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Kernkraftwerke

Technische Energieerzeugung durch Kernumwandlung wird im Englischen mit nuclear power und im Deutschen mit dem physikalisch weniger zutreffenden Begriff Atomenergie bezeichnet. Bei Kernfusion und Kernspaltung ergibt sich ein Massendefekt Δm zwischen Ausgangsprodukt und Endprodukt. Das erzeugt nach der Einstein'schen Beziehung einen Energiegewinn E = Δmc2, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Daraus berechnet sich für den Massendefekt von 1 kg die Energie von etwa 9 ×1016J, was  äquivalent zur Verbrennung von reichlich 3 Millionen Tonnen Kohle wäre. Die Gewinnung insbesondere elektrischer Energie durch Kernspaltung ist weit verbreitet, während sich die Energiegewinnung durch Kernfusion noch im Entwicklungsstadium befindet.

Kernspaltung

Die Uranspaltung geht vom nicht-stabilen Isotop U-235 aus, das durch Beschuss mit langsamen Neutronen in U-236 überführt wird. Das zerfällt sofort unter Bildung von Ba-139 und Kr-94 und Neutronen, wobei der Massendefekt in die Energie von etwa 200 MeV umgesetzt wird. In technischen Prozessen entstehen neben der Energie im Mittel 2,5 Neutronen. Das rechte Schema entspricht der klassischen Erklärung von Lise Meitner und basiert auf einer Abbildung von Wikimedia.

Laut World Nuclear Association waren im August 2023 weltweit 436 Kernspaltungs-Reaktoren mit einer Gesamt-Nettoleistung von 392 GW in Betrieb. 60 Reaktoren befanden sich im Bau, 24 davon in China, 8 in Indien, 4 in der Türkei, jeweils 3 in Egypten, Russland und Südkorea, jeweils 2 in Japan, UK, Ukraine und Bangladesch und eins in den USA und anderen Staaten. 110 Reaktoren befanden sich in Planung. Weltweit werden etwa 10 % der Elektroenergie durch Kernspaltung erzeugt. 2022 waren es 5,8 % für Deutschland, 18,2 % für die USA, andere Länder lagen zwischen 0 % wie z. B. Neuseeland und 62,5 % für Frankreich.

Das Risiko einer Kernschmelze wie beim Reaktorunfall 2011 in Japan und die problematische Endlagerung von Abfällen geben Anlass zu ernsthaften Bedenken gegen den Betrieb von Kernkraftwerken (KKW). Beim Betrieb eines 1-GW-KKW fallen pro Jahr als radioaktiver Abfall 300 kg des α-Strahlers Plutonium an, das eine Halbwertszeit von ca. 24 000 Jahren hat, siehe Umweltrisiken. Die der Endlagerung solcher Abfälle ist sehr problematisch. Eine vollständige Wiederaufarbeitung der radioaktiven Abfälle und die Transmutation (Beschuss mit Neutronenstrahlen) langlebiger Spaltprodukte wären eine akzeptable Alternative. Die entsprechenden Entwicklungsarbeiten sind noch nicht ausgereift. Fortschritte können in den Radioactive Waste Management Publications der NEA verfolgt werden.

Das Bild links zeigt das Ende 2021 abgeschaltete KKW Gundremmingen mit zwei Blöcken, die bis Ende 2017 etwa 30 % der Stromerzeugung in Bayern lieferten und damit der Atmosphäre jährlich 21 Millionen Tonnen Kohlendioxid, ersparten, was einem Anteil von etwa 2,5 Prozent der gesamten jährlichen Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland entsprach. Die Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland erfolgte anfangs mit dem Ziel, die Risiken zu verkleinern. Probleme würden nämlich bei diesem Siedewasserreaktor auftreten, falls es bei einer Katastrophe auch zum Ausfall der Nachwärmeabfuhr kommt. Das kann ein Aufheizen des Brennstoffs verursachen und Kernstrukturen zum Schmelzen bringen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Zündung von entstandenem Wasserstoff und einer Detonation, die das Fundament zerstört und eine Grundwasserverseuchung bewirkt, siehe Umweltrisiken. Solche früher fast für unmöglich gehaltene Szenarien sind durch terroristische Bedrohungen stärker ins Blickfeld gerückt. Das Tohoku-Seebeben am 11.03.2011 und die folgenden Auswirkungen auf das Kernkraftwerk Fukushima in Japan haben weltweit unterschiedliche Neubewertungen der Risiken ausgelöst. Japan baut gegenwärtig zwei neue besser geschützte Reaktoren. Deutschland hat am 15. April 2023 das letzte Kernkraftwerk abgeschaltet. Eine vom US-Department of Energy (DOE) im Auftrag gegebene und im selben Monat veröffentlichte Studie empfiehlt die Entwicklung neuer Kernreaktoren, um langfristig die Klimaziele der USA zu erreichen.

