur. Er wuchs in Hamburg auf und konnte sich schon früh für die Literatur begeistern. Bereits im Jugendalter schrieb Borchert eigene Gedichte und träumte davon, selbst einmal als Künstler auf der Bühne zu stehen. Dennoch fing er nach der abgebrochenen Schulausbildung zunächst eine Lehre als Buchhändler an. Zeitgleich nahm er heimlich Schauspielunterricht und konnte einige Monate als Schauspieler arbeiten, bevor er 1941 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Schon früh übte Borchert Kritik am Nationalsozialismus und sinnloser Kriegsgewalt. Regimekritische Briefe brachten ihn während seiner Zeit als Soldat wiederholt ins Gefängnis. Auch litt er unter Mangelernährung und diversen Krankheitszuständen.

Nach vier Jahren an der Ostfront kehrte der junge Borchert schließlich zurück nach Hamburg und begann, in seinen Texten die traumatischen Erfahrungen und das Lebensgefühl einer „verlorenen Generation“ zu verarbeiten. Wie viele junge Menschen seiner Zeit fühlte auch Borchert sich seiner Jugend beraubt. In einem Manifest proklamierte er: „Unsere Moral ist die Wahrheit. Und die Wahrheit ist neu und hart wie der Tod. Doch auch so milde, so überraschend und so gerecht. Beide sind nackt.“ („Das ist unser Manifest“, 1947). Doch Borcherts Gesundheitszustand verschlechterte sich und im September 1947 musste er schließlich mit schweren Leberschäden eingeliefert werden. Wenige Wochen später verstarb Borchert – nur einen Tag vor der Uraufführung seines Dramas Draußen vor der Tür, das kurz zuvor Erfolge als Hörspiel feierte. Die meisten seiner Werke, darunter vor allem Gedichte und Erzählsammlungen, wurden erst posthum zum Erfolg. Das ist auch seiner Mutter Hertha zu verdanken, die Borcherts Nachlass verwaltete und ein Archiv gründete.

Wolfgang Borchert hatte großen Einfluss auf die deutschsprachige Literaturlandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Er gilt als Neubegründer der deutschen Kurzgeschichte und wird oft als Symbolfigur der Friedensbewegung geführt. In seiner sehr kurzen Schaffenszeit brachte Borchert ein bedeutsames Gesamtwerk hervor. Auch im schulischen Literaturkanon ist Wolfgang Borchert fest etabliert; seine Texte tauchen konstant in Empfehlungslisten, Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien auf. Und das hat gute Gründe:  Borcherts Texte weisen eine gedankliche Dichte sowie eine Nähe zum Expressionismus auf, sind jedoch gleichzeitig exemplarisch für die Literatur einer zertrümmerten Welt und ermöglichen das Mitfühlen mit Schicksalen dieser Zeit.

In unserer Datenbank befinden sich derzeit zwei Titel des Autors, die sich für die Behandlung im Deutschunterricht anbieten:

  • Draußen vor der Tür als ein zentrales Werk der Trümmerliteratur: Nach mehrjähriger Kriegsgefangenschaft kehrt der ehemalige Unteroffizier Beckmann zurück nach Deutschland. Er ist traumatisiert von den Erlebnissen als Soldat, aber kommt in eine Welt, die die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs verdrängen will. Einen Ort in der Zivilgesellschaft kann Beckmann nicht finden.
  • An diesem Dienstag: Borcherts zweiter Erzählband besteht aus neunzehn Kurzgeschichten, die im November 1947 veröffentlicht wurden. Neben der titelgebenden Kurzgeschichte enthält der Band u.a. auch die Erzählungen „Die Küchenuhr“, „Nachts schlafen die Ratten doch“ und „Die drei dunklen Könige“.

– Nils Rosenkranz


Frauen sind im (Schul-)Kanon unterrepräsentiert. Dies zeigt sich unter anderem bei einer Analyse der Liste mit Lektüreempfehlungen, die dem sächsischen Lehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien beiliegt. Von den angegebenen Titeln stammt nur etwa ein Viertel von Autorinnen, wobei dieses Missverhältnis bei älteren Werken besonders deutlich zutage tritt. Vor allem im Literaturunterricht der höheren Klassen, in denen verstärkt Werke vergangener Epochen behandelt werden, könnte bei Schüler*innen so der Eindruck entstehen, dass Frauen lange Zeit keine erwähnenswerte Literatur geschaffen hätten. Dass dies jedoch nicht der Fall ist und sich eine Beschäftigung mit Literatur von Frauen im Literaturunterricht durchaus lohnen kann, möchte ich in diesem Blogeintrag zeigen. 

Frauen waren bis ins 20. Jahrhundert kulturell, sozial und ökonomisch benachteiligt. Die strukturelle Benachteiligung zeigt sich auch darin, dass ihnen der Zugang zum Literaturbetrieb erschwert wurde. Dies fing bereits bei der Erziehung an: Das primäre Ziel war es, Frauen zur Arbeit im Haushalt zu qualifizieren; Bildungsinhalte im engeren Sinne spielten nur eine randständige Rolle. – Dies waren Disziplinen, die außerhalb des häuslichen Umfelds stattfinden. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass Hausfrauen auch zu Hause wenige Möglichkeiten hatten zu schreiben. Die Ursachen dafür beschreibt etwa Virginia Woolf in ihrem Essay A Room of One’s One: Autor*innen benötigten für ihr Schaffen sowohl eine finanzielle Grundsicherheit als auch einen Raum, in dem sie ungestört arbeiten können. Doch sowohl an finanzieller Unabhängigkeit als auch an Privatsphäre mangelte es vielen Frauen lange.

