Stadtberndeutsch Sprachschichten einst und jetzt

Beat Siebenhaar


Mattenenglisch und Mattenberndeutsch

Eine Sonderstellung innerhalb der Berner Varietäten nimmt die Sonder- und Geheimsprache Mattenenglisch ein. Seinen Name hat es weniger aus dem Englischen als vielmehr aus einem Teil des Mattenquartiers, der Mattenenge. Die Matte ist das älteste Berner Industriequartier und war lange das Wohnquartier der städtischen Unterschicht. Diese Unterschicht verwendet in ihrem normalen Sprachgebrauch eine Menge Wörter, die von der Oberschicht als derb abgelehnt wird: In den Aufnahmen finden sich hocke, gheie und Schnure für sitze, falle und Muul. Neben mehr oder weniger sesshaften Handwerkern wohnten damals in der Matte auch Flößer und Schiffer, die mit ihren Ladungen die Aare und den Rhein hinunter bis nach Holland zogen, um ihre Ware und Schiffe zu verkaufen. Diese Reisenden brachten Wörter aus dem Rotwelschen und dem Jargon einer internationale Gaunersprache in das Mattenquartier, wo sich damit eine Quartiersprache entwickelte, die Außenstehenden oft unverständlich war, und es manchmal auch sein sollte. Im Interview erscheinen aus dieser Sprachschicht Giu, iu, Leem 'Knabe, ja, Brot'. Zudem ist diese Mundart offen gegenüber deutschen Slangausdrücken, die sich auch in anderen Schweizer und deutschen Gassensprachen finden.

Vor allem aber zeigt sich eine Vielzahl von Ableitungen und Verkürzungen berndeutscher Wörter, die sich im gepflegten burgerlichen Berndeutschen nicht finden. Fast jedes Substantiv kann mit verschiedenen Suffixen verändert werden. Häufig ist für Substantive eine Ableitung auf -el, die mit der unterschichtigen Vokalisierung zu -u wird, dazu kommt vielfach noch ein Umlaut. So wird aus Roote 'Rotwein' Röötel, mit Vokalisierung Röötu, aus Matte wird Mättu. Schöggu steht für Schokolade. Personenbezeichnungen werden häufig mit -ler und -eler gebildet, Pöschteler findet sich im Interview für den 'Postbeamten' oder Hundertzwänzgkilööler für den 120 Kilogramm schweren Polizisten. Feminina werden mit -ere gebildet, das auch häufig den zweiten Teil von Ortsbezeichnungen ersetzt. Aus der Badgasse wird die Baaggere. Ableitungen finden sich auch häufig bei Verben: aus schlaa 'schlagen' wird schlagerle, aus schutte 'Fußball spielen' wird schuttere. Zudem zeigt das Berndeutsche der Matte weitere Ableitungssilben wie -äng, Stibäng für Stadt, oder -sche, Gääbsche für Uufgabe, 'Aufgaben', wobei auch gleich noch die Vorsilbe weggelassen wird.

Wenn dieses für die Mätteler 'normale' Berndeutsch dann noch weiter verfremdet werden sollte, damit die Obrigkeit, sei es der Polizist oder Lehrer, es nicht versteht, so wurde das Ganze – wie in vielen anderen Geheimsprachen auch – durch Wortverdrehung und Lautveränderungen unkenntlich gemacht. Dabei gelten die folgenden Regeln: Fängt ein Wort mit einem oder mehreren Konsonanten an, so werden diese weggelassen und an den Schluss des Wortes gehängt. Der nun anlautende Vokal wird zu einem Ii oder i und am Schluss des Wortes wird ee angehängt. Aus bubensprachlichem Leist 'Lehrer' wird mattenenglisch Iist-lee, aus Hung 'Hund' wird Ing-hee. Aus Chatze 'Katzen' wird Iitzechee, aus mattenberndeutschem Baaggere für 'Badgasse' wird mattenenglisch Iiggere-bee. Pro- und enklitische Pronomen bleiben beim Wort, aus berndeutschem weimer 'wollen wir' wird iimer-wee. Diese I-E-Sprache konnte auch umgedreht als E-I-Sprache verwendet werden.