Seit seinen Anfängen war das Tanzarchiv Leipzig nicht nur ein Ort der Sicherung und Aufbewahrung von Quellen und Materialien zur Tanztheorie und -praxis, sondern auch eine Dokumentationsstelle und eine Institution der tanzwissenschaftlichen Forschung. Diesem bereits von Dr. Kurt Petermann begründeten und seit den 1990er Jahren in verschiedene Richtungen ausgebauten Schwerpunkt entspricht die große Zahl und Qualität der vom Tanzarchiv Leipzig herausgegebenen und verfassten Publikationen, in den meisten Fällen verknüpft mit Forschungsprojekten und Tagungen, aber auch mit Lehrveranstaltungen (Vorlesungen, Seminaren, Kolloquien etc.), in denen das immense Potential der Bestände für die tanzbezogene Lehre an der Theaterhochschule Hans Otto und später dann am theaterwissenschaftlichen Institut der Universität Leipzig genutzt wurde. Davon zeugen nicht zuletzt eine Vielzahl von Qualifikations- und Abschlussarbeiten, die seit Jahrzehnten mit Bezug auf die Sammlungen des Tanzarchivs verfasst worden sind.
Im Folgenden werden einige ausgewählte Forschungsprojekte genannt, die exemplarisch die Breite und Vielfalt der untersuchten Themen, Fragestellungen und methodischen Ansätze zeigen. Ergänzend zum wissenschaftlichen Diskurs in Forschung und Lehre haben sich viele weitere Formate für die Vermittlung von Themen aus dem Tanzarchiv entwickelt, die in Kooperation mit den zahlreichen Partnerinstitutionen stets eine städtische und oft auch überregionale Öffentlichkeit ansprechen konnten (Veranstaltungsreihen, Ausstellungen, Festivals etc.).
Pilotprojekt zur Modellierung von Ereignisdaten unter exemplarischer Berücksichtigung des Erfahrungswissens von Expertinnen und Experten
Dokumente und vielfältige Medienobjekte zur Tanzgeschichte der DDR befinden sich vor allem in den Sammlungen des Tanzarchiv Leipzig (ehemals Tanzarchiv der DDR), die an der Universitätsbibliothek Leipzig bereits objektbezogen erschlossen wurden. Auf dieser Grundlage untersucht das Projekt an ausgewählten Beispielen, wie sich Daten zu beteiligten Personen, Institutionen, Orten und Veranstaltungen bzw. Aufführungen verknüpfen lassen, um sie besser nutzen zu können. Diese Informationen sollen durch Zeitzeugengespräche überprüft und kontextualisiert werden. So kann das persönliche Erfahrungswissen mit Ergebnissen aus früheren Forschungsprojekten und Publikationen vernetzt und recherchierbar gemacht werden. An der Sächsischen Akademie der Wissenschaften wird die dort vorhandene Forschungssoftware weiter entwickelt, um insbesondere für Forschungsdaten zu Ereignissen neue Anwendungsbereiche zu erschließen. Insgesamt wird durch das Projekt eine fachliche und digitale Methodik entwickelt, von der auch Folgeprojekte profitieren werden.
https://www.saw-leipzig.de/de/projekte/kulturerbe-tanz-in-der-ddr
https://www.saw-leipzig.de/de/presse/pressemitteilungen/2024_01_08_ddr-tanzprojekt.pdf
Um die Vernetzung und den Austausch tanzinteressierter Künstler*innen und Wissenschaftler*innen aller Disziplinen voranzutreiben, fand von 2012 bis 2017 die Forschungswerkstatt TANZ in Kooperation mit der Initiative 4für Tanz und dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig statt. Die interdisziplinäre Herangehensweise an das Thema Tanz aus Perspektiven künstlerischer Arbeit einerseits und Erkenntnisse der Theater- und Musikwissenschaft, Dramaturgie, Pädagogik, Archivwissenschaft und Medizin andererseits zeigte Synergieeffekte, die sich in künstlerischen Projekten ebenso widerspiegelten wie in Forschungsarbeiten.
Ihre Fortsetzung hat diese Forschungswerkstatt Tanz mittlerweile in zahlreichen Lehrveranstaltungen mit Bezug zu den Themen des Tanzarchivs gefunden, außerdem in mehreren Kolloquien, in denen laufend die aktuellen Forschungs- und Qualifikationsprojekte vorgestellt und diskutiert werden.
