Sommerschule der Universität Leipzig, 3.-12. Juli 2017
Foteine König & Rose Marie Beck
Intensiv, fordernd, irritierend, erweiternd – 10 Tage Summer School 2017 „Seeing the Self Trough the Lens of the Other“, veranstaltet von den Instituten für Afrikastudien (ehemals Afrikanistik), Ethnologie und Kulturwissenschaften der Universität Leipzig als Teil der Lehrinitiative „Internationalisierung zu Hause“.
Die von STiL und dem Bundesmini-sterium für Bildung und Forschung geförderte Sommerschule befasste sich mit aktuellen post-kolonialen Debatten in den Regionalwissen-schaften im Kontext weltweiter Dynamiken: In Südafrika protestieren Studierende heftig gegen kolonial ererbte Unge-rechtigkeiten und fordern eine neue Dekolonisierung der Universitäten. Anderswo dienen die Menschenrechte dazu, Ansprüche auf soziale, politische und ökonomische Gerechtigkeit gegenüber internationalen Institutionen und Unternehmen durchzusetzen. In Europa, respektive Deutschland, sind Migranten und Geflüchtete oft menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt; ihnen fehlen grundlegende Bürgerrechte, die ihnen die Gesellschaften des Nordens einzuräumen nicht in der Lage sind. Die Differenz zwischen Menschen mit vielfältigen Möglichkeiten und Menschen ohne Handlungsspielraum wächst. Achille Mbembe schreibt „die Welt wird schwarz“ (Kritik der schwarzen Vernunft, 2015). Sowohl die Polarisierung als auch die Diversität unserer Gesellschaften nehmen zu: Gute Gründe, als Afrikawissenschaftler*innen, Ethnolog*innen und Kulturwissenschaftler*innen die bestehende Literatur auf ihre Bedeutung für den Alltag zu prüfen, den hegemonialen Blick zu irritieren, die eigenständigen Stimmen von Forschungssubjekten zu hören und die Beschränkungen der eigenen Positionen anzuerkennen.
Daraus ist ein Lehrkonzept entstanden, das die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel in einer von Diversität geprägten Gesellschaft als Schlüsselqualifikation für die Zukunft versteht. Gemeinsam mit den Kolleg*innen Rose Marie Beck, Dimitri van den Bersselaar (Afrikastudien), Dirk Quadflieg (Kulturwissenschaften), und Ursula Rao (Ethnologie), vor allem aber mit den international renommierten Gästen Prof. Mohan Dutta (Medienwissenschaften, Singapur), Dr. Leon Rocha (Geschichte Chinas, Liverpool) Dr. Ulf Vierke (Iwalewahaus, Bayreuth), Dr. Benita Sampedro (Postkoloniale/Spanischkoloniale Studien, New York) und Dr. Ines Ponte (Visuelle Anthropologie, Lissabon) wurde dieses Konzept in der Sommerschule zu ersten Mal erprobt.
Die Sommerschule bestand aus fünf ineinandergreifenden Modulen: Lektüre und Diskussion aktueller Texte, praktische Auseinandersetzung mit Objekten, Präsentationen und Vorträge international renommierter Gäste, Konsultationen zu den eigenen (MA-) Forschungsprojekten, Transfer in den Berufsalltag durch Austausch mit Vertretern einschlägiger Institutionen.
In den ersten drei Tagen wurden vormittags in klassischer Seminarstruktur mit den Veranstaltern der Sommerschule Texte zur aktuellen Debatte gemeinsam gelesen und besprochen. So konnte die akademische Perspektive interdisziplinär erarbeitet und vertieft werden. Nachmittags befassten sich die Studierenden mit Alltagsobjekten, zu denen sie unter Anleitung durch Ines Ponte in Gruppenarbeit einen dreiminütigen Dokumenttarfilm drehten: Über einen Apfel, eine Bassgeige, eine Shisha-Pfeife, eine Mate-Flasche, eine Teetasse, Kontaktlinsen, ein Smartphone, ein Bild. In jedem Film wird deutlich, dass in der Interaktion zwischen Ding und Person nicht nur deren soziale Bedeutung konstituiert wird, sondern gleichsam deren Grenzen undeutlich werden. Ist die Rede vom Vater oder von der Bassgeige? Sind Kontaktlinsen so essentiell für mein Leben wie Kaffee? Wie verbindet die Teetasse vier Generationen Frauen? Wie erzählt eine Mate-Flasche ihr Dasein? Wie strukturiert ein Smartphone den Alltag einer Studentin? Trotz wenig Zeit und einfacher Mittel offenbaren die Resultate einen erstaunlichen Einfallsreichtum, eine Stringenz im Umgang mit alltäglichen Lebenswelten. Die Verbindung von wissenschaftlichem und künstlerischem Blick löst die für den Perspektivenwechsel produktive Verfremdung aus. Diese Auseinandersetzung wurde durch den Besuch der Ausstellung #Prolog1-10 im ethnologischen Museum in Dresden weiter befördert.
