Formentwicklung der Zentralorgane.
Die früheste Entwicklungsstufe des zentralen Nervensystems der
Wirbeltiere haben wir bereits in jener ersten Sonderung des Keimes kennen
gelernt, welche als ein dunkler Streif die Stelle des Rückenmarks
und damit zugleich die Körperachse des künftigen Organismus bezeichnet
(Fig. 1). Die weitere
Folge der Entwicklungszustände läßt sich nun auf doppeltem
Wege beobachten: entweder indem man unmittelbar die Genese eines höheren
Wirbeltiers von der ersten Uranlage an bis zu vollendeter Ausbildung verfolgt,
oder indem man die Klassen und Ordnungen der Wirbeltiere von den niedersten
bis zu den höchsten Stufen der Formentwicklung vergleichend an einander
reiht. Beide Wege, der entwicklungsgeschichtliche und der vergleichend-anatomische,
fallen zwar keineswegs vollständig zusammen, da in der Reihenfolge
der Organismen eine viel größere Mannigfaltigkeit der Formbildung
herrscht als in der Entwicklung des einzelnen Wesens. Nichts desto weniger
wird hier wie dort im allgemeinen das nämliche Entwicklungsgesetz
gewonnen, indem die früheren Zustände der höheren Wirbeltiere
den bleibenden Organisationsstufen der niedrigeren ähnlich sind. Wir
werden beide Wege der genetischen Betrachtung gleichzeitig benutzen. Denn
die Entwicklungsgeschichte allein kann darüber Aufschluß geben,
wie ein Zustand aus dem andern hervorgegangen ist; nur die vergleichende
Anatomie aber vermag Andeutungen über die physiologische Funktion
der Teile zu bieten, da die Stufen der Organisation sich bleibend
fixiert haben müssen, wenn zugleich das physiologische Verhalten der
Wesen unserer Beobachtung zugänglich sein soll.
Die Uranlage des zentralen Nervensystems entwickelt
sich, nachdem der Fruchthof durch rascheres Längenwachstum eine ovale
Gestalt angenommen hat. Es faltet sich dann zu beiden Seiten des Primitivstreifs
das äußerste Blatt der Keimscheibe zu zwei leistenförmigen
Erhebungen, welche eine Rinne zwischen sich lassen. Diese Rinne, die Primitivrinne,
ist die Anlage des künftigen Rückenmarks (p Fig.
2). Indem die Seitenteile derselben sich in raschem Wachstum
zuerst erheben und dann einander nähern, schließt sich die Rinne
zu einem Rohr, dem Medullarrohr. Das letztere enthält zunächst
in seiner ganzen Länge eine geräumige Höhle, deren Umfang
von den Bildungszellen ausgekleidet ist, aus welchen die Elementarteile
des Rückenmarks hervorgehen. Diese Bildungszellen wachsen und vermehren
sich, einige nehmen den Charakter von Bindegewebszellen an und liefern
eine formlose Interzellularsubstanz, andere werden zu Nervenzellen, indem
sie Ausläufer sprossen lassen, die teils unmittelbar in die Fasern
peripherischer Nerven übergehen, teils sich unter fortgesetzter Spaltung
in ein Endfasernetz auflösen, in welchem wahrscheinlich zentrale und
peripherische Nervenfasern wurzeln. Indem alle diese Fasern vorzugsweise
nach der Peripherie des Medullarrohrs hervorsprossen, rücken die zelligen
Gebilde gegen das Zentrum der Höhle hin (Fig.
7). Entsprechend der bilateralen Symmetrie der Körperanlage
sammeln sich von Anfang an sowohl die nervösen Zellen wie die aus
ihnen rechts und links hervorgehenden Nerven in symmetrische Gruppen. Jede
dieser Gruppen zerfällt aber gemäß der Verbindung der Nerven
mit zwei verschiedenen Teilen der Keimanlage wieder in zwei Unterabteilungen.
Diejenigen Zellen und Fasern, welche mit dem Hornblatt, der Uranlage der
Sinneswerkzeuge und der sensibeln Körperbedeckung, in Verbindung treten,
ordnen sich in eine hintere, durch ihre Lage den ihnen zugeteilten Keimgebilden
genäherte Gruppe. Jene Nervenelemente dagegen, welche zur quergestreiften
Muskulatur treten, sammeln sich in eine vordere, der animalen Muskelplatte
entsprechende Gruppe. So kommt es, daß die durch den Zusammentritt
der Zellen gebildete graue Substanz rechts und links in Gestalt einer hinteren
und einer vorderen Säule auftritt, welche ringsum von weißer
oder Markmasse umgeben sind. Man nennt diese Säulen nach der Form,
die sie auf senkrechten Durchschnitten darbieten, die hinteren und
die vorderen Hörner. In der Mitte hängt das hintere Horn
jeder Seite mit dem vordem zusammen. Ebenso ordnen sich die austretenden
Nervenwurzeln jederseits in zwei Reihen: in die hinteren
oder sensibeln und in die vorderen oder motorischen
(Fig. 7e und f).
Die zentrale Höhle nimmt in Folge dieser Wachstumsverhältnisse
zunächst die Gestalt eines Rhombus an, der sich nach vorn und hintenineine
Spalte fortsetzt (cm). Bald schließt sich die hintere Spalte
fast ganz, die vordere bleibt deutlicher, sie wird aber durch Nervenfasern
geschlossen, welche von einer Seite des Marks zur andern herübertretend
die vordere oder weiße Commissur bilden. Diese, die
anfänglich nahe der vorderen Fläche gelegen ist (Fig.
7 h), rückt allmälig
in die Tiefe (Fig. 8k).Hinter
ihr bleibt der Rest der zentralen Höhle als ein äußerst
enger Kanal, der Zentralkanal des Rückenmarks, bestehen, um
welchen die beiden Ansammlungen der grauen Substanz mit einander in Verbindung
treten (c Fig. 8).
Durch die vordere und hintere Spalte (a und b) ist das Rückenmark
in zwei symmetrische Hälften getrennt; jede dieser Hälften wird
dann durch die austretenden Nervenwurzeln in drei Stränge geschieden
(g, h, i Fig. 8).
Den zwischen der hintern Medianspalte und der hintern Wurzelreihe liegenden
Markstrang nennt man den Hinterstrang, den zwischen der vorderen
Medianspalte und der vorderen Wurzelreihe liegenden den Vorderstrang,
endlich denjenigen Strang, der zwischen den beiden Wurzelreihen in die
Höhe zieht, den Seitenstrang. In diesen Marksträngen verlaufen
die Nervenfasern großenteils vertikal in der Richtung der Längsachse
des Rückenmarks. Nur die Stelle im Grund der vorderen Medianspalte
wird von den oben erwähnten horizontal und schräg verlaufenden
Kreuzungsfasern eingenommen, welche die vordere Commissur bilden; ebenso
sind in der Nähe der eintretenden Nervenwurzeln, als unmittelbare
Fortsetzungen derselben in das Mark, horizontale und schräge Fasern
zu finden. Die grauen Hörner sind von abweichender Gestalt, die vorderen
sind breiter und kürzer, die hinteren länger und schmäler.
In jenen findet sich eine Menge großer multipolarer Ganglienzellen,
in diesen beobachtet man fast nur kleinere Zellen, welche oft schwer von
Bindegewebskörpern zu unterscheiden sind, auch wird ein großer
Teil der hinteren Hörner von einer formlosen Neuroglia gebildet, welche
der Interzellularsubstanz des Bindegewebes verwandt ist. Teils hierdurch
teils durch eine Menge feiner Fasern, welche sie durchsetzen, zeigen die
hinteren Hörner gegen ihren äußeren Umfang ein helleres
Ansehen; man pflegt diese Region die gelatinöse Substanz zu
nennen (f Fig. 8).
Während so die direkten Ursprungspunkte der hinteren Wurzeln im Mark
spärlicher mit nervösen Zellen ausgestattet scheinen als die
der vorderen, findet sich dort ein Lager ansehnlicher Ganglienzellen in
den Verlauf der Nervenfasern nach ihrem Austritt aus dem Mark hinausgeschoben
und bildet so die Spinalganglien der hinteren Wurzeln (eFig.
7). Die hinteren Stränge sind nicht wie die vorderen durch
weiße Markfasern verbunden, dagegen ziehen in der grauen Substanz
hinter dem Zentralkanal schmale Fasern von einem Hinterhorn zum andern
und bilden so die hintere oder graue Commissur (l Fig.
8). Ähnliche graue Fasern umgeben
den ganzen Zentralkanal, dessen Binnenraum bedeckt ist von einer einfachen
Lage Zylinderepithel. Zu diesem ist ein kleiner Rest der ursprünglich
die Höhle des Medullarrohrs auskleidenden Bildungszellen verwendet
worden.
So lange die Entwicklung der Zentralorgane auf die
Ausbildung des Rückenmarks beschränkt bleibt, ist damit eine
gewisse Gleichförmigkeit der gesamten Organisation notwendig verbunden.
Indem in der ganzen Länge des Rückenmarks dieselbe Anordnung
der Elementarteile und dasselbe Ursprungsgesetz der Nervenfasern sich wiederholen,
müssen auch die sensibeln Flächen, die Bewegungsapparate, die
von jenem Zentralorgane beherrscht sind, der nämlichen Gleichförmigkeit
ihrer Verbreitung und Ausbildung unterworfen sein. So hat sich denn in
der Tat beim Embryo, so lange sein zentrales Nervensystem nur aus dem Medullarrohr
besteht, noch keines der höheren Sinnesorgane entwickelt, die Anlagen
der sensibeln Körperoberfläche und des Bewegungsapparates sind
gleichförmig um die zentrale Achse verteilt, nur die Stelle, wo die
stärkeren Nervenmassen zu den Hinterextremitäten hervorsprossen,
ist schon frühe durch eine Erweiterung der Primitivrinne, den sinus
rhomboidalis, die nachherige Lendenanschwellung, angedeutet. Zu ihr gesellt
sich später eine ähnliche übrigens schwächere Verdickung
des Medullarrohrs an der Abgangsstelle der vorderen Extremitätennerven,
die Cervicalanschwellung1). Eine ähnliche
Gleichförmigkeit der Organisation begegnet uns als bleibende Eigenschaft
bei dem niedersten Wirbeltier, bei welchem sich die Ausbildung des zentralen
Nervensystems auf das Medullarrohr beschränkt, beim Amphioxus lanceolatus.
Das Sehorgan dieses hirnlosen Wirbeltieres besteht aus zwei kleinen Pigmentflecken,
das Geruchsorgan aus einer unpaaren becherförmigen Vertiefung am vorderen
Leibesende2), ein Gehörapparat ist
bei ihm nicht nachgewiesen. So sind hier gerade diejenigen Organe in ihrer
Entwicklung zurückgeblieben, welche für die erste Ausbildung
der von dem Rückenmark sich absondernden höheren Zentralteile
vorzugsweise bestimmend scheinen.
1) Bei den Vögeln wird der sinus rhomboidalis zeitlebens
nicht durch Nervenmasse geschlossen und bleibt daher als eine hinten offene
Grube bestehen, ähnlich wie bei allen Wirbeltieren die Fortsetzung
des Zentralkanals im verl. Mark, die Rautengrube.
2) KÖLLIKER, Müller's Archiv 1843, S. 32.
Die erste Anlage des Gehirns entsteht, indem das vordere Ende des Medullarrohrs schneller zu wachsen beginnt, wodurch sich eine blasenförmige Auftreibung desselben, das primitive Hirnbläschen, bildet, die sich sehr bald in drei Abteilungen, das vordere, mittlere und hintere Hirnbläschen, gliedert (Fig. 9). Teils die genetischen, teils die späteren funktionellen Beziehungen dieser ursprünglichen Hirnteile legen den Gedanken nahe, daß, wie die Entwicklung des Gehirns überhaupt, so auch diese Dreiteilung, welche allen Wirbeltieren mit Ausnahme des Amphioxus gemeinsam ist, in nächstem Zusammenhang steht mit der Entwicklung der drei vorderen Sinneswerkzeuge: die nervöse Anlage der Geruchsorgane wächst nämlich unmittelbar aus dem vorderem Ende der ersten, die der Gehörorgane aus den Seitenteilen der dritten Hirnblase heraus, die Augen entstehen zwar zunächst als Wachstumsprodukte des Vorderhirns, doch machen es physiologische Tatsachen zweifellos, daß das Mittelhirn die nächsten Ursprungszellen der Sehnerven enthalt3).
3)Augenblase und damit die Anlage der nervösen Elemente der Retina entsteht, daß aber, wie His (Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbeltierleibes, S 131) vermutet, die Sehnerven selbständig gleich den andern Nerven aus dem Gehirn kommen. Der Stiel der aus dem Vorderhirn hervorgetretenen primären Augenblase ist nämlich ursprünglich hohl und füllt sich erst später mit Nervenfasern. Doch sah LIEBERKÜHN (Das Auge des Wirbeltierembryo, Schriften der naturwissenschaftl. Ges. zu Marburg. Bd. 10, 1872, S. 365) die Opticusfasern immer in der ganzen Länge des Nerven gleichzeitig auftreten, er nimmt daher an, daß sie gleich den bindegewebigen Elementen aus dem Protoplasma der ihn ursprünglich zusammensetzenden Zellen hervorgehen.
Von den drei ursprünglichen Hirnabteilungen
erfahren die erste und dritte, das Vorder- und Hinterhirn, die wesentlichsten
Veränderungen. Beide zeigen nämlich bald an ihrem vorderen Ende
ein gesteigertes Wachstum und gliedern sich hierdurch jedes in ein Haupt-
und ein Nebenbläschen. Das frühere Vorderhirn besteht nun aus
Vorder- und Zwischenhirn, das frühere Hinterhirn aus Hinter- und Nachhirn
(Fig. 10). Unter
den so entstandenen fünf Hirnabteilungen entspricht das Vorderhirn
(a) den künftigen Großhirnhemisphären, man bezeichnet
es daher auch als das Hemisphärenbläschen, das Zwischenhirn (b)
wird zu den Sehhügeln (thalami optici), aus dem einfach gebliebenen
Mittelhirn (c) entwickeln sich die Vierhügel des Menschen und
der Säugetiere, die Zweihügel oder lobi optici der niederen Wirbeltiere,
das Hinterhirn (d) wird zum Kleinhirn (Cerebellum), das Nachhirn
(e) zum verlängerten Mark. Vorn ist das Zwischenhirn, hinten
das Nachhirn als Stammbläschen zu betrachten, aus welchem dort das
Vorderhirn, hier das Hinterhirn als Nebenbläschen hervorgewachsen
sind. Die aus den drei Stammbläschen, Nach-, Mittel- und Zwischenhirn,
sich entwickelnden Gebilde, also das verlängerte Mark, die Vier- und
Sehhügel mit den unter ihnen aus dem Mark aufsteigenden Faserbündeln,
nennt man auch noch im ausgebildeten Gehirn den Hirnstamm und stellt
ihnen die Gebilde des ersten und des vierten Hirnbläschens, die Großhirnhemisphären
und das Cerebellum, als Hirnmantel gegenüber, weil diese Teile
an den höher organisierten Gehirnen einem Mantel ähnlich den
Hirnstamm umhüllen.
Die sämtlichen Hirnbläschen sind, gleich
dem Medullarrohr, dessen Erweiterungen sie darstellen, von Anfang an Hohlgebilde,
und zwar sind sie zunächst nach außen geschlossen, kommunizieren
aber unter einander sowie nach rückwärts mit der Höhle des
Medullarrohrs. Mit der Entwicklung der beiden Nebenbläschen aus dem
vorderen und hinteren Stammbläschen ändert sich dies. Nun reißt
nämlich die Decke der letzteren der Länge nach entzwei. Es entstehen
dadurch zwei genau in der Medianlinie gelegene spaltförmige Öffnungen,
eine vordere und eine hintere, durch welche die Höhlen des vorderen
und des hinteren Stammbläschens frei gelegt werden. Es ist wohl nicht
zu bezweifeln, daß die Bildung dieser Spalten zu dem gesteigerten
Wachstum des ersten und des dritten Hirnbläschens in naher Beziehung
steht. Da nämlich der Kopf des Embryo vorzugsweise in der Medianlinie
an die darunter liegenden Keimgebilde festgewachsen ist, so wird das Wachstum
ähnlich einem Bande wirken, welches in longitudinaler Richtung über
die ganze Hirn Oberfläche gelegt wäre4).
Auf diese Weise wird das Vorderhirn in seine beiden Hemisphären gespalten
und wird das Zwischenhirn durch einen medianen Riß nach oben geöffnet
(s Fig. 10). Das
in seinem Wachstum zurückbleibende Mittelhirn dagegen wird nur durch
eine Längsfurche in zwei Hälften geschieden. Für den hinteren
Deckenriß liegt die nächste Ursache nicht sowohl in der Einschnürung,
welche direkt durch die mit dem Kopf verwachsenen Keimgebilde bewirkt wird,
als in der ebenfalls durch die Anheftung des Embryo an das Ei und durch
das gesteigerte Hirnwachstum eintretenden Beugung des Kopfes nach vorn.
An der Stelle, wo diese Beugung anfängt, wird die Rückenwand
des Medullarrohrs verdünnt und öffnet sich zu einer rautenförmigen
Grube5). Das Hinterhirn oder Cerebellum,
welches unmittelbar vor dieser Stelle hervorwächst, ist anfänglich
vollständig in zwei Hälften geschieden; verwächst aber später
in seiner Mittellinie. Durch die beiden so gebildeten Spalten können
alsbald Gefäße in die Hirnhöhlen hinein wuchern, welche,
indem sie die erforderliche Stoffzufuhr vermitteln, das weitere Wachstum
und die gleichzeitige Verdickung der Wandungen mittelst Ablagerung von
Nervensubstanz von innen her möglich machen.
4) His, Untersuchungen über die erste Anlage des
Wirbeltierleibes, S. 131.
5) Auf der Öffnung des ersten und des dritten Stammbläschens
bleiben sehr verdünnte Rückwände zurück, die Schlußplatten
des 3. und 4. Ventrikels, die aber, wie es scheint, zur Bildung von Nervenmasse
nicht ausreichen und daher in das Epithel übergehen, welches die in
jene Vertiefungen sich erstreckenden Gefäßhautfortsätze
bekleidet.
Die bis dahin erreichte Entwicklung entspricht im wesentlichen der bleibenden
Organisation des Gehirns der niedersten Wirbeltiere, der Fische und nackten
Amphibien (Fig. 11
und Fig. 12).
Das ursprüngliche Vorderhirnbläschen ist hier meistens in zwei
fast ganz getrennte Hälften geschieden, die beiden Großhirnhemisphären,
die nur noch an einer kleinen Stelle ihres Bodens zusammenhängen.
Das vordere Stammbläschen oder Zwischenhirn ist in zwei paarige Hälften,
die Sehhügel oder thalami optici, gespalten, welche mit ihrer Basis
verwachsen bleiben. Das Hinterhirn oder Cerebellum bildet meistens eine
schmale unpaare Leiste, an der jede Spur einer Trennung verschwunden ist.
An dem Nachhirn oder verlängerten Mark hat der hintere Deckenriß
nur eine rautenförmige Vertiefung gebildet, unter welcher die Hauptmasse
des Organs ungetrennt bleibt.
Mit der Trennung des Gehirns in diese fünf
Abteilungen verändert sich natürlich auch die Form der ursprünglich
eine einfache Erweiterung des medullaren Zentralkanals darstellenden Hirnhöhle.
Diese trennt sich entsprechend der Gliederung des Hirnbläschens zuerst
in drei, dann in fünf Abteilungen, und in Folge der Spaltung des Hemisphärenbläschens
wird die vorderste derselben noch einmal in zwei symmetrische Hälften,
die beiden seitlichen Hirnkammern, geschieden. Gehen wir von den letzteren
aus, so hängen demnach die einzelnen Abteilungen der Zentralhöhle
in folgender Weise zusammen (Fig.