Tanz spielte in der DDR eine besondere Rolle: Klassisches Ballett und Tanztheater waren auf vielen Bühnen der Republik zu sehen, darüber hinaus erfüllten aber auch Folklore und Massenchoreographien wichtige Funktionen im ,künstlerischen Volksschaffen‘ der DDR. Das 2013 und 2014 durch die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig im Verbund mit drei weiteren Projekten zur Elitenausbildung in der DDR geförderte Forschungsprojekt, untersuchte als Kooperation mit dem Institut für Theaterwissenschaft eben diese zwischen Eliteförderung, Volkskunst und Massenkultur bisher kaum erforschte Tanzlandschaft der DDR. Anhand zahlreicher Interviews sowie der umfangreichen Bestände des Tanzarchivs Leipzig, wurde das Zusammenspiel exemplarischer Institutionen (wie Ausbildungsstätten, das Tanzarchiv Leipzig oder Tanzfeste), Formen (wie Ballett, Neuer Künstlerischer Tanz, Tanztheater oder auch Volkstanz) und Akteur*innen (wie Pädagog*innen, Tänzer*innen oder Choreograph*innen) und ihre Bedeutung für den Tanz in der DDR analysiert.
Eine begleitende Tagung mit dem Titel Körper/Politik: Tanzformen, Institutionen und Akteure in der DDR mit zahlreichen Zeitzeug*innen fand vom 13.–15.11.2014 am Institut für Theaterwissenschaft Leipzig statt. Eine Publikation ist in Vorbereitung und wird in der Reihe Recherchen des Verlags Theater der Zeit erscheinen.
Im Fokus dieses durch das SMWK geförderten und in Kooperation mit dem Institut für Theaterwissenschaft realisierten Forschungsprojekts stand die Entwicklung der Körperpolitik in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwischen Disziplinierung und Inszenierung. Dabei ging es vor allem um die Gründungsjahre der Rhythmikschule von Émile Jaques-Dalcroze vor dem Ersten Weltkrieg in Hellerau, die Verbreitung des Ausdruckstanzes durch Rudolf von Laban und die in Hellerau ausgebildeten Tänzerinnen Mary Wigman, Hertha Feist, Jenny Gertz u.a., sowie die in den 1920er Jahren ebenfalls von Laban geprägte Arbeit mit Bewegungschören im Vordergrund.
Ein begleitendes Symposion fand unter dem Titel BODY POLITICS. Rhythmics, Modern Dance and Movement Choirs vom 3.–4, November 2012 in Kooperation mit der Performancegruppe LIGNA in HELLERAU – Europäisches Zentrum der Künste Dresden statt. Eine Publikation dazu erscheint bei spector books.
Von April 2009 bis Februar 2011 fand, kuratiert von Prof. Dr. Patrick Primavesi die Reihe Tanz-Archiv-Labor statt, in deren Mittelpunkt die künstlerische Praxis von Tanz und Performance sowie die Arbeit des Archivs und ihre theoretische Reflexion standen. Geschichte und Gegenwart von Tanz, Körperkultur und Performance wurden durch die eingeladenen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen jeweils auf ihre zeitgeschichtliche Dimension und Bedeutung hin befragt. Unter anderem nahmen an der Veranstaltungsreihe teil: andcompany&Co, Fabian Barba, Laurent Chétouane, Jeff Friedman, Laurent Goldring, Hermann Heisig, Heike Hennig, Anna Hoetjes, Thomas Lehmen, LIGNA, Constanze Macras, Carmen Mehnert, Bettina Milz, Martin Nachbar, Irina Pauls, Isabelle Schad, Mario Schröder, Michael Touma, Doris Uhlich, Britta Wirthmüller, Petra Zanki.
Unter dem speziellen Motto „Das Tanzarchiv Leipzig lädt ein“ widmete sich das Tanzarchiv im Wintersemester 2010/11 ausgewählten zeitgenössischen Choreograph*innen, die im Gespräch ihre aktuellen Arbeiten vorstellten. Mit dabei waren u.a. Britta Wirthmüller und Martin Nachbar.
Auf der Suche nach neuen Methoden und experimentellen Arbeitsformen zu einer Wissensgenerierung jenseits der Schriftkultur rückte das Forschungsprojekt von Prof. Dr. Inge Baxmann die von Rolf de Maré gegründeten Pariser „Archives Internationales de la Danse“ (A.I.D) in den Blick, in Kooperation mit der Bibliothèque-musée de l’Opéra in Paris und dem Centre nationale de la Danse in Paris/Pantin. Bis 1940 waren die A.I.D ein internationaler Sammelpunkt emigrierter Tänzer, Tanz- und Kulturwissenschaftler und Ethnologen. In der Verknüpfung außereuropäischer Tanzpraxis und europäischer Volkstanzkultur mit modernen Stilrichtungen und mit einem Schwerpunkt auf Theorie und Geschichte arbeiteten die A.I.D. an der Bergung eines körperlichen Wissens quer zu den überkommenen akademischen Wissensordnungen. Eine begleitende Tagung fand vom 28.03.–02.04.2006 in Paris statt.