Jahrestagung der Societas Jablonoviana: "Deutsch-polnische
Wissenskulturen und Wissenschaftsbeziehungen / Kultury wiedzy a
polsko-niemieckie relacje naukowe"
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Programm
Veranstalter: Societas
Jablonoviana e. V.; Deutsches Historisches Institut Warschau; Gießener
Zentrum Östliches Europa; Herder-Institut Marburg; Historisches
Institut der Nikolaus-Kopernikus-Universität Thorn
Datum, Ort: 27.05.2011-29.05.2011,
Deutsches Historisches Institut,Warschau
Bericht von:
Christin Behrendt, Universität Potsdam
E-Mail: <christin.behrendt@web.de>
Deutsch-polnische
Wissenschaftskulturen zählen zu den intensivsten Kontakten zwischen
Institutionen und Gesellschaften in Europa überhaupt. Die Komplexität
und Wechselwirkungen der benachbarten Länder sowohl in den Geistes- als
auch in den Natur- und Lebenswissenschaften aufzuzeigen, neue Chancen
und Tendenzen aufzugreifen und zu diskutieren war der Anspruch der von
der Societas Jablonoviana, dem Deutschen Historischen Institut Warschau
(DHIW), dem Gießener Zentrum Östliches Europa (GiZo), dem
Herder-Institut Marburg (HI) und dem Historischen Institut der
Nikolaus-Kopernikus-Universität Thorn (UMK) organisierten Tagung.
Zugleich stellte diese wissenschaftliche Zusammenkunft eine Premiere für
die Societas Jabloviana dar, denn mit dem Tagungsort Warschau fand das
Jahrestreffen der Gesellschaft zum ersten Mal in Polen statt.
In sechs thematisch
unterschiedlichen Sektionen erörterten Referenten, Kommentatoren und
Diskutanten ihre Vorstellungen zu den Themen Transnationalität und
wissensbasierte Beziehungen.
Den Auftakt des ersten
Panels, das sich mit unterschiedlichen Wissenskulturen in der Aufklärung
auseinandersetzte, bildete der Beitrag von STANIS£AW ROSZAK (Thorn),
welcher hervorhob, dass es kein gesamteuropäisches Phänomen Aufklärung
gegeben habe, sondern stets landesspezifische Formen dieser Strömung
aufgetreten seien. Zudem wies Roszak daraufhin, dass mit dem aufgeklärten
Zeitalter ein neues Bewusstsein für und ein neues Streben nach
Wissenschaft einhergegangen sei. Allerdings sei das wissenschaftliche
Netzwerk in Sachsen und anderen deutschen Ländern weitaus besser
gespannt gewesen als beispielsweise in Polen.
EWA TOMICKA-KRUMREY
(Leipzig) konstatierte in ihrem folgenden Beitrag, dass dies auch
Aleksander Jab³onowski erkennen musste. Es sei der Hauptgrund gewesen,
weshalb Jab³onowski nach einigen gescheiterten Versuchen in Warschau
und Danzig erst 1774 in Leipzig seine Vorstellung einer fächerübergreifenden,
akademischen Institution, in der sich wissenschaftliche
Einzeldisziplinen gegenseitig befruchten, mit der Gründung der Societas
Jablonoviana in die Realität umsetzten konnte.
MICHAEL G. MÜLLER
(Halle/Saale) stellte in seinem anschließenden Kommentar drei
wesentliche Merkmale für die Wissenschaftslandschaft des 18.
Jahrhunderts heraus. Zum einen sei die Unterrepräsentanz des Mäzenentums
in einzelnen Ländern kennzeichnend, zum anderen sei das 18. Jahrhundert
durch die Entwicklung des Akademiegedankens bestimmt gewesen, mit der
auch der dritte Wesenszug, die Herausbildung des Universalgelehrtentums
als höchstes Streben einhergeht. Resümierend bleibe festzustellen,
dass den wissenschaftlichen Beziehungen Polens und Deutschlands aufgrund
unterschiedlicher Traditionen und historischer Ereignisse im 18.
Jahrhundert noch Grenzen gesetzt waren. Das Bewusstsein für eine
deutsch-polnische Zusammenarbeit bildete sich allerdings, wie ein Blick
auf Einzelbiografien bestätigte, in dieser Zeit immer stärker heraus.
