Über Restitution: „Die Brücke“

Endlich, möchte man ausrufen, dringt das Thema Restitution ins mediale Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit: Afrikanische Künstler, Kuratoren, Aktivisten, Wissenschaftler und Kultusminister fordern die ehemaligen Kolonialmächte auf, die in der Kolonialzeit geraubten Gegenstände zurückzugeben. Es sind hunderttausende Objekte, die in den europäischen Tempeln von den Priestern der Kunst und Kultur eifersüchtig gehortet werden.  Was alles von Missionaren, Eroberern, Forschern, Sammlern und Abenteurern der europäischen Expansion fast rauschhaft zusammengeraubt und -gerafft, gewinnbringend weiterverkauft oder zerstört worden ist, weiß niemand so genau. Selbst Kurator*innen und Wissenschaftler*innen wissen es nicht. Von über einer Million Objekten sind überhaupt nur etwa ein bis fünf Prozent museal aufgearbeitet, darunter auch die Benin-Bronzen oder die Kraftfiguren aus dem Kongo. Alle andern stauben in irgendwelchen Kisten in den Magazinen deutscher Museen vor sich hin. Und jetzt erheben die Nachfahren der Beraubten Ansprüche und wollen sie zurückhaben. Wie irritierend.

Die deutschen Antworten reichen von Herablassung (denen fällt noch ein, Kunst anzufassen und kaputt zu machen!), Paternalismus (wir heben die Objekte gerne für euch auf!), Besitzstandswahrung (die deutsche Gesetzeslage! Weltkulturerbe! Wir haben noch nicht genug geforscht!), Mut- (wir wissen nicht einmal selbst, was wir haben) und Ratlosigkeit (wie soll das gehen?), Unternehmergeist (Kauft Kunst statt Aktien), bis hin zu Furcht (was, wenn unsere Museen leer sind?), Verantwortungslosigkeit (Macron: gebt dem Volk Kuchen) und Selbsttäuschung (die Objekte geraten in falsche Hände und werden dem öffentlichen Interesse entzogen).

Doch Polemik hilft nicht weiter. Es gibt längst andere und differenzierte Einlassungen. Man kann sich die Frage „Muss das weg?“ umfassend beantworten lassen. Achille Mbembe hat sich bei seiner Rede anlässlich der Verleihung des Gerda-Henkel-Preises 2018 ausführlich und in provozierender Weise zum Thema geäußert. Zweifellos müssen geraubte Objekte zurückgegeben werden. Gleichzeitig fordert er von uns, den Nachfahren der Kolonialmächte, uns unserer historischen Verantwortung zu stellen: „Wir müssen uns fragen, ob wir ihnen ihre Aufgabe zu leicht machen, indem wir auf das Recht auf Erinnerung verzichten. Und wagen wir es, noch weiter zu gehen und das Angebot zur Rückgabe ganz abzulehnen? Dadurch würden die Objekte in den Museen zu einem ewigen Beweis dessen werden, was Europa angerichtet hat, und für was es die Verantwortung nicht übernehmen wollte. Wir würden Europa dazu verdammen, auf ewig mit dem zu leben, was sie geraubt haben – und ihre Kains-Rolle bis zum bitteren Ende weiter zu spielen.“[1] Selbst das Auswärtige Amt, in der Person von Michelle Müntefering, hat sich zu einer überraschend eindeutigen Positionierung hinreißen lassen.

Festzuhalten gilt, dass es in der Sache nicht bloß um Objekte und deren Verbleiben geht, auch nicht bloß um die Deutungshoheit darüber, was diese Objekte seien: gestohlen oder nicht, Kunst oder nicht, Kultur oder nicht. Es geht um die Kolonialzeit und wer die Deutungshoheit über die Erinnerung daran beansprucht.

