Patientin: Deutsch-Tschechische Freundschaft. Diagnose? Covid-19.

Veröffentlicht
April 19, 2021
Autor
Tereza Novotná

Die deutsch-tschechische Beziehungen (oder auch tschechisch-deutsche, wenn Sie wollen) haben sich seit der Unterzeichnung der Deutsch-Tschechischen Erklärung im Jahr 1997 nur positiv entwickelt und waren nie besser, das würden Ihnen die Diplomaten aus beiden Ländern immer wieder bestätigen.[1] Allerdings hat die Covid-19 Pandemie viele neue Herausforderungen mit sich gebracht, an die man sich nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der europäischen Ebene anpassen muss. Können die durch Covid neu entstandene Hindernisse diese besondere Freundschaft schaden?

Als die Pandemie im Frühling 2020 in Europa ausbrach, konnte Tschechien als absolutes Vorbild in deren Bekämpfung gelten. Mangel an Mundschutzmasken? Für Tschechinnen und Tschechen kein Problem, sie setzten sich zunächst mit Eifer an die Nähmaschinen und fertigten große Mengen an Masken an, die sie dann eigenhändig an Krankenhäuser und Pflegeheime lieferten. Auch die virale Kampagne #Masks4All[2] ist in Tschechien entstanden. Als die erste Welle der Pandemie in Tschechien besiegt wurde, kam es ab 1. Juli 2020 auch zur Abschaffung der allgemeinen Maskenpflicht in Innenräumen, zuletzt sollte diese Pflicht nur in Landkreisen mit hoher Inzidenz gelten. Als die tschechische Regierung ab 1. September 2020 die allgemeine Maskenpflicht wieder einführen wollte, geriet sie in die Falle des Populismus, weil die Bürger*innen die Masken nicht mehr tragen wollten und deswegen ging das Gesundheitsministerium als „Reaktion auf die öffentliche Debatte“[3] ein Schritt zurück, korrigierte den Plan für weitere Restriktionen und stellte sie milder ein.

Es gibt viele qualifizierte Expert*innen, die im Gegensatz zu mir in Feldern wie Epidemiologie oder Virologie forschen und besser in der Lage sind, zu bewerten, was man in Tschechien hätte besser machen können und ob die Lockerung der Maskenpflicht an der herbstlichen Verschlechterung der pandemischen Lage schuld war oder nicht. Die Tatsache jedoch bleibt, dass die Infektionszahlen in Tschechien seit Oktober 2020 explodieren – seit Mitte Oktober gehört das Land zu den TOP 5 europäischen Ländern mit den meisten Infektionen auf 1 Million Einwohner*innen, seit Januar 2021 ist Tschechien sogar auf Platz 1.[4] Aus der Angst vor neuen Virusmutationen hat also die deutsche Bundesregierung beschlossen, ab dem 14. Februar 2021 wieder Grenzkontrollen einzuführen und damit den Verkehr zwischen den beiden Ländern auf nur das absolut notwendigste einzuschränken.[5]

Schon vor der Einführung der Grenzkontrollen waren die Krankenhäuser in den Landkreisen Cheb und Sokolov komplett überlastet. Da diese Landkreise direkt an der Grenze zu Deutschland liegen, wurde darüber getagt, ob man sich von Deutschland helfen lassen solle und zumindest ein paar tschechische Patient*innen kurzfristig in deutschen Krankenhäusern zu platzieren. Anlässlich des Besuchs des Gesundheitsminister Jan Blatný (parteilos, in der Regierung für ANO) im Krankenhaus in Cheb äußerte Petr Kulhánek (STAN), Hauptmann der Karlsbader Region, eine vom Kurs des Gesundheitsministers abweichende Haltung zu einer möglichen Kooperation mit deutschen Krankenhäusern.

Er verstehe zwar die Argumentation des Ministeriums, dass die deutsche Hilfe kein Allheilmittel darstelle, allerdings nehme er die Situation mehr territorial wahr: „Im Moment, wenn wir (Cheb) an der Grenze mit Deutschland ein Teil des vereinten europäischen Raums sind, nehme ich an, dass wenn es um menschliche Gesundheit oder Rettung vom Menschenleben geht, sollte eine Grenze in der heutigen Zeit überhaupt keine Rolle spielen, jegliche Barriere sein… Ich nehme auch die symbolische Bedeutung wahr, wo gerade die Mitarbeit zwischen benachbarten Ländern einen positiven Effekt in der Auffassung und Beruhigung der Gesellschaft erzeugen kann.“[6]Gesundheitsminister Blatný erwiderte darauf, er verstehe diese Symbolik durchaus, es sei jedoch ebenso bedeutsam für ihn, und auch ein klares Signal für tschechische Bürger*innen, dass sich um sie die Tschechische Republik kümmere. „Es ist nicht nötig, um jeden Preis ins Ausland zu reisen, weil die Tschechische Republik jedes Leben, jeden Bürger schätzt, und sich um jeden kümmern wird.“[7] Dementsprechend wurden Patient*innen aus Krankenhäusern in Cheb und Sokolov in 200 km entfernte tschechische Krankenhäuser transportiert, anstatt sie in Krankenhäuser in Bayern oder Sachsen, die nur 10 km entfernt sind, zu bringen.[8]