Die vergleichende
Linguistik stand im Mittelpunkt der zweiten Sequenz. Der Fokus lag in
den drei folgenden Redebeiträgen auf der Sprache als sinnstiftendes und
nationsbildendes Element. ALICJA NAGÓRKO (Berlin) widmete ihren Vortrag
dem Slawisten Aleksander Brückner, der 44 Jahre in Berlin lehrte. Sein
Einfluss auf die Herausbildung der Slawistik als eigenständiger
Wissenschaftszweig sei enorm gewesen, dennoch sei es ihm während seiner
Berliner Zeit nicht gelungen, so Nagórko, nennenswerte Doktoranden
hervorzubringen. Die Diskussion um die Einordnung des Kaschubischen
innerhalb der Linguistik versuchte THOMAS MENZER (Oldenburg) zu
erhellen. Die Frage, ob es sich beim Kaschubischen um einen Sozio- oder
Dialekt des Polnischen handle, stand im Zentrum seiner Ausführungen.
Das Kaschubische könne, stellte Menzer abschließend heraus, als
Mikroliteratursprache begriffen werden, die verschiedene Einflüsse in
sich aufnehme.
Ideologisch motivierte
Ortsnamenskonflikte in Deutschland und Polen stellte GERO LIETZ
(Frankfurt/Oder) anhand ausgewählter Beispiele anschaulich dar. Im
Beitrag und in der anschließenden Diskussion versuchte man sich dem
Problem der Erinnerungs- und Wissenskultur zu nähern, dem sich Bewohner
umbenannter Wohnorte ausgesetzt sehen.
Mit der öffentlichen
Verleihung der Ehrenmedaille der Jab³onowski-Gesellschaft, die alle
zwei Jahre an Wissenschaftler aus Polen oder Deutschland verliehen wird,
endete der erste Veranstaltungstag. Piotr Buras, gebürtiger Warschauer
und Politologe, erhielt den mit 1.500 Euro dotierten Preis für seine
journalistische Arbeit zur deutschen Kultur in den polnischen und
deutschen Medien. Die sehr persönliche Laudatio hielt Jerzy Holzer
(Polnische Akademie der Wissenschaften).
Ein weiteres Kernthema
der Konferenz, die wechselseitige Beeinflussung innerhalb der
Naturwissenschaften, wurde in der von Miros³aw Stasik (Niedernhausen)
moderierten Sektion III am nächsten Tag besprochen.
JUSTYNA TURKOWSKA
(Marburg) führte am Beispiel der Provinz Posen aus, wie das Wissen um
und von Hygiene anschaulich für das Publikum im 19. Jahrhundert
transportiert wurde. Medizinische Vortragsreihen und museale Leihgaben
aus Dresden hätten, so Turkowska, entscheidend zur Inszenierung und
Popularisierung der Ausstellungen beigetragen.
Mit dem translokalen
Wissensaustausch in der Mikrobiologie im ausgehenden 19. Jahrhundert
befasste sich KATHARINA KREUDER-SONNEN (Gießen) in ihrem Vortrag. Die
Biografie Odo Bujwids diente exemplarisch zum Aufzeigen der Grenzen, die
den polnischen Naturwissenschaftlern in Labor- und Materialausstattung
gegenüber etwa deutschen und französischen gesetzt waren. In dem sehr
anschaulichen Vortrag sprach die Referentin unter anderem darüber, dass
Bujwid in der Manteltasche Bakterien von Berlin nach Warschau überführte,
um trotz eines fehlenden Reiselabors gutes Untersuchungsmaterial zur
weiteren Forschung zu sichern.
DANIEL SCHÜMANN
(Bamberg) wies in seinem Referat darauf hin, dass die Auseinandersetzung
mit den Theorien Darwins in Polen sehr früh und breit angelegt war.
Dies führte zu einem regelrechten „Wettkampf“ einer
polnischen Darwin-Rezeption die vom Streben um internationales Renommee
bestimmt war. Der europäische Euthanasiediskurs in der
Zwischenkriegszeit wurde im folgenden Beitrag von KAMILA UZARCZYK
(Warschau) thematisiert. Interessant sei in diesem Zusammenhang vor
allem ein Blick auf die aktuellen Debatten in anderen europäischen Ländern.
