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2.3 STILLE ANDACHT
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Vorsicht ! Bisher nur erste Tippfehlerkorrektur erfolgt ! (17.11.2003, A.-K
L.)
Vom 18. Oktober 1926 (KGVBl. 1927, S. 5)
Immer wieder und immer stärker ist das Verlangen laut
geworden, dass die Kirchen in unserer evangelisch-lutherischen Landeskirche
Sonn- und Werktags offen gehalten werden möchten. Das Landeskonsistorium
hat bereits in seiner Bekanntmachung vom 11. November 1919 (Kons.VBl. 1919, S.
143, 2. Absatz) angeordnet, dass zu stiller Andacht die Kirchen tagsüber
offen stehen sollen. Damals ist bereits von uns gesagt worden:
”Haben wir schon wiederholt uns für das
Offenhalten der Kirchen auch an Werktagen ausgesprochen und weist jede
Visitation auf diesen wichtigen Punkt hin, so lässt die Not der Zeit mit
dem geräuschvollen Betriebe der Arbeitsstätten und mit der Enge
unruhiger Wohnungen das Verlangen als dringend erscheinen, im Gotteshause zur
Sammlung und zu stillem Gebet ruhige Minuten zu finden. Etwa entgegenstehende
Bedenken sind durch geeignete Maßnahmen zu
überwinden.”
In den schweren Jahren nach dem Kriege ist der
Bekanntmachung nicht überall nachgegangen worden. Nachdem die
Befürchtungen, die offenen Kirchen möchten Anlaß zu Unfug und
Diebstahl geben, sich gemindert haben, hat die Landessynode in ihrer 42. Sitzung
vom 15. September laufenden Jahres einstimmig beschlossen (siehe Verhandlungen
S. 743 flg.), das Landeskonsistorium zu bitten, die Bekanntmachung vom 11.
November 1919 in Erinnerung zu bringen.
Wir geben dies mit dem Veranlassen bekannt, unserer
Anordnung allenthalben nachzukommen.
Dresden, am 18. Oktober 1926
Evangelisch-lutherisches
Landeskonsistorium.
D. Dr. Böhme.
Vorsicht ! Bisher nur erste
Tippfehlerkorrektur erfolgt ! (AG)
Beschluss der VELKD vom 09. Oktober 1959 (ABl. 1960 A
15)
42321/43
Nachstehend wird ein Wort an die Pfarrer und
Kirchenvorstände bekannt gegeben, das die Bischofskonferenz der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands am 9. Oktober 1959 beschlossen
hat.
Dieses Wort soll zusammen mit den praktischen Hinweisen und
Richtlinien für das Offenhalten der Kirchen, die in den Handreichungen
erscheinen, in einer Kirchenvorstandssitzung behandelt werden. Dabei ist
ernsthaft zu prüfen, in welcher Weise ihm entsprochen werden
kann.
Die Bischofskonferenz bittet die Pfarrer und
Kirchenvorstände, die Kirchen täglich offen zu halten.
Wir schulden dem gehetzten und unruhigen Menschen die
Möglichkeit der Stille. Oft hat er keinen Raum, in dem er allein sein und
sich sammeln kann. Betrieb und Lärm hindern ihn daran, vor Gott still zu
werden. Wie könnten wir die Kirchen vor ihm am Alltag verschlossen
halten!
Das Gotteshaus lädt dazu ein, auf Gottes Stimme zu
hören und ihn im Gebet anzurufen. Manchem fällt das Gebet in der
Kirche leichter als anderswo. Die aufgeschlagene Bibel, das Bild des
Gekreuzigten, Taufstein und Altar lenken seinen Sinn auf Christus hin.
Mit dem Öffnen der Kirchentüren allein ist es
freilich nicht getan. Es wird der Anleitung und Handreichung bedürfen.
Bibelworte, Liedverse und Gebete der Kirche können zur stillen Andacht
helfen.
Wenn nur E i n e r jeden Tag seine Sorge auf Gott werfen
oder seine Sünden bekennen würde und wenn nur E i n e r
fürbittend anderer gedächte oder dankbar und froh an sein Tagewerk
ginge, dann hätte sich das Offenhalten der Kirche gelohnt.
Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt
Sachsens
D. Noth i.V. Kandler
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Vorsicht ! Bisher nur erste
Tippfehlerkorrektur erfolgt ! (AG)
Im Amtsblatt vom 25. Januar 1960 (ABl. VELKD Bd. I S.
176)
Zu der Kundgebung der Bischofskonferenz zum "Offenhalten der
Kirchen" vom 9. Oktober 1959 (ABl. Bd. I Stck. 14 S. 168) hat der Ausschuss
für Fragen des gemeindlichen Lebens der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands nachstehende praktische Hinweise
und Richtlinien erarbeitet, die den Gliedkirchen und Kirchenvorständen der
Gemeinden als Hilfen für die praktische Verwirklichung des Aufrufs der
Bischofskonferenz zur Verfügung gestellt werden.
Will die Kirche ihren Gliedern dazu helfen, den Sonntag recht
zu feiern und auch in der Unruhe und Hast der Arbeitswoche Stille vor Gott zu
finden, so muss das Gotteshaus an allen Tagen - mindestens zu bestimmten Stunden
- offen stehen. Seine Glocken rufen zum Gottesdienst aber auch zum
täglichen Gebet.
1. Beschlussfassung
Das Offenhalten der Kirchen erfolgt auf Beschluss des
Kirchenvorstands, der vorher über Zweck und Ziel dieses Dienstes in
ausführlicher Aussprache unterrichtet worden ist.
2. Vorbereitung
Der Beschluss ist zunächst allgemein bekannt zu machen,
und zwar durch Abkündigung im Gottesdienst, durch wiederholte Mitteilungen
in der kirchlichen und allgemeinen Presse sowie in Gemeindebriefen.
Außerdem ist der Plan in den Gemeindekreisen, im Konfirmandenunterricht,
Kinderlehre und Gottesdienst zu besprechen. Die Gemeindekreise und Konfirmanden
werden dabei am besten in die Kirche geführt. Es wird ihnen die Kirche
erklärt nach Alter, Bau, Einrichtung, besonderen Kunstgegenständen
usw. Sodann unterweist man die Versammelten über die Bedeutung der Kirche
als Raum für die Gottesdienste der Gemeinde und für die stille Andacht
des Einzelnen sowie darüber, wie solche Andachten praktisch
durchgeführt werden können.
3. Ziel der täglichen Kirchenöffnung
Von vornherein muss klargestellt werden, dass es nicht in
erster Linie darum geht, die Kirchenbesichtigung zu erleichtern, sondern eine
Gelegenheit zu schaffen, in der Stille des Gotteshauses zu beten und Andacht zu
halten. Das schließt nicht aus, auch ein Wort über die Bedeutung des
Kirchengebäudes, seinen Besonderheiten und seinen Wert zu sagen. In erster
Linie geht es aber darum, den der Unruhe und lärmenden Enge ausgelieferten
Menschen für eine kurze Zeit des Tages zur Einkehr und Sammlung
einzuladen.
4. Öffnungszeiten
Die Öffnungszeiten festzusetzen, bleibt dem
Kirchenvorstand überlassen. In den Städten wird es
zweckmäßig sein, von Anfang an die Kirchen von früh bis zum
Einbruch der Dunkelheit offen zu halten. Auf dem Lande und wo offene Kirchen
etwas völlig ungewohntes sind, wird man zu diesem Ziel nur stufenweise
kommen können. Man beginnt damit, die Kirche den ganzen Sonntag offen zu
halten. Gemeindeglieder, die nicht am Gottesdienst teilnehmen konnten, haben so
die Gelegenheit, trotzdem den sonntäglichen "Kirchgang" zu halten, auch dem
Sonntagsbesuch die Kirche zu zeigen. Ausflügler und andere
Sonntagsgäste werden die Möglichkeit wahrnehmen, die Kirche
aufzusuchen. Als nächste Stufe wird dann die Zeit Sonnabendmittag bis zum
Abend und Montagmorgen bis zum Mittag hinzugenommen. Wichtig ist, dann damit
eine kurze Andacht zu verbinden als Andacht zum Beginn der Arbeitswoche und
Wochenschlussandacht. Auch Schulkinder sind u. U. dazu einzuladen. Als weitere
Stufe wird man dann die täglich zeitweilig geöffnete Kirche vorsehen
(im Sommer nachmittags 16-19 Uhr, im Winter 14-17 Uhr).