In einem Interview mit Deník N hat der deutsche Botschafter Christoph Israng mitgeteilt, welche Hilfe aus Deutschland bereits nach Tschechien geschickt wurde – im Herbst 2020 waren es 100 Ventilatoren und zwei Bundeswehrärzte, die in einem Prager Krankenhaus aushalfen. Israng hat auch wiederholt, dass das Angebot der deutschen Hilfe in der Bekämpfung der Pandemie weiterhin da ist, sollte Tschechien Interesse daran haben.[9] Und die tschechische Bürger*innen aus Cheb befürworten diese Hilfe. Bereits zwei Tage vor den Äußerungen des deutschen Botschafters in den Medien appellierten sie in einer Petition an den tschechischen Gesundheitsminister, er solle Deutschland um Hilfe bitten, und äußerten ihre Missbilligung an den Schritten der Regierung.[10]

Das würde auch in den Kontext einer Äußerung des Bürgermeisters der Stadt Cheb, Antonín Jalovec, passen, der auf sein Facebook Profil schrieb: „Schon seit Jahrzehnten leben wir hier mit den Deutschen in keinem Stil ‚wir und sie‘. Die Leute hier nehmen die Grenze gar nicht mehr wahr, wir fahren durch sie hindurch zum Einkaufen, Arbeiten, Sport machen, Studieren… Wir empfinden das Angebot der deutschen Hilfe genauso, als wenn es uns von Prag oder Pilsen angeboten wurde. Hier hat schon lange niemand (außer ein paar Extremist*innen) Angst vor den Deutschen. Hier spielt niemand in einem eigenen Sandkasten an der eigenen Seite der Grenze. Wir organisieren gemeinsame Feier, realisieren europäische Projekte, bauen Fahrradwege.“[11]

Es mag verlockend sein zu behaupten, die Ausbildung einer europäischen Identität sei ein Phänomen, das man fast ausschließlich bei einer kosmopolitischen Elite in den Haupt- und Großstädten beobachten könne. An diesem Beispiel wird jedoch sichtbar, dass die beste europäische Freundschaft besonders dort geknüpft und geschätzt wird, wo „europäisch“ nicht nur auf dem Papier steht, sondern tatsächlich gelebt wird. Das stellt einen großen Ansporn dar, die tschechisch-deutsche Beziehungen weiterhin so zu pflegen, dass sie aus der jetzigen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Krise noch gestärkt hervorgehen, auch wenn die aktuelle pandemische Lage leider die Tendenz befördert eher auf nationale Alleingänge zu setzen.


[1] Hošek, Jiří. Debata s Německem na stejné úrovni očí, doufá náš nový muž v Berlíně. In: Seznam Zprávy, 31.07.2020 [online]. Abrufbar von: https://www.seznamzpravy.cz/clanek/debata-s-nemeckem-na-stejne-urovni-oci-doufa-nas-novy-muz-v-berline-114182; Hošek, Jiří. Výzva: Konspirační teorie a strach v Česku nám dělají starosti. Situace v Německu není jen o migrantech, míní velvyslanec. In: Seznam Zprávy, 09.10.2018 [online]. Abrufbar von: https://www.seznamzpravy.cz/clanek/konspiracni-teorie-a-strach-v-cesku-nam-delaji-starosti-situace-v-nemecku-neni-jen-o-migrantech-mini-velvyslanec-57854.

[2] #Masks4all: https://www.youtube.com/watch?v=HhNo_IOPOtU.

[3] ‚Reagujeme na veřejnou debatu.‘ Roušky nebudou od září potřeba v obchodech ani ve školách. In: iRozhlas.cz, 20.08.2020 [online]. Abrufbar von: https://www.irozhlas.cz/zpravy-domov/nova-opatreni-proti-sireni-koronaviru-rousky-ministr-zdravotnictvi_2008201614_vin.

[4] Hirsch, Cornelius. “The coronavirus pandemic in Europe in one minute. This time around: Total number of confirmed cases per million citizens in top 15 EU countries plus the UK from March 2020 until today…” In: Twitter, 17.02.2021 [online]. Abrufbar von: https://twitter.com/VollCornHirsch/status/1362041993556328450.

[5] Deutschland bereitet Grenzkontrollen vor. In: Tagesschau.de, 12.02.2021 [online]. Abrufbar von: https://www.tagesschau.de/inland/grenzkontrollen-corona-tschechien-101.html.

[6] Pacienti se z Chebu do Německa převážet nebudou, nemocnici vypomůžou další lékaři. In: ČT24.cz, 04.02.2021 [online]. Abrufbar von: https://ct24.ceskatelevize.cz/domaci/3264764-zvysuje-se-reprodukcni-cislo-blatny-navstivi-nemocnici-v-chebu.  

[7] Ebenda.

[8] Prožili jsme si peklo, bouchne to všude. Bojujeme o padesátníky a šedesátníky, říká primář Straka. In: DVTV, 24.02.2020 [online]. Abrufbar von: https://www.dvtv.cz/video/prozili-jsme-si-peklo-bouchne-to-vsude-bojujeme-o-padesatniky-a-sedesatniky-rika-primar-straka.

[9] Moláček, Jan. Studio N: Stále jsme připraveni pomoci, hlásí Německo. In: Deník N, 12.02.2021 [online]. Abrufbar von: https://denikn.cz/561076/studio-n-stale-jsme-pripraveni-pomoct-hlasi-nemecko.

[10] Výzva ministru zdravotnictví ČR: Otevřete hranice sanitkám! In: Petice.com, 10.2.2021 [online]. Abrufbar von: https://www.petice.com/vyzva_ministru_zdravotnictvi_r_otevete_hranice_sanitkam.

[11] Jalovec, Antonín. „Poslední ohlédnutí…“ In: Facebook, 06.02.2021 [online]. Abrufbar von: https://www.facebook.com/antonius.eratosthenesjuniperus/posts/4233437243353226.