Stadtberndeutsch Sprachschichten einst und jetzt

Beat Siebenhaar


Stadtberndeutsch

Die Mundart, die in der Stadt Bern gesprochen wird, ist eine ganz besondere, und viele Berner sind sich dessen auch schon seit langem bewusst. In der Stadt Bern wird nämlich nicht nur Berndeutsch gesprochen, sondern es gibt einige unterschiedliche Berner Mundarten: Patrizierberndeutsch, Burgerberndeutsch oder Stadtberndeutsch, Mattenberndeutsch sowie das Mattenenglische. Mit dieser Aufzählung, die Bernern keineswegs fremd ist, wird die Differenzierung unterschiedlicher sozialer Varietäten ausgedrückt. Stadtberndeutsch zeigt also schon lange verschiedene Sprachschichten, wie man sie in dieser Ausprägung in der Schweiz nur in wenigen Städten findet. Zu diesen genuinen Stadtberner Varianten kommt noch das Berndeutsche der Zuzüger hinzu, die sich zum Teil sprachlich assimiliert haben, die zum Teil einzelne Elemente und Eigenarten ihrer ursprünglichen Mundarten beibehalten oder sogar die Mundart ihrer früheren Heimat bewahrt haben.

Grundsätzliche Unterschiede in der Sprache von Oberschicht und Unterschicht in den Städten wurden schon im 19. Jh. festgestellt. In den deutschen Städten liegt der Unterschied vor allem darin, dass die Oberschicht eine Varietät verwendet, die stark der Schriftsprache angenähert ist und nur wenige dialektale Eigenheiten bewahrt, während die Unterschicht eine Varietät spricht, die mehr Elemente der ländlichen Mundart enthält. Für die Situation in der Schweiz hat man sich damals in der wissenschaftlichen Diskussion auf die Verhältnisse in Deutschland berufen, doch liegt hier aber schon im 18. Jahrhundert eine andere Situation vor, denn sowohl Oberschicht als auch Unterschicht verwenden die Mundart. Die soziolinguistischen Unterschiede liegen also in der Mundart selbst; sie zeigen sich in den verschiedenen Ausprägungen der Mundart.

In Bern sind die Unterschiede der verschiedenen Sprachschichten schon früh bekannt gewesen, diskutiert worden und dann auch ins Interesse der Forschung gerückt. Nach Otto von Greyerz (1914, 44f.) hat sie vor allem Heinrich Baumgartner 1940 in zwei viel beachteten Aufsätzen dokumentiert. Die sprachlichen Varietäten wurden und werden teilweise noch heute bewusst gepflegt, was auch die vorliegende Sammlung dokumentiert. Das allgemeine Bewusstsein über unterschiedliche Sprachschichten der Stadtmundart unterscheidet die Situation in Bern und den umliegenden Berner Kleinstädten (und Basel) von der Situation der meisten anderen Schweizer Städte. In Zürich beispielsweise sind den Sprechern solche Unterschiede kaum bekannt, und sie sind auch bisher wissenschaftlich nicht dokumentiert.

Obwohl also die sprachliche Vielfalt in der Stadt Bern schon länger bekannt ist und gepflegt wurde, so hat sie sich im Laufe der Zeit verändert. Einerseits sind einzelne Kennwörter von den Sprechern bewusst vermieden worden, um sich nicht zu exponieren. Diese Wörter sind dann in Vergessenheit geraten und verschwunden. Andererseits wurden Wörter, die ursprünglich von einer bestimmten Schicht verwendet wurden, auch von weiteren Schichten aufgenommen, wie z.B. das bestätigende iu 'ja' des Mattenenglischen, das heute sehr weit verbreitet ist. Doch nicht nur einzelne Wörter haben ihren Status geändert, sondern einzelne Varietäten sind fast ganz geschwunden. Zudem hat sich das Verhältnis der einzelnen Sprachschichten zueinander immer wieder geändert, was teilweise rein sprachlicher Natur ist, in ganz wesentlichen Teilen aber im Selbstverständnis der Sprecherinnen und Sprecher zueinander bedingt ist. Im Folgenden soll deshalb versucht werden, die Veränderung der einzelnen Sprachschichten zueinander zu beschreiben und die vorliegenden Tondokumente einzuordnen.