5. Hinweisschilder
Es empfiehlt sich, weithin lesbare Hinweise, dass die Kirche
offen ist, nicht nur am Haupteingang der Kirche, der normalerweise allein offen
gehalten wird, sondern auch an den verschlossenen Nebeneingängen
anzubringen. Etwa so: "Die (Name) Kirche ist zur stillen Andacht und
Besichtigung täglich (an Sonn- und Festtagen) den ganzen Tag über von
..... und morgens bis abends 19 Uhr (bis zum Anbruch der Dunkelheit)
geöffnet." Ist die Kirche nicht täglich geöffnet, sollte
folgender Zusatz angebracht werden: "Ist die Kirche verschlossen, so kann der
Schlüssel bei ..... abgeholt werden." Oder: "Bei verschlossener Kirche
öffnet der Küster (Kirchner) auf Wunsch die Kirche. Seine Wohnung ist
.....". Es empfiehlt sich, in Landgemeinden außer dem Pfarrer- oder
Kirchnerhaus noch ein weiteres in der Nähe der Kirche gelegenes Haus
anzugeben, bei dem man sicher sein kann, dass immer jemand anwesend ist. Im
Vorraum der Kirche bringe man einen Anschlag folgenden Inhalts an: "Wir bitten
die Besucher unserer Kirche, die Würde des Gotteshauses durch ihr Verhalten
zu achten. Während der Gottesdienste und gottesdienstlichen Handlungen
(Taufen, Trauungen und dergl.) ist eine Besichtigung der Kirche nicht
möglich. Dafür laden wir zur Teilnahme am Gottesdienst herzlich ein."
Dazu noch folgende Aufforderung: "Besichtige diese Kirche nicht nur, weil es ein
schönes und altes Bauwerk ist. Werde hier still, sammle deine Gedanken,
richte deinen Blick auf das Kreuz! Und gehe nicht fort, ohne in der Stille
gebetet zu haben."
6. Beaufsichtigung
Die meisten Erfahrungen haben gezeigt, dass bei
regelmäßig offen gehaltenen Kirchen Diebstähle kaum vorkommen
und die Sorge vor Unfug weithin unbegründet ist. Dennoch wird empfohlen,
einen Kreis älterer Gemeindeglieder oder Hausfrauen zu sammeln, der sich
zur Beaufsichtigung in der Kirche bereitfindet und nach einem festen Plan
ablöst. Die Helfer sollten vorher über die Bedeutung bestimmter
wertvoller Stücke der Kirche und ihre Geschichte unterrichtet werden, damit
sie auf Befragen Fremden und Einheimischen Auskunft geben können. Sie
sollten durch zurückhaltendes Benehmen auf die Rücksicht nehmen, die
zur stillen Andacht in den Kirchenraum gekommen sind. Vor allem sollten sie
selbst zu Gebet und stiller Andacht angeleitet werden.
7. Anleitung zur stillen Andacht
Der Pfarrer und seine Mitarbeiter sollten keine Gelegenheit
versäumen, ihrer Gemeinde das stille Gebet und die Meditation nahe zu
bringen. Man darf sich nicht scheuen, diese unseren Gemeindegliedern weithin
verloren gegangene Fähigkeit neu zu wecken und in schlichtester Weise zu
lehren. Im Gotteshaus müssen für die stille Andacht Andachtshilfen
bereitliegen, wie sie der Gemeindeausschuss der Vereinigten
Evangelisch-Lutherischen Kirche für die verschiedenen Erfordernisse
erarbeitet hat. An sichtbarer Stelle könnte die bei der Tageslese
aufgeschlagene Bibel liegen. Auch Gesangbücher sollen zur Hand
sein.
8. Büchertisch
Ein Büchertisch oder Bücherschrank sollte dem Aufbau
der Gemeinde dienendes Schrifttum, Anleitung zur Hausandacht und das
Gemeindeblatt zur Selbstbedienung anbieten.
9. Für stille Andacht geeigneter
Kirchenbau
Bei Neubau einer Kirche oder bei ihrer Erneuerung sollte
darauf Bedacht genommen werden, dass sie auch zur stillen Andacht
einlädt.