Ein Stück Erinnerung gab es vor zwei Jahren in der Moritzburg in Halle in einer Ausstellung über „Die Brücke“, dem  einflussreichsten Künstlerkollektiv des deutschen Expressionismus. Kirchner und Schmitt-Rotluff hatten eher per Zufall, angetrieben von Unzufriedenheit mit dem Studium und Langeweile, in der Dresdner Ethnologischen Sammlung afrikanische Objekte gefunden. Sie dienten als Inspiration für eine neue Wahrnehmung von Welt und ihrer Umsetzung in künstlerischen Ausdruck. Die Ausstellung in Halle zeigte parallel einige der konkreten Objekte zu den dadurch entstandenen Bildern.

Benin-Bronze „Meister der Leopardenjagd, Vogeljagd (Fragment eines Reliefs), 16./17. Jahrhundert, Königreich Benin, Staatliche Museen zu Berlin, Ethnologisches Museum. Erbeutet im Ausstellungskatalog S. 99.

 

Max Pechstein, Erlegung des Festbratens, 1911, Holzschnitt, aquarelliert. Erbeutet im Ausstellungskatalog, S. 100.

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Expressionismus im Europa des frühen 20. Jahrhunderts wäre ohne die Rezeption afrikanischer Objekte – Kunst! – nicht möglich gewesen. Picasso und andere wichtige Künstler dieser Zeit sind ohne afrikanische Kunst nicht denkbar. Sowohl der Webauftritt des heutigen Museums „Die Brücke“ in Berlin, als auch Wikipedia, oder z.B. der gedruckte Brockhaus, alle unterschlagen diese Zusammenhänge. Eine Tradition, mit der der Begleitkatalog zur Ausstellung in Halle bricht.[2] Webauftritte und Nachschlagewerke sind symptomatisch für die öffentliche Meinung. Dennoch können wir nicht vorgeben, diese Objekte hätten nichts mit uns zu tun. Im Gegenteil, es handelt sich um unser gemeinsames Kulturerbe und als solches haben wir es zu behandeln. Ein Teil dieses kulturellen Erbes ist auch unser deutsches oder europäisches Erbe geworden. „Wir hier“ und „ihr da“ geht nicht auf.

Ein gemeinsames Kulturerbe bedeutet, sich in die Auseinandersetzung zu begeben. Sie kann weder konfliktfrei noch befriedigend ausfallen. Wir könnten aushandeln, einen Teil der geraubten Kulturgüter zu behalten. Uns der Erinnerung zu stellen. Den Objekten in unseren Museen erlauben, ihre Arbeit zu tun[3]: Rechenschaft abzulegen darüber, woher und unter welchen Umständen sie zu uns gekommen sind, was dies damals ebenso wie heute für die Herkunfts- und Empfangsgesellschaften bedeutet. Darüber, wie unteilbar unsere gemeinsame Geschichte ist. Dies gilt es auszuhalten.

Darum geht es im Kern: Afrika (was und wer das immer sei) beansprucht seinen Platz in der Geschichte Europas. Mehr noch. Angesichts der kolossalen Herausforderungen, vor der unsere von Zerstörung bedrohte Welt steht, beansprucht Afrika seinen Platz in der Weltgeschichte. Angesichts der offensichtlichen Unfähigkeit des Westens, konstruktiv zu diesen Herausforderungen beizutragen, ja angesichts der Tatsache, dass der Westen zur Lage, in der wir uns befinden, maßgeblich beigetragen hat, ist es dringend Zeit, Platz zu machen.

 

 

 

[1] https://www.deutschlandfunk.de/historiker-mbembe-zum-postkolonialismus-europa-hat-kein.691.de.html?dram:article_id=430060

[2] Gerlinger, Hermann, Christian Philpsen & Thomas Bauer-Friedrich (Hrsg.), Inspiration des Fremden. Die Brücke-Maler und die außereuropäische Kunst, Almanach der Brücke 4. Dresden: Sandstein, 2016.

[3] Ich greife damit eine Passage aus Achille Mbembes Rede auf, in der er fragt, was denn die Arbeit der Objekte in unseren Museen sei und ob diese bereits getan sei, so dass die Objekte zurückgegeben werden könnten.