Die nächsten drei Tage waren unseren Gästen gewidmet, die ihre Sicht auf die Dinge und Debatten präsentierten und mit uns diskutierten: Mohan Dutta erläuterte seine Auffassung der radikalen Solidarität, die zwingend erfordert, sich auf die Sichtweise von Aktivisten einzulassen, die um die Verbesserung ihrer Lebens-umstände kämpfen. Leon Rocha führte die daseinsnotwendige Bedeutung von Ironie und Gelächter als Instrumente der Subversion und Befreiung vor Augen. Mit Ulf Vierke ergab sich eine hitzige Debatte über die Möglichkeiten, das Archiv als Ort etablierter und legitimierter Wissensordnung zu verwirren und neu zu ordnen. Am Donnerstag führte Ines Ponte ihren Film „Making a Living in the Dry Season“ (2015) vor. Sie filmte, wie im Alltag einer Familie in einem angolanischen Dorf eine Puppe hergestellt wird und leistet damit einen widerständigen Beitrag zu den in Museen sonst wenig kontextualisierbaren Sammel- und Ausstellungsobjekten. Am Montag hielt Benita Sampedro eine öffentliche Keynote Lecture, in der sie analysierte, wie „Boys“, die Haushaltshilfen der Kolonialfamilien, als Personen hinter ihrer Funktionszuschreibung durch den kolonialen Blick bis heute zu verschwinden drohen.
Als besonders ertragreich wurde von den Studierenden die Möglichkeit bewertet, ihre eigenen Forschungsprojekte mit den fünf Gästen und vier hiesigen Professor*innen besprechen zu können. Sie waren gefordert, ihre Projekte vorzustellen und im Fachgespräch zu diskutieren, sie so weiter zu entwickeln, gezielt zu vertiefen oder gelegentlich sogar neu zu strukturieren. Die Zeit, die Gäste sich genommen haben, die Zusammenstellung der Studierenden in Tandems ebenso wie das verregnete Summer School BBQ am Freitagnachmittag boten beste Gelegenheiten zum informellen Gespräch.
Der vorletzte Tag der Summer School war dem Transfer gewidmet. Ziel war es, Anknüpfungspunkte, aber auch Diskrepanzen zu den in verschiedenen Berufsfeldern erforderlichen Kompetenzen besser zu verstehen. Hierfür waren vormittags zu einer Roundtable-Diskussion erneut Gäste geladen: Sara Hartmann, Mitarbeiterin in einem Projekt der Flüchtlingshilfe, Eiko Kühnert, Vertreter der Arbeitsstelle zur Gewaltprävention der Stadt Leipzig, Ralf Grötker, Wissenschaftsjournalist mit langjähriger Erfahrung in interkultureller Moderation und Mediation. Auch am Nachmittag stand der Übergang von Wissenschaft zur Berufspraxis in Einzelgesprächen im Zentrum. Die Studierenden hatten die Gelegenheit mit den Diskutanten ebenso wie mit Klaus Hornetz, einem ehemaligen Mitarbeiter der GIZ, Sven Bärmig, einem Dozenten der Förderpädagogik aus der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig und Christiane Feller, der Mitarbeiterin einer Agentur für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse und ihren Klienten zu sprechen. Die Erzählungen der Gäste führten zur Reflexion über die gewohnheitsmäßig kurzsichtige Wahrnehmung der eigenen Alltagsrealität und verdeutlichten die in Fremdzuschreibung enthaltenen Zumutungen.
Für die Studierenden erwies sich die Sommerschule als außerordentlich intensiv und ergiebig. Eine Studentin meinte: „Außer Summer School und Schlafen habe ich in den letzten Tagen nicht viel hinbekommen.“ Die Studierenden schätzten besonders die Möglichkeit, beeindruckende Gäste aus aller Welt kennenzulernen. Am Ende galt es, die scheinbare Abge-schlossenheit der Sommer-schulen-Insel zu verlassen und das Gelernte in die Semester-ferien mitzunehmen. Auch für die Professor*innen waren es anstrengende zehn Tage. Das Programm war dicht geplant. Vor allem für die Filmprojekte hätten die Studierenden mehr Zeit brauchen können. Und die Empfehlung der Studierenden (aus der schriftlichen Evaluation) an die nächste Generation: den Reader zu Beginn der Sommerschule unbedingt schon gelesen haben.
Für die vier Veranstalter stellte die Sommerschule eine Herausforderung und vor allem ein Experiment dar. Obwohl alle drei Disziplinen in den Human- und Geisteswissenschaften verankert sind, zeigten sich einige Differenzen bezüglich Wissenskanon, Perspektiven und Methoden. Für die Studierenden war besonders erhellend zu sehen, wie diese in der Diskussion in Bezug zu einander gesetzt und so produktiv gemacht werden konnten.
Der konkrete Lernerfolg der Sommerschule wird erst im Herbst abzu-schätzen sein, wenn die Studierenden ihre Essays einreichen und die auf Anregung der Studierenden geplante Nachbereitung eine angemessene Rückschau erlaubt. Sicher ist: Die Arbeit hat sich gelohnt. Die Leistungs-punkte sind hoch verdient. Neue Netzwerke sind geknüpft, alte wieder-belebt. Bereits gibt es unter den vier veranstaltenden Kolleg*innen erste Überlegungen dazu, mit welchen Partnern und welcher Finanzierung die Sommerschule 2018 veranstaltet werden kann. Und wie diese Veranstal-tung als Teil des regulären Curriculums in den jeweiligen Studiengängen verankert werden kann.
Das ist ja mal ein informativer, sorgfältig mit Liebe zum Detail geschriebener Artikel. Vielen Dank! 🙂