Beitrag aus dem Modul zu afrikawissenschaftlichen Methoden (4. Semester, BA Afrikastudien, Sommersemester 2017) zum Thema Studierendenproteste.
Anna Eich, Katharina Nold, Johann Gerlach, Lea Fiedler
So schreiben es tansanische Demonstrant*innen auf ihre Plakate und benennen damit ein Problem, gegen das seit 13 Jahren ausdauernd, aber wenig erfolgreich protestiert wird: die staatlichen Studienkredite, sogenannte Loans, sind zu niedrig angesetzt und werden oftmals zu spät ausgezahlt.
Die Unzufriedenheit darüber ist die treibende Kraft hinter den Protesten. In einer wissenschaftlichen Studie von Nyahende aus dem Jahr 2015 über die aktuellen Ausgaben wird festgestellt, dass der Betrag der Loans zum Leben nicht ausreicht. Der reale Tagessatz zur Unkostendeckung liege bei 10.000 TSH (ca. 5 Euro), die Höhe der Loans betrage nur 8.000 TSH. (vgl. Nyahende 2015: S. 61). Die große Differenz zwischen den offiziellen Regelungen und der Realität der Studierenden nahm im Februar diesen Jahres auch die Bildungsministerin wahr und äußerte sich darüber hinaus wie folgt: „Loans to students have always been delayed without any justification to the extent that learners have created an impression that they cannot receive the cash they are entitled to unless they stage a protest march to the ministry“ (Mwalimu 2016: S. 1). Es wurden Unregelmäßigkeiten in der Vergabe der Loans festgestellt, verspätete Auszahlungen, falsche Adressierungen und Listen mit nicht existierenden Student*innen. Die Ministerin suspendierte daraufhin mehrere Mitarbeiter*innen, denen Unterschlagung von Geldern vorgeworfen wurde.
Die ersten uns bekannten Proteste fanden 2004 im Zusammenhangmit der Gründung des Loanboardes (zuständiges Gremium für die Verteilung der staatlichen Studienfinanzierung) statt. Analysen einiger Jura-Student*innen der Universität von Dar Es Salaam zufolge, wurde befürchtet, die Gründung des Loanboardes bedeute keine Verbesserung für die Verwaltung und Auszahlung der Loans. Bald wurden die ersten kritischen Plakate aufgehängt, zu Treffen eingeladen und Gruppen fingen an sich zu organisieren.
Um die entstandenen Proteste zu erforschen, führten wir mehrere qualitative Interviews mit Student*innen verschiedener Generationen der Universität von Dar Es Salaam. Dabei erfuhren wir, dass die Loans immer Gegenstand der sich wiederholenden Proteste waren. Die Demonstrant*innen blieben der Universität fern, dies aber nie länger als zwei aufeinanderfolgende Tage. Das war der Versuch eine Regelung zu umgehen, die eine Schließung der Universität bei einem Fernbleiben von mehr als drei Tagen vorsieht. Obwohl sich die Demonstrant*innen an dieses Gesetz hielten, schloss die Universitätsleitung die Institution. Im Zuge dessen wurden Demonstrant*innen kurzzeitig verhaftet und einige führende Organisator*innen sogar für immer für Hochschulbildung gesperrt. Vielleicht wurde dadurch versucht die kritischen Stimmen schnellstmöglich zum Schweigen zu bringen, denn obgleich eine studentische Vertretung fürAngelegenheiten rund um die Loans gegründet wurde, wurden die Forderungen nicht erfüllt. Bis heute wird protestiert. Ob es also ein Schritt auf die Demonstrant*innen zu oder doch ein gespieltes Zugeständnis war, ließ sich im kleinen Rahmen unserer Forschung nicht zweifelsfrei ermitteln. Wir können nur vermuten und uns die alte Frage stellen: „Wem zum Vorteil?“, eine Kausalität jedoch ohne eine weiterführende Forschung nicht herstellen.
Im Vergleich der Proteste von 2004 und heute haben soziale Medien entscheidend an Gewicht gewonnen. So berichtete uns ein Teilnehmer der ersten Proteste 2004, dass damals der Austausch zwischen den verschiedenen Fraktionen der Student*innen über Zeitungsartikel ablief. Die Kommunikation war noch weitaus komplizierter und zeitaufwendiger. Heute nutzen ein Großteil der Student*innen Plattformen wie Facebook und Twitter. Haben sich neue Diskussionsforen ergeben, aus denen spannende Erkenntnisse über die Proteste gewonnen werden könnten?
Trotz Anerkennung der Missstände und vielseitigem Zuspruch der Proteste, ließen Ergebnisse lange auf sich warten. Auch das Zugeständnis der Ministerin versichert noch lange nicht die dringend benötigte und konsequent eingeforderte Verbesserung des Systems. Den Betroffenen, die ihre eigene Situation wohl am besten einzuschätzen wissen, wird so wenig Gehör geschenkt, dass wir uns fragen: „Wessen Bedürfnisse muss Bildung gerecht werden und wessen Bedürfnisse werden zurzeit erfüllt?“ Diese Frage kann man sich überall stellen, auch in Deutschland. In Anbetracht des Einflusses der Wirtschaft auf das Bildungssystem (zum Beispiel durch Drittmittelförderung in der Forschung und Deutschlandstipendium) scheint das Ziel, emanzipierte Individuen hervorzubringen, immer weiter in den Hintergrund zu rücken. In Bezug auf staatliche Förderungen sieht man in Deutschland wie auch in Tansania, dass bevorzugt als wirtschaftlich wertvoll angesehene Studiengänge Mittel erhalten. Vielleicht sollten wir uns also wie Mbembe fragen, ob die Verwirklichung folgenden Ideals im bestehenden System möglich, beziehungsweise überhaupt gewollt ist: „the aim of higher education is to encourage students to develop their own intellectual and moral lifes as independent individuals […] the capacity to make disciplined inquiries into those things we need to know, but do not know yet“ (vgl. Mbembe 2016 : S. 30).
Quellen:
Higher Education Students’Loan Board. 2015/2016. „Guidelines and criteria for issuance of students‘ loans and grants for the 2015/2016 academic year“. Online: https://www.heslb.go.tz/index.php/publications/guidelines (02.06.2017).
Mbembe,Achille Joseph. 2016. „ Decolonizing the university: New directions “Arts & Humanities in Higher Education, Vol. 15/1, S. 29–45.
Mwalimu, Saumu. 2016. „Billions stolen from Student’s loans board“, The Citizen. Online: http://www.thecitizen.co.tz/News/Billions-stolen-from-students–loans-board/1840340-3080654-vp6qua/index.html (25.05.2017).
Nyahende, Veronica R.; Bangu,Asangye N. und Benedicto C. Chakaza. 2015. „Survey on theAssessment of the Current Actual Expenses Incurred by Students on the Meals andAccommodation within and around the Campuses: The Case of Tanzania Higher Education Students‘ Loans Beneficiaries“, Higher Education Studies, 5/4, S. 56-85.
Tanzania Today. Online: http://www.tanzaniatoday.co.tz/news/wanafunzi-udom-duce-wagoma-madai-ni-kama