Lehrveranstaltungen im Wintersemester 2024/2025

• donnerstags, 17:15–18:45 Uhr
• HS 1, Campus Augustusplatz, 04109 Leipzig

Module: 04-003-2005 (7. FS StEx OS, Gym), 04-040-2010 (1./3. FS Master of Arts Germanistik)

– für Seniorenstudium, Gasthörer und ausländische Studierende geöffnet –

Die Vorlesung stellt einen Autor der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert ins Zentrum, dessen Texte oftmals Neues bieten: Einen neuen Artusroman (‚Daniel von dem Blühenden Tal‘), einen neuen Karl (‚Karl der Große‘), den ersten Schwankroman (‚Der Pfaffe Amis‘), einen Text über die Frauen, der diese zum höchsten Gut erhebt, der kein Minnesang ist, keine Minnerede, der aber verschiedene Gattungselemente erprobt (‚Die Frauenehre‘); ein Autor, der ‚die Mären‘ „erfindet“ und so pfiffig erzählt. Fallen, Listen, Verstrickungen und neue Interpretationen sind das Thema der Lektüren der Vorlesung, die das programmatische erniuwen des Strickers ins Zentrum stellt.
Die Person des Autors ist uns unbekannt, er nennt sich der strickaere, jemand der Seiler ist, Stricke herstellt, Fallen baut oder Texte knüpft? Die Forschung konstatiert eine „biographische[] Lücke“ (Böhm 1995:11), rheinfränkisches Gebiet oder Österreich kommen ins Spiel, stellen aber keine klar bestimmbaren Größen und Daten bereit, der Autor scheint ein Fahrender zu sein (Ragotzky); das biographische Nicht-Wissen kann die Chance sein, sich ganz auf die Aussagen seiner Texte zu konzentrieren. Der Stricker wurde als Gesellschaftskritiker oder als Blasphemiker bezeichnet, dessen „Gattungserneuerung“ (Ragotzky 1981) die germanistische Forschung lange schon erkannt hat. Hieran ist anzuknüpfen. Welche Figuren geraten mit den Texten des Strickers ins Zentrum? Wird Abschied genommen vom höfischen Inventar des üblichen Artusritters, der anzubetenden Dame, vom kämpfenden Helden? Was wird vom Stricker erneuert? Welche Gesellschaftsmodelle greift er an und welche empfiehlt er? Macht er sich lustig über uns, die Hörer und Leser seiner Geschichten? Welche Qualitäten kommen ihm als Erzähler zu? Er habe Geschichten gestrafft und konsequenter erzählt (Böhm 1995: 250), habe planvoll konzipiert, Spannungsbögen eingebaut (‚Amis‘) und doch alles wieder in Frage gestellt. Er wird als geschickter Erzähler und guter Didaktiker benannt (Böhm 1995: 251). Das werden wir an unseren Lektüren prüfen und dabei ganz konkret die ‚alten‘ (?) Thesen von Hedda Ragotzky und Sabine Böhm aufgreifen.

Literaturhinweis: Hedda Ragotzky: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, Tübingen 1981(Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 1): https://doi.org/10.1515/9783110928105 ; Sabine Böhm: Der Stricker – Ein Dichterprofil anhand seines Gesamtwerkes, Frankfurt a.M. 1995 (Europäische Hochschulschriften: Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; Bd. 1530). 

• dienstags, 13:15–14:45 Uhr
• SR 224, Campus Augustusplatz, 04109 Leipzig

Module: 04-003-2005 (7. FS StEx OS, Gym), 04-040-2010 (1./3. FS Master of Arts Germanistik)