10. Der Dienst des Pfarrers
In unseren Gemeinden wird es sicherlich als eine Ermutigung
gefunden werden, die offen gehaltene Kirche aufzusuchen, wenn man weiß,
dass der Pfarrer dort zu bestimmten Zeiten anzutreffen ist. Es wäre eine
Hilfe, wenn er sich mit verantwortlichen Gemeindegliedern selbst gelegentlich an
Werktagen in der Kirche einfände und vor dem Altar betete. Auch eine
besondere Seelsorgepraxis (Privatbeichte) könnte sich daraus entwickeln,
die den Vorzug hat, nicht an das in seinen Zu- und Abgängen viel mehr
beobachtete Pfarrhaus gebunden zu sein. Im Anschluss an das Morgengebet
(Morgenandacht) sollte - möglichst in der Sakristei - Gelegenheit zum
seelsorgerlichen Gespräch und zur Beichte gegeben sein.
11. Dienst an der Orgel
Auch der Dienst an der Orgel zu bestimmten Tagen und Stunden
angeboten, kann eine Hilfe zur Sammlung und Andacht sein.
12. Tägliche Andachten
Wo es die Verhältnisse erlauben, sollte man bei der
täglich geöffneten Kirche auch eine tägliche Andacht einrichten.
Die Gemeinde wird es dann lernen, das Gotteshaus auch werktags aufzusuchen, da
die Kirche auch dann zu gottesdienstlichen Zusammenkünften ruft, etwa zu
täglichen Morgen- und Abendgebeten, zu Schulandachten vor Schulbeginn, zur
Andacht für arbeitende Menschen vor Geschäftsbeginn oder nach
Büroschluss, zu morgendlichen Kurzandachten in der Nähe eines
Geschäfts- und Industriezentrums, zu Andachten an einem
Autobahn-Knotenpunkt, zu Wochenschlussgottesdiensten und zu Beichtfeiern als
Zurüstung auf den Hauptgottesdienst am Sonntag. Abendliche Veranstaltungen
im Gemeindesaal, vor allem auch solche der Jugend, können mit dem
Abendgebet in der Kirche schließen. Als Ordnung bieten sich die
"Tageszeiten-Gottesdienste" (Mette und Vesper) an. Weitere Hilfen dafür
werden nach Bedarf bereitgestellt werden.
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Vorsicht ! Bisher nur erste
Tippfehlerkorrektur erfolgt ! (AG)
Anregungen nicht nur für die
Urlaubszeit
(ABl. 1997 B 41)
<Mit Auto, Fahrrad oder per pedes werden in den
Sommermonaten wieder viele unterwegs sein. Urlauber oder Sonntagsausflügler
drücken zielbewusst oder zaghaft die Klinke an der Kirchentür. Was
erwartet Sie?
Die Schwierigkeiten, eine Kirche über längere
Zeit offen zu halten, sind bekannt. Aber jede offene Kirche ist eine Einladung
zum Hereinkommen und zum Verweilen. Wie kann etwas von dem vermittelt werden,
was uns als Kirche am Herzen liegt und was wir anderen nahe bringen
wollen?
Es gibt viele Möglichkeiten, mit den zufälligen
oder zielbewussten Besuchern Kontakt aufzunehmen und sie spüren zu lassen,
dass sie willkommen sind. Wir möchten mit dieser Handreichung einige
Anregungen weitergeben, die auch für kleine und schlichte Kirchen geeignet
sind, die in keinem Reiseführer verzeichnet sind.>
Die Seele muss rasten
können
Hans-Joachim Thilo
Aus meinem viele Jahrzehnte zurückliegendem
Konfirmandenunterricht ist mir ein Satz in Erinnerung geblieben: "Kirche ist,
wenn die Kirche in die Kirche geht." Mein Konfirmationspastor hatte es also
geschafft, uns mit einem Satz die Verbundenheit zwischen Kirche als
Raumerlebnis, als Gemeinde und als verfasste Institution deutlich zu machen. Nur
wenn diese drei Kategorien nicht auseinander gerissen werden, vermag sich zu
repräsentieren, was in dem vieldeutigen Begriff "Kirche" alles enthalten
ist. Nun wird Kirche als Institution immer fragwürdiger, als Gemeinde immer
vielfältiger und die Frage nach dem kirchlichen Raum als Geborgenheit, als
Ort geistlicher Erfahrung und Notwendigkeit zur Stille immer deutlicher. Diese
Entwicklung ist neu. Es ist noch nicht lange her, da war der Mehrzweckraum mit
dem Altar auf Rollen und dem tragbaren Taufbecken angeblich der letzte Schrei
eines sich an die Welt verlierenden Protestantismus in aller Munde. Die
geistliche Gefahr heute scheint eher die zu sein, dass das Verlangen nach dem
kirchlichen Raum zur Weltflucht und zur Drückebergerei vor
Weltverantwortung genutzt wird. Es ist sicher schwer, die Mitte zu
finden.