Kernkraftwerke der nächsten Generation bringen zwar noch keinen Fortschritt bei der Entsorgung, erschweren aber eine Kernschmelze. Zur sogenannten dritten Generation gehört der Druckwasserreaktor EPR (jetzt eigenständiger Name, früher European Pressurized Reactor, danach Evolutionary Power Reactor). Zwei dieser in Frankreich entwickelten Kernkraftwerke sind Ende 2018 in China ans Netz gegangen, sechs weitere sind in Europa und den USA im Bau. Ein weiterer Druckwasser-Reaktor heißt AP1000, wurde in den USA entwickelt und ist erstmals im Juni 2018 in China in Betrieb genommen worden. Ein drittes Projekt, Hochtemperaturreaktor (engl. very high temperature reactor, VHTR) auch Kugelbettreaktor (engl. pebble bed reactor, PBR) genannt, befinden sich noch in der Entwicklung. Ein 13-MW-Versuchsreaktor AVR (Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor) wurde von 1967-1988 in Jülich und ein Kernkraftwerk mit einem 300-MW-Reaktor von 1983 bis 1989 bei Hamm-Uentrop betrieben. Bei Verwendung von Gasturbinen und einer Heliumtemperatur von 900 °C sind Wirkungsgrade von 45 % möglich.

Ende 2020 hat das USA-Energieministerium ein neues Reaktor-Demonstrations-Programm zur Testung, Lizensierung und den Aubau neuer Reaktormodelle gestartet. Die Firma x-energy erhält im Rahmen dieses Programms eine Milliarden-Förderung zum Bau des PBR Xe-100.

Der Kugelbettreaktor zeichnet sich durch einen geringen Uranverbrauch, geringe Abwärmeerzeugung und das Potenzial zur Fernwärmenutzung aus. Die Verwendung von Heliumgas als Kühlmittel und Graphit als Moderator erlaubt Temperaturen von 300 bis 950 °C. Mit 8 % spaltbarem Material angereicherte Brennstoffkerne haben einen Durchmesser von 0,5−0,7 mm. Sie sind mit mehreren Schichten aus Graphit und Siliziumcarbid ummantelt, die ein großes Rückhaltevermögen für Spaltprodukte bis zu sehr hohen Temperaturen (1600 °C) haben. Die kleinen Kugeln sind in eine Brennelement-Graphitmatrix von 6 cm Durchmesser eingepresst, siehe linke Abbildung von ENS. Dieses Brennmaterial schmilzt auch nach Verlust der Kühlung nicht, wenn man das Eindringen von Sauerstoff ausschließt. In einem zusätzlichen Dampferzeuger kann Heißdampf (530 °C bei 200 bar) erzeugt werden.

Während die dritte Generation gebaut wird, werden Kernkraftwerke der vierten Generation in einem internationalen Verbund, dem Generation IV International Forum, GIF, für den Einsatz nach 2025 untersucht. Seit 2007 unterstützt Bill Gates mit seiner Firma TerraPower die Entwicklung eines Laufwellen-Reaktors (TWR = Traveling Wave Reactor), der Roh-Uran oder anderes gering angereichertes radioaktives Brutmaterial in spaltbares Material umwandelt.