KATRIN STEFFEN (Lüneburg)
stellte heraus, dass der Serologe Hirszfeld bereits in den Jahren ab
1920 aktives wissenschaftliches „Networking“ betrieb und ein
internationaler Austausch für ihn selbstverständlich war. Es liege auf
der Hand, dass in der Biologie und Medizin verschiedene
wissenschaftliche wechselseitige Beeinflussungen stattgefunden haben.
Die Grundvoraussetzungen, auf der die Forschung in den einzelnen Ländern
fußte, waren allerdings sehr unterschiedlich, so Hans-Jürgen Bömelburg
(Gießen) in seinem abschließenden Kommentar.
Den Auftakt des nächsten
Panels, das sich mit der Wissenschaft vom „Volk“
auseinandersetzte, bildete KARIN REICHENBACHs (Leipzig) Referat. Im
Mittelpunkt ihrer Ausführungen stand die Nationalisierung archäologischer
Funde im polnisch-deutschen Grenzgebiet. Jede Nation nahm im 19.
Jahrhundert an, dass Bodenfunde als Zeugnisse der jeweils eigenen
Kulturgeschichte ausgelegt und interpretiert werden können. Die
„Siedlungsarchäologische Methode“ des Prähistorikers
Kossina stand im Zentrum von Reichenbachs Überlegungen. Kritik und Dafürhalten
der Theorie wurden untersucht, um noch einmal die These zu belegen, dass
die Ansichten Kossinas überholt seien. MACIEJ GÓRNY (Warschau) verwies
in seinem Referat darauf, dass die Vorstellung von einer Differenzierung
in „wertvolle“ und „nicht-wertvolle“ Menschen
nicht nur im Deutschland der (Vor-)Kriegszeit existierte, sondern dass
auch in Polen – besonders in den Naturwissenschaften –
Forschungen auf dem Gebiet der Rassenkunde geleistet wurden. Diese
dienten, so Górny, nicht immer dem rein wissenschaftlichen
Erkenntniszuwachs. Anschließend stellte RUTH LEISEROWITZ (Warschau) ihr
aktuelles Forschungsprojekt zur Verortung von Warschauer
Wissenschaftlern im 19. Jahrhundert vor. Sie erläuterte ihre Methodik
und sprach über erste Teilergebnisse ihrer Untersuchungen. Dabei
lieferte sie Ansätze einer Kollektivbiografie für Warschauer
Studenten, die nach einem Auslandsstudium wieder in die polnische
Hauptstadt zurückkehrten und vielfach aktuelle Forschungserkenntnisse
aufgriffen. Weiterhin schlossen die Hochschüler, so Leiserowitz, länger
fortdauernde wichtige Auslandskontakte.
Mit den Wissenschaften
von Staat und Gesellschaft setzten sich die Vorträge unterschiedlicher
Disziplinen in der V. Sektion auseinander. CHRISTIAN LOTZ (Marburg)
stellte in seinem Referat die unterschiedlichen Entwicklungen in der
Forstwissenschaft in den Ländern Ostmitteleleuropas vor. Die Erfassung
der Ressource Holz innerhalb der Länder wurde dabei ebenso berücksichtigt
wie die verschiedenen Möglichkeiten des Transports.
Eine rechtshistorische Erörterung
bot CLAUDIA KRAFT (Erfurt) in ihrem Vortrag. Sie ging der Frage nach,
wie sich in Polen in der Zwischenkriegszeit ein eigenes nationales
Strafrecht entwickelte. Claudia Kraft hielt fest, dass eine (nationale)
Rechtsfindung immer auch eine Vermittlung zwischen der einzelnen
nationalen partikularistischen und einer internationalen universellen
(Welt-)Strafrechtskultur darstellen würde.