Diese Fragestellung durchzieht die Geschichte der Kirche seit
ihrem Anbeginn. Nachdem die Halle Salomos für die Urgemeinde nicht mehr
benutzbar war, aber das Bestreben, sich an ortsfesten Räumen zu versammeln,
zum gottesdienstlichen Vollzug immer stärker dazugehörte, waren
bereits 130 n. Chr. die ersten eigenständigen, christlichen
Sakralgebäude errichtet. Im dritten Jahrhundert werden diese Gebäude
in bestimmter Form repräsentativ. Der nunmehr ausgebaute gottesdienstliche
Ablauf schafft sich den Gottesdienstraum. San Theodoro in Ravenna aus dem Jahre
206 n. Chr. ist vor Einsetzen der konstantinischen Epoche das wohl einzige uns
noch heute erhalten gebliebene christliche Kulturgebäude der allen Kirche.
Es ist also unrichtig zu behaupten, dass erst Konstantin durch Übernahme
byzantinischer Riten die Möglichkeit zur gottesdienstlichen Gestaltung in
Form einer Basilika geschaffen hat. Die Form der Basilika ist geprägt durch
das Kreuz im Grundriss. Dabei ist keineswegs zufällig, dass der Altar
gewöhnlich an der Stelle steht, an der auf dem Grundrisskreuz der Kopf Jesu
gedacht werden müsste, wie es auch kein Zufall ist, dass die Ortung der
Kirche frühzeitig die West-Ost-Richtung erhält.
Nun hat aber der Protestantismus kaum nach Luther zusammen mit
den Wiedertäufern und Gruppen des oberdeutschen Protestantismus die Frage
gestellt, ob der Raum nicht prinzipiell dem Wesen des Evangeliums zuwiderlaufe.
Hingewiesen wird auf das Zelt, in dem das wandernde Gottesvolk "keine bleibende
Statt" hat und haben darf; hingewiesen wird auf die Präsenz Gottes zu allen
Zeiten und an allen Orten. Dem ist nicht zu widersprechen, aber es stellt nur
eine Seite unseres Problems dar. Wer den christlichen Glauben von der
Inkarnation her denkt, wird immer wieder davon ausgehen müssen, dass es
bestimmte Orte und Plätze im Bericht des Neuen Testamentes gibt, von denen
ausgesagt wird: Hier ist es, hier war er, hier hat es sich ereignet, Philippus
konnte sagen: "Da, schau hin, dort drüben geht er, das ist Gottes Lamm, das
der Welt Sünde trägt."
Golgatha ist fester Ort, der Besucher am See Genezareth erlebt
in besonderem Maße die Erfahrung: Hier war es, hier hat er gestanden. Eben
diese geistliche Erfahrung, die mit innerer Einkehr und mit Begegnung verbunden
ist, schafft die Berührung für den kirchlichen Raum. Es geht also
nicht um die Frage, ob der Gottesdienstraum von der Ästhetik geprägt
ist, auch nicht primär um die Liturgik, sondern es geht bei der Frage nach
dem gottesdienstlichen Raum um die Konsequenz aus der Lehre von der
Inkarnation.
Jeder gottesdienstliche Raum ist zugleich Wegsymbol zur
Begegnung mit dem Auferstandenen. Da gilt es zunächst, eine Schwelle zu
überschreiten. Die Schwelle dokumentiert sich in den verschiedenen Formen
der den Kirchen vorgebauten Räumen. In den norddeutschen Kirchen sind es
häufig die "Paradiese". In ihnen wurde kaum Gottesdienst gehalten. Vielmehr
legten dort die Ritter ihre Waffen ab, stellten sich schweigend zum Einzug in
das Gottesdiensthaus auf (statio) und bereiteten sich so auf den vor ihnen
liegenden Weg zum Altar vor