 

Kernfusion

Von zukünftigen Fusionskraftwerken erwarten wir im Gegensatz zu Kernspaltungskraftwerken keine Probleme mit Beschaffung und Entsorgung von Brennstoffen. Abfälle, wie zum Beispiel der Reaktor selbst nach Ablauf der Nutzungsdauer, strahlen zwar auch, aber 99 % des strahlenden Materials hat eine Halbwertszeit von weniger als 10 Jahren. Wer um das Jahr 1960 zur Schule gegangen ist, hatte damals gelernt, dass Ende des 20. Jahrhunderts die Energie überwiegend durch Kernfusion erzeugt werden wird. Aus heutiger Sicht wird es aber wenigstens noch zwei Jahrzehnte dauern, bevor ein technisches Fusionskraftwerk in Betrieb gehen kann. Erst am Ende des vorigen Jahrhunderts haben wir gelernt, dass turbulente Vorgänge im Plasma zu Energie- und Teilchenverlusten führen und die Energieeinschlusszeit τ verringern, in der das Plasma stabil gehalten werden kann, was eine technische Kernfusion erheblich erschwert.

Bei der Fusion eines Deuterium- und eines Tritiumkerns entstehen ein 4He2+ (α-Teilchen), ein Neutron und 17,6 MeV Energie. Letztere sollte das Plasma auf Reaktionstemperatur halten, damit ständig austretende Neutronen, die 80 % der Fusionsenergie tragen, Wasser erhitzen und letztlich Dampfturbinen antreiben.

Die rechte aus den Internetseiten der EU-Organisation Fusion for Energy entnommene Abbildung zeigt die Fusionsreaktion

Im Inneren der Sonne herrscht die dafür notwendige Reaktionstemperatur. Die Sonnen-Kernfusion ist auf der Seite Kernenergie beschrieben. Auf der Erde muss aber bei mehr als zehn Millionen Grad das Plasma auf einer stabilen Position fern von jeglichem Material bleiben.

 

Um auf der Erde das Reaktionsplasma auf einer stabilen Position fern von jeglichem Material zu halten, überlagert man in einem Tokamak (russ. тороидальная камера в магнитных катушках) drei Felder. Die links stehende Abbildung von Fusion for Energy zeigt die supraleitenden Magnetspulen und die Felder des gelben Plasmastroms, der blauen Toroidspule und der grauen Transformatorspulen. Ein Tokamak-Experiment JET (Joint European Torus) des Europäischen Fusionsprogramms ist seit 1983 in Culham, England im Betrieb.


 

Für JET liegt das Fusionsprodukt nTτ bestehend aus Temperatur T, Teilchendichte n und Energieeinschlusszeit τ, nur noch um einen Faktor 5 unter dem Zielwert für ein Kraftwerk, wie aus der linken Abbildung des MPI für Plasmaphysik zu entnehmen ist. Die Abbildung zeigt den Zündungsbereich für ein Fusionskraftwerk oben rechts und demonstriert den Fortschritt in der Fusions-Forschung seit 1965. Das Fusionsprodukt hat in der Abbildung die Einheit 1017 Teilchen pro cm3 × Sekunde × Grad Celsius.

Die Qualität eines Fusionsprozesses kann durch den Quotienten Q aus durch Fusion erzeugter Wärme durch die zur Aufrechterhaltung der hohen Temperatur zugeführte Wärme betrachtet werden. Bis Ende des vergangenen Jahrhunderts war Q = 0,5 erreicht. Es wurde also doppelt soviel Energie verbraucht, als gewonnen werden konnte. Seit 2005 wird in Cadarache (Frankreich) im Rahmen des seit 1988 von Euratom, den USA, Russland, Japan, China und anderen Ländern betriebenen Projekts International Thermo-nuclear Experimental Reactor, ITER, ein Tokamak-Reaktor für 0,5 GW und 500 s Impulslänge aufgebaut. Das Ziel ist, einen Wert von Q = 10 zu erreichen. Geplante Kosten sind über zehn Milliarden Euro gestiegen. Es ist geplant, Ende 2025 das erste Plasma zu erzeugen und 1935 eine Deuterium-Tritium-Reaktion zu realisieren.

 

 

Die rechte Abbildung zeigt einen Schnitt des Plasmarings. Die supraleitenden Spulen müssen auf die Temperatur von 4 K abgekühlt werden und befinden sich deshalb in einem mit flüssigen Helium gefüllten Kryostat. Betrachten wir Zeitplan und Kosten für ITER, wird klar, dass im nächsten Jahrzehnt kaum mit einer erheblichen Elektroenergie-Erzeugung aus der Kernfusion zu rechnen ist. Da aber die Kernfusion in der Sonne die Grundlage fast aller Energiegewinnung auf der Erde darstellt, besteht die Hoffnung, dass die Menschheit mit dem Projekt ITER Fortschritte bei der technischen Realisierung einer direkten Energiegewinnung durch Fusionsanlagen auf der Erde macht.

