Stadtberndeutsch Sprachschichten einst und jetzt

Beat Siebenhaar


Sprachporträts - Die Auswahl der Sprecher

Das Projekt will einen Einblick in die sprachlichen Varietäten der Berner Stadtsprache geben. Deshalb wurden einige 'typische' Sprecher ausgewählt, die ihre Sprache und ihre Sicht vom Berndeutschen präsentieren. Die Auswahl ist aber keinesfalls repräsentativ, denn Sprache ist immer im Wandel und bestimmte Ausprägungen können sich durchsetzen, während andere verschwinden. Mit dieser Sammlung wollen wir einen Einblick in das Sprachleben der Stadt Bern geben und besonders zwei der bedrohten Varietäten, das burgerliche Berndeutsch und das Mattenenglische, dokumentieren. Das unmarkierte Berndeutsch ist dem entsprechend in der Sammlung unterrepräsentiert.

Das burgerliche Berndeutsch steht im Zentrum der ersten CD. Es ist mit der historischen Aufnahme von Adele von Tavel und zwei Neuaufnahmen mit dem Altburgerratspräsident Rudolf von Fischer und mit dem Direktor der Burgerbibliothek J. Harald Wäber vertreten. Diese Varietät hat auch ihren literarischen Niederschlag in den Werken Rudolf von Tavels gefunden, von dem zwei Texte gelesen werden. Da diese Varietät heute für viele an Attraktivität verloren hat und in dieser ausgeprägten Weise vermutlich immer mehr marginalisiert wird, ist sie hier nochmals festgehalten. Obwohl der Großteil der Berner Burgerschaft auch heute noch sehr sprachbewusst ist, so gehen doch immer wieder einzelne Elemente des älteren burgerlichen Berndeutschen verloren. Wie dieses im Extremfall abgeschwächt werden kann, dafür kann die Aufnahme mit Michael von Graffenried stehen, der aus einer patrizischen Familie stammt, die sprachliche Bindung aber weitgehend aufgegeben hat.

Der Niedergang trifft am andere Ende des soziolinguistischen Spektrums sogar noch mehr das Mattenenglische. Das Berner Mattenenglisch, der Jargon des Mattenquartiers, wird nicht mehr verwendet, seit die Matte nicht mehr Unterschichtsquartier ist. Die Pflege der quartierbezogenen Geheimsprache im Mattenenglischklub hat nunmehr wenig mit einer lebendigen Realität zu tun. Mit dem Gespräch zwischen Roger Fridelance, Antoinette und Alfred Küenzi demonstrieren Vertreter der letzten Generation, die das Mattenenglische noch in den Straßen der Matte gelernt haben, wie die Geheimsprache neben einem für sie unmarkierten Berndeutsch der Matte verwendet wurde.

Als Gegenpol zu diesen heute exotischen oder markierten Varianten stellt die Aufnahme mit dem Lehrer und Liedermacher Ruedi Krebs ein für viele 'normales' städtisches Berndeutsch dar. Das Interview mit Andi Hug zeigt einige Einblicke in die Sprache der alternativen Szene Berns, die neben genuin berndeutschen Mundartelementen Elemente einer gesamtschweizerdeutschen und teilweise gesamtdeutschen Szenesprache enthält. Dabei muss aber klar sein, dass in der formalen Interviewsituation nicht eine Gruppen- oder Szenensprache gesprochen wird, sondern nur einige Aspekte thematisiert werden und sprachlich anklingen. Das Gespräch mit René Pignolo zeigt eine Varietät der in Bern etablierten Romands, die Berndeutsch auf einer welschen Grundlage sprechen.

Neben diesen Vertretern der Stadtmundart kommen auch die Interviewer zu Wort: Der betont burgerliches Berndeutsch sprechende Paul Schenk, der selbst nicht burgerlicher Herkunft ist, im historischen Interview, der Seeländer Roland Ris und die Städterin Christine Wirz.

Diese Zusammenstellung bringt deutlich zum Ausdruck, dass vieles fehlt, was in der Stadt Bern gehört werden kann und die Gesamtheit des Berndeutschen ausmacht: Porträts von Tramfahrern, Zweitgeneration-Italienern, Bundesbeamtinnen, Schülern, Marktfahrern, eingewanderten Emmentalern oder Oberländern, Junkies, Banquiers, dem Mann und der Frau von der Straße...

Die vorliegenden Daten sind alle in der selben Situation, einem Interview, erhoben worden. Vieles was eine individuelle oder soziale Varietät ausmacht, wird jedoch nur in bestimmten Situationen realisiert, im Gespräch mit Arbeitskollegen, in der Familie, in der Bar. All diese Bereiche können mit den vorliegenden Aufnahmen nicht abgedeckt werden. Die Publikation ist aber dadurch gerechtfertigt, dass schon diese Interviews, diese Sprachporträts einen vertieften Einblick in das Stadtberndeutsche geben.