Die „Zivilgesellschaft“ – eine besondere Stimme im politischen Konzert

Published
June 29, 2021
Author
Katharina Wolf

Gastautorin Katharina Wolf ist Vorsitzende und Mitbegründerin des sächsischen Landesverbandes der Europa-Union Deutschland. Für ihr Engagement wurde sie mit dem Preis „Frau Europas 2019“ ausgezeichnet. In ihrem Beitrag für das Jean Monnet Centre of Excellence weist sie auf die Bedeutsamkeit zivilgesellschaftlichen Engagements – und die geteilte Verantwortung von Bürger*innen und Politiker*innen hin.

Wer oder was ist „die Zivilgesellschaft“?

Artikel 11 Abs. 2 EUV – „Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.“

In der DDR sozialisierte Menschen tragen die Erfahrung in sich, durch friedliche Demonstrationen einen ganzen Staat erst ins Wanken und dann zum Einsturz gebracht zu haben. Ähnliche Erfahrungen haben die Mitglieder und Anhänger der Solidarnosc einige Jahre zuvor in Polen gemacht. Diese starken Erinnerungen prägen das Selbstwertgefühl und setzen bis heute viel Energie und Durchhaltevermögen frei.

In der DDR sozialisierte Menschen sind von einem durch und durch politisierten Alltag geprägt, der das Kollektiv über das Individuum stellte und in dem das gegenseitige Misstrauen allgegenwärtig war. Verständlicherweise war in den ersten Jahren nach der Wende das Bedürfnis groß, alles Politische aus dem eigenen persönlichen Alltag zu verbannen. Im Gefühl, sich unsicher auf dem Boden der Demokratie zu bewegen, war man sehr froh, die Politik den Politikern und die Demokratie den Parteipolitikern nicht nur überlassen zu können, sondern auch einen Anspruch darauf zu haben, dass die Politiker es schon richten werden. Ich habe von enttäuschten Wählern immer wieder den Spruch gehört: „Aber ich habe sie doch gewählt, damit sie meine (!) Interessen wahrnehmen!“ Das Wesen der repräsentativen Demokratie, deren Repräsentanten bei ihren Entscheidungen ihrem (eigenen) Gewissen folgen und die ihre Entscheidungen im Interesse des Wohles des (gesamten) Volkes treffen, scheinen mir nicht vertieft verankert zu sein. Es entstand so ein Freiraum, in dem den gewählten Politikern die Rückkopplung mit den eigenen Wählern fehlte. Die Rückkopplung wurde nicht eingefordert, Angebote von Gewählten an die eigenen Wähler wurden nicht angenommen und versandeten mit der Zeit. 

Inzwischen nehme ich nun ein starkes Bedürfnis wahr, Fragen der Gesellschaft öffentlich diskutieren zu wollen. Man begreift sich also wieder als „zoon politicon“, als gesellschaftlich-politisches Wesen und will als solches gehört werden. Wie die Bürgerdialoge von Ministerpräsident Kretschmer landauf landab bestätigt haben, wächst erst jetzt langsam die Erkenntnis, dass Bürger und Politiker aufeinander zugehen müssen. Sie müssen und sie dürfen sich gegenseitig vertrauen, ja. Aber über das „richtig“ und das „falsch“ dürfen und müssen wir laufend im Gespräch bleiben.

Für mich ist dieses „im Gespräch bleiben“ ein Indiz dafür, dass jetzt langsam die Erkenntnis wächst, dass Politik und Parteipolitik unterschiedliche Dinge sind. Demokratie ist Politik aber kein parteipolitischer Selbstbedienungsladen. Bürgerinnen und Bürger bleiben für die von Politikern getroffenen Entscheidungen verantwortlich. Diese Verantwortung ermächtigt dazu, das Recht und die Pflicht zu haben, politische Entscheidungen zu hinterfragen.

Und hier setzt der pro-europäische Bürgerverein Europa-Union Deutschland EUD an. Seit 75 Jahren – also länger als das Grundgesetz alt ist – und seit 6 Jahren in Sachsen führt die Idee von einem friedlichen, föderal vereinten Europa die Menschen zusammen. Bei der EUD und ihrem Jugendverband Junge Europäische Föderalisten können sich Menschen politisch engagieren, ohne sich parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Sie begegnen Politikern verschiedener parteipolitischer Ausrichtung, sie können eigene Argumente in einem differenzierten Meinungsspektrum schärfen und diese auf Stichhaltigkeit testen. Sie können Verantwortung für ihr Umfeld und für ihre Zukunft übernehmen. Auch wenn es nur kleine Aktionen sind, so erfahren sich unsere Vereinsmitglieder als wichtige Mitgestalter im demokratischen Gemeinwesen. Wir bauen an einer generationenübergreifenden Aufgabe mit.

EUD und JEF ermöglichen neue Formen der gestaltenden Anteilnahme, die von Bürgern selbst und in spezifischen Strukturen organisiert sind und dem Dialog zwischen Staat, Politik und Bürger einen passenden Rahmen geben. Der Begriff „Mittlerorganisation“ beschreibt sehr gut, was ich meine.

Während Art. 11 Abs. 2 EUV der Zivilgesellschaft bereits einen verfassungsgleichen Rang einräumt und die Organe zum Dialog mit der Zivilgesellschaft verpflichtet, erhoffe ich mir, dass auch unser Grundgesetz eines Tages eine rechtliche Grundlage dafür schafft!

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