Bücherliebe – eine unzeitgemäße Neigung? Aus Anlass der Vergabe des Gutenbergpreises der Stadt Leipzig
Am 22. Juni 2021 erhielt Judith Schalansky den Gutenbergpreis der Stadt Leipzig. Mit dem Preis ehrt die Stadt Leipzig besondere Verdienste um das Medium Buch, insbesondere um die Förderung der Buchkunst. Judith Schalansky ist Schriftstellerin, Herausgeberin und Typographin. Ihre Bücher bilden nicht nur eine Sammlung von Textseiten, sondern eigene, kleine Kunstwerke, die gelesen, befühlt und aus unterschiedlichen Blickwinkeln immer wieder neu betrachtet sein wollen. – Einen vorzüglichen Eindruck ermöglichen: Der Hals der Giraffe (2012) oder Verzeichnis einiger Verluste (2018).
Das Buch hat eine lange Geschichte. Waren zunächst Papyrus oder Pergament die Materialien aus denen Buchseiten bestanden, wird ab dem 14. Jahrhundert auch in Deutschland das teure Pergament durch Papier als Beschreibstoff ersetzt; seit dem 15. Jahrhundert werden die Texte in Büchern mit beweglichen Lettern gedruckt und nicht mehr von Hand geschrieben; seit dem 19. Jahrhundert setzten sich Offsetdruckverfahren durch und erfahren heute zunehmend Konkurrenz durch digitale Drucktechniken. Immer häufiger findet überhaupt kein Buchdruck mehr statt, es entsteht überhaupt kein physisches Druckerzeugnis mehr: aus dem Buch wird ein E-Book, der Screen ist das neue Papier.
Vielleicht erleben wir heute etwas, dass auch den Menschen des 15. Jahrhunderts (wenn auch nur wenigen, nämlich denen, die lesen konnten, bewusst), widerfuhr? Damals löste die gedruckte Schrift die Handschrift ab; heute verdrängt das digitale Buch das analoge, papierene Buch. Manch eine*r hält dennoch fest am Buch, hält es wert, schätzt die Haptik, den Geruch, die Eselsohren, Kaffeeflecken, das Rascheln beim Umblättern der Seiten.
Das Team von Lit4School hat sich gefragt, wie seine einzelnen Mitglieder zum Buch stehen: Lesen sie noch im gedruckten Buch aus Papier? Oder hat das Wischen auf einem E-Book-Reader das Umschlagen von Seiten abgelöst? Sind Literaturliebhaber*innen immer auch Bibliophile, also Buchliebhaber*innen?
Frieder Stange: Ich bin Buchleser, nahezu ausschließlich. Ich erlebe es immer wieder, dass es für mich leichter ist, Gelesenes abzuspeichern und zugleich präsent zu halten, wenn ich in einem Buch und nicht nur am Bildschirm gelesen habe. Wenn ich darüber nachdenke, warum das so ist, finde ich natürlich keine eindeutige Antwort. Sicher spielt die Gewöhnung eine Rolle. Allerdings habe ich den Eindruck, dass es mir hilft, mich an Gelesenes zu erinnern, wenn ich es ‚räumlich‘ verorten kann: dieses war relativ am Anfang, da war der Stapel gelesener Seiten noch klein, jenes war am Ende, aber auf einer linken Seite, relativ weit oben, ich musste gerade blättern, bevor ich es lesen konnte. So oder so ähnlich könnte ein Informationspuzzle zu einer bestimmten Textstelle zusammengesetzt sein.
Prof. Dr. Silke Horstkotte: Ein persönliches Bekenntnis: ich habe eine große Schwäche für schöne gedruckte Bücher! In meiner Schulzeit habe ich in der Buchbinder-AG selber Bücher gebunden. Wenn ich heute ein Buch mit Fadenheftung in Händen halte, bekomme ich schwache Knie. Besonders liebe ich die Bände der Anderen Bibliothek (auch wenn die inzwischen nicht mehr von Hand gesetzt werden) und die schön gestalteten Bücher aus dem Berenberg- und aus dem Guggolz-Verlag.
Dr. Karolin Freund: Wenn ich vor meinem Bücherregal stehe und ein Buch herausgreife, kann ich mich oft nur noch an Bruchstücke des Inhalts erinnern. Aber ich weiß noch genau, was mich bewegt hat, an welchem Ort ich es gelesen habe, wer es mir geschenkt hat. Bücher sind somit viel mehr als Staubfänger, die Platz wegnehmen: sie sind mit Lebensabschnitten fest verbundene Erinnerungsstücke.
Nils Rosenkranz: Gedruckte Bücher haben für mich einen ganz besonderen Charme. Es ist doch einfach etwas Schönes, ein Buch anzufassen, den eigenartigen Geruch wahrzunehmen, sich von Seite zu Seite zu blättern. Auch mich erinnern Bücher an konkrete Lebenssituationen, wenn ich sie im Regal sehe. Man kann es dann in die Hand nehmen und erneut eintauchen, sich erinnern. Manchmal fällt dabei auch etwas Sand oder ein als Lesezeichen umfunktioniertes Reiseticket zwischen den Seiten heraus. Mit digitalen Büchern konnte ich bislang noch nicht ganz so viel anfangen, auch wenn ich deren Vorzüge sehe.
Joachim Kern: E-Books spielen für mich nur als preisgünstige Alternative in der Fachliteratur eine Rolle. Belletristik funktioniert für mich nur in der klassischen Buchform. Ich möchte den Fortschritt in meiner Lektüre unmittelbar sehen, schnell auf eine zurückliegende Passage zurückblättern können. Ähnlich wie Frieder fällt mir die Erinnerung an gedruckte Seiten leichter und genau wie Nils liebe ich es, kleine Souvenirs oder Widmungen in Büchern wiederzuentdecken.
Katharina Kraus: Bücher sind treue Begleiter. Das Haus zu verlassen ohne ein Buch, ist selten eine gute Entscheidung. Zum Lesen und zu Eigenmachen braucht es einen Bleistift. Aber schöne Ausgaben, muss ich vorsichtig lesen, denn Buchrücken, denen man das Gelesen-Worden-Sein ansieht, eingerissene Schutzumschläge oder gewelltes Papier sind schmerzhaft anzusehen.