EU-Muffel am grünen Rand Europas?
Wie kommen ländlicher Raum, politische Peripherie und EU-Ablehnung zusammen? Das war die zentrale Frage der Auftaktveranstaltung des Jean Monnet Centre of Excellence (JMCoE).
Unter dem Titel „Doppelte Peripherie Europas? Ländliche Räume in Ostmitteleuropa“ gab das 2020 gegründete Jean-Monnet-Spitzenforschungszentrum am 3. Dezember 2020 erstmals Einblick in die eigene Forschungsarbeit. Projektkoordinatorin Professorin Dr. Astrid Lorenz führte durch das Programm der online durchgeführten Auftaktveranstaltung und erläuterte zu Beginn die Ausgangslage. Laut Lorenz zeichnen sich insbesondere die ländlichen Regionen Ostmitteleuropas durch eine Partizipationsschwäche und geringen EU-Enthusiasmus aus. Das interdisziplinär ausgerichtete Team des Spitzenforschungszentrums wird diesem Phänomen auf den Grund gehen. Das Zentrum zielt auf die Erforschung der Wahrnehmungen, der gelebten Praktiken und Potenziale von EU-Bürgerschaft im ländlichen Raum Ostmitteleuropas ab. Im Fokus stehen die Perspektiven und Erfahrungen junger Menschen.
Lorenz Einführung in die Arbeit des Zentrums wurde durch drei Referate ergänzt. Professor Dr. Ireneusz Pawel Karolewski, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Theorie und Demokratieforschung an der Universität Leipzig, Politologin Dr. Lisa H. Anders und Zeithistoriker PD Dr. Dietmar Müller skizzierten Leitfragen des Projekts während das Fachpublikum diese zeitgleich engagiert in einem Chat diskutierten. Karolewski sprach über die lange Tradition von Bürgerschaft, die sich nicht auf die Zugehörigkeit zu einem modernen Nationalstaat verengen ließe. Er plädierte für eine Erweiterung des Analyserahmens, um so auch Formen wie die Unionsbürgerschaft greifen zu können. Das Publikum tauschte sich parallel über die eigene Wahrnehmung der Bürgerschaft aus. Europäische Bürgerschaft wurde von den Diskussionsteilnehmenden maßgeblich unter dem Vorzeichen einer geteilten europäischen Identität thematisiert.
Anschließend widmete sich Müller in seinem Vortrag der Frage, inwiefern eine Partizipationsschwäche im ländlichen Raum Ostmitteleuropas durch historische Entwicklungen zu erklären sei. Durch die Langzeitanalyse des Agrarsektors und historischer Organisations- und Partizipationsformen lässt sich nach Müller die regionale Spezifik Ostmitteleuropa hervorheben. Das Publikum debattierte zeitgleich über die wirtschaftlichen, politischen und räumlichen Dimensionen von Peripherie. Dr. Lisa H. Anders rundete mit ihrem Beitrag über die bestehende Datenlage die Auftaktveranstaltung des JMCoE ab. Welchen Einfluss der Raum tatsächlich auf das Wahlverhalten bei den vergangenen Europawahlen gehabt habe, sei noch nicht ausreichend geklärt, so Anders. Weitere vergleichende Forschung sei nötig. Auf Nachfrage, welche Methoden zur Erforschung von Stadt-Land Unterschieden in der Wahrnehmung der Europäischen Union sinnvoll seien, sprach sich das Publikum klar für einen Mixed-Methods-Ansatz aus.
Die Veranstaltung endet mit einer anonymen Umfrage unter den Teilnehmenden. Sie wurden eingeladen ihr Wissen über bestehenden Partizipationskanäle der EU zu teilen, ihre persönliche Haltung zur EU einzuordnen und sich zu den Grundannahmen des Zentrums zu positionieren. Allgemein äußerten sich die Befragten sowohl zustimmend zu der Ausrichtung des Projekts als auch zu der Europäischen Union. Allerdings gaben immerhin 67 Prozent der befragten Teilnehmenden, dass sich ihr Bild der EU in den letzten Jahren gewandelt habe. Im Chat wurden in diesem Kontext der Umgang der EU mit der sogenannten Flüchtlingskrise und dem Brexit diskutiert. So endete die Auftaktveranstaltung, nicht jedoch die Auseinandersetzung mit der Thematik. Am 16. Dezember findet die nächste Veranstaltung der Reihe „EU-freundliche Städter – EU-feindliches Land?“ des Jean Monnet Centres statt. Es bleibt also spannend.