Stadtberndeutsch Sprachschichten einst und jetzt

Beat Siebenhaar


Wie verwenden die Sprecher die bekannten soziolektalen Merkmale?

Um zu zeigen, wie stark diese Elemente die sozialen Gruppen auch in der Sprachverwendung noch unterscheiden, wurden sie ausgezählt. Die folgende Tabelle zeigt in der ersten Zeile die Gegenüberstellung der oberschichtigen Variante auf der linken Seite des /, auf der rechten Seite steht die unterschichtige Variante. Anschließend wird die Verwendung der beiden Varianten durch die einzelnen Sprecher dargestellt, wonach der Prozentsatz unterschichtiger Formen folgt; bei kurzen Interviews oder wenigen Gesprächsbeiträgen ist diese Zahl natürlich vorsichtig zu interpretieren. Aufgeführt ist in den ersten zwei Spalten die Vokalisierung des l, und zwar zuerst als Doppelvokal in 'Keller, Ball' u.ä. und dann als einfacher Vokal in 'alt, Vogel, Stuhl' u.ä. Anschließend wird die Velarisierung von -nd gezeigt also Hund gegenüber Hung 'Hund'. Die dritte Spalte zeigt die Verwendung der Endung -ung und -ig, dann folgt die Verwendung der Langformen, bzw. Kurzformen der Verben 'gehen, stehen, lassen, nehmen, können', die letzte Spalte stellt das volle und dem verkürzten u gegenüber. Nicht enthalten in diesen Listen sind Beispiele und Zitate anderer Sprechweisen, wenn beispielsweise Rudolf von Fischer die Schnabu-Geschichte erzählt oder Antoinette Küenzi vom Chirchefäld-Äll spricht.

Sprecher/Sprecherin

ll/uu

% uu

l/u

% u

nd/ng

% ng

ung/ig

% ig

lV/kV

% kV

und/u

% u

Paul Schenk

3/0

0

6/0

0

1/0

0

 

 

 

 

3/0

0

Adele von Tavel

1/0

0

11/0

0

2/0

0

 

 

 

 

15/0

0

J. Harald Wäber

17/0

0

62/0

0

11/0

0

2/0

0

 

 

43/0

0

Rudolf von Fischer

27/0

0

92/0

0

24/0

0

6/2

25

3/0

0

126/5

4

René Pignolo

13/0

0

58/0

0

0/0

0

3/8

73

 

 

51/0

0

Roland Ris

6/0

0

23/3

12

3/0

0

0/5

100

0/1

100

14/2

13

Michael von Graffenried

10/0

0

61/15

20

6/5

45

0/9

100

0/2

100

84/4

5

Ruedi Krebs

1/24

96

22/60

73

9/16

64

0/11

100

0/3

100

8/45

85

Christine Wirz

1/15

94

13/44

77

3/2

60

0/4

100

1/1

50

9/9

50

Andi Hug

4/22

85

7/69

91

16/7

72

0/8

100

0/3

100

20/31

61

Antoinette Küenzi

0/3

100

3/29

91

0/6

100

0/3

100

 

 

4/20

84

Fredi Küenzi

0/4

100

3/43

93

0/3

100

0/1

100

 

 

7/6

46

Roger Fridelance

2/20

91

3/68

96

5/39

88

0/6

100

0/4

100

4/76

95

Die Tabelle zeigt deutlich, dass ein Unterschied zwischen den Sprechern besteht: Die ersten drei Sprecher zeigen keine unterschichtigen Formen, bei Rudolf von Fischer finden sich vereinzelt bei -ig und bei und Formen, die nicht dem tradierten burgerlichen Stadtberndeutsch entsprechen. Eine Sonderstellung nimmt René Pignolo ein: Er übernimmt als Sprecher französischer Muttersprache nur die gemeinschweizerdeutsche Form -ig. Die übrigen Belege zeigen immer die oberschichtige Form. Dies ist jedoch weniger als Adaptation der oberschichtigen Variante zu verstehen, sondern vielmehr als die schriftsprachnähere Form, die sich mit der Oberschichtsvariante deckt. Bei der Vokalisierung des l kann jedoch die Haltung der Oberschicht einen Einfluss haben, denn auch René Pignolo wertet die Vokalisierung als unfein. Eine Zwischenposition nehmen der aus dem Seeland stammende Sprachwissenschaftler Roland Ris und der aus patrizischem Geschlecht stammende, aber nicht sprachbewusste Fotograf Michael von Graffenried ein, wobei Roland Ris bei der stark markierten Velarisierung von -nd keine unterschichtigen Formen aufweist. Die übrigen Sprecher zeigen dann wieder eine relative Einheitlichkeit bei teilweise schwacher Beleglage, wobei anzumerken ist, dass außer beim gemeinschweizerdeutschen -ig und bei den Sprechern mit wenigen Belegen immer eine Variabilität zwischen als oberschichtig und unterschichtig bezeichneten Merkmalen vorliegt.

Die übrigen oben erwähnten Merkmale lassen sich, weil sie selten oder schwierig auszuzählen sind, nicht in einer Tabelle darstellen. Nicht berücksichtigt sind lexikalische Aspekte. Keine Person verwendet die noch von Heinrich Baumgartner (1940) erwähnten Unterschichtsformen ache, uche, iche für 'hinunter, hinauf, hinein', während sie bei allen Gruppen als abe, ufe, ine vorkommen. Nicht mit anderen Faktoren korreliert auch die Verwendung von ging und gäng, geng: J. Harald Wäber und Roger Fridelance brauchen ging, alle übrigen geng. Rudolf von Fischer verwendet einmal erwartungsgemäß das burgerliche tief, während andere Belege nicht vorliegen. Rudolf von Fischer zeigt füüf, aber dieses findet sich auch bei Antoinette Küenzi. Das Halszäpfchen-r verwendet einzig Adele von Tavel. Roger Fridelance zeigt die als unterschichtig gekennzeichnete Diphthongierung beim n-Schwund vor Reibelaut, er verwendet töikt 'dünkt', aber auch Fänschter. Die Geheimsprache des Mattenenglischen wird nur als Demonstrationsmundart von den Mättelern verwendet, zudem findet es sich in wenigen Zitaten bei Rudolf von Fischer, der zwar einzelne Elemente davon kennt, es aber selbst nicht spricht. Die Auflistung lässt also den Schluss zu, dass burgerliche Sprecher eine einheitlichere Sprache verwenden als die übrigen Sprecher. Diese Einheitlichkeit der Mundart mit dem bewussten Verzicht auf die Möglichkeiten der Varianz wird als gepflegte Sprache gekennzeichnet.