Neben dem Tokamak-Reaktor wird der Stellarator weiterentwickelt. Der Name dieses erstmalig 1951 im Princeton-Labor für Plasmaphysik aufgebauten Fusionskonzeptes soll an die Kernfusion als Energiequelle der Sterne (lat. stella, Stern) erinnern. Tokamaks stellen einen Teil des einschließenden magnetischen Feldes durch einen starken, im Plasma fließenden elektrischen Strom her, siehe oben. Stellaratoren dagegen schließen das Plasma mit einem ausschließlich von äußeren Spulen erzeugten Magnetfeld ein, was einen Vorteil für einen Dauerbetrieb darstellt.

 

Der Stellarator Wendelstein 7-X, der seit 2005 im Teilinstitut Greifswald des Instituts für Plasmaphysik der MPG entsteht, soll ein optimiertes Magnetfeld testen, das die Schwierigkeiten früherer Stellarator-Konzepte überwindet. Das erste Plasma wurde am 10. Dezember 2015 erzeugt, und 2017 wurden die in obiger Abbildung angegebenen Werte für das Fusionsprodukt erreicht. Wendelstein 7-X ist damit der weltbeste Stellerator. Ziel des Projekts ist der der Nachweis, dass auf der Basis des Stellarators ein kontinuierlich arbeitendes Kraftwerk möglich ist. Die linke Abbildung zeigt die Spule und Plasma in Wendelstein 7-X.

 

Bei der Trägheitsfusion wird (im Gegensatz zum magnetischen Einschluss des Fusionsplasmas bei Takamak oder Stellarator) der Deuterium-Tritium-Brennstoff durch extrem schnelle Energiezufuhr für einige Nanosekunden verdichtet und aufgeheizt. Während der kurzen Zeit sorgt die Massenträgheit für den Zusammenhalt des Plasmas. Deshalb bezeichnet man diese gewöhnlich durch Laser initiierte Reaktion als Trägheitsfusion. Auch die Wasserstoffbombe funktioniert nach diesem Prinzip. Forschung auf dem Gebiet der Trägheitsfusion wird deshalb nicht nur mit dem Ziel der Energiegewinnung durchgeführt. Die Forschungseinrichtungen genießen Unterstützung militärischer Budgets.

Die National Ignition Facility, NIF, ist von 1997 bis 2009 am Lawrence Livermore National Laboratory, LLNL, in Livermore, Kalifornien, aufgebaut worden. Ein Lichtblitz, der bisher eine Leistung von etwa 340 TW erreicht hat, soll die mit einigen Milligramm Fusionsbrennstoff gefüllte Kugel von verschiedenen Richtungen innerhalb weniger Pikosekunden erreichen und die Fusion auslösen. Das Plasma kollabiert mit einer Geschwindigkeit von 1,5 Millionen km/h und soll eine Temperatur von 100 Millionen Grad Celsius erreichen. Quelle des Blitzes sind 192 Laser. Sie erzeugen eine Gesamtenergie von etwa 1 MJ. Am 4. Dezember 2022 ist es gelungen, durch Zündung der Kernfusion in einer kleinen Kapsel eine Fusionsenergie freizusetzen, die höher als die verbrauchte Laserenergie ist. Fortschritte auf dem Gebiet der Laser-induzierten Kernfusion sind auf den NIF-Seiten zu finden, manchmal zeitiger in der Nachrichten.

Ein ähnlich großes Forschungsprojekt zur Trägheitsfusion, das ebenfalls teilweise militärischen Zwecken dient, ist in Le Barp in der Nähe von Bordeaux in Frankreich 2002 in Angriff genommen worden und sollte nach zehn Jahren Ergebnisse liefern. Es heißt Laser Mégajoule, LMJ, und wird vom Commissariat à l'énergie atomique et aux énergies alternatives, CEA, betrieben. NIF und LMJ sind die Forschungsprojekte, von denen Aussagen über die Effizienz von Energieerzeugung durch Trägheitsfusion erwartet werden.