MARTA BUCHOLC
(Warschau/Wien) leitete mit ihrem Vortrag in das Gebiet der Soziologie
über. Sie konstatierte bedauernd, dass Max Weber in Polen aufgrund
mangelnder oder unvollständiger Übersetzungen weder zu Lebzeiten des
Ökonomen noch in der heutigen Wissenschaft rezipiert wurde. Peter
Haslinger (Marburg) resümierte im Kommentar, dass die wissenschaftliche
Wirkung in Diskursräumen immer auch eine Frage der gesellschaftlichen
und politischen Relevanz sei.
Abgerundet wurde die
Konferenz durch die letzte Sektion, die sich in Beispielen aus
Geschichte und Kunstgeschichte mit dem Aufbau und Untergang akademischer
Netzwerke beschäftigte.
JOLANTA KOLBUSZEWSKA (£ód¼)
ging in ihrem Referat der Frage nach der Rolle der Medien bei der
Inszenierung von bewusster Geschichtspolitik nach. Sie sprach über die
Veränderung des historischen Bewusstseins innerhalb der Länder und
Disziplinen während der kommunistischen Regierungszeit, wobei sie die
bewusste Inszenierung des 2. Weltkrieges seitens der Regierungen als
Beispiel anführte.
MILO© ØEZNIK (Chemnitz)
hob in seinem Beitrag die tschechische und polnische Nationsbildung im
Unterschied zur deutschen als Voraussetzung für eine
Nationalismusforschung hervor. Der Blick auf Tschechien in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts erweise sich zudem als äußerst fruchtbar, da die
Entwicklungen anders als in Polen verlaufen seien. Er wies daraufhin,
dass die unterschiedlichen Grundvoraussetzungen und Traditionen einer
historischen Nationalforschung eine komparatistische Arbeitsweise
erschweren würden. Die Entstehung und das Wirken des Arbeitskreises
deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger legte MA£GORZATA
OMILANOWSKA (Danzig/Warschau) als Mitglied selbigen Vereins sehr
anschaulich dar. JAN RYDEL (Krakau) setzte sich in seinem Beitrag einmal
mehr mit dem Aufbau eines internationalen Forschungsnetzwerkes
auseinander. Es könne nur realisiert werden, wenn ein Umdenken in
Hinblick auf Transport und Vermittlung von Wissen stattfände.
TV-Dokumentationen à la Guido Knopp müssten stärker in die Überlegungen
miteinbezogen werden, was durchaus streitbar scheint. Als besonders
gelungenes Beispiel einer seit 1972 hervorragend funktionierenden
Institution deutsch-polnischen Wissenschaftstransfers wurde in diesem
Zusammenhang auf die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission hingewiesen.
Die Diskutanten der gut
besuchten Podiumsdiskussion unter der Leitung von HENRYK SAMSONOWICZ
(Warschau), MICHAEL G. MÜLLER (Halle/Saale), IWONA DADEJ
(Berlin/Warschau) und PETER HASLINGER (Marburg) kamen zu dem Schluss,
dass sich vor allem junge Wissenschaftler immer stärker der Frage nach
transnationalen Aspekten in ihrer Arbeit stellen müssten. Wichtig
erschien es den Anwesenden noch einmal herauszustellen, dass die
polnisch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen weiter intensiviert werden müssten,
um in der Zukunft eine internationale Perspektive einnehmen zu können.
Iwona Dadej (Berlin/Warschau) ließ mit der Vorstellung ihres
feministischen Geschichtszirkels zudem das Thema Gender in die
fruchtbare Diskussion mit einfließen.
Summa summarum hat sich
in vielen wissenschaftlichen Bereichen die Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Polen bereits seit langem etabliert. Bildungs- und
Forschungstransfer müssten dennoch aktiver betrieben werden, um eine
gute Ausgangslage auch für die Kooperation mit anderen europäischen Ländern
zu schaffen. Die Tagung bot viel Raum für den wissenschaftlichen
Austausch innerhalb verschiedener Disziplinen.
Bedauerlicherweise wurden
die in der Ankündigung beworbenen „Lebenswissenschaften“
nur am Rande behandelt und auch eine spannende Diskussion über die
Medien und deren Einfluss auf das Geschichtsverständnis der einzelnen Länder
wären wünschenswerte Themen für eine Anschlussveranstaltung.
veröffentlich am
21.11.2011auf H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3898)