Trotz dieser erschwerten Zugangsvoraussetzungen veröffentlichten Frauen aber bereits im 17. Jahrhundert dichterische Werke unter ihrem eigenen Namen. Teilweise ließen sie sich vorher von Privatlehrern bilden oder sie bedienten Gattungen wie etwa das Gelegenheitsgedicht, in denen es weniger um formale Virtuosität als um den frommen Inhalt ging. Während im Barock die Lyrik im Vordergrund gestanden hatte, wagten sich Frauen im 18. und 19. Jahrhundert auch an andere Gattungen heran. Nicht selten veröffentlichten sie ihre Werke dabei aber anonym oder nutzten Pseudonyme. Geschah die Veröffentlichung unter dem Klarnamen, so finden sich in den Vorworten teilweise sogenannte Bescheidenheitstopoi, in denen die literarische Qualität der Werke etwa dadurch herabgewürdigt wird, dass sie als bloße Erlebnisberichte bezeichnet werden. Daneben stehen bisweilen auch Worte der männlichen Befürwortung und Rechtfertigung der Veröffentlichung.

Auch wenn nun gezeigt wurde, dass in den vergangenen Jahrhunderten durchaus Autorinnen gewirkt haben, stellt sich noch immer die Frage, weshalb sie im Literaturunterricht Beachtung finden sollten. Welchen Zugewinn bringt es dem Literaturunterricht, wenn auch Werke von Autorinnen gelesen werden? Meiner Meinung nach geht die Antwort auf diese Frage über den Hinweis hinaus, dass eine Repräsentation von Autor*innen beider Geschlechter aus Gründen der Gleichberechtigung sinnvoll wäre. 

Das Ziel des Literaturunterrichts, die „Teilhabe am Handlungsfeld Literatur“ (Leubner/Saupe/Richter, De Gruyter 2016), entsteht durch ein Wechselspiel zwischen „Lesefreude”, „Textverstehen“ und „Wissen über Literatur und ihre Kontexte“ (ebd.). Diese drei Teilbereiche können durch den Einbezug von Autorinnen gestärkt werden. Die Beschäftigung mit den Hürden weiblichen Schreibens, die eng mit gesellschaftlichen Normen verbunden waren, erweitert das Epochenwissen um Facetten, die bei der Behandlung von Werken männliche Autoren nicht zur Sprache kommen. Diese neue Perspektive auf die jeweilige Epoche kann damit einhergehen, Teilziele des Textverstehen – zum Beispiel das Erkennen von Textelementen – durch die oben erwähnten Besonderheiten des weiblichen Schreibens zu erweitern. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass die weibliche Perspektive von Autorinnen eine ebenso starke emotionale Beteiligung und Vorstellungsbildung hervorrufen kann, wie die von einem Mann formulierte. Dass auch das ästhetische Vergnügen nicht darunter leiden muss, wenn ebenfalls Literatur von Autorinnen vergangener Jahrhunderte gelesen würden, zeigt die Tatsache, dass einige Autorinnen von ihrem zeitgenössischen Publikum besser angenommen wurden als ihre männlichen Kollegen (z.B. Victorie Gottsched und Gabriele Reuters). 

Der Literaturunterricht sollte also aus ästhetischen wie auch aus fachdidaktischen Gründen durch die Literatur von Frauen ergänzt werden – zum einen, um auch die Werke von weiblichen Autorinnen sichtbar zu machen, und zum anderen, weil eine Beschäftigung mit dieser Literatur neue Perspektiven auf die jeweiligen Epochen und damit vor allem eine Erweiterung des Wissens über Literatur und ihre Kontexte ermöglicht.

Eine erste Umsetzung ist nicht von einer Änderung des Lehrplans abhängig. Es finden sich bereits jetzt Anknüpfpunkte an den Sächsischen Lehrplan für das Fach Deutsch an Gymnasien. In Klasse 8 bietet sich eine konkrete Thematisierung der Benachteiligung von Frauen in der Literatur an, um Teil des fächerübergreifend angelegten Themas “Sexuelle Bildung“ zu sein, die vorsieht, unter anderem Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu thematisieren. In Klasse 9 und 10 sollen die Schüler*innen Kompetenzen der Textanalyse und Interpretation erlangen; die Textwahl steht den Lehrkräften hier frei, solange am Text die vorgegebenen Motive und Themen erkennbar sind. In Klasse 11 und 12 ist die Lektüre verbindlich, aber auch hier könnte man mit den Schüler*innen den vorgegebenen Kanon besprechen und gemeinsam darüber diskutieren. Eine solche Diskussion regt nicht nur dazu an, das Wissen über Literatur und ihre Kontexte anzuwenden, sondern kann auch eines der allgemeinen Bildungs- und Erziehungsziele des Gymnasiums – die Reflexions- und Diskursionsfähigkeit – fördern. 

Das Team von Lit4School bemüht sich, verstärkt Literatur von Autorinnen aus vergangenen Jahrhunderten in der Datenbank zu integrieren. Eine Übersicht der Titel findet man gesammelt unter der Filterkombination Identitäten: Weibliche Stimmen und Veröffentlichungsjahr: vor 1945. Auch das dazugehörige Thema kann gefiltert werden, sodass eine Anpassung von noch unbekannterer Literatur an die Ziele des Lehrplans mit möglichst wenig Aufwand verbunden ist.

– Charlotte Nagels