13). Die seitlichen Hirnkammern (h), welche in der Regel
vollständig von einander getrennt sind, münden in die Höhle
ihres Stammbläschens, einen zwischen den Sehhügeln gelegenen
spaltförmigen Raum (z), der durch den vorderen Deckenriß
nach oben geöffnet ist; er wird, indem man von vorn nach hinten zählt,
als der dritte Ventrikel bezeichnet. Dieser führt dann unmittelbar
in die Höhle des Mittelhirns (m), welche bei den Säugetieren
sich außerordentlich verkleinert, so daß sie nur als ein enger,
unter den Vierhügeln hinziehender Kanal, die Sylvische Wasserleitung
(aquaeductus Sylvii), den dritten Ventrikel mit der Höhle des Nachhirns
verbindet. Schon bei den Vögeln gewinnt der Kanal etwas an Ausdehnung
durch Ausläufer, welche er in die beiden das Mittelhirn bildenden
Zweihügel hineinsendet und bei den niederen Wirbeltieren befinden
sich in diesem Hügelpaar ziemlich ausgedehnte Hohlräume, welche
mit der zentralen Höhle kommunizieren. Von den aus dem dritten Hirnbläschen
hervorgegangenen Teilen, dem Hinter- und Nachhirn, hat jeder wieder ursprünglich
seinen besonderen Hohlraum. Da nun das Hinterhirn oder Cerebellum dem Nachhirn
an der Stelle wo das letztere an das Mittelhirn grenzt als ein sich nach
hinten wölbendes Bläschen aufsitzt, so spaltet sich der Sylvische
Kanal an seinem hintern Ende in zwei Zweige, in einen der sich nach aufwärts
wendet und in die Höhle des Cerebellum führt, und in einen andern
der geraden Weges in die Höhle des Nachhirns, der medulla oblongata,
einmündet (Fig. 14).
Letztere Höhle nennt man, weil sie, wenn die Sylvische Wasserleitung
nicht mitgerechnet wird, von hinten nach vorne gezählt der vierte
Hohlraum des Gehirns ist, den vierten Ventrikel oder wegen ihrer
rautenförmigen Gestalt die Rautengrube (r Fig.
13). Der vierte Ventrikel ist nämlich nicht mehr eine Höhle
sondern eine Grube, weil er durch den hinteren Deckenriß vollständig
frei gelegt ist. Wo diese Grube an ihrem hinteren Ende sich schließt,
da geht sie dann unmittelbar in den Zentralkanal des Rückenmarks über.
Bei den Säugetieren verschwindet die Höhle des Cerebellums vollständig
durch Ausfüllung des Hinterhirnbläschens mit Markmasse. Hier
wird also durch seitliche Hirnkammern, dritten Ventrikel, Sylvische Wasserleitung
und vierten Ventrikel das vollständige System der Hirnhöhlen
gebildet. Bei den niederen Wirbeltieren kommen hierzu noch die Höhlen
der Sehhügel als Erweiterungen des dritten Ventrikels, die Höhlen
der Zweihügel oder lobi optici als Ausbuchtungen der Wasserleitung
und die Höhle des Cerebellums als Anhang der Rautengrube. Haupt- und
Nebenhöhlen werden im allgemeinen bei den niedrigen Wirbeltierordnungen
umfangreicher im Verhältnis zur Hirnmasse, nähern sich demnach
mehr einem embryonalen Zustande. Doch zeigen in dieser Beziehung die einzelnen
Hirnabteilungen in den verschiedenen Klassen ein abweichendes Verhalten.
Bei den Fischen werden die Großhirnhemisphären und das Kleinhirn
durch Ausfüllung mit Nervenmasse zu soliden Gebilden, die, weil ihr
Wachstum frühe innehält, nur eine geringe Größe erreichen.
Bei den Amphibien bleiben die zwei Seitenventrikel bestehen, aber das Cerebellum
ist meistens solide. Erst bei den Reptilien und Vögeln erhalt auch
dieses eine geräumige Höhle, die dann aber bei den Säugetieren
wiederum verschwindet. Ebenso schließen sich bei den letzteren die
Seitenhöhlen des Mittelhirns, der Vier- oder Zweihügel, die bei
allen niedereren Wirbeltieren, von den Fischen bis hinauf zu den Vögeln,
nicht nur erhalten bleiben sondern auch auf ihrem Boden graue Erhabenheiten
entwickeln (Fig. 15),
ähnlich wie solche bei Vögeln und Säugetieren in den Seitenventrikeln
des großen Gehirns in Gestalt der sogenannten Streifenhügel
vorkommen. Hiernach ist offenbar das Hohlbleiben einer Hirnabteilung an
und für sich noch gar kein Zeichen einer niedrigen Entwicklungsstufe.
Im Gegenteil pflegen gerade da Höhlungen bestehen zu bleiben, wo frühe
schon in dieselben Gefäßhautfortsätze hineinwachsen, so
daß nun gleichzeitig von innen und außen Blutzufuhr stattfinden
kann: anderseits werden solche Hirnabteilungen solide, die frühe in
ihrem Wachstume stehen bleiben. Zeichen eines unentwickelten Zustandes
ist die Höhle nur dann, wenn sie, wie in dem embryonalen Gehirn, im
Verhältnis zur umschließenden Wandung geräumig und großen
Teils von Flüssigkeit erfüllt ist. Im Gegensatze hierzu bleibt
bei den höher entwickelten Wirbeltieren in Folge der Ausfüllung
der Hirnhöhlen mit Nervenmasse nur noch so viel Raum übrig als
für die ernährenden Gefäße notwendig ist, die auf
Fortsetzungen der die ganze Oberfläche des Gehirns umkleidenden Gefäßhaut
durch den vorderen Deckenriß in den dritten Ventrikel und in die
seitlichen Hirnkammern, durch den hinteren Deckenriß in den vierten
Ventrikel hineinwuchern.
Wie im Rückenmark so geht im Gehirn die Bildung
der Nervenmasse von den Zellen aus, welche die Wandung des ursprünglichen
Hohlraumes zusammensetzen. Auch im Gehirn scheinen manche dieser Zellen
mehr den Charakter der Bildungszellen des Bindegewebes beizubehalten und
so die Ausscheidung der formlosen Zwischensubstanz oder Neuroglia zu vermitteln.
Andere aber werden wie dort zu Ganglienzellen und lassen Ausläufer
sprossen, welche in Nervenfasern übergehen. Doch die Wachstumrichtung
der Fasern ist hier zum Teil eine andere als im Rückenmark. Während
dieselben in letzterem nach der Peripherie ausstrahlen, so daß die
graue Substanz um den Zentralkanal zusammengedrängt und außen
von weißer Markmasse überkleidet wird, bleibt dieses Verhältnis
nur in den aus den drei Stammbläschen hervorgegangenen Gehirnteilen
im wesentlichen bestehen. An den aus den Nebenbläschen entwickelten
Gebilden aber behalten die Ganglienzellen ihre wandständige Lage,
und die mit ihnen zusammenhängenden Fasern sind gegen den Innenraum
der Höhlen gerichtet. Nur im Hirnstamm, also im verlängerten
Mark, in den Vier- und Sehhügeln, ist daher ein die Fortsetzungen
des zentralen Kanals umgebender grauer Beleg von weißer Markmasse
umgeben, am Hirnmantel dagegen wird das Mark außen von einer grauen
Hülle bedeckt. So haben sich zwei Formationen grauer Substanz entwickelt.
Die eine, das Höhlengrau, gehört dem Rückenmark und
dem Hirnstamm, die andere, das Rindengrau, dem Hirnmantel an. Die
erste dieser Formationen erfährt im Gehirn noch weitere Modifikationen.
Schon im obersten Teile des Rückenmarks nämlich wird die graue
Substanz namentlich in den Hinterhörnern zum Teil durch weiße
Markmassen unterbrochen, indem einzelne Bündel der Rückenmarksstränge
ihre Lagerung an der Peripherie der grauen Substanz nicht mehr regelmäßig
innehalten. Im verlängerten Mark häuft sich diese Erscheinung
so sehr, daß nur noch ein verhältnismäßig kleiner
Teil der grauen Masse als Bodenbeleg der Rautengrube die ursprüngliche
Lagerung um den Zentralkanal einhält, der größte Teil aber
durch zwischentretende weiße Markfasern in einzelne Nester getrennt
ist. Man pflegt solche von Mark umgebene Ansammlungen grauer Substanz im
allgemeinen als graue Kerne zu bezeichnen. Eine wesentliche Modifikation,
welche das zentrale Grau des Rückenmarks beim Übergang in das
Gehirn erfährt, besteht sonach darin, daß sich aus ihm durch
den Dazwischentritt weißer Markmassen eine weitere Formation grauer
Substanz absondert, welche wir als Kernformation oder Kerngrau
(Gangliengrau) bezeichnen wollen. Die Kernformation liegt in der Mitte
zwischen Höhlen- und Rindengrau. Geht man von der Zentralhöhle
aus, so trifft man zuerst auf Höhlengrau, hierauf kommt weiße
Marksubstanz, dann Kernformation, dann nochmals Mark und endlich das Grau
der Rinde6).
6) Arnold (Handbuch der Anatomie II, S. 641) und Huschke (Schädel, Hirn und Seele, S. 131) unterscheiden zwei Formationen grauer Substanz, Kern- und Rindensubstanz. MEYNERT (Stricker's Gewebelehre, S. 695) führt vier Formationen auf: Höhlengrau, Gangliengrau, Rindengrau und Kleinhirngrau. Es scheint nun allerdings zweckmäßig, die um die Höhle des Zentralkanals und seiner Fortsetzungen abgelagerte graue Substanz von den durch Mark isolierten grauen Kernen als eine besondere Formation zu trennen. Dagegen kann ich mich der Aufstellung des Kleinhirngrau als einer vierten Formation nicht anschließen. Entweder müßte man dieselbe abermals in zwei trennen, oder man muß die Rinde des Kleinhirns der Rindenformation, seine grauen Kerne der Kernformation zurechnen.
Als den wahrscheinlichen Grund für jene Losreißung grauer Masse von der den Zentralkanal umgebenden Anhäufung, wie sie dem Auftreten der Kernformation zu Grunde liegt, kann man wohl zunächst das Auftreten von Nerven betrachten, die sowohl unter sich wie mit den Ursprungspunkten der tiefer abgehenden Rückenmarksnerven in vielseitige Verbindung gesetzt sind. Solche Verknüpfungen führen notwendig einen verwickelteren Verlauf der Nervenfasern mit sich. Während die zur Herstellung dieser Verbindung erforderliche graue Substanz an Masse zunimmt, finden zugleich die verknüpfenden Faserbündel in der Peripherie derselben keinen zureichenden Platz mehr: so bleibt nur ein Teil der grauen Masse um die Zentralhöhle gelagert, der übrige wird zur Kernformation zerklüftet. Indem auf diese Weise die graue Zentralmasse in einzelne Herde sich sondert, scheiden sich zugleich deutlich solche Zentralgebiete, welche als unmittelbare Ursprungspunkte der Nerven dienen, von andern, welche ausschließlich Fasern mit einander verknüpfen, die von verschiedenen direkten Ursprungsorten aus zentralwärts verlaufen. Jene ersteren Anhäufungen grauer Substanz, aus welchen unmittelbar peripherische Nervenfasern hervorkommen, pflegt man als Nervenkerne, die zweiten, welche zur Verbindung und Sammlung zentralwärts verlaufender Fasern bestimmt sind, als Ganglienkerne zu bezeichnen. Der letztere Name hat darin seinen Grund, daß sich bei den höheren Wirbeltieren um einige dieser Kerne das Mark in besonderen, von der übrigen Hirnmasse teilweise getrennten Anhäufungen sammelt, welche man dann samt den grauen Kernen, die sie umschließen, Hirnganglien nennt. Einige der ursprünglichen Hirnabteilungen gehen mit einem großen Teil ihrer Masse in solche Hirnganglien über: so pflegt man die Sehhügel, die Vier- oder Zweihügel denselben zuzurechnen. Andere Hirnganglien entsprechen nicht ursprünglichen Hirnabteilungen, sondern entstehen durch die Einstreuung grauer Kerne in den markigen Roden der Hirnhöhlen und bilden dann ebenfalls hügelähnliche Hervorragungen: so die Streifenhügel in den Seitenventrikeln und die bei den meisten Wirbeltieren mit Ausnahme der Säugetiere in den Höhlen der Zweihügel liegenden Hervorragungen. Übrigens können auch die Nervenkerne ganglienähnliche Anschwellungen bilden: dies ist bei manchen Nervenkernen der Fische der Fall, bei denen gewisse Hirnnerven häufig aus Anschwellungen der medulla oblongata hervorkommen7), ein Zeichen, daß auf dieser niedrigen Organisationsstufe die unmittelbaren Ursprungszentren, die Nervenkerne, noch ein gewisses Übergewicht über die höheren Verbindungszentren, die Ganglienkerne, besitzen. Anderseits kommen aber auch graue Anhäufungen im Mark des Gehirns vor, welche sich nicht durch äußere Hervorragungen zu erkennen geben, und welche man doch wegen ihrer Beziehung zu den Markfasern den Ganglienkernen zurechnen muß.
7) Solche Anschwellungen finden sich besonders an der Stelle des Vagus- und des Trigeminuskerns.
Die dritte Formation der grauen Substanz, das Rindengrau, kann nicht mehr von der ursprünglichen Auskleidung des Medullarrohrs abgeleitet werden. Denn die Rinde des Vorderhirns und des Cerebellums geht aus den Wandungen der beiden Mantelbläschen hervor, mit welchen erst später die Markfasern des Stabkranzes in Verbindung treten. Es scheint also, daß die Zellen, welche jene Wandungen zusammensetzten, vom Anfang an nicht, wie die Wandzellen des Medullarrohrs und seiner Fortsetzungen im Hirnstamm, nach der Peripherie hin Faserfortsätze entsenden sondern sich zentralwärts mit den vom Markkern her in sie einstrahlenden Fasern verbinden, vielleicht indem sie diese in ähnlicher Weise nur in sich aufnehmen wie die Zellen in den peripherischen Endgebilden, den Sinnesorganen, Muskeln, Drüsen. Die Zellen der Hirnrinde erscheinen so, wie sie physiologisch in gewissem Sinne ein Spiegelbild der Körperperipherie sein müssen, auch genetisch als eine den peripherischen Organen gegenüberliegende Endfläche, in welche gleichwie in jene aus den grauen Kerngebilden die Fasern eintreten. Nach beiden Endflächen aber, der peripherischen und zentralen, strahlen von dem eigentlichen Zentrum des Nervensystems, von den grauen Massen der Höhlen- und Kernformation, die Leitungsbahnen in divergierender Richtung aus8).
8) Am Vorderhirn der niedersten Wirbeltierklassen, der Fische und Amphibien, kommt übrigens der graue Rindenbeleg in einer Form vor, in welcher derselbe einen Übergang von der Kern- zur Rindenformation zu bilden scheint, indem die ganze Masse der Hemisphären von grauer Substanz durchsetzt ist, welche manchmal gegen die Oberfläche in etwas dichterer Lage sich ansammelt, zuweilen aber auch spärlicher wird, indem die meisten Nervenzellen nach innen gelagert sind (Stieda, Zeitschr. für wissensch. Zoologie, Bd. 18, S. 46 u. Bd. 20, S. 306, vgl. ebend. Taf. XVIII, Fig. 24). Die solide oder (bei den Amphibien) wenig ausgehöhlte Hemisphäre hat hier noch eine ähnliche Struktur, wie sie jenen Ganglien zukommt, welche sich auf dem Boden gewisser Hirnhöhlen erheben (wie die Streifenhügel in den Seitenventrikeln des Vorderhirns bei Reptilien, Vögeln und Säugetieren oder der torus semicircularis in den Höhlungen der lobi optici aller Wirbeltiere mit Ausnahme der Säugetiere). Auch in diesen setzt sich die graue Substanz bis an die Oberfläche fort, und die frühere Ansicht der Anatomen, wonach die soliden Hemisphären der Fische nur die Analoga der Streifenhügel sein sollten, findet daher in diesen Strukturverhältnissen eine gewisse Berechtigung. Genetisch entsprechen sie jedoch offenbar den Streifenhügeln und den Hemisphären: die zentralere graue Substanz in ihnen wird man den ersteren, die oberflächlichere Anhäufung aber der Rinde analog setzen müssen (Über die Deutung der Teile des Fischgehirns vgl. stieda a. a. O., Bd. 18, S. 60). Ebenso drängt dann die Voraussetzung eines übereinstimmenden Entwicklungsgesetzes zu der Annahme, daß die Rindenformation des Vorderhirns sich auch bei den niedersten Wirbeltieren gesondert entwickelt. Nur scheint bei diesen die Wandung der Hemisphärenbläschen zum größten Teil in eine Grenzlamelle aus indifferentem Neurogliagewebe überzugehen, indem nur wenige Bildungszellen mit eintretenden Nervenfasern in Verbindung treten. Die Rindenschichte des kleinen Gehirns ist dagegen schon bei den Fischen und Amphibien deutlich ausgebildet und ziemlich scharf von dem Markkern geschieden.
Die bisher beschriebene Entwicklung ist bei allen Wirbeltieren zugleich mit Lageänderungen der primitiven Hirnabteilungen gegen einander verbunden, in Folge deren das ganze Gehirn nach vorn geknickt wird und die einzelnen Abteilungen des Stammhirns eine gegen einander geneigte Stellung annehmen. Diese Knickung, unbedeutend bei den niedersten Klassen, nähert sich bei den höheren Ordnungen der Säugetiere mehr und mehr einer rechtwinkligen Beugung (vgl. Fig. 10). Außerdem wird die Form des Gehirns dadurch modifiziert, daß einzelne Hirnabteilungen, insbesondere das Vorder- und Hinterhirn, durch ihr beträchtliches Wachstum andere verdecken. Der Krümmungen des zentralen Nervensystems kann man drei unterscheiden, von denen die erste der Übergangsstelle des Rückenmarks in das Gehirn entspricht, die zweite am Hinterhirn, die dritte am Mittelhirn auftritt (Fig. 16). Die Ursache dieser Krümmungen liegt ohne Zweifel darin, daß kurz nachdem die Hirnanlage sich vom Rückenmark getrennt hat das Längenwachstum derselben dasjenige aller andern Körperteile übertrifft. In Folge dessen muß das Gehirn und mit ihm der Kopf eine Beugung nach der Seite erfahren, wo der Embryo auf dem Ei aufsitzt, also nach vorn. Die Stärke dieser Krümmungen ist vorzugsweise durch das Wachstum des Vorderhirns bedingt, daher mit der Entwicklung desselben die Kopfbeugung ungefähr gleichen Schritt hält9). In den Anfängen der Entwicklung liegt das Vorderhirn bei allen Wirbeltieren vor den übrigen Hirnabteilungen, ohne dieselben zu bedecken. In dem Maße nun als dieser Hirnteil durch sein Wachstum die übrigen überflügelt, muß er, da seiner Ausdehnung nach vorn durch die Festheftung des Embryo an der Keimblase sich immer größere Widerstände entgegensetzen, nach hinten wachsend zunächst das Zwischenhirn, dann auch das Mittelhirn und endlich selbst das Cerebellum überwölben; hierbei folgt er zugleich der Kopfkrümmung, indem er mit seinem hintersten das Mittel- und Hinterhirn bedeckenden Teil sich umbeugt. Da nun aber jede der Hemisphären des Vorderhirns an der entsprechenden Hälfte des Zwischenhirns wie an ihrem Stiel aufsitzt, so muß sie auf diese Weise einen Bogen beschreiben, der die Gegend des Zwischenhirns zu seinem Mittelpunkt hat. Je stärker die Hemisphäre wächst, um so weiter erstreckt sich der umgebogene Teil wieder gegen den Anfangspunkt seines Wachstums zurück, um so mehr nähert sich also der um das Zwischenhirn beschriebene Bogen einem vollständigen Kreise. Auf diese Weise entsteht an der Stelle wo die Hemisphäre dem Zwischenhirn als ihrem Stammteil aufsitzt eine Vertiefung, die Sylvische Grube (Fig. 16), die, wenn sich der Bogen des Wachstums, wie es an den entwickeltsten Säugetiergehirnen der Fall ist, nahezu vollständig schließt, zu einer engen und tiefen Spalte wird.
9) Vgl. Rathke, Entwicklungsgeschichte der Natter, S. 34 u. f. His, Untersuchungen über die erste Anlage des Wirbeltierleibes, S. 129, 133.
Die Umwachsung des Hirnstamms durch das Vorderhirn
zieht als notwendige Folge eine Umgestaltung der seitlichen Hirnkammern
nach sich. Die letzteren, die ursprünglich, der Form des Hemisphärenbläschens
entsprechend, einer Hohlkugel gleichen, buchten zuerst nach hinten und
dann, sobald der Bogen der Hemisphärenwölbung wieder gegen seinen
Ausgangspunkt zurückkehrt, nach unten und vorn sich aus. Dabei wächst
die Außenwand des Seitenventrikels rascher als die innere oder mediane
Wand desselben, welche den Hirnstamm umgibt. In dieser befindet sich ein
ursprünglich aufrecht stehender Schlitz, der MONRO'sche
Spalt (a Fig. 17),
durch welchen die seitliche Hirnkammer mit der Höhle des Zwischenhirns,
dem 3. Ventrikel, kommuniziert. Vor ihm sind die beiden Hemisphärenblasen
durch eine Marklamelle verwachsen (bd). Indem nun das Vorderhirn
die übrigen Hirnteile überwölbt, folgt der MONRO'schen
Spalt samt seiner vorderen Grenzlamelle dieser Bewegung. Im entwickelten
Gehirn hat er daher die Form eines um das Zwischenhirn geschlungenen Bogens,
welcher die Form des Hemisphärenbogens wiederholt. Er schließt
sich übrigens bald in seinem hinteren Abschnitt, nur der vorderste
Teil bleibt offen: durch ihn treten Gefäßhautfortsätze
aus dem dritten Ventrikel in die seitliche Hirnkammer. Von der vor ihm
gelegenen weißen Grenzlamelle wird das unterste Ende zur vorderen
Commissur (h), der übrige der Hemisphärenwölbung
ebenfalls folgende Teil ist die Anlage des Gewölbes. Unmittelbar
über dem letzteren werden dann die beiden Hemisphären durch ein
mächtiges, queres Markband, den Balken oder die große
Commissur (g), mit einander vereinigt; der über dem Balken
gelegene Teil der medianen Hemisphärenwand aber bildet ebenfalls einen
Bogen, der durch eine besondere Furche ff ' gegen seine Umgebung
begrenzt ist: auf, solche Weise entsteht der konzentrisch zu dem Gewölbe
verlaufende Randbogen (h), dessen vordere Abteilung (h')
zur Bogenwindung wird, während die hintere (h") in ein
mit der Bogenwindung zusammenhängendes Gebilde übergeht, das
von der medianen Seite her in die seitliche Hirnkammer vorragt und das
Ammonshorn
genannt wird. Auf die nähere Beschreibung dieser Teile, die erst im
Säugetierhirn zur Entwicklung gelangen, werden wir später zurückkommen.
Nachdem oben versucht worden ist eine allgemeine
Übersicht der Gehirnentwicklung zu gewinnen, gehen wir nunmehr zur
speziellen Betrachtung der einzelnen Hirnteile über, der wir vorzugsweise
die Morphologie des menschlichen Gehirns zu Grunde legen wollen.
Mit den Bedingungen, durch welche die Ausbildung
der Kernformation in Gestalt von Nerven- und Ganglienkernen gegeben wird,
hängt es unmittelbar zusammen, daß im verlängerten Mark
der äußere Ursprung der peripherischen Nerven die einfache Regel,
wie sie im Rückenmark befolgt ist, nicht mehr vollständig einhält,
sondern daß die Nervenwurzeln mehr oder weniger verschoben erscheinen.
Zwar treten diese noch annähernd in zwei Längsreihen, einer vorderen
und hinteren, hervor, aber nur aus der vorderen Seitenfurche kommen ausschließlich
motorische Wurzelfasern, die des zwölften Hirnnerven oder Zungenfleischnerven,
aus der hinteren oder wenigstens ihr sehr genähert entspringen dagegen
sowohl sensible wie motorische Bündel, nämlich die Wurzeln aller
übrigen Hirnnerven mit Ausnahme des Riech- und Sehnerven und der beiden
vorderen ebenfalls in ihrem Ursprung weiter nach vorn verlegten Augenmuskelnerven
(vgl. Fig. 23)10).
10) Nerv. oculomotorius und trochlearis, der dritte Augenmuskelnerv (abducens) entspringt noch aus dem vordersten Teil des verl. Marks.
Bei den niedern Wirbeltieren ist der äußere Verlauf der Faserbündel noch wenig von demjenigen im Rückenmarke verschieden, nur die Hinterstränge lassen aus einander weichend die Rautengrube zu Tage treten (Fig. 11 u. Fig.12), und auf Durchschnitten zeigen sich die grauen Hörner von der zentralen grauen Substanz getrennt und dadurch in den Verlauf der Vorder- und Hinterstränge hineingeschoben. Übrigens weicht das verlängerte Mark bei den Fischen verhältnismäßig mehr vom Rückenmark ab als bei den sonst in ihrem Gehirnbau höher stehenden Amphibien und Vögeln, häufig ist es äußerlich durch seichte Furchen in mehrere Stränge geschieden, die den relativ beträchtlichen Nervenkernen im Innern entsprechen11) .
11) Owen , anatomy of vertebrates vol. III, pag. 273. Stieda, Zeitschr. für wiss. Zool. Bd. 18, Taf. 11, Fig. 20 und 21.
Bei den Säugetieren kann man zwar wie am Rückenmark Vorder-, Seiten- und Hinterstränge unterscheiden, dieselben haben aber hier besondere Namen erhalten, weil sie teils durch den verwickelteren Verlauf ihrer Fasern teils durch das Auftreten von Ganglienkernen in ihrem Innern wesentlich von den entsprechend gelagerten Rückenmarkssträngen verschieden sind, auch großenteils nicht die unmittelbaren Fortsetzungen derselben darstellen. Die vorderen Stränge heißen Pyramiden (p Fig. 18); im unteren Teil ihres Verlaufs kreuzen sich deren Bündel, so daß die vordere Mittelspalte ganz zum Verschwinden kommt. Diese Kreuzung erscheint wie eine mächtigere Wiederholung der in der vorderen Commissur stattfindenden Kreuzung der Vorderstränge des Rückenmarks. An ihrem oberen Ende werden die Pyramiden zu beiden Seiten von den so genannten Oliven (o) begrenzt: sie sind durch einen Ganglienkern, der auf Durchschnitten eine gezahnte Gestalt besitzt (nd) und daher auch der gezahnte Kern (nucleus dentatus) heißt, zu Erhabenheiten aufgebläht, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Gestalt einer Olive besitzen. Die vertikal aufsteigenden Faserbündel, von welchen diese Kerne umschlossen sind, pflegt man als Hülsenstränge zu bezeichnen. Die Seitenstränge (s Fig. 18 und Fig.19) werden vom unteren Ende des verl. Marks an schwächer, um endlich ungefähr in der Höhe, in der sich die Rautengrube eröffnet, ganz in der Tiefe zu verschwinden. Dafür nehmen die Hinterstränge äußerlich an Umfang zu; im unteren Abschnitt der medulla oblongata werden sie durch eine seichte Furche in eine innere und äußere Abteilung, den zarten und keilförmigen Strang (fg und fcFig. 19) geschieden, welche am unteren Ende der Rautengrube kolbige Anschwellungen besitzen, die von grauen Kernen in ihrem Innern herrühren. Weiter nach oben scheinen sich dann beide Abteilungen in die Stränge fortzusetzen, welche beiderseits die Rautengrube begrenzen. Diese werden die strickförmigen Körper genannt (pi Fig. 19): Sie sind der Masse nach die bedeutendsten Stränge des verl. Marks, enthalten ebenfalls graue Kerne in ihrem Innern und zeichnen sich durch den verschlungenen, geflechtartigen Verlauf ihrer Fasern aus. Nach oben treten die strickförmigen Körper vollständig in das Mark des kleinen Gehirns ein, sie bilden die unteren Stiele dieses Organs. Zwischen ihnen kommen auf dem Boden der Rautengrube, unmittelbar bedeckt von der Höhlenformation der grauen Substanz, zwei Stränge zum Vorschein, welche die nach vorn vom Zentralkanal gelegenen Teile des Rückenmarks, also die Vorderhörner nebst den in der Tiefe gelegenen Teilen der Vorderstränge, fortzusetzen scheinen. Diese den Boden der Rautengrube ausfüllenden zumeist aus grauer Substanz bestehenden Gebilde heißen wegen ihrer convex gewölbten Form die runden Stränge oder runden Erhabenheiten (eminentiae teretes et); ihre graue Substanz hängt mit den meisten Nervenkernen des verl. Marks zusammen, doch sind einzelne der letztern in Folge der Zerklüftung des Marks durch weiße Stränge weiter von der Mittellinie entfernt und isoliert worden. Zu allen hier geschilderten Gebilden kommt noch schließlich als weitere Folgeerscheinung der veränderten Strukturbedingungen eine neue Formation von Fasergruppen, welche in querer Richtung das Mark umschlingen, zum Teil in die vordere Mittelspalte sowie in die Furche zwischen den Pyramiden und Oliven eintreten, zum Teil über die Rautengrube hinziehen und so im Ganzen einen sehr verwickelten, noch wenig aufgeklärten Verlauf nehmen12). Die Bedeutung dieser gürtel- oder bogenförmigen Fasern (fibrae arcuatae, stratum zonale, g) scheint darin zu bestehen, daß sie verschiedene in derselben Höhe liegende Anhäufungen grauer Substanz mit einander in Verbindung setzen; namentlich lassen sich viele einerseits in die Kerne der Oliven anderseits in die Kerne der strickförmigen Körper hineinverfolgen, während andere mit den Ursprungsfasern der Hörnerven zusammenzuhängen scheinen. Das Auftreten dieses zonalen Fasersystems scheint somit von denselben Bedingungen abzuhängen, in welchen auch die Zerklüftung der grauen Substanz ihren Grund hat, von dem Erfordernis nämlich, die Zentralherde verschiedenartiger Faserstränge mit einander in Verbindung zu setzen.
12) Nur auf mikroskopisch untersuchten Querschnitten des verl. Marks kann dieser Verlauf etwas näher verfolgt werden. Vgl. Kap. IV, Fig. 47 Z.
Am vorderen Ende des verlängerten Marks tritt
eine weitere wesentliche Umgestaltung der bisherigen Formverhältnisse
ein durch das hier aus der Anlage des dritten Hirnbläschens hervorgewachsene
Kleinhirn.
Das letztere entfernt sich auf der niedrigsten Stufe seiner Bildung (Fig.
11 und Fig.12)
äußerlich noch wenig von der Beschaffenheit seiner ursprünglichen
Anlage: es überbrückt als eine quere Leiste das obere Ende der
Rautengrube und nimmt beiderseits die strickförmigen Körper in
sich auf, während nach oben eine Markplatte zum Mittelhirn aus ihm
entspringt (Fig. 14),
beiderseits aber quere Faserzüge hervorkommen, welche gegen die untere
Fläche des verlängerten Marks verlaufen und sich teils mit einander
teils mit den senkrecht aufsteigenden Faserzügen der Pyramiden- und
Olivenstränge zu kreuzen scheinen. Diese Verbindungsverhältnisse
bleiben auch nachdem das Kleinhirn eine weitere Ausbildung erreicht hat
die nämlichen. Die aus den strickförmigen Körpern in dasselbe
eintretenden Bündel sind die unteren Kleinhirnstiele (processus
ad med. oblongatam,
pi Fig.
19), die aus ihm nach oben zum Mittelhirn tretenden Markfasern
sind die oberen Kleinhirnstiele (processus ad corpora quadrigemina
oder ad cerebrum,
ps), die letzteren werden durch eine dünne
Markplatte vereinigt, welche die Rautengrube von oben bedeckt: das obere
Marksegel (velum medullare superius, vm); dasselbe verbindet
unmittelbar das Mark des kleinen Gehirns mit der nächsten Hirnabteilung,
dem Mittelhirn oder den Vierhügeln. Die aus den beiden Seiten des
Kleinhirns hervorkommenden Markstränge endlich bilden die mittleren
Kleinhirnstiele oder
Brückenarme (processus ad pontem,
pm). Das durch die Vereinigung der letzteren und ihre Kreuzung mit
den longitudinal aus dem verlängerten Mark aufsteigenden Marksträngen
an der Basis des Hinterhirns gelegene Gebilde wird die Brücke
(pons Varoli,
br Fig.
18) genannt. Sie stellt in der Tat eine Brücke, ein Verbindungsglied
dar, einerseits in longitudinaler Richtung zwischen Nachhirn und Mittelhirn,
anderseits in horizontaler Richtung zwischen den beiden Seitenhälften
des Cerebellums. Aber während die vorderen und hinteren Kleinhirnstiele
schon bei der primitivsten Ausbildung des Kleinhirns deutlich zu beobachten
sind, gewinnen die mittleren erst in Folge der fortgeschrittenen Entwicklung
dieses Hirnteils, namentlich seiner Seitenteile, eine solche Mächtigkeit,
daß dadurch die Brücke als besonderes Gebilde zu unterscheiden
ist. Noch bei den Vögeln, ebenso bei allen niedereren Wirbeltieren
bemerkt man an der Stelle derselben fast nur die longitudinalen Fortsetzungen
der Vorder- und Seitenstränge des verl. Marks (Fig.
20 B). Von den Stellen an, wo die Stiele des Kleinhirns
hinten, vorn und seitlich in dasselbe eintreten, strahlen die Markfasern
gegen die Oberfläche dieses Organs aus.
Die morphologische Ausbildung des Cerebellum vollzieht
sich verhältnismäßig frühe. Bei allen Wirbeltieren
ist dieser hintere Abschnitt des Hirnmantels von grauer Rinde bedeckt,
welche deutlich von der das Innere einnehmenden Markfaserstrahlung geschieden
ist, und schon bei den niedersten Wirbeltieren, den Fischen, zerfällt
die Rinde des Kleinhirns in einige durch ihre verschiedene Färbung
ausgezeichnete Schichten13). Im Cerebellum
der Amphibien finden sich bereits Gruppen von Nervenzellen als erste Spuren
von Ganglienkernen in den Verlauf der Markfasern eingeschoben, diese mehren
sich bei den Vögeln, während zugleich an der Rinde die Schichtenbildung
deutlicher ist und durch Faltung der Oberfläche eine Massezunahme
der Rindenelemente möglich wird14)
(Fig. 14 und Fig.
20).
13) Man unterscheidet eine äußere helle Rindenschicht, eine innere dunklere Körnerschicht und zwischen beiden als lichten Saum eine schmale Grenzschicht. Die äußere Schichte besteht aus feinkörniger Neuroglia, die innere aus dunkeln Körnern, die Grenzschichte aus Nervenzellen und Nervenfasern. Im wesentlichen dieselben Schichten sind es, die man noch bei den Vögeln und Säugetieren antrifft (s. unten). Die Kleinhirnrinde erfährt also schon in der niedersten Wirbeltierklasse ihre vollständige morphologische Ausbildung, sehr verschieden von der Großhirnrinde, die, wie wir sehen werden, sehr bedeutende Entwicklungsunterschiede darbietet. Vgl. OWSJANNIKOV, bulletin de l'academie de St. Petersbourg, t. IV. Stieda, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 18, S. 34.
14) Stieda, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 18, S. 39 und Bd. 20, S. 273.
Eine weitere Formentwicklung erfährt endlich das Cerebellum bei den Säugetieren, indem neben einem unpaaren mittleren Teil, welcher wegen seiner in quere Falten gelegten Oberfläche den Namen des Wurmes trägt, stärker entwickelte symmetrische Seitenteile vorhanden sind, die freilich hei den niedersten Säugetieren noch hinter dem Wurm zurücktreten, bei den höheren aber denselben von allen Seiten umwachsen (Fig. 21). Mit den Seitenteilen entwickeln sich auch die bei den niederen Wirbeltieren nur als schwache Querfaserzüge zur medulla oblongata angedeuteten Brückenarme zu größerer Mächtigkeit. Die Querfalten der grauen Oberfläche nehmen an Menge zu und bieten auf Durchschnitten das Bild einer zierlichen Baumverzweigung, das man Lebensbaum (arbor vitae, av Fig.21) genannt hat. Zugleich treten in der Markfaserstrahlung des Kleinhirns mächtigere Ganglienkerne auf. So findet sich namentlich in jeder Seitenhälfte des Säugetierhirns ein dem Olivenkern gleichender gezahnter Kern (nucleus dentatus cerebelli, cn)15) Andere Nester grauer Substanz von analoger Bedeutung sind in der Brücke zerstreut, ihre Zellen sind wahrscheinlich zwischen den verschiedenen hier sich kreuzenden Faserbündeln eingeschoben.
15) Ein zweiter sehr kleiner Kern liegt in der dünnen Markplatte, welche die Markkerne beider Kleinhirnhemisphären verbindet und sich nach vorn in das vordere Marksegel fortsetzt. Es ist der Dachkern Stillings. (Henle, system. Anatomie III, S. 226, Fig. 159.)
Das Mittelhirn, die den Vierhügeln der Säugetiere, den Zweihügeln oder lobi optici der niedern Wirbeltiere entsprechende Abteilung des Hirnstamms (nt Fig. 19, d Fig. 11), enthält, da es kein Nebenbläschen, also keinen Mantelteil entwickelt, nur zwei Formationen grauer Substanz, Höhlen- und Kernformation. Die erstere umgibt als eine Schichte von mäßiger Dicke die Sylvische Wasserleitung: die vordersten Nervenkerne (des Oculomotorius, Trochlearis und der oberen Quintuswurzel) stehen mit ihr in Verbindung. Ganglienkerne finden sich teils innerhalb der Zwei oder Vierhügel, teils in den Verlauf der unter der Sylvischen Wasserleitung hingehenden Markstränge eingestreut. Diese paarigen, in der Mitte aber zusammenhängenden Markmassen, welche zunächst als Fortsetzungen der Vorder- und Seitenstränge des verl. Marks erscheinen, dann aber sich durch weitere longitudinale Faserzüge verstärken, die aus den Vier- und Sehhügeln hervorkommen, werden während ihres ganzen Verlaufs von der medulla oblongata an bis zum Eintritt in die Hemisphären die Hirnschenkel genannt. Das Säugetiergehirn enthält in dem zum Mittelhirngebiet gehörigen Teil der Hirnschenkel zwei deutlich umschriebene Ganglienkerne, von denen der eine, durch seine dunkle Färbung ausgezeichnet, die schwarze Substanz (substantia nigra SÖMMERING) heißt (sn Fig. 22). Er trennt jeden Hirnschenkel in einen unteren, zugleich mehr nach außen gelegenen Teil, den Fuß (basis pedunculi, f Fig. 22 und Fig. 18), und in einen oberen, mehr der Mittellinie genäherten Teil, die Haube oder Decke (tegmentum pedunculi, hb ebend.). Der oberste und innerste Teil der Haube, welcher als ein am vorderen Ende schleifenförmig gewundenes Markband unmittelbar die Vierhügel trägt, wird Schleife (laqueus) genannt (sl Fig. 20)16). Ein zweiter Kern befindet sich inmitten der Haube und wird, ebenfalls wegen seiner Farbe, als der rote Kern derselben (nucleus tegmenti) bezeichnet (hb Fig. 27). Auf den Hirnschenkeln sitzen nun die Vierhügel (v Fig. 22), nach hinten mit dem oberen Kleinhirnstiel zusammenhängend, nach vorn und seitlich Markfasern abgebend, die teils der Haube des Hirnschenkels sich beimischen, teils in die Sehhügel übergehen, teils endlich die Ursprünge der Sehnerven bilden. Die Verbindung mit den Sehhügeln und mit den Sehnerven wird bei den Säugetieren durch die Vierhügelarme vermittelt (Fig. 19). Das vordere Vierhügelpaar hängt nämlich durch die vorderen Arme mit den Sehhügeln, das hintere durch die hinteren Arme mit dem inneren Kniehöcker zusammen. In den Zwischenraum zwischen das vordere Vierhügelpaar und das hintere Ende der Sehhügel liegt die Zirbel (conarium) eingesenkt, ein den Lymphdrüsen verwandtes Gebilde, welches dem Gehirn nur äußerlich anhängt (z Fig. 19 und Fig.22). Bei den Säugetieren sind die Vierhügel, wie schon früher bemerkt, vollkommen solide Gebilde geworden. Sie sind durch eine Markplatte verbunden, welche nach hinten unmittelbar in das obere Marksegel und nach vorn in die an der Grenze zwischen Vier- und Sehhügeln gelegene hintere Commissur übergeht (cp Fig. 24). In den lobi optici der niedereren Wirbeltiere ist die Ausfüllung keine vollständige, sondern sie enthalten eine mehr oder weniger geräumige Höhle, die mit der Sylvischen Wasserleitung kommuniziert, und auf deren Boden sich jederseits eine durch Gangliengrau gebildete Hervorragung befindet (torus semicircularis Halleri, ts Fig. 15).
16) Manche Anatomen unterscheiden denselben nach Arnold (Handb. d. Anatomie Bd. II, S. 731) als einen besondern Teil des Hirnschenkels. In der Tat ist diese Unterscheidung für die physiologische Betrachtung angemessen, da, wie wir sehen werden, die Faserbündel der Schleife einer besonderen Leitungsbahn entsprechen, die in den Vierhügeln ihr nächstes Ende findet, Vgl. Kap. IV.
Das Zwischenhirn oder Sehhügelgebiet (thalami optici) steht bei allen niederern Wirbeltieren an Größe hinter dem Mittelhirn zurück (f Fig. 11), erst bei den Säugetieren übertrifft es das letztere (th Fig. 18, Fig. 19 und Fig.22); doch erstreckt sich bei den Fischen eine paarige Verlängerung des Zwischenhirns nach unten zur Hirnbasis und tritt hier in Gestalt zweier halbkugeliger Erhabenheiten hervor, die unter den lobi optici und etwas nach vorn von denselben liegen. Es sind dies die unteren Lappen (lobi inferiores) des Fischgehirns (li Fig.15). Sie enthalten einen Hohlraum, welcher mit dem dritten Ventrikel, jener spaltförmigen Öffnung, die in Folge des vorderen Deckenrisses das Zwischenhirn in die beiden thalami trennt, zusammenhängt. Wo die lobi inferiores zusammenstoßen hängt an ihnen ein unpaares Gebilde, der Hirnanhang (hypophysis cerebri, ebend. h), welches nur in seiner oberen Hälfte eine Ausstülpung des Zwischenhirns, in seiner untern dagegen ein Rest embryonalen Gewebes ist, welches ursprünglich dem oberen Ende des Schlundes angehörte und bei der Entwicklung der Schädelbasis mit dem Zwischenhirn verbunden blieb17). Die Hypophysis bleibt auch bei den höheren Wirbeltieren bestehen, bei welchen in Folge der mächtigeren Entwicklung der Hirnschenkel die lobi inferiores ganz verschwunden sind (h Fig. 23). Hier kommt die gangliöse Substanz des Zwischenhirns an der Hirnbasis nur noch zwischen den aus einander weichenden Hirnschenkeln in Gestalt einer grau gefärbten Erhabenheit, des grauen Höckers (tuber cinereum), zum Vorschein, der nach vorn gegen die Hypophysis hin mit einer trichterförmigen Verlängerung, dem Hirntrichter (infundibulum), zusammenhängt (Fig. 12 u. Fig.18). Der Trichter enthält eine enge Höhle, die nach oben mit dem dritten Ventrikel kommuniziert. Der Eintritt kleiner Blutgefäße verleiht der grauen Substanz zwischen den Hirnschenkeln ein siebförmig durchbrochenes Ansehen, daher man diese Stelle als hintere durchbrochene Platte bezeichnet (lamina perforata posterior, pp Fig. 23 und Fig. 18). Bei den Säugetieren schließen sich an den Boden des Zwischenhirns zwei markige Erhabenheiten, die weißen Hügel (corpora candicantia oder mammillaria) an (cc); wie Trichter und Hypophysis nach vorn, so begrenzen sie, unmittelbar vor dem Abschluß der Brücke gelegen, den grauen Hügel nach hinten; ihre genetische Bedeutung ist noch unbekannt.
17) W. MÜLLER, Jenaische Zeitschr. f. Med. u. Naturw. Bd. 6, S. 354.
Gleich dem Mittelhirn enthält auch das Zwischenhirn
die graue Substanz teils als Höhlen- teils als Kernformation. Zunächst
ist nämlich der Hohlraum des dritten Ventrikels von einem grauen Beleg
bekleidet, welcher zugleich einen dünnen Markstrang überzieht,
der die beiden Sehhügel vereinigt und die mittlere Commissur
genannt wird (Fig. 22 cm).
Dieses Höhlengrau des dritten Ventrikels erstreckt sich bis an die
Hirnbasis herab, wo es in den grauen Höcker und Trichter unmittelbar
übergeht. Außerdem aber sind im Innern der Sehhügel mehrere
durch Markmassen von einander getrennte Ganglienkerne eingestreut (Fig.
27
th).Ebensolche sind in zwei kleineren hügelähnlichen
Erhabenheiten zu finden, die bei den Säugetieren den hinteren Umfang
des Sehhügels begrenzen und äußerlich mit demselben zusammenhängen,
in dem äußeren und
inneren Kniehöcker (k'
k Fig. 19). Mit
beiden Kniehöckern ist der Ursprung des Sehnerven verwachsen, in den
inneren Kniehöcker geht außerdem der vordere Vierhügelarm
über. Während der vordere und äußere Umfang des Sehhügels
sich sanft abgedacht zeigt, ist nach hinten die obere von der unteren Fläche
desselben durch einen wulstigen Rand geschieden, den man das Polster
(pulvinar) nennt (pv Fig.
18).
Das Vorderhirn sitzt dem Zwischenhirn als
eine ursprünglich einfache, später, in Folge der Fortsetzung
des vorderen Deckenrisses auf dieselbe, meistens paarige Blase auf, deren
beide Hälften in der Regel am Boden zusammenhängen. Am vordem
Ende, nahe der Abgangsstelle der Riechkolben, wird diese Verbindung oft
wieder stärker, so daß manchmal die Längsspalte auch an
der oberen Fläche auf eine kurze Strecke durch eine commissura interlobularis
zum Verschwinden kommt. Da wo der Deckenriß des Zwischenhirns sich
in die Längsspalte der Hemisphären fortsetzt steht ursprünglich
der dritte Ventrikel mit den Aushöhlungen der beiden Hemisphärenbläschen
in offenem Zusammenhang. Im Gehirn der Fische schließt sich auch
diese Öffnung, ebenso wie die des zweiten Nebenbläschens, des
Cerebellum, indem die Hemisphären durch Ausfüllung ihres Innenraumes
mit Markmasse in vollkommen solide Gebilde übergehen (g Fig.
11). Der dritte Ventrikel setzt sich in diesem Fall als unpaarer
Spalt zwischen die Hemisphären fort18).
Bei den höheren Wirbeltieren dagegen wuchert der Gefäßfortsatz,
der in den Hohlraum des Zwischenhirns sich einsenkt, aus diesem auch in
die beiden Hemisphärenbläschen. Indem nun das Zwischenhirn mit
Ausnahme der als dritter Ventrikel persistirenden Spalte durch Nervenmasse
ausgefüllt wird, verschließt sich auch mehr und mehr jene Kommunikationsöffnung,
so daß schließlich nur zwei enge Öffnungen am vorderen
Ende des dritten Ventrikels übrig bleiben, welche eben den Eintritt
der Gefäße in die beiden Hirnkammern gestatten. Dies sind die
MONRO'schen
Öffnungen (mo Fig.
24), die Reste der ursprünglichen MONRO'schen
Spalten19). Sie sind vorn durch eine Markscheidewand
von einander getrennt, welche die hintere Vereinigungsstelle der beiden
Hemisphärenblasen darstellt. Der Boden dieser Scheidewand wird meist
durch stärkere Markbündel gebildet, welche von der einen Seite
zur andern ziehen, die vordere Commissur (ca). Schon bei
den Reptilien, noch mehr aber bei den Vögeln und Säugetieren
wachsen die Hemisphären so bedeutend, daß das Zwischenhirn von
ihnen mehr oder weniger vollständig überwölbt wird. In Folge
dessen buchten sich auch die seitlichen Hirnkammern nach hinten aus, und
es erscheinen nun die Sehhügel nicht mehr als ein hinter den
Hemisphären gelegener Hirnteil, sondern als Hervorragungen, welche
mit dem größten Teil ihrer Oberfläche in die seitlichen
Hirnkammern hineinragen und nur noch mit ihrer inneren Seite dem dritten
Ventrikel zugekehrt sind.
18) Seitenventrikel kommen übrigens vor bei den Dipnoern, deren Gehirn in seiner Struktur dem der Batrachier sich nähert, z. B. bei Lepidosiren. Owen, anatomy of vertebrates vol. I, p. 282, Fig. 186. Für die Deutung der zwischen den Hemisphären befindlichen Spalte als oberstes Ende des Zentralkanals spricht die Fortsetzung des Zylinderepithels aus dem letzteren auf die einander zugekehrten Hemisphärenflächen. Beim Barsch (Cyprinus tinca) ist überdies der Hemisphärenspalt durch eine obere und untere interlobuläre Commissur stellenweise zum Kanal geschlossen. STIEDA, Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 18, S. 57.
Im Vorderhirn kommt die graue Substanz in ihren drei Formationen vor: als Höhlengrau bedeckt sie die Wände des dritten Ventrikels, also namentlich die demselben zugekehrten innern Flächen der Sehhügel und die Höhle des Trichters sowie dessen ganze Umgebung, als Gangliengrau bildet sie ansehnliche Massen, welche in den Verlauf der unter dem Sehhügel hervorkommenden Fortsetzungen der Hirnschenkel eingesprengt sind, als Rindengrau endlich überzieht sie den ganzen Hemisphärenmantel. Durch die Lagerung dieser grauen Substanzanhäufungen und ihr Verhältnis zu den Markfaserstrahlungen sind die Strukturverhältnisse des Vorderhirns bedingt. Verhältnismäßig einfach gestalten sich diese, wo, wie bei den Fischen, die Hemisphären zu soliden Gebilden geworden sind, oder wo erst der Anfang einer Höhlenbildung in ihnen besteht, wie z. B. bei den Batrachiern (Fig. 13). In diesem Fall ist eine deutliche Scheidung zwischen Rinden- und Kernformation noch nicht eingetreten: die ganze Masse der Hemisphären besteht teils aus Nervenfasern teils aus fein granulierter Neuroglia, in welche Nervenzellen eingestreut sind; nur darin, daß die Zellen gegen die Oberfläche reichlicher vorkommen liegt wohl die Andeutung einer Rindenbildung 20). Bei den höheren Wirbeltieren dagegen, wo teils von den Seitenventrikeln teils von der Oberflache aus eine stärkere Massenentwicklung der Hemisphären erfolgt, tritt zugleich eine schärfere histologische Sonderung ein, indem Ganglienkerne, Hemisphärenmark und graue Rinde sich deutlich gegen einander abheben. Die Ganglienkerne lagern sich hauptsächlich auf dem Boden der seitlichen Hirnkammern ab, wo sie hügelähnliche Hervorragungen bilden, die Markfasern strahlen von diesen nach allen Richtungen gegen die Hemisphärenoberfläche aus, und auf der letzteren bildet die Rinde eine gleichmäßige Decke.
20) Stieda, Zeitschr. f. wiss. Zoologie. Bd. 18, S. 46 u. 56. Derselbe, ebend. Bd. 20, S. 273 f. Siehe auch oben.
Die tiefste Lage des Bodens der seitlichen Hirnkammern wird durch die Fortsetzungen der divergierend nach oben tretenden Hirnschenkel gebildet. Auf ihnen ruhen die Sehhügel auf, aus welchen sich den unter ihnen nach vorn und außen tretenden Hirnschenkelbündeln weitere verstärkende Markmassen beimischen. Auch in diese Endausstrahlungen des Hirnschenkels am vorderen und äußeren Umfang des Sehhügels sind umfangreiche Ganglienkerne eingestreut, welche bewirken, daß der Boden des Seitenventrikels sich in Form eines ansehnlichen Hügels erhebt, der den Sehhügel vorn und außen umfaßt Dieser Hügel ist der Streifenhügel (corpus striatum, sl Fig. 25 und Fig.26). Sein vor dem Sehhügel gelegenes kolbenförmiges Ende heißt der Kopf, der schmälere den äußeren Umfang des Sehhügels umgebende Teil der Schweif. Die Oberflache dieses mit dem Sehhügel den ganzen Boden der Seitenkammer ausfüllenden Körpers wird in ziemlich dicker Lage von grauer Substanz bedeckt und unterscheidet sich dadurch von dem Sehhügel, der auf seiner ganzen in die Seitenkammern hineinragenden Oberfläche von einer weißen Markschichte überzogen ist. Die Grenze zwischen Seh- und Streifenhügel wird durch ein schmales Markband, den Grenzstreif (stria cornea) bezeichnet (sc Fig. 26). Die Ganglienkerne des Streifenhügels bilden bei den Säugetieren drei Anhäufungen von charakteristischer Form. Die eine hängt mit der grauen Bedeckung dieses Hügels unmittelbar zusammen und wird, weil sie der um die Peripherie des Sehhügels bogenförmig geschweiften Form desselben entspricht, als der geschweifte Kern (nucleus caudatus) bezeichnet (st Fig. 27); er bildet mit den unter ihm beginnenden Markmassen den Streifenhügel im engeren Sinne. Ein zweiter sehr ansehnlicher Kern, der Linsenkern (nucleus lentiformis), liegt nach außen vom vorigen (lk); sein vertikaler Durchschnitt bildet ein Dreieck, dessen Spitze gegen den inneren Rand des Streifenhügels gekehrt ist, während seine Basis weit nach außen in das Hemisphärenmark hineinreicht; die graue Substanz des Linsenkerns ist durch zwischentretendes Mark in drei Glieder, zwei äußere von bandförmiger, ein inneres von dreieckiger Form geschieden. Der dritte Streifenhügelkern findet sich nach außen vom Linsenkern als ein schmaler ebenfalls bandförmiger Streifen, welcher das dritte Glied des Linsenkerns umfaßt, er ist der bandförmige Kern (nucleus taeniaeformis) oder wegen seiner nahen Lage an der Hirnoberfläche die Vormauer (claustrum) genannt (cl); nach abwärts von der Vormauer, nahe der Rinde der Hirnbasis, liegt endlich noch ein weiterer kleiner Kern, die Mandel (amygdala, mk)21). In diese Ganglienkerne der Hemisphären treten die meisten der von unten herankommenden Hirnschenkelfasern ein, nur wenige scheinen unter dem Streifenhügel weiter zu ziehen, ohne dessen graue Massen zu berühren. Aus den genannten Ganglienkernen kommen dann neue Markbündel hervor, welche nun nach den verschiedensten Richtungen im ganzen Umfang des Streifenhügels gegen die Hirnrinde hin ausstrahlen. Diese letzte Abteilung des großen longitudinalen Faserverlaufs, welcher mit den Rückenmarkssträngen beginnt, dann in die Stränge des verlängerten Marks übergeht und hierauf zu den Bündeln der Hirnschenkel sich ordnet, ist der Stabkranz (corona radiata). Seine Anordnung wird wesentlich bedingt durch die oben geschilderten Verhältnisse, welche der Bildung der Seitenventrikel zu Grunde liegen. Indem die in die letzteren hereingetretenen Gefäßfortsätze den Boden bedecken, müssen die als Fortsetzungen des Hirnschenkels weiterstrahlenden Markfasern des Stabkranzes die Gefäßfortsätze an ihrer Peripherie bogenförmig umfassen, um zur Decke der Ventrikel zu gelangen. So gestaltet sich denn der Stabkranz wie eine reich gefüllte Blumenkrone, deren gewundene Blätter von ihrem am Ventrikelboden gelegenen Stiel aus nach allen Richtungen divergieren, wobei nur die Stelle wo der Stiel sitzt leer bleibt, durch die oben wieder gegen einander geneigten Blatter aber zu einem Hohlraum sich abschließt.
21) Von vielen Anatomen wird nur der geschweifte Kern als Streifenhügel bezeichnet, der Linsenkern also nicht zu demselben gerechnet. Vormauer und Mandel sind nach der Form ihrer Zellen wahrscheinlich nicht als eigentliche Ganglienkerne sondern als Teile der Hirnrinde zu betrachten, von dieser durch eine zwischengeschobene Markschichte getrennt. Vgl. Kap. IV.
Dem Vorderhirn gehören als eine letzte Abteilung
die beiden Riechkolben oder Riechwindungen an. Bei den meisten
Fischen zu so ansehnlicher Größe entwickelt, daß sie manchmal
den Umfang des ganzen übrigen Vorderhirns übertreffen oder ihm
nahekommen, treten sie in den höheren Abteilungen der Wirbeltiere,
namentlich bei den Vögeln, mehr zurück, um bei den niederern
Säugetieren wieder in relativ bedeutender Größe zu erscheinen.
(Vgl. Fig. 11, Fig.
12, Fig.20
und Fig.25.) Sie
bilden hier besondere Windungen, welche, von der Hirnbasis ausgehend, den
Stirnteil des Vorderhirns mehr oder weniger nach vorn überragen. Das
Innere der Riechwindungen enthält eine Höhle, die mit den seitlichen
Hirnkammern kommuniziert. Bei einigen Säugetierordnungen, nämlich
bei den Cetaceen und in geringerem Grade bei den Affen und dem Menschen,
verkümmern diese Gehirnteile wieder, sie treten nun weit zurück
unter das Stirnhirn, als kolbenförmige Gebilde, die an einem schmalen
Stiel, dem Riechstreifen, am mittleren Teil der Gehirnbasis aufsitzen
(Fig. 23). Die hier
den Riechstreifen zum Ursprung dienende Fläche wird das Riechfeld
oder wegen ihrer von dem Eindringen kleiner Gefäße herrührenden
siebähnlichen Beschaffenheit die vordere durchbrochene Platte
(lamina perforata anterior) genannt (sp Fig.
18 und Fig.23).
Mit der vollkommeneren Entwicklung des Vorderhirns
erfahren die von demselben umschlossenen Höhlen, die beiden Seitenventrikel,
teils in Folge des Wachstums der sie bedeckenden Hemisphärenmasse
teils durch das Auftreten besonderer Gebilde, die in die Höhle hineinragen,
wesentliche Umgestaltungen. Während sich die innere, mediane Wand
des Seitenventrikels dicht an den Hirnstamm anschmiegt22),
wächst die äußere, welche aus der Decke des Hemisphärenbläschens
hervorgeht, viel rascher und wendet sich an der hinteren Umbeugungsstelle
des Hemisphärenbogens nach unten um. So erhält denn der Seitenventrikel
bei den Säugetieren zwei Ausbuchtungen oder Hörner
(cornua ventriculi lateralis), ein vorderes mit gewölbter Außenwand,
und ein unteres, dessen Ende sich zu einer Spitze verjüngt. Bei der
Umwachsung des Stammhirns durch die Hemisphärenblase hat, wie schon
bemerkt wurde, auch die ursprüngliche Komniunikationsöffnung
dieser mit dem dritten Ventrikel, der MONRO'sche Spalt,
die ganze Wachstumsbewegung der Hemisphäre mitgemacht: indem er sich
um den Hirnstamm zuerst nach hinten und dann nach unten biegt, fällt
sein ursprünglich oberes Ende mit der Spitze des unteren Horns zusammen.
Der so auf die Vorderwand des unteren Horns fallende Teil der Spalte bildet
einen Schlitz, der durch einen in das untere Horn eintretenden Gefäßfortsatz
der weichen Hirnhaut geschlossen ist (fh Fig.
27)23). So bleibt demnach der
ursprüngliche MONRO'sche Spalt an seinem Anfang
und an seinem Ende offen, die Mitte aber wird durch Markfasern geschlossen,
welche den sogleich näher zu betrachtenden Teilen des Gewölbes
und des Balkens angehören.
22) Diese mediane Wand des Seitenventrikels wird von dem hinter der ursprünglichen MONRO'schen Spaltöffnung gelegenen Teil der Wand des Hemisphärenbläschens gebildet (s. Fig. 17). Aus der unmittelbar den Spalt hinten begrenzenden Marklamelle geht hierbei, wie F. Schmidt vermutet, der auf dem Boden des Seitenventrikels zwischen dem Seh- und Streifenhügel gelegene Hornstreif hervor (iFig. 17). (F. Schmidt, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 11, S. 58.)
23) Dieser Schlitz ist die später noch zu erwähnende fissura hippocampi.
Auch in der Gestaltung der Seitenventrikel bietet
das Primatengehirn eine Eigentümlichkeit dar, die mit der stärkeren
Entwicklung des Occipitalteils der Hemisphären zusammenhängt.
Indem nämlich die Außenwand des Seitenventrikels stark nach
hinten wächst, verlängert sich der Ventrikel selbst in der nämlichen
Richtung: es bildet sich so außer dem oberen und unteren auch ein
hinteres
Horn (cp Fig. 28).
Wie schon die äußere Form des Occipitalhirns erkennen läßt
steht das nach hinten gerichtete Wachstum mit einem plötzlichen Knick
stille, um nach vorn und unten sich forzusetzen. Dies findet auch in der
Form des Hinterhorns seinen Ausdruck, indem dasselbe noch mehr als das
Unterhorn zu einer feinen Spitze ausgezogen ist. Bei den Affen ist das
Hinterhorn kleiner als beim Menschen; bei andern Säugetieren mit stark
entwickelten Hemisphären, wie z. B. bei den Cetaceen, finden sich
nur Spuren oder Anfänge eines solchen.
An der vordem Begrenzung der ursprünglichen
MONRO'schen
Spalte sind die beiden Hemisphären längs einer Linie verwachsen,
die man als Grenzlamelle (lamina terminalis) bezeichnet (bd Fig.17).
Indem sich nun der Hemisphärenbogen um die Achse des Zwischenhirns
nach hinten wendet, wird die Grenzlamelle in entsprechender Weise gebogen.
Der unterste Abschnitt derselben wird zu einem transversalen Faserband,
welches als vordere Commissur die beiden Hemisphären verbindet
(k ebend.); im weiteren Verlauf trennen sich dagegen ihre beiden
Markhälften und werden zu longitudinalen, von vorn nach hinten gerichteten
Faserbändern zu beiden Seiten der Mittelspalte. Ein Anfang dieser
Longitudinalfasern findet sich schon bei den Vögeln, stärker
entwickelt sind dieselben erst im Säugetierhirn, sie bilden hier das
Gewölbe
(fornix). Vorn dicht aneinanderliegend divergieren die beiden Schenkel
des Gewölbes bei ihrem der Wölbung des Hemisphärellbogens
folgenden Verlauf nach hinten. Die Markfasern ihres vorderen Endes reichen
bis an die Hirnbasis herab, wo sie mit dem Mark zweier unmittelbar hinter
der Sehnervenkreuzung sichtbarer kugelförmiger Gebilde, der weißen
Markhügelchen (corpora candicantia) zusammenhängen (Fig.24).
Die Fasern ihres hinteren Endes zerstreuen sich beim Menschen und Affen
in zwei Bündel, von denen das eine, schwächere an die Innenwand
des hinteren Horns, das andere stärkere an die Innenwand des unteren
Horns vom Seitenventrikel zu liegen kommt. Den so im Hinterhorn entstehenden
Vorsprung bezeichnet man als die Vogelklaue (pes hippocampi minor),
den im Unterhorn entstehenden als das Ammonshorn (pes hippocampi
major, Fig.30)24).
Doch tragen zur Bildung dieser Erhabenheiten noch andere Teile bei, die
wir sogleich werden kennen lernen. Bei den übrigen Säugetieren,
bei welchen es nicht zur Entwicklung eines Hinterhorns kommt, und welchen
daher natürlich auch eine Vogelklaue fehlt, geht die ganze Fasermasse
des Gewölbes in das Ammonshorn über25).
25) Über die Frage, ob die Affen gleich dem Menschen ein hinteres Horn des Seitenventrikels und einen pes hippocampi minor besitzen, ist ein ziemlich unfruchtbarer Streit zwischen Owen, der diese Teile im Affengehirn leugnete, und HUXLEY geführt worden. Vgl. HUXLEY, Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur, deutsch von CARUS. Braunschweig 1863, S. 128 Schon die älteren Autoren über das Affengehirn, wie TIEDEMANN (icones cerebri p. 54), bilden das hintere Horn ab. Owen selbst beschreibt in seinem späteren Werk den Anfang eines solchen beim Delphin (anatomy of vertebrates vol. III, p. 120). Die Vogelklaue ist, wie HUXLEY gezeigt hat, bei den anthropoiden Affen ähnlich wie auch das Hinterhorn nur schwächer entwickelt als beim Menschen.
Mit der Bildung des Gewölbes scheint die Entstehung eines andern Fasersystems von dazu senkrechter, transversaler Richtung, welches in noch höherem Grade ausschließliches Merkmal des Säugetierhirns ist, in naher Verbindung zu stehen. Bei den Monotromen und Beuteltieren nämlich kommen aus dem Ammonshorn Fasern hervor, welche die in dasselbe eintretenden Fasern des Gewölbes bedecken und über dem Zwischenhirn zur entgegengesetzten Hirnhälfte treten, um sich hier ebenfalls in das Ammonshorn einzusenken. Die so entstandene Quercommissur der beiden Ammonshörner ist die erste Anlage des Balkens (corpus callosum). Bei den implacentalen Säugetieren, bei denen in dieser Weise der Balken auf eine bloße Quercommissur zwischen den beiden Ammonshörnern beschränkt bleibt, ist die vordere Commissur, ebenso wie bei den Vögeln, sehr stark, zwischen ihr und dem Balken bleibt aber ein freier Raum26). Die weitere Entwicklung des Balkens geschieht nun dadurch, daß zu der Commissur der Ammonshörner andere transversale Faserzüge hinzutreten, welche in das ganze übrige Hemisphärenmark, sich großenteils kreuzend mit den Stabkranzfasern, ausstrahlen. Zugleich nimmt die vordere Commissur an Stärke ab und tritt mit dem vorderen Ende des Balkens, dem so genannten Schnabel (rostrum) desselben, durch eine dünne, ebenfalls transversale Marklamelle in Verbindung (Fig. 29 ca). Durch diese Verbindung der vorderen Commissur mit dem Balkenschnabel wird die Longitudinalspalte des großen Gehirns nach vorn geschlossen. Zwischen dem breiten hinteren Ende des Balkens, dem Wulst (splenium) desselben, und der oberen Fläche des Kleinhirns aber bleibt ein enger Zugang, durch welchen der dritte Ventrikel nach außen mündet (dieser Zugang ist in Fig. 29 zwischen der Zirbeldrüse und dem Balkenwulst als dunkel gehaltene Partie sichtbar). Derselbe geht zu beiden Seiten in enge Spalten über, die in die Seitenventrikel führen: es ist dies der Rest jenes vorderen Deckenrisses, durch den die Gefäßhautfortsätze in die drei vorderen Hirnkammern eintreten.
26) Ob während der Entwicklung der höheren Tiere der Durchbruch des Balkens ebenfalls mit der Ammonscommissur beginnt, bleibt dahingestellt. Die meisten Embryologen geben an, daß der ganze Balken gleichzeitig sich entwickle, nach Andern soll er sich allmälig von vorn nach hinten ausdehnen. Vgl. Schmidt, Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 11, S. 57. Reichert, der Bau des menschl. Gehirns. Abth. II, S. 63, Abth. I, Taf. XI.
Bei den meisten Säugetieren bildet die Ammonscommissur noch fortan einen verhältnismäßig großen Teil des ganzen Balkens (bk Fig. 31 A). Da ferner bei ihnen das Occipitalhirn wenig entwickelt ist, so daß das hintere Horn des Seitenventrikels fehlt, und gleichzeitig die vorderen Hirnganglien, die Seh- und Streifenhügel, an Masse weit unbedeutender sind, so ist das Ammonshorn bis an den Ursprung des Gewölbes herangerückt. Das letztere fällt daher jederseits sogleich in zwei Abteilungen auseinander, von denen die eine vorn, die andere hinten das Ammonshorn umfaßt (f und f' Fig. 31 B)27).
27) In der menschlichen Anatomie wird derjenige Teil des Balkens, welcher die beiden Ammonshörner verbindet, als Psalterium bezeichnet.
Zwischen dem Balken und den unter ihm hinziehenden
Schenkeln des Gewölbes breiten zwei dünne, senkrechte Marklamellen
sich aus, welche einen engen spaltförmigen Raum zwischen sich lassen:
die durchsichtige Scheidewand (septum lucidum, sp Fig.
29). Diese bewirkt samt dem Gewölbe den Verschluß
der seitlichen Hirnkammern nach innen, nur der Anfang des MONRO'schen
Spaltes bleibt hinter dem vordern Anfang der Gewölbsschenkel als die
gewöhnlich sogenannte MONRO'sche Öffnung
bestehen (mo Fig. 29).
Zwischen den beiden Seitenhälften der durchsichtigen Scheidewand bleibt
ferner ein spaltförmiger, nach unten mit dem 3ten Ventrikel kommunizierender
Hohlraum, der ventriculus septi lucidi. Die Ausstrahlungen des Balkens
bilden die Decke und einen Teil der äußeren Wand der seitlichen
Hirnkammern; sie umgeben die Außenfläche des Linsenkerns, als
äußere Kapsel desselben, und sie kreuzen sich in ihrem Verlauf
nach der Hirnrinde, in der sie endigen, überall mit den Fasern des
Stabkranzes, ausgenommen in ihrer hinteren Abteilung, welche den Ammonshörnern
und ihrer Umgebung zugehört, Teilen, in die keine Stabkranzfasern
eindringen, und in denen daher auch keine Kreuzung mit denselben stattfinden
kann. Diese hintere Abteilung des Balkens bleibt bei den niederen Säugetieren
als reine Commissur der Ammonshörner bestehen (Fig.
31 A), bei den Primaten aber scheidet sie sich wieder in zwei
Teile, in einen inneren, der in das Ammonshorn und die Vogelklaue (am
und vk Fig. 30)
übergeht, und in einen äußeren, der sich vor den zur Rinde
des Occipitalhirns tretenden Stabkranzfasern nach unten umschlägt
(m'
Fig. 32), um
die Außenwand des hintern Horns vom Seitenventrikel zu bilden: man
bezeichnet ihn hier als Balkentapete (tp Fig.
28).
Die nämliche Faserrichtung, welche das Gewölbe,
der aus der vorderen Grenzlamelle des MONRO'schen
Spaltes hervorgegangene Faserzug, einschlägt, teilt sich bei der Umwachsung
des Stammhirns durch den Hemisphärenbogen auch dem unmittelbar vor
jener Grenzlamelle gelegenen Teil der Hemisphärenwand mit. Aber während
das Gewölbe wegen der anfänglichen Verwachsung nicht von grauer
Rinde überzogen ist, bleibt jener ursprünglich nicht verwachsene
Teil vor ihr, der nachher in Folge der Hemisphärenwölbung über
das Gewölbe zu liegen kommt, an seiner medianen Seite von Rinde bedeckt.
Nachdem der Durchbruch des Balkens erfolgt ist, wird er durch diesen vom
Gewölbe getrennt und bildet nun einen den Balken bedeckenden longitudinalen
Faserzug, der bei fast allen Säugetieren durch eine dem Balken parallele
Furche von den weiter nach der Peripherie gelegenen Teilen der Hemisphäre
geschieden ist. Man bezeichnet diesen longitudinalen Faserzug als die Bogenwindung
oder Zwinge (gyrus fornicatus, cingulum Gf Fig.
29). Bei solchen Säugetieren, bei denen diese Windung sehr
stark und der Stirnteil des Vorderhirns relativ wenig entwickelt ist, kommt
der Anfang der Bogenwindung vorn unmittelbar hinter der Basis der Riechstreifen
zu Tage. Seine Fasern stehen hier teils mit der Rinde des vordersten an
den Riechstreifen grenzenden Teils der Hirnbasis teils, wie es scheint,
mit den Fasern der durchsichtigen Scheidewand, durch letztere also vielleicht
mit dem Gewölbe, in Zusammenhang, hinten kommt die Bogenwindung, nachdem
sie sich um den Balken herumgeschlagen, ebenfalls an der Hirnbasis zum
Vorschein, und geht in eine nach hinten von der Sylvischen Spalte gelegene
und die Medianspalte begrenzende Windung über, welche als hakenförmige
Windung (gyrus uncinatus oder hippocampi) die Außenwand des Ammonshorns
bildet (H Fig. 29).
An der Grenze des Balkens hört der Rindenbeleg auf, die untere dem
Balken zugekehrte Fläche der Bogenwindung ist daher rein markig. Nur
im hinteren Abschnitt derselben hat sich ein schmaler von der übrigen
Rinde isolierter Streifen grauer Substanz erhalten, welcher als graueLeiste
(fasciola cinerea) bezeichnet wird und unmittelbar den Balken bedeckt (fc
Fig.
33). Die weißen Longitudinalfasern der Bogenwindung, welchen
die graue Leiste aufsitzt, sind während des ganzen Verlaufs derselben
von dem übrigen Mark getrennt, so daß sie bei der Ablösung
derselben vom Balken nebst der sie in ihrem hinteren Abschnitt überziehenden
grauen Leiste als ein weißer Markstreifen, das bedeckte Band
(taenia tecta) genannt, auf dem Balken sitzen bleiben (sl Fig.
32 u. Fig.33).
Die Trennung des bedeckten Bandes und der grauen Leiste von der übrigen
Mark- und Rindensubstanz der Bogenwindung erhält dadurch ihre Bedeutung,
daß jene Gebilde auch beim Übergang der Bogen- in die Hakenwindung
getrennt bleiben28). Mark und Rinde der
Bogenwindung gehen nämlich unmittelbar in Mark und Rinde des gyrus
hippocampi über, so daß beide eigentlich eine einzige Windung
bilden, deren beide Teile sich nur dadurch unterscheiden, daß der
gyrus fornicatus an seiner unteren dem Balken zugekehrten Fläche nicht
von Rinde belegt ist, während sich beim Übergang in den gyrus
hippocampi die Rinde wieder über die ganze Oberfläche ausbreitet.
An der Stelle nun wo die Bogenwindung den Balkenwulst verlassend zum gyrus
hippocampi wird, und wo demnach die bisher nur die innere Oberfläche
überziehende Rinde auf die untere sich ausdehnt, trennt sich das bedeckte
Band von dem übrigen Mark der Windung, indem es auf die Oberfläche
der Rinde des gyrus hippocampi zu liegen kommt. Hierdurch muß sich
aber auch die graue Leiste, welche das bedeckte Band unten überzieht,
von der übrigen Rinde trennen, da eben das bedeckte Band zwischen
beiden sich ausbreitet. An dieser Stelle ist also die das Mark überziehende
Rinde noch einmal von einer weißen Markschicht und die letztere abermals
von grauer Rinde bedeckt, wobei aber diese oberflächlichsten aus dem
bedeckten Band und der grauen Leiste stammenden Schichten örtlich
beschränkt bleiben, indem sie nur den gyrus hippocampi und diesen
nicht einmal vollständig überziehen. Beide verhalten sich übrigens
in ihrer Ausbreitung verschieden. Das Mark des bedeckten Bandes verbreitet
sich über die ganze Rinde des gyrus hippocampi als eine äußerst
dünne netzförmig durchbrochene Schicht, sie bildet so als stratum
reticulare des gyrus hippocampi die einzige weiße Markausbreitung
auf der Rindenoberfläche der Hemisphären (sr Fig.
33, s. a. H Fig.
23). Die graue Leiste aber behält ihr bandförmiges
Ansehen, sie überzieht nicht die ganze Markstrahlung des bedeckten
Bandes sondern nur jene Stelle derselben, welche in die den gyrus hippocampi
nach innen begrenzende Furche zu liegen kommt; wegen der äußeren
Form, die sie an dieser Stelle ihres Verlaufes erhält, wird sie hier
als gezahnte Binde (fascia dentata) bezeichnet (fd Fig.33).
Jene Furche, welche den gyrus hippocampi nach innen begrenzt, springt nun
aber in das untere Horn des Seitenventrikels in der Gestalt des Ammonshorns
vor. So wird die Bildung des letzteren, zu der, wie wir oben gesehen haben,
Fasern des Gewölbes und des Balkens beitragen, durch den Anteil, welchen
die verschiedenen Teile der Bogenwindung an ihr nehmen, vollendet. Der
markige Beleg, der die Kammeroberfläche des Ammonshorns überzieht,
wird durch die Fasern des Gewölbes und des Balkens gebildet (Fig.34).
Darauf folgt als erste graue Schichte die Rinde des gyrus hippocampi (r),
nach außen von ihr kommt als zweite Markschicht die Fortsetzung des
bedeckten Bandes oder die auf der Rinde des gyrus hippocampi ausgebreitete
substantia reticularis (H), und auf sie endlich folgt als zweite
graue Schicht die gezahnte Binde, die Fortsetzung der grauen Leiste (fd).
Letztere erstreckt sich wie gesagt nur in die dem Ammonshorn entsprechende
Furche hinein; in dieser findet zugleich die Lage der reticulären
Substanz ihre innere Grenze, an der Stelle wo dies der Fall ist hängt
die graue Schichte der gezahnten Binde mit der Rinde des gyrus hippocampi
zusammen, so daß hier die beiden grauen Lagen, welche das Ammonshorn
ausfüllen, in einander übergehen. Gerade da wo dieser Übergang
stattfindet endet der innere markige Überzug des Ammonshorns mit einem
freien umgeschlagenen Saume, der Fimbria (fi)29).
28) Nicht zur Bogenwindung sondern zum Balken selbst wird der die sogenannte Balkennaht bildende mittlere Längsstreif (sm Fig. 32) gerechnet. Ursprung und Endigung dieses Längsfaserzugs sind übrigens noch unbekannt.
29) Vergleicht man hiernach das Ammonshorn mit der zweiten Hervorragung des Seitenventrikels, auf welcher die Fasern des Gewölbes sich ausbreiten, mit der Vogelklaue im hintern Horn, so stimmen beide Bildungen darin überein, daß sie von Faltungen der Hirnoberfläche herrühren, welche außen als Furchen, innen als Erhöhungen erscheinen, und daß der Marküberzug dieser Erhöhungen von Fasern des Gewölbes und Balkens gebildet wird. Aber während die Vogelklaue hierauf beschränkt bleibt und daher nur aus zwei Schichten, einer innern weißen und äußern grauen, besteht, wird beim Ammonshorn die durch die Faltung der Hirnoberfläche gebildete Vertiefung von der Fortsetzung des bedeckten Bandes und der gezähnten Binde ausgefüllt, so daß hier vier Schichten, zwei weiße und zwei graue, entstehen.
Während das Gehirn im Laufe seiner Entwicklung allmälig in die Teile sich gliedert, die wir nun kennen gelernt haben, erfährt seine äußere Form Umwandlungen, die zu immer komplizierteren Bildungen führen, und deren schließliches Resultat teils von der Stufe der Entwicklung, die das betreffende Gehirn überhaupt erreicht, teils von dem relativen Wachstum der einzelnen Teile, die dasselbe zusammensetzen, abhängt. Bei den niedersten Wirbeltieren entfernt es sich wenig von jener einfachsten embryonalen Form, die mit der Scheidung des primitiven Hirnbläschens in seine fünf Abteilungen gegeben ist. Fast. alle Formverschiedenheiten beruhen hier auf der relativen Größe dieser Abteilungen; außerdem ist nur noch die Entwicklung der aus dem Vorderhirn hervorgewachsenen Riechkolben von formbestimmendem Einflusse. Eine größere Mannigfaltigkeit der Gestaltung ergibt sich bereits, sobald die Mantelgebilde den Hirnstamm zu umwachsen beginnen. Die Bedeckung der lobi optici und des Kleinhirns durch die Großhirnhemisphären, des verlängerten Marks durch das Kleinhirn, der Grad der Kopfkrümmung bringen nun eine neue Reihe von Formeigentümlichkeiten hervor, denen sich als weitere die äußere Gestalt der Hemisphären, die Entwicklung oder der Mangel der Seitenteile des Kleinhirns, das hiermit zusammenhängende Hervortreten gewisser Kerngebilde wie der Oliven an der medulla oblongata, sowie die Entwicklung einer Varolsbrücke hinzugesellen. An allen Säugetierhirnen ist die Stelle, wo die Großhirnhemisphäre ursprünglich dem Hirnstamm aufsitzt, durch die Sylvische Grube bezeichnet (Fig. 16). Indem sich die Ränder dieser Grube entgegen wachsen, geht dieselbe bei allen höheren Säugetieren in eine tiefe Spalte, die Sylvische Spalte (fissura Sylvii), über. Dieselbe geht im allgemeinen schräg von hinten und oben nach vorn und unten; ihre Richtung weicht um so mehr von der vertikalen ab, je stärker sich das Occipitalhirn entwickelt und die nach hinten gelegenen Teile überwächst. (Fig. 35). Eine eigentümliche Gestaltung erfährt diese Spalte endlich bei der höchsten Säugetierordnung, bei den Primaten30). Bei ihnen nimmt nämlich schon im Anfang des Embryonallebens die in Folge der Umwachsung des Stammhirns durch die Hemisphären gebildete Grube durch die gleichzeitige Entwicklung des Frontal- und Occipitalhirns ungefähr die Form eines Dreiecks an, dessen Basis nach oben gekehrt ist. Diese Grube schließt sich dann, indem ihre Ränder von vorn, oben und hinten sie überwachsen, zu einer gabelförmigen Spalte (S Fig. 36), an welcher man einen vorderen und einen hinteren Schenkel (s1 und s2) unterscheidet. (Vergl. a.Fig. 40) Der zwischen den beiden Gabeln der Spalte gelegene, die ursprüngliche Grube von oben her deckende Hemisphärenteil (K) heißt der Klappdeckel (operculum). Schlägt man den Klappdeckel zurück, so sieht man, daß der unter ihm gelegene Boden der Sylvischen Grube emporgewölbt und, gleich der übrigen Oberfläche der Hemisphäre, durch Furchen in eine Anzahl von Windungen geteilt ist. Den so wegen seiner eigentümlichen Lage versteckten und isolierten Gehirnabschnitt nennt man den versteckten Lappen oder die Insel (lobus opertus, insula Reilii, Fig. 27 J). Sowohl der Klappdeckel wie die Insel sind ausschließlich dem Primatengehirn eigentümlich. Die beiden Schenkel der Sylvischen Spalte benutzt man in der Regel, um die Hemisphären des Primatengehirns in einzelne Regionen zu trennen. Den nach vorn vom vorderen Schenkel gelegenen Teil nennt man nämlich den Stirnlappen (F Fig. 37), den von beiden Schenkeln eingefaßten Raum den Scheitellappen (P), die hinter der Sylvischen Spalte gelegene Region den Hinterhauptslappen (O) der unter ihr gelegene Hirnteil endlich heißt der Schläfelappen (T). An der Konvexität des Gehirns gehen diese Lappen ohne scharfe Grenze in einander über.
30) Wir begreifen hier und im Folgenden überall unter der Ordnung der Primaten die eigentlichen Affen (simiae) und den Menschen, die in Bezug auf die Formausbildung ihres Gehirns eine durchaus zusammenhängende Gruppe bilden.
Wie die Sylvische Spalte die ganze Außenfläche
der Hemisphäre in mehrere Abschnitte trennt, so sind noch einige Teile
des Großhirns durch Furchen oder Spalten gegen ihre Umgebung abgegrenzt.
So gibt sich der über dem Balken von vorn nach hinten ziehende und
dann um den Balkenwulst sich auf die Unterfläche des Gehirns begebende
longiludinale Faserzug, die Bogenwindung, in der Regel durch Furchen zu
erkennen, welche denselben von den umgebenden Teilen trennen (Fig.
29 Gf). Namentlich ist bei allen Säugetieren an
der medianen Oberflache der Hemisphäre der Rand sichtbar, mit welchem
sich die Bedeckung des inneren Teils der Bogenwindung in das untere Horn
des Seitenventrikels umschlägt (fissura hippocampi Fig.
27 fh); bei den meisten ist außerdem die Bogenwindung
während ihres Verlaufs über dem Balken nach oben hin durch eine
longiludinale Furche (sulcus calloso-marginalis C Fig.
29) begrenzt. Ebenso ist an der Basis des Vorderhirns der Riechkolben
oder die Riechwindung fast immer nach innen und nach außen durch
Furchen geschieden (sulcus ento- und ectorhinalis) , die übrigens
am menschlichen Gehirn in eine einzige zusammenfließen (sr Fig.
23). Alle diese Spalten und Furchen sind somit teils durch das
Wachsen der Hemisphäre um ihre Anheftungsstelle am Zwischenhirn (fissura
Sylvi), teils durch den Verschluß der äußeren Spalte des
unteren Horns (fissura hippocampi), teils durch den Verlauf bestimmter
an der medianen und unteren Fläche der Hemisphäre hervortretender
Markbündel (fissura calloso-marginalis, ento- und ectorhinalis) verursacht.
Da nun die zu Grunde liegenden Strukturverhältnisse allen Säugetieren
eigentümlich sind, so sind auch jene Vertiefungen, sobald sie überhaupt
außen sichtbar werden, durchaus konstant in ihrem Auftreten. Minder
gleichförmig verhalten sich andere Furchen, welche dem Hirnmantel
der höheren Säugetiere ein vielfach gefaltetes Ansehen geben.
Die Oberfläche des Klein- und Großhirns wird durch diese Furchen
in zahlreiche Windungen (gyri) eingeheilt, welche am Kleinhirn, an welchem
sie schmale, auf dem Markkern senkrecht stehende Leisten von meist transversaler
Richtung bilden, im allgemeinen regelmäßiger geordnet sind,
am Großhirn aber, wo sie den Darmwindungen einigermaßen ähnlich
sehen, oft weniger deutlich ein bestimmtes Gesetz erkennen lassen. Die
gemeinsame Ursache aller dieser Faltungen der Hirnoberfläche liegt
augenscheinlich in dem verschiedenen Wachstumsverhältnis der Hirnrinde
und der in sie eintretenden Markstrahlung. Wächst die Rinde samt der
unmittelbar von ihr bedeckten Markschichte verhältnismäßig
schneller als der zentralere Teil der Markstrahlung, so muß sich
die Hirnoberfläche in Falten legen, indem sie in ähnlicher Weise
sich aufrollt wie ein Band beim Zurückdrehen der Rolle, um die es
geschlungen ist. Als Achse der Aufrollung wird man daher bei den
Faltungen der Hirnoberfläche eine Linie bezeichnen können, welche
in der Richtung der Falten durch den Markkern gelegt wird: um diese müßte
man den Hirnmantel rollen, wenn seine unebene in eine glatte Oberfläche
verwandelt werden sollte. Laufen die Falten in verschiedener Richtung,
so werden dem entsprechend mehrere Achsen anzunehmen sein, um welche der
Hirnmantel sukzessiv gerollt werden müßte, wenn man ihn glätten
wollte.
Die Faltung der Oberfläche des Kleinhirns
tritt in ihrer einfachsten Form bei den Vögeln auf, deren Cerebellum
der Seitenteile entbehrt und daher von oben gesehen als ein unpaares Gebilde
von annähernd kugel- oder eiförmiger Gestalt erscheint. Die Oberfläche
dieses Organs ist nun in transversale Falten gelegt, welche annähernd
Kreisen oder Ellipsen entsprechen, die sämtlich in einer durch den
Mittelpunkt der Kugel oder des Ovoids gelegten transversalen Achse sich
schneiden: die letztere ist daher in diesem Fall die gemeinsame Aufrollungsachse
für alle an der Oberfläche sichtbaren Falten (Fig.
20). Durchschneidet man aber das Organ senkrecht zur Richtung
dieser Achse, so zeigt sich, daß die Tiefe der die einzelnen Erhebungen
trennenden Flächen wechselt, indem je eine Gruppe von zwei bis drei
Leisten, welche von einander durch seichtere Flächen begrenzt sind,
durch tiefere von ihrer Umgebung sich scheiden (Fig.
14 B). Bei den Säugetieren wird die Faltung komplizierter,
indem eine größere Zahl leistenförmiger Erhebungen zu einer
durch tiefere Furchen gesonderten Gruppe zusammentritt. Außerdem
sind häufig mehrere solche Gruppen durch trennende Spalten zu größeren
Lappen vereinigt. So kommt es, daß die meisten Windungen in die Tiefe
der größeren Falten zu liegen kommen und nur die Endlamellen
auf der Oberfläche erscheinen; auf Durchschnitten entsteht hierdurch
jenes Bild eines sich in Zweige und Blätter entfaltenden Baumes, welches
die alten Anatomen mit dem Namen des Lebensbaumes belegten. (Fig.
29 W). Zudem erheben sich
nun neben dem mittleren Teil oder Wurm größere symmetrische
Seitenhälften. Wo diese, wie z. B. beim Menschen, eine verhältnismäßig
regelmäßige Anordnung der Windungen darbieten, da sind die letzteren
ebenfalls vorwiegend transversal gerichtet. Doch verlassen sie diese Richtung
gegen den vorderen und hinteren Rand, um allmälig in schräge
und selbst longitudinale Bogen überzugehen, welche gegen diejenige
Stelle konvergieren, wo die Seitenteile an dem Wurm aufsitzen (Fig.
21). Bei vielen Säugetieren kommen übrigens, namentlich
an den Seitenteilen, größere Abweichungen in dem Verlauf der
Faltungen vor, welche sich einer bestimmten Regel nicht mehr fügen;
solche sind besonders bei großem Windungsreichtum des Organs zu beobachten.
Auch am kleinen Gehirn des Menschen gibt es einzelne durch größere
Spalten isolierte Abteilungen31), an welchen
der Verlauf der Windungen von der im Ganzen eingehaltenen Regel mehr oder
weniger abweicht, wahrscheinlich in Folge besonderer Verhältnisse
des Faserverlaufs, welche das allgemeine Wachstumsgesetz modifizieren.
Hiervon abgesehen ist die Gestaltung der Oberfläche dadurch kompliziert,
daß wir, den Verzweigungen des so genannten Lebensbaumes entsprechend,
Falten erster, zweiter und dritter Ordnung unterscheiden können (Fig.
29). Die sekundären Falten sind den primären superponiert,
indem jede der letzteren sich noch einmal in Falten von gleicher Richtung
legt, ebenso die tertiären den sekundären. Wir können uns
den Vorgang dadurch versinnlichen, daß wir der ersten über die
ganze Oberfläche sich erstreckenden Aufrollung eine zweite und dritte
folgen lassen, von denen jede um quere Achsen erfolgt, welche innerhalb
der durch die vorangegangene Aufrollung gebildeten Falten gelegen sind.
31) Hierher gehört namentlich die Flocke (fl Fig. 23), ein kleiner federähnlicher Auswuchs am hintern Rand des Brückenschenkels, und die Tonsille (to ebend.), ein die medulla oblongata deckender eiförmiger Wulst zwischen dem unteren Wurm und den Seitenteilen.
Die Oberfläche des großen Gehirns
pflegt nur bei der höchsten Wirbeltierklasse sich durch Faltungen
zu vergrößern, und noch bei den Säugetieren zeigen die
niedersten Ordnungen höchstens die schon früher besprochenen
Furchen und Windungen (Sylvische Spalte, sulcus hippocampi u. s. w.), welche
auf anderen Ursachen beruhen als die übrigen Faltenbildungen. Sobald
aber die letzteren erscheinen halten sie bei allen Säugetieren bis
hinauf zu den Primaten im wesentlichen die nämliche Regel ein. Alle
Furchen und Windungen, welche sich gegen die hintere Grenze des Gehirns
erstrecken, verlaufen nämlich von vorn nach hinten, also annähernd
in longitudinaler Richtung; häufig sind sie zugleich in Bogen um die
Sylvische Spalte gekrümmt. (Vergl. Fig.35
I, II, III.) Wie die Hemisphären
von vorn nach hinten den Hirnstamm umwachsen, so sind demnach auch die
Windungen auf einem Teil ihrer Oberfläche von vorn nach hinten gerichtet
und zugleich um die Anheftungsstelle am Zwischenhirn im selben Sinne gebogen,
in welchem die Umwachsung stattfindet. Die Stärke dieser Krümmung
ist durch die Tiefe und Ausdehnung der Sylvischen Grube oder Spalte bedingt.
Wo diese nur als eine schwache Vertiefung oder als ein mäßiger
Einschnitt erscheint, da verlaufen die Windungen, wenigstens eine Strecke
weit, fast geradlinig. Je tiefer die Spalte sich einsenkt, und je mehr
in Folge dessen der Schläfeteil des Gehirnes tiefer als der Stirnteil
zu liegen kommt, um so stärker krümmen sich die Bogen. Die Zahl
der Längsfalten, welche so an der Oberfläche des großen
Gehirns bemerkt werden, variiert im allgemeinen zwischen zwei und
fünf. Manchmal münden einzelne an irgend einer Stelle
ihres Verlaufs mit einer benachbarten Falte zusammen; sehr häufig
treten schwächere sekundäre Falten hinzu, welche die erste Richtung
kreuzen. Auf diese Weise entstehen unregelmäßigere Schlängelungen,
welche jenes Gesetz des Verlaufs mehr oder weniger verdecken können.
Wesentlich anders verhält sich die Faltenbildung am vorderen
Teil des großen Gehirns. In einer Gegend, die der Sylvischen Spalte
entspricht oder noch etwas nach vorne von derselben liegt, geht nämlich
der longitudinale Windungszug entweder allmälig oder plötzlich
in einen transversalen über; zugleich sind die auftretenden
Querfurchen häufig radiär gegen die Sylvische Spalte gestellt.
Die Richtung der Falten des Frontalhirns ist also dem longitudinalen und
bogenförmigen Verlauf der Windungen am Occipitalhirn entgegengesetzt,
wie die obere Reihe der in Fig.
37. skizzierten Gehirne deutlich zeigt. Diese Furchenbildung
am vorderen Teil des Gehirns steht augenscheinlich damit im Zusammenhang,
daß vorn ein bis dahin in der Tiefe verborgener Windungszug, die
Bogenwindung,
an die Oberfläche hervortritt (Fig.
35 Gf). Bei allen Säugetieren mit Ausnahme der Cetaceen
und Primaten, derjenigen Ordnungen also, bei denen die Riechwindungen mehr
oder weniger verkümmert sind, erhebt sich am vorderen Teil des Gehirns
die Bogenwindung zur Oberfläche und ist an dieser Stelle durch eine
quer oder schräg gestellte Furche von den dahinterliegenden Windungen
geschieden; nach vorn geht sie unmittelbar in die Riechwindung über,
von der sie abermals durch eine meistens seichtere Querfurche getrennt
ist. Die Stelle, wo die Bogenwindung zu Tage tritt, liegt zuweilen sehr
nahe an der vorderen Hirngrenze: so bei den Carnivoren, bei denen aber
diese Windung sich stark in die Breite entwickelt, so daß sie mit
der Riechwindung ganz den sonst dem Frontalhirn entsprechenden Platz einnimmt.
In andern Fällen liegt jene Stelle weiter zurück, es pflegt dann
der frei liegende Teil der Bogenwindung mehr in die Länge als in die
Breite entwickelt zu sein, so daß er nur einen schmalen Raum seitlich
vom vorderen Teil der Längsspalte ausfüllt. Aber nicht bloß
diejenigen Falten, die von dem Hervortreten der Bogen- und Riechwindung
herrühren, sind quer gerichtet; auch die übrigen auf diesen vorderen
Teil des Gehirns sich erstreckenden Furchen und Windungen nehmen dieselbe
transversale Richtung an. Dabei können entweder die nämlichen
Falten, die an der Occipitalfläche die longitudinale Richtung besitzen,
vorn in die transversale umbiegen, oder aber es können plötzlich
die Längsfurchen unterbrochen werden und Querfurchen an ihre Stelle
treten. Für das erstere Verhalten ist das durch die Regelmäßigkeit
und Symmetrie seiner Windungen ausgezeichnete Carnivorengehirn ein augenfälliges
Beispiel (Fig. 37,
1); dem zweiten Typus folgen die meisten anderen windungsreicheren Säugetierhirne,
wobei übrigens immerhin einzelne der Längsfurchen oft in Querfurchen
sich fortsetzen. Meistens sind es zwei Hauptfurchen, welche so entweder
vollkommen selbständig oder nach rückwärts in Längsfurchen
übergehend den Frontalteil des Gehirns transversal durchziehen; dazu
kommt nun aber auch noch die hintere Begrenzungsfurche der Bogenwindung,
sowie die Furche zwischen Bogen- und Riechwindung, so daß die Gesamtzahl
der vorderen Querfurchen meistens auf vier sich beläuft (Fig.
37, 3 und 4).
Sowohl die longitudinalen wie die transversalen
Falten sind gewöhnlich nur an der oberen und äußeren Fläche
der Hemisphären sichtbar. Die Basis des großen Gehirns pflegt
ganz und gar von den bereits früher besprochenen Furchen und Windungen
eingenommen zu sein, nämlich vorn von der Riechwindung und hinten
von dem lobus hippocampi (Fig.
35 ol, H), neben denen höchstens ein schmaler Saum
sichtbar bleibt, der den äußersten Windungen der Hirnoberfläche
angehört. Auf dem medianen Durchschnitt wird in den meisten Gehirnen
die Oberfläche vollständig von der Bogenwindung und ihren Fortsetzungen,
nach hinten in den hippokampischen Lappen, nach vorn in die Riechwindung
eingenommen. Nur wo diese Gebilde mehr zurücktreten, wie am Gehirn
der Cetaceen, der Affen und des Menschen, kommen die Windungszüge
der Oberfläche zum Teil auch hier zum Vorschein. Diese Gehirne zeigen
aber noch in anderer Beziehung bedeutende Abweichungen von dem allgemeinen
Furchungsgesetz des Säugetierhirns. Bei den Cetaceen, deren peripherische
und zentrale Geruchsorgane gänzlich verkümmern, bleibt die Bogenwindung
in der Tiefe verborgen, und eine Riechwindung existiert überhaupt
nicht. Die Hauptfurchen der Oberfläche ziehen in der ganzen Länge
des außerordentlich in die Breite entwickelten Gehirns longitudinal
von vorn nach hinten, wie es bei den übrigen Säugetieren nur
am Occipitalteil der Fall ist. Am deutlichsten ist diese Richtung ausgeprägt
nahe der Längsspalte; weiter nach außen erreichen viele der
quer und schräg gestellten Nebenfurchen oft die gleiche Tiefe, so
daß der Verlauf der Hauptfurchen gestört wird und sich eine
netzförmige Faltenbildung entwickelt (5 Fig.
37).
Einem gemeinsamen, von dem der übrigen Säugetiere
abweichenden Entwicklungsgesetz folgt die Furchung des Primatengehirns.
Bei ihm bleibt die Riechwindung, welche ganz auf einen Riechkolben reduziert
ist, an der Basis des Gehirns verborgen. Die Bogenwindung tritt zwar an
die Oberfläche hervor, aber dies geschieht nicht am Frontal- sondern
am Occipitalteil des Gehirns (Fig.
37, 6 und 7b'). Hier entsendet der gyrus fornicatus,
während er um den Balkenwulst sich umschlägt, um in die Hakenwindung
überzugehen, einen Ausläufer zur Oberfläche, der sich in
zwei Läppchen, den sogenannten Zwickel und Vorzwickel
(Cuneus und Praecuneus), spaltet (Pr, Cn Fig.
39). Dieser Ausläufer kommt inselförmig an der Oberfläche
zum Vorschein, denn nach vorn und hinten ist er von anderen Windungen umgeben,
gegen welche Zwickel und Vorzwickel häufig durch quere Furchen begrenzt
sind; ebenso sind dieselben von einander durch eine tiefe Querfurche, die
senkrechte
Hinterhauptsfurche, getrennt (O). Einähnlicher transversaler
Verlauf der Falten waltet nun aber am ganzen Occipilalteil des Gehirns
vor, von der Stelle an, die dem Stiel der Sylvischen Spalte entspricht,
bis zur Hinterhauptsgrenze. Nach vorn ist die Hauptfurche, welche in querer
Richtung von oben nach unten verläuft, der ROLANDO'sche
Spalt oder die Zentralfurche (R Fig.
40): vor und hinter ihr bemerkt man am Gehirn des Menschen
und der höheren Affen (Fig.
37, 7) eine Querfalte, die vordere und hintere Zentralwindung(VC,
HC Fig. 40);
beide sind durch kürzere Querfurchen von ihrer Umgebung, jene von
den Stirnwindungen, diese vom Vorzwickel, geschieden. Eine letzte tiefgehende
Querfurche sieht man endlich an der hinteren Grenze des Occipitalhirns:
es ist die horizontale Occipilalfurche, welche zwischen dem Zwickel
und den an die Hirnbasis herabtretenden Windungen sich einsenkt (O').
Im Ganzen bemerkt man demnach fünf mehr oder wenige tiefe Querfurchen
an der Oberfläche des Occipitalhirns, von denen drei den Ausläufern
der Bogenwindung und ihrer Umgrenzung angehören. Dagegen wird am Stirn-
und Schläfeteil des Gehirns, also nach vorn vom aufsteigenden,
nach unten vom horizontalen Ast der Sylvischen Spalte, der Verlauf der
Furchen und Windungen im allgemeinen ein longitudinaler, wobei sie
sich zugleich bogenförmig um den Stiel der Sylvischen Spalte krümmen.
Sowohl am Frontal- wie am Temporalteil des Gehirns kann man drei solche
Längsfalten unterscheiden: sie bilden die drei Stirn- und die
drei
Schläfewindungen (F1–F3,
T1–T3),welche
sämtlich auch noch an der Basis des Gehirns sichtbar sind (Fig.
23). An der Übergangsstelle des Occipilalteils in den Temporalteil
nehmen die Falten eine Mittelstellung ein zwischen dem queren und longitudinalen
Verlauf, so daß hier in den Scheitelbogenwindungen (P1–P3)
ein allmäliger Übergang aus der einen in die andere Richtung
stattfindet; nicht so am Stirnteil, wo die drei Frontalwindungen plötzlich
durch die auf sie senkrechte vordere Zentralwindung unterbrochen werden.
Hiernach können wir am Primatengehirn wie am Gehirn der übrigen
Säugetiere quere und longitudinale Falten unterscheiden. Aber die
wesentliche Differenz besteht darin, daß bei den Primaten die queren
Furchen am Occipitalteil, die longitudinalen am Frontalteil vorkommen,
während bei den übrigen Säugetieren das umgekehrte der Fall
ist. Der ähnliche Unterschied findet sich im Verlauf der Bogenwindung:
diese tritt bei den Primaten am hinteren, bei den übrigen Säugetieren
am vorderen Teil der Oberfläche zu Tage, was sich am deutlichsten
zeigt, wenn man das Primatengehirn mit einem anderen Säugetierhirn
auf dem Medianschnitt vergleicht (Fig.38
und Fig. 39).
Diese Differenzen hängen wahrscheinlich mit dem abweichenden Wachstumsgesetz
beider Gehirnformen zusammen. Das Hirn der meisten Säugetiere wächst
während seiner Entwicklung in seinem Occipitalteil stark in die Breite,
der Stirnteil bleibt schmal, es gewinnt daher meist eine nach vorn keilförmig
verjüngte Form (vergl. die erste Reihe der Fig.
37). Beim Gehirn der Primaten dagegen überwiegt am Occipitalteil
das Längen-, am Frontalteil das Breitenwachstum: es nimmt so die Form
eines Ovoides an, dessen Hälften vorn sich innig berühren, während
sie hinten klaffend auseinandertreten und überdies durch geringere
Höhe Raum lassen für das kleine Gehirn, das von ihnen bedeckt
wird (Fig. 37, 6
u. 7, und Fig.
42).
Die Entwicklungsgeschichte lehrt, daß die Querfurchen am großen Gehirn des Menschen und wahrscheinlich der Primaten überhaupt die ursprünglichen sind, indem sie bei jenem nach ECKER schon im fünften Monat des Embryonallebens auf der zuvor glatten Oberfläche sich auszubilden beginnen, während die ersten Spuren der Longitudinalfurchen erst im Laufe des siebenten Monats erscheinen32). Solcher queren, in Bezug auf die Sylvische Spalte annähernd radiären Furchen bemerkt man am fötalen Gehirn vier bis fünf. Die stärkste unter ihnen wird zur Zentralfurche. Bei den Affen ist dieselbe weniger ausgebildet, dafür ist hier die weiter nach hinten gelegene senkrechte Occipitalfurche mehr entwickelt 33). Die hinter dieser befindliche horizontale Occipitalfurche ist am menschlichen Gehirn fast nur auf dem Medianschnitt sichtbar (Fig. 29 u. Fig.40 O'). Sie ist es, die durch ihre Vorragung im hintern Horn die Vogelklaue des Primatengehirns bildet (vk Fig. 30). Beim Menschen vereinigt sie sich mit der senkrechten Occipitalfurche unter spitzem Winkel, so daß hier der Zwickel ein keilförmig ausgeschnittener, von der Bogenwindung scheinbar getrennter Lappen ist (Cn Fig. 29). Bei den Affen ist die horizontale Occipitalfurche weniger tief, der Zusammenhang des Zwickels mit der Bogenwindung wird daher unmittelbar sichtbar (Fig. 39). Während so in dem hinter der Zentralfurche gelegenen Teil des Primatengehirns noch mehrere starke Querfurchen sich ausbilden, sind diese in der vorderen Hälfte weniger ausgeprägt34). Dagegen kommen die in der späteren Zeit der Embryonalentwicklung erscheinenden longitudinalen Furchen und Windungen gerade am Stirn- und Schläfeteil zur Ausbildung. Die an dem Gehirn aller Primaten zu unterscheidenden drei Longitudinalfalten bilden an Stirne und Schläfen einen unteren, mittleren und oberen Windungszug (Fig. 40). Aber diese Windungszüge bilden nicht, wie bei vielen andern Säugetieren, die Sylvische Spalte umkreisend zusammenhängende Windungsbogen, sondern die drei Stirnwindungen werden durch die vordere Zentralwindung unterbrochen, von den drei Schläfewindungen verläuft sogar nur die oberste in einem starken den horizontalen Schenkel der Sylvischen Spalte umgreifenden Bogen bis zur hintern Zentralwindung, die zweite und dritte werden durch die von den übrigen Radiärfurchen des Occipitalhirns umgrenzten Lappen, den Vorzwickel und Zwickel, in ihrem Lauf aufgehalten35). An der Basis des Gehirns hängt die untere Schläfenwindung vorn mit dem kolbenförmigen Ende des hippokampischen Lappens zusammen, hinten geht sie in den äußeren Schenkel eines U-förmig gekrümmten Windungszugs über, welcher die Basis des Occipitalhirns einnimmt, und dessen innerer Schenkel in den Stiel des hippokampischen Lappens einmündet (O Fig. 23)36). Der vordere Teil der Gehirnbasis wird von den nach unten umgeschlagenen drei Stirnwindungen eingenommen, von denen die mittlere und untere am Rand der Sylvischen Spalte in einander übergehen (F1, F2, Fig. 23).
32) Einige Querfurchen treten schon im 3ten Monat auf (sie sind in Fig. 16angedeutet), verschwinden aber gegen den Schluß des 4ten wieder, so daß die Gehirnoberfläche mit dem Anfang des 5ten Monats abermals vollkommen glatt ist. (Schmidt, Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. 11 S. 54. Ecker, Arch. f. Anthropologie Bd. 3. S. 207 und Taf. I. Fig. 1). Bischoff hält übrigens die transitorischen Furchen des frühern Embryonallebens für Kunstprodukte (Verhandl. der bayr. Akademie der Wissensch. Bd. 10 S. 446).
33) Sie wird aus diesem Grunde zuweilen als Affenspalte bezeichnet.
34) Das fötale Gehirn des Menschen zeigt in seinem Frontalteil nur eine schwache Querfurche, welche wahrscheinlich in die vordere Begrenzungsfurche der vorderen Zentralwindung übergeht; am Affengehirn sind hier in der Regel zwei schwache radiäre Furchen sichtbar. Pansch, Archiv f. Anthropologie Bd. III, S. 249, Taf. V. und VII.
35) Die Windungszüge, in welche so die drei Schläfewindungen auf der Oberfläche des Scheitelhirns sich fortsetzen, sind die vordere, mittlere und hintere Scheitelbogenwindung von Bischoff. Die hintere Scheitelbogenwindung (P3 Fig. 40) spaltet sich gegen die Medianlinie hin in zwei Schenkel, deren einer, ihre direkte Fortsetzung, in die Mitte des Zwickels übergeht, während der andere sich nach oben umbiegend eine kleine Windung zwischen Zwickel und Vorzwickel bildet, es ist die vierte Scheitelbogenwindung Bischoff's. Der Vorzwickel steht außerdem durch zwei breite Verbindungszüge und der Zwickel durch einen schmalen mit dem gyrus fornicatus im Zusammenhang: diese drei Verbindungen sind, wie die Bogenwindung selbst, nur auf dem Medianschnitt sichtbar (Fig. 29). Im übrigen bemerkt man auf dem letztern nur solche Hauptwindungen, die auch an der Oberfläche gesehen werden, dagegen kommen einige Nebenwindungen vor: so ist namentlich die untere Stirnwindung (F3) auf ihrer medianen Oberfläche durch eine Nebenfurche in zwei Abteilungen geschieden; häufig kommen dazu am vorderen Ende einige weitere Nebenfurchen, die aber nach kurzem Verlaufe aufhören.
36) Äußere untere und innere untere Hinterhauptswindung Bischoff's, spindelförmiges und zungenförmiges Läppchen HUSCHKE'S.
Das Furchungsgesetz
der Hirnoberfläche läßt sich, wie ich glaube, aus dem Wachstumsgesetz
des Gehirns ableiten, und die eigentümlichen Verschiedenheiten in
dem Verlauf der Großhirnwindungen bei den Primaten und den übrigen
Säugetieren werden daher aus Verschiedenheiten des Wachstumgesetzes
verständlich. Soll nämlich eine Oberfläche durch Faltenbildung
an Ausdehnung zunehmen, so wird die Oberfläche notwendig in derjenigen
Richtung sich aufrollen, in welcher dies mit dem geringsten Widerstande
geschehen kann. Ist die Oberfläche in transversaler Richtung stärker
gespannt als in longitudinaler, so wird sie demnach in letzterer an Ausdehnung
zunehmen, sie wird in transversale Falten gelegt oder um eine transversale
Achse aufgerollt werden; umgekehrt muß sie, wenn die Spannung in
longitudinaler Richtung stärker ist, sich longitudinal falten oder
aufrollen. Kurz, die Achse der Aufrollung wird immer die nämliche
Richtung wie die größte Spannung der Oberfläche besitzen
müssen. Findet die Faltung regelmäßig in einer Richtung
statt, so wird dies bedeuten, daß der Spannungsunterschied der Oberfläche
während ihres Wachstums ein konstanter war; eine unregelmäßige
Faltung wird dagegen andeuten, daß die Richtung der größten
Spannung gewechselt hat. Eine leichte Betrachtung lehrt nun, daß,
wenn irgend ein Gebilde nach verschiedenen Richtungen mit ungleicher Geschwindigkeit
wächst, an der Oberfläche derselben Spannungen entstehen müssen,
welche ebenfalls in verschiedenen Richtungen ungleich sind. Wir wollen
der Einfachheit wegen voraussetzen, das wachsende Gebilde sei bloß
eine Fläche, z. B. ein Kreis, der nach zwei zu einander senkrechten
Richtungen x und y das Minimum und das Maximum seiner Wachstumsenergie
hat, während die letztere in den zwischenliegenden Richtungen stetig
sich abstuft. Wir nehmen ferner an, der Kreis A würde, wenn
er an allen Punkten seiner Peripherie völlig ungehindert seiner Wachstumsenergie
folgen könnte, in das Oval B übergehen. Es ist dann klar,
daß der Kreis bei seinem Wachstum sich dieser Figur nur wird annähern,
sie aber nicht wird erreichen können, weil kein einziger Punkt des
Kreises ungehindert sich bewegen kann, sondern jeder zugleich unter dem
Einfluß der Spannungen ist, welche durch die Wachstumsbewegung aller
andern Punkte entstehen. So würde z. B. der Punkt m, wenn das
ursprüngliche Wachstumsbestreben nicht durch diese gegenseitigen Spannungen
gehemmt würde, nach vollendetem Wachstum bis nach n gelangt
sein. Nun aber steht m mit andern Punkten a, a
u. s. w. in Verbindung. Da a durch das Wachstum gegen b hin
wächst, so sucht es auch m in der nämlichen Richtung zu
bewegen, ebenso zieht a
gegen bhin. Indem
nun die Wachstumsenergie der bei a liegenden Punkte größer
ist als die der Punkte bei a
, so muß m durch die Wirkung dieser benachbarten Punkte mehr
in der Richtung der y-Achse als in derjenigen der x-Achse
verschoben werden. Zugleich aber werden die so auf m ausgeübten
Kräfte sich gegenseitig hemmen. Offenbar wird nun ein in der Richtung
der kleinsten Wachstumsenergie liegender Punkt a
am meisten, ein in der Richtung der größten Wachstumsenergie
gelegener Punkt a aber am wenigsten in seiner Bewegung gehemmt sein.
Denn in Bezug auf jenen sind die an den übrigen Punkten der Kreisperipherie
angebrachten Kräfte, welche auf ihn störend einwirken, sämtlich
größer als seine eigene Wachstumsenergie (ab
). Bei diesem übertrifft die eigene Wachstumsenergie a b die
aller andern Punkte. In Folge dieser Störungen wird somit der Kreis
A
in Wirklichkeit nicht in das Oval B übergehen, welches dem
Wachstumsbestreben seiner sämtlichen Punkte, wenn man diese ungehemmt
denkt, entspricht, sondern er wird etwa eine Form C annehmen, welche
in der Richtung der x-Achse am meisten, in der Richtung der y-Achse,
am wenigsten von B abweicht. Die Linien a b, m n, ab
geben die Größe der während des Wachstums in jedem Punkt
a,
m, a wirksamen
Kräfte an, und die Gesamtgröße der bei dem Wachstum aufgewendeten
Kraft wird durch den Flächenraum zwischen der Kreisperipherie A
und dem Umfang des Ovals B gemessen. Nun ist aber nicht diese ganze
Kraft auf das wirkliche Wachstum verwendet worden, sondern ein Teil derselben
ist in Folge gegenseitiger Hemmungen in eine Spannung übergegangen,
deren Gesamtgröße durch den zwischen B und C liegenden
Flächenraum gemessen wird, und die bei b der Linie b b',
bei b der Linie bb
' proportional ist. So ergibt sich denn, daß die Richtung der
größten Spannung auf der Richtung der größten Wachstumsenergie
senkrecht steht. (Fig. 41)
Selbstverständlich muß dieser Satz auch für das Wachstum
eines körperlichen Gebildes, wie einer Kugel, eines Ellipsoids u.
s. w., gültig sein.
Die Furchung des
kleinen Gehirns mit seinem einfachen Wachstums- und Faltungsgesetz bestätigt
alsbald das hier gewonnene Prinzip. Am kleinen Gehirn überwiegt bedeutend
während seiner ganzen Entwicklung das Längenwachstum. Seine größte
Oberflächenspannung muß daher in der transversalen Richtung
stattfinden. Nun muß aber die Faltung in der Richtung der größten
Spannung erfolgen, und in der Tat ist das kleine Gehirn in transversaler
Richtung gefurcht.
Nach dem gleichen
Prinzip werden wir erwarten dürfen, daß auch am großen
Gehirn die Furchen jeweils in derjenigen Richtung verlaufen, in welcher
für den betreffenden Teil des Gehirns das Wachs-tum ein Minimum und
demzufolge die Spannung der Oberfläche ein Maximum ist. Wenn demnach
bei der Mehrzahl der Säugetiere die Falten an der hintern Abteilung
der Hirnoberfläche die longitudinale Richtung haben, so wird dies
andeuten, daß in der Zeit, in welcher die Faltenbildung vor sich
geht, die Wachstumsenergie in querer Richtung die größte war,
während am Frontalteil, wo die Falten eine quere Stellung annehmen,
das Längenwachstum am stärksten gewesen sein muß. Bei den
Primaten fällt offenbar die Faltenbildung mit zwei verschiedenen Wachstumsperioden
des Gehirns zusammen, mit einer ersten, in welcher allgemein das Wachstum
in der Richtung von vorn nach hinten ein Maximum ist, und mit einer zweiten,
in welcher am Stirn- und Temporalteil des Gehirns die Wachstumsenergie
in den darauf senkrechten Richtungen überwiegt.
Da wir fast nur
von den Wachstumsverhältnissen des menschlichen Gehirns einigermaßen
zureichende Kenntnisse besitzen, so wollen wir zunächst untersuchen,
ob für dieses zwei in dem angegebenen Sinne von einander verschiedene
Perioden des Wachstums sich unterscheiden lassen, und ob dieselben mit
den beiden Perioden der Faltenbildung im allgemeinen zusammenfallen. Die
Vergleichung embryonaler Gehirne aus verschiedenen Stadien der Entwicklung
zeigt nun auf den ersten Blick, daß die Durchmesserverhältnisse
des menschlichen Gehirns während der Ausbildung seiner Form sehr wesentliche
Veränderungen erfahren (Fig.
42). Während der ersten Wochen der Entwicklung nähert
sich das Gehirn im Ganzen noch der Kugelform, der longitudinale Durchmesser
ist vom größten Querdurchmesser wenig verschieden. Dieser letztere
liegt hinter der Sylvischen Spalte, welche, da sich der Schläfelappen
noch nicht entwickelt hat, in dieser Zeit eigentlich noch eine Grube darstellt.
Indem sich die Grube zur Spalte schließt, rückt der größte
Querdurchmesser weiter nach vorn und fällt mit der Stelle zusammen,
wo die Spalte vom Schläfelappen überwachsen wird. Während
dieser ganzen Zeit überflügelt aber der Längsdurchmesser
der Hemisphären immer mehr deren queren Durchmesser, so daß
das Verhältnis beider, das noch im 3ten Monat 1 : 0,9 war,
im Verlauf des 5ten und 6ten auf 1 : 0,7 herabsinkt. In diese Zeit
fällt nun die Ausbildung der ersten bleibenden Furchen, welche sämtlich
Querfurchen sind, und zwar entstehen zuerst, im Laufe des 5ten Monats,
die Zentralfurche, die senkrechte und horizontale Hinterhauptsfurche37),
wozu sich im Laufe des 6ten Monats die übrigen primären Radiärfurchen
gesellen (Fig. 42,
2, 3)38). Vom Ende
des sechsten Monats an beginnen sich nun die Wachstumsverhältnisse
des Gehirns zu verändern. Zwar bleibt die Totalform desselben, wie
sie im Verhältnis des Längendurchmessers zum größten
Querdurchmesser sich ausspricht, im wesentlichen die nämliche, dagegen
treten in dem Wachstum der einzelnen Teile bedeutende Verschiedenheiten
gegen früher hervor. Vergleicht man fötale Gehirne vom 6ten bis
zum 7ten Monat, so fallt bei der Betrachtung von oben sogleich auf, daß,
während der von der Zentralfurche nach hinten sich erstreckende Teil
in seinem Breite- und Längedurchmesser annähernd gleichförmig
zunimmt, der Stirnteil des Gehirns mehr in die Breite als in die Länge
wächst (4, 5). Eine ähnliche Veränderung erfährt der
Schläfelappen. Die vordere Spitze desselben reicht schon beim 6monatlichen
Fötus bis nahe an den nach unten umgeschlagenen Rand des Stirnlappens,
aber er ist noch schmal, so daß die Sylvische Grube weit offen ist.
In den folgenden Monaten erst schließt sich dieselbe zur Spalte,
indem der Schläfelappen vorzugsweise in die Höhe, verhältnismäßig
weniger in die Länge wächst. Die hier angedeuteten Veränderungen
der Wachstumsverhältnisse treffen nun genau mit der Ausbildung des
zweiten Faltensystems, der longitudinalen Furchen, zusammen. Da vorzugsweise
das Frontalhirn in die Breite wächst, so müssen hauptsächlich
die Stirnwindungen die longitudinale Richtung annehmen. Der Schläfelappen
wächst am raschesten in die Höhe, auch hier müssen demnach
die sich bildenden Falten von hinten nach vorn verlaufen, im Sinne des
um die Sylvische Spalte gekrümmten Bogens. An beiden Teilen der Gehirnoberfläche
nehmen nicht nur die neu sich bildenden Falten diese Richtung an, sondern
auch einige anfänglich radiär verlaufende Furchen werden später
longitudinal und bogenförmig gekrümmt. So nimmt die Zentralfurche
selbst eine schräge Stellung an (Fig.
42, 2 und 3), die untere Stirn- und die obere Schläfenfurche
sind im 6ten Monat als radiäre oder transversale Furchen angelegt,
ordnen sich dann aber durch die Richtungsänderung, die sie erfahren,
dem System der Longitudinalfurchen unter (f2,t1)39).
Anders verhält es sich mit dem zwischen der Zentralfurche und der
Hinterhauptsspitze gelegenen Teil der Hirnoberfläche. Hier behalten
im allgemeinen die transversalen Furchen ihre ursprüngliche Richtung,
während sie an Tiefe und Ausdehnung zunehmen und nur gegen den Schläfelappen
hin allmälig in die longitudinale Bahn übergehen40).
Diesem Verhalten entsprechen nun aber auch vollständig die Wachstumsverhältnisse
der betreffenden Hirnteile, da sich dieselben, wie wir gesehen haben, nach
allen Richtungen ungefähr gleichförmig vergrößern,
so daß zu einer Veränderung in der ursprünglichen Richtung
der Faltenbildung kein Grund vorliegt.
37) Fissura occipitalis
perpendicularis (parieto-occipitalis) und transversa (calcarina).
38) ECKER, Archiv
f. Anthropologie Bd. III S. 212.
39) Ecker a.
a. O. S. 212.
40) Die einzige Furche,
die eine Ausnahme hiervon macht, ist die Interparietalfurche (p),
welche später die Scheitelbogenwindungen gegen den Zwickel und Vorzwickel
begrenzt (vgl. Fig. 40).
Die Analogie der Furchen und Windungen des Affengehirns mit denjenigen des menschlichen macht es kaum zweifelhaft, daß für dasselbe das nämliche Wachstumsgesetz gültig ist. Doch fehlt uns bis jetzt das embryologische Material, um hierfür den Beweis zu führen. Sicher scheint nur zu sein, daß auch am Affengehirn die queren Faltungen die primären sind. Im allgemeinen sind es sogar die nämlichen Furchen, die an den Gehirnen aller Primaten beobachtet werden, nur die Aufeinanderfolge ihrer Entstehung scheint zum Teil abzuweichen41). Manche der transversalen Furchen sind am Gehirn des Affen weniger tief, andere tiefer als an demjenigen des Menschen. Während z. B. die beim Menschen so stark ausgebildete Zentralfurche bei allen Affen nur schwach entwickelt ist, ist bei ihnen der Occipitalteil des Gehirns durch eine mächtige senkrechte Hinterhauptsfurche ausgezeichnet (Fig. 37, 6 u. 7). Alle Bogenfurchen sind beim Affen schwächer ausgebildet und von kürzerem Verlauf als beim Menschen, viele fehlen ihm ganz, und die nachträgliche Richtungsveränderung der transversalen Primärfurchen in longitudinale ist oft weniger deutlich, namentlich pflegt am Stirnlappen der radiäre Verlauf erhalten zu bleiben. Dies hat augenscheinlich darin seinen Grund, daß beim Affen das Breitenwachstum des Stirnlappens lange nicht so bedeutend ist als beim Menschen, wie die Vergleichung der beiden Affengehirne in Fig. 37 mit den embryonalen menschlichen Gehirnen in Fig. 42 unmittelbar zeigt. Jene außerordentliche Entwicklung des Stirnlappens in den letzten Monaten des Fötallebens ist durchaus für das menschliche Gehirn charakteristisch. Gerade an demjenigen Teil der Hirnoberfläche, an welchem sich beim Menschen vermöge seiner besonderen Wachstumsbedingungen die stärksten Längsfurchen entwickeln müssen, fallen diese Bedingungen und damit auch die Folgen beim Affen hinweg; nur an seinem Schläfelappen, dessen Wachstum verhältnismäßig ungefähr gleichen Schritt mit demjenigen des Menschen zu halten scheint, entstehen ziemlich starke Furchen von longitudinalem Verlauf. Übrigens erklärt es sich aus diesen Verhältnissen, daß im Ganzen das Gehirn des Affen den ursprünglichen transversalen oder radiären Windungstypus des Primatengehirns deutlicher erkennen läßt als das Gehirn des Menschen.
41) Nach GRATIOLET (anatomie comparée du Systeme nerveux 11, p. 253) erscheint bei den Affen die untere Schläfenfurche (scissure parallele Gr.), die bei ihnen wie beim Menschen ursprünglich eine radiäre Richtung hat, am frühesten, der dann später erst die beim Menschen zuerst ausgebildeten Furchen, die Zentralfurche und die Occipitalfurchen, nachfolgen.
Bei den übrigen Säugetieren
fällt die Ausbildung der Windungen, wie es scheint, allgemein in eine
ziemlich späte Zeit der Entwicklung. Betrachtet man nun bei diesen
Tieren die Durchmesserverhältnisse des Gehirns im Ganzen, so überflügelt
allerdings in der Regel der Längsdurchmesser sehr bedeutend den Querdurchmesser,
in seiner Gesamtform wird das Gehirn verhältnismäßig
länger und schmäler, wie z. B. die Vergleichung des Gehirns eines
neugeborenen mit dem eines erwachsenen Hundes unmittelbar lehrt (Fig.
43 und Fig.37,
1). Aber die nähere Betrachtung zeigt, daß dieses Wachstum sich
auf die einzelnen Teile des Gehirns in sehr verschiedener Weise verteilt.
Die relative Zunahme des Längsdurchmessers kommt ganz allein auf den
vordersten Abschnitt, welcher die Riechwindung und den vorderen Teil der
Bogenwindung enthält: hier treten dann auch, entsprechend der bedeutenden
Längenzunahme dieses Teils, einige transversale Falten auf. Nimmt
man aber die hinter dem Lappen b (Fig.
38 und 37,
1–4), bei welchem das eigentliche Frontalhirn erst anfängt, gelegenen
Teile, so wachsen diese für sich beträchtlich im Querdurchmesser,
und zwar augenscheinlich im hinteren Teil mehr als im vordem, an welchem
eine bedeutende Verjüngung des Gehirns eintritt. Dem entsprechend
sieht man an allen Carnivorengehirnen die Längsfurchen gegen die Stirne
hin divergieren und eine mehr transversale Richtung einschlagen. So dürfte
sich denn auch hier der von der Entwicklung des menschlichen Gehirns abstrahierte
Satz bestätigen, wonach jeder Gehirnteil seine Furchen und Windungen
so bildet, daß die Achse, um welche sich die Falten der Oberfläche
aufrollen, zur Richtung der größten Wachstumsenergie senkrecht
ist.
Aus der Modellierung
der Oberfläche läßt sich demnach in doppelter Hinsicht
die Wachtumsgeschichte eines Gehirns herauslesen: erstens gibt dieselbe
durch den Reichtum der Windungen Aufschluß über die Zunahme
der Rinde im Verhältnis zu der in sie eintretenden Markstrahlung;
sodann aber belehrt sie durch den Zug der Furchen über das relative
Wachstum der einzelnen Hirnteile während der Entwicklung. Es ist zu
vermuten, daß jene eigentümliche Verschiedenheit zwischen den
Primaten und den übrigen Säugetieren, vermöge deren die
Windungen, welche man am Primatengehirn als Zwickel und Vorzwickel bezeichnet,
bei den übrigen Säugetieren den vordersten Teil des Frontalhirns
unmittelbar hinter der Riechwindung einnehmen, bei den Primaten hingegen
weit zurück in den Occipitalteil verlegt sind, mit den nämlichen
Wachstumsverschiedenheiten zusammenhängen. Ein aus der Tiefe zur Oberfläche
strebender Hirnteil wird im allgemeinen da zum Vorschein kommen, wo für
ihn Raum ist. Die Bogenwindung entwickelt sich also bei den meisten Säugetieren
am Frontalhirn, weil die andern Windungen dieses Teils eine geringe Wachstumsenergie
besitzen; auch mag wegen des Faserzusammenhangs der Bogen- mit der Riechwindung,
auf welche wir im nächsten Kapitel zurückkommen, diese Lage bevorzugt,
sie mag gewissermaßen die natürliche sein. Bei den Primaten
aber wird durch die starke Entwicklung der Frontalwindungen der vom gyrus
fornicatus aufsteigende Windungszug nach hinten gedrängt, in das bei
ihnen relativ weniger entwickelte Occipitalhirn. Bringt man daher die dem
Bogenwulst zugehörigen Teile, da dieselben doch eine variable, von
den Wachstumsverhältnissen der übrigen Hirnteile abhängige
Lage besitzen, in Abrechnung, so wird der Unterschied in der Ausbildung
des Frontal- und Occipitalhirns zwischen Primaten und anderen Säugetieren
noch erheblich gesteigert42).
42) Ich lasse hier einige Zahlenangaben folgen, welche die oben angegebenen Wachstumsverhältnisse sowohl für das kleine wie für das große Gehirn veranschaulichen. Leider standen mir zu meinen Messungen nur Weingeistpräparate zu Gebote, die bekanntlich verglichen mit dem frischen Objekt stets Formveränderungen zeigen. Doch sind die durch das Wachstum bedingten Formunterschiede so bedeutend, daß die Resultate hierdurch nicht erheblich getrübt werden können. Beim großen Gehirn ziehe ich es aber aus diesem Grunde vor diejenigen Zahlen mitzuteilen, welche die Messung an den von A. ecker gegebenen Abbildungen frischer embryonaler Gehirne ergab. Übrigens stimmen auch meine an Weingeistpräparaten erhaltenen Zahlen in den wesentlichen Ergebnissen damit überein.
II. Großes Gehirn.
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1. 3ter Monat |
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2. 4ter Monat |
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3. 5ter Monat |
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4. 6ter Monat |
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5. 7ter Monat |
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6. 8ter Monat |
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7. 9ter Monat |
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Die Zahlen dieser Tabelle lehren, daß bis in die Mitte des Embryonallebens die Längenzunahme der ganzen Hemisphären im Verhältnis zu ihrer Breitezunahme (L/Q) wächst und von da an wieder abnimmt: die erste Periode entspricht der Bildung der Transversalfurchen, die zweite derjenigen der Longitudinalfurchen. Diese Veränderung verteilt sich aber verschieden auf den Frontal- und Occipitalteil: an jenem nimmt der Breitendurchmesser im Verhältnis zum Längsdurchmesser fortwährend zu (ls/qs), bei diesem vergrößert sich bis zur Mitte des Embryonallebens umgekehrt der Längs- im Verhältnis zum Querdurchmesser (lo/qo), worauf dann ein annähernd gleichmäßiges Wachstum erfolgt.
Bei der komplizierten Beschaffenheit der Windungen des menschlichen Gehirns ist es erklärlich, daß die früheren Anatomen meistens eine bestimmte Regel an denselben vermißten, und daß nur einzelne besonders auffallende Furchen und Windungen, wie der ROLANDO'sche Spalt, der gyrus fornicatus und hippocampi, schon länger als konstante Bildungen unterschieden wurden. Erst die verhältnismäßig einfacheren Formverhältnisse bei den übrigen Säugetieren sowie die Entwicklung der Furchenbildung beim Embryo führten allmälig zur Erkenntnis ihrer Gesetzmäßigkeit. Bei den Säugetieren mit Ausnahme des Menschen beschrieb zuerst LEURET genauer die Formverhältnisse der Hirnoberfläche43). Er erkannte, daß bei allen Säugetieren, deren Gehirn überhaupt Windungen zeigt, diese im allgemeinen bogenförmig um die Sylvische Spalte verlaufen, er unterschied Gehirne mit zwei, drei und vier solchen Windungszügen, unter denen der gyrus fornicatus und die Riechwindung (LEURET'S gyrus supraorbitalis) nicht mitgezählt waren. huschke, der jene Windungen der Hirnoberfläche als Urwindungen bezeichnete, dehnte die gleiche Betrachtung auch auf den Menschen aus, indem er bei ihm, wie es LEURET schon bei den Affen getan hatte, drei Urwindungszüge unterschied; die Querwülste hielt er für sekundäre, welche aus Teilungen und Schlängelungen der ursprünglichen Längswindungen hervorgingen44). Gleichzeitig stellte GRATIOLET die vollständige Analogie der Furchen und Windungen des Affen- und Menschengehirns fest und beschrieb dieselben genauer, als es bisher geschehen war45). Der Weg der Entwicklungsgeschichte wurde erst später eingeschlagen. Hier haben namentlich REICHERT46), BISCHOFF47), ECKER48) und PANSCH49) die zeitliche Entstehung der Hauptfurchen festgestellt. Schon REICHERT50) wies darauf hin, daß die zuerst auftretenden Furchen des fötalen Gehirns radiär um die Sylvische Spalte gestellt seien. bischoff und pansch bestätigten dies, und der letztere zeigte zugleich die völlig analoge Anordnung der typischen Furchen des Affengehirns51). Auf diese Weise hat sich ein gewisser Widerspruch zwischen dem auf die vergleichende Anatomie und dem auf die Entwicklungsgeschichte gegründeten Bildungsgesetz der Hirnfurchen herausgestellt. Die vergleichende Anatomie schien das System der longitudinalen Furchen und Windungen als gemeinsam allen Säugetieren darzutun, welches auch noch am Gehirn der Primaten, wenngleich gestört durch anders verlaufende Windungszüge, erkennbar sei. Nach der Entwicklungsgeschichte dagegen schien am Primatengehirn ein System radiärer Furchen und Windungen das primäre zu sein. Dieser Widerspruch findet seine Lösung einerseits darin, daß LEURET und huschke die transversale Anordnung der Falten am vorderen Teil des Säugetiergehirns nicht berücksichtigen, anderseits aber darin, daß am Gehirn der Primaten die zwei Systeme von Faltungen sukzessiv sich ausbilden, zuerst das transversale oder radiäre, dann das longitudinale oder bogenförmige, wie ich dies oben darzustellen versuchte.
43) LEURET et gratiolet, anatomie comparée du systeme
nerveux, t. l, p. 369.
44) Huschke, Schädel, Hirn und Seele. Jena 1854
S. 134 f.
45) GRATIOLET, mémoire sur les plis cérébraux
de l'homme et des primates. Paris 1854. LEURET et GRATIOLET, anatomie comparée
etc. t. II, p. 110.
46) Der Bau des menschlichen Gehirns. Leipzig 1859 u.
61.
47) Abhandl. der bair. Akademie. Bd. 10, S. 445.
48) Archiv f. Anthropologie. Bd. III, S. 203.
49) Ebend. S. 227.
50) a. a. O. Abth. II, S. 83, Abth. I, Taf. XI u. XII.
51) a. a. O. Taf. V u. VII.
In unmittelbarem Zusammenhang mit der Bildungsgeschichte der Hirnfaltungen steht die Frage nach den Ursachen derselben. Auch auf sie hat man bis jetzt keine befriedigende Antwort zu geben vermocht. Mit Recht hat schon REICHERT52)die Ansicht, daß die Hirnwindungen in Folge einer gehemmten Ausdehnung der Hirnoberfläche durch die Schädelkapsel entständen, zurückgewiesen. Jene sind der unmittelbare Ausdruck des ungleichen Wachstums der zentralen und peripherischen Teile des Stabkranzes samt Rinde und müßten daher ganz in derselben Weise entstehen, wenn das Gehirn gar nicht von der Schädelkapsel umschlossen wäre. Ist hierin für die Faltenbildung im allgemeinen ein zureichender Grund gegeben, so sind aber damit noch nicht die Ursachen für den besonderen Verlauf der Furchen und Windungen nachgewiesen. Offenbar kann man auch hier nicht etwa annehmen, daß die Schädelkapsel, indem sie nach verschiedenen Richtungen dem wachsenden Gehirn einen verschiedenen Widerstand entgegensetze, die Richtung der Furchen bestimme. Dieses Moment kann direkt nur auf die Form der ganzen Gehirnmasse, nicht auf die Faltenbildung von Einfluß sein; denn wäre die Unausdehnsamkeit des Schädels im Stande die Faltenbildung nach irgend einer Richtung zu verhindern oder zu erschweren, so müßte auch umgekehrt die Faltenbildung den noch ausdehnbaren Schädel verändern können. Das letztere ist natürlich nicht der Fall. Die Richtung der Faltenbildung ist nur abhängig von der Wachstumsspannungen der Gehirnoberfläche. Indirekt können darum allerdings die von der Schädelkapsel herrührenden Einflüsse auf das Wachstum des Gehirns auch die Richtung der Faltenbildung modifizieren. So müssen z. B. bei einem Stirnnahtschädel, bei welchem der Stirnlappen mehr als gewöhnlich in die Breite wächst, auch die Bogenfurchen noch entschiedener die longitudinale Richtung einhalten als gewöhnlich. Dasselbe ist der Fall beim Gehirn der Cetaceen, deren Schädel und Gehirn während der Periode der Faltenbildung sehr bedeutend in die Breite wächst. Eine offenbare Verwechselung von Grund und Folge ist es, wenn reichert vermutet, daß die Richtung der Furchen von den Verästelungen der Hirnarterien abhängig sei53). Die Gefäße wuchern hier wie überall in die Lücken hinein, welche sich ihnen durch die Modellierung der Oberfläche eröffnen.
52) a. a. O. S. 33.
53) a. a. O. S. 89.