Strickers ‚Frauenehre‘ (1902 Verse) ist ein besonderer und zugleich auch sperriger Text, der den Wert der Frau betont und in den Satz mündet, dass die Frauen der ander got der werlde sint (V. 1894), Frauen sind der zweite Gott, der Gott der Welt. Unser close reading wird ergründen, ob es sich dabei um eine blasphemische Aussage handelt. Gotteslob, Frauenlob, caritas und minne sind Themen des Textes, dessen Gattung zu hinterfragen sein wird.
Strickers ‚Frauenehre‘ stand bisher nicht im Zentrum des mediävistischen Forschungsinteresses, der Stricker wird wegen anderer Texte und Textformen herangezogen, vor allem seine Mären werden gelesen und interpretiert. Im Seminar wollen wir uns deswegen einmal intensiv mit dem Text der ‚Frauenehre‘ auseinandersetzen, um deren Machart und Qualität zu prüfen. Inhalte und Gattungselemente, auch diesbezügliche Vorschläge der Forschung („belehrende Rededichtung“ [E. Ukena-Best 2004:543], „Programm des erniuwens“ [H. Ragotzky 1981]) stehen zur Disposition. Die ‚Frauenehre‘ sei „weder ein spannender noch ein besonders unterhaltsamer Text“, so formuliert S. Böhm (1995:132), aber man könne daran einiges über den Stricker ablesen. Er prüft und mischt Gattungen, knüpft an Gottfried von Straßburg und manche bekannte Aussage an, stellt sich mit seinem Frauenpreis eventuell bewusst gegen den Minnesang, artikuliert auch Kritik an der Frau, reiht assoziativ und formuliert doch einige sehr bemerkenswerte Aussagen über das Verhältnis von Frau und Mann, über die Liebe, die Tugendhaftigkeit der Frau, über die Gesellschaft. War der Stricker mit diesem Text und vor allem mit der zum Teil traktathaften Form, die er ihm gab, seiner Zeit voraus oder ist die ‚Frauenehre‘ doch als literarischer „Fehlschlag“ (Böhm 1995:146) zu bewerten? Das wollen wir im Seminar herausarbeiten und bewerten.

Textausgabe: Der Text (Klaus Hofmann: Strickers ‚Frauenehre‘. Überlieferung – Textkritik – Edition – literaturgeschichtliche Einordnung, Marburg 1976) wird zur Verfügung gestellt.

Literatur (Auswahl): Sabine Böhm: Der Stricker – Ein Dichterprofil anhand seines Gesamtwerkes, Frankfurt a.M. 1995 (S. 131-146); Elke Ukena-Best: Die Allegorie von der vrouwe als boum der tugende in der ‚Frauenehre‘ von dem Stricker, in: Vom vielfachen Schriftsinn, hg. von Freimut Löser und Ralf G. Päsler, Hamburg 2005, S. 543-577; Hedda Ragotzky: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, Tübingen 1981 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 1):  https://doi.org/10.1515/9783110928105 

• dienstags, 15:15–16:45 Uhr
• SR 224, Campus Augustusplatz, 04109 Leipzig

Module: 04-003-2005 (7. FS StEx OS, Gym), 04-040-2010 (1./3. FS Master of Arts Germanistik)

Das Seminar widmet sich den kurzen Erzählungen des Strickers, die rein narrativ angelegt oder mit einem diskursiven Schlussteil verbunden, Normdiskussionen führen, Ehegeschichten andeuten, Klugheiten und Torheiten vorstellen und die Rezipienten zur Diskussion anregen. Die Rolle von „Sprechen und Erzählen“ (N. Nowakowski 2018) wird uns bei unseren Analysen beschäftigen. Wir werden auch auf geistliche Reden und Tierbîspel sehen, um uns zu erarbeiten, welches thematische Spektrum der Stricker für diese Form des kurzen Erzählens wählt, schließlich gilt er als „selbstbewusster Gesellschaftskritiker“ (Böhm 1995). Er verhandelt in seinen Kurzerzählungen beispielsweise den Kreuzzug, aber auch verschiedene Arten von Klugheit und Dummheit, die Trunksucht und ihre Folgen, die Ehe und deren Herausforderungen im Zusammenspiel von Mann und Frau. Wir beginnen unsere Lektüre mit der berühmten Märe vom ‚Klugen Knecht‘, an dem von der Forschung eine bestimmte Form des klugen Handelns (kündikeit) abgelesen wurde und setzen die Lektürereihe dann mit dem begrabenen Ehemann, dem Ehescheidungsgespräch, der eingemauerten Frau, dem nackten Boten und dem nackten Ritter fort, um dann die Martinsnacht und den unbelehrbaren Zecher als Beispiele für die Thematik der Trunkenheit zu analysieren. Welche Bandbreite gesellschaftlicher Normen ist in diesen Geschichten erkennbar? Aus welcher Warte spricht der Stricker? Sind es schlechte, böse oder gute Geschichten (W. Haug 2006)? Das wollen wir uns erarbeiten.

Textausgabe (bitte anschaffen): Der Stricker, Verserzählungen I, hg. von Hanns Fischer. 5., verbesserte Auflage besorgt von Johannes Janota, Tübingen 2000 (ATB 53).

Literaturhinweise: Nina Nowakowski: Sprechen und Erzählen beim Stricker. Kommunikative Formate in mittelhochdeutschen Kurzerzählungen, Berlin/Boston 2018 (Trends in Medieval Philology 35); Walter Haug: Schlechte Geschichten – böse Geschichten – gute Geschichten. Oder: Wie steht es um die Erzählkunst in den sog. Mären des Strickers? In: Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme, hg. von Emilio González und Victor Millet, Berlin 2006, S. 9-27. 

• donnerstags, 11:15–12:45 Uhr
• SR 224 Campus Augustusplatz, 04109 Leipzig

Module: 04-003-2005 (7. FS StEx OS, Gym), 04-040-2010 (1./3. FS Master of Arts Germanistik)

Der Stricker legt mit seinem ‚Daniel von dem Blühenden Tal‘ einen etwas anderen Artusroman vor, der einen Artusritter zeigt, der listig agiert, bisweilen Zauber-Elemente einsetzt, der aber auch einen handelnden und kriegführenden König Artus präsentiert. Zwei Helden, mehrere Schlachten, ein vernunftgeleiteter und nachdenkender Artusritter, wenig Minne – ein neuer Artusroman im 13. Jahrhundert? Wir werden über Vollkommenheit, über List, über Kooperation zwischen Mann und Frau, über Komik und auch über Gewalt sprechen.
Wir werden den Text (8482 Verse) lesen und besprechen und dabei die Gattung Artusroman kennenlernen. Gleichzeitig werden wir Fragen an den Text stellen, die aus der Lektüre entstehen: Artus wird einleitend als vollkommen geschildert (V. 47), er greift selbst kämpfend in das Geschehen ein, wird am Ende jedoch entführt, ein ironischer Fingerzeig, dass es mit der Macht des Artusreiches nicht so gut steht? Artus gerät in Not, er schreibt Briefe, er tötet seinen Herausforderer Matûr. Dessen Witwe heiratet dann Daniel. Welche Rolle spielt die Listigkeit des Artusritters Daniel? Ist list eine positive Kategorie? Ist Daniel ein positiver Held? Mehrfach muss er nachdenken und seine list einsetzen, muss aber auch auf Zaubermittel ausweichen und die Hilfe von Frauen in Anspruch nehmen, um zu bestehen. Wir sehen Daniel vor unseren Augen morden. Gehört das zu guter Herrschaft dazu? Welche Bedeutung kommt den Schlachten zu, die variantenreich geschildert werden? Verschiedene Kategorien des Kampfes werden thematisiert, der Lärm der Schlacht, der Geruch der Schlacht und des Blutes werden aufgerufen, um die Kämpfe spürbar zu machen. Blut spielt eine zentrale Rolle, phantasievolle, aber einfach auch schreckliche Ungeheuer werden als Gefahrenquellen geschildert. Lachen wir über diese Szenerie? Wir werden mit diesen Fragen die Rolle von Artus, die Aufgabe guter Herrschaft und den Einsatz der Vernunft hinterfragen, um den Artusroman auf eine abstraktere Ebene zu heben. Zugleich werden wir Semantiken von List und Listigkeit diskutieren (listige Helden der Literatur, listiges politisches Verhalten, List in Theologie, Listigkeit in der Kultur des Adels etc.). Denn die Doppelweg-Struktur des Artusromans wird aufgelöst, dagegen wird das List-Handeln gestellt (Ragotzky).

Textausgabe (bitte anschaffen oder über die UB Leipzig herunterladen): Der Stricker, Daniel von dem Blühenden Tal. 3., überarbeitete Auflage, hg. von Michael Resler, Berlin/Boston 2015: https://doi.org/10.1515/9783111325156

Literaturhinweis: Hedda Ragotzky: Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strickers, Tübingen 1981 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 1): https://doi.org/10.1515/9783110928105 

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