Die Beschäftigung mit der deutschen Kolonialherrschaft und dem europäischen Kolonialismus hat in Deutschland stark an Fahrt aufgenommen. Nach einer ersten Beschäftigung mit der Kolonialgeschichte in den DDR-Geschichtswissenschaften und etwas später in der Bundesrepublik arbeiten seit den späten 1990er Jahren Historiker:innen und andere Wissenschaftler:innen in vielfältiger Weise Aspekte der Kolonialzeit auf. Zugleich entstanden in zahlreichen deutschen Städten post- und dekoloniale Initiativen, die eine kritische Bildungsarbeit leisten und vielfältige Manifestationen des Kolonialen im Lokalen aufzeigen.
Diese Entwicklung hat auch den Freistaat Sachsen erfasst. Institutionen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft setzen sich hier mit der (deutschen) Kolonialgeschichte, dem europäischen Kolonialismus und deren Folgen bis in die Gegenwart auseinander. Dazu zählen beispielsweise Museen wie die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen, postkoloniale Initiativen wie Decolonize Dresden und Leipzig Postkolonial oder Wissenschaftler:innen u.a. an den Universitäten in Chemnitz, Dresden und Leipzig.
Trotz des Engagements dieser Akteur:innen lassen sich in der kritischen Aufarbeitung der Kolonialgeschichte in Sachsen Blindstellen erkennen. Auf inhaltlicher Ebene zeigt sich relativ deutlich, dass zivilgesellschaftliche Initiativen und Wissenschaftler:innen den Blick bisher hauptsächlich auf Manifestation des Kolonialen in den großen sächsischen Städten gerichtet haben. Über die Einbindung der mittleren und kleineren Städte sowie des ländlichen Raums in den europäischen Kolonialismus ist noch wenig bekannt. Demgegenüber ist die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit in der DDR und deren spezifische Erinnerungspolitik in Teilen bereits erforscht; diese Forschungen stehen allerdings häufig noch unverbunden neben anderen Formen der postkolonialen Aufarbeitung. Dieses Nebeneinander verschiedener Forschungs- und Aufarbeitungsinteressen zeigt sich noch deutlicher auf organisatorischer Ebene. Zwar sind die einzelnen an der Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte interessierten Akteure zumindest innerhalb der einzelnen Städte mehr oder weniger lose miteinander bekannt und verbunden. Für den Freistaat lässt sich dies allerdings schwerlich behaupten.
Vor diesem Hintergrund haben wir Akteur:innen, die sich in unterschiedlicher Weise mit (post)kolonialen Bezügen in Sachsen beschäftigen zu einem Vernetzungsworkshop am 23./24. Juni 2022 nach Leipzig eingeladen (zum Aufruf: hier online). Dieser Workshop diente als Auftakt, um einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Akteur:innen anzustoßen, Aktivitäten und Forschungsinteressen kennenzulernen und Synergien für eine verstetige Beschäftigung mit diesen Themen erzeugen. Einen Bericht und die zentralen Forderungen des Workshops finden sich ebenfalls auf dieser Webseite. Ein konkretes Anliegen zu einer besseren Übersicht über die verschiedenen Forschungseinrichtungen, Initiativen und Projekte in Sachsen wurde durch eine Liste auf dieser Webseite bereits umgesetzt.
Die Teilnehmer:innen des Vernetzungsworkshops haben sich grundlegend auf die Weiterführung der Vernetzung im Rahmen verschiedener Formate verständigt. Über anstehenden Veranstaltungen informieren wir auf dieser Webseite. Sollten Sie Interesse haben in den informellen Mailverteiler aufgenommen zu werden, melden Sie sich gerne bei uns.
Jürgen Dinkel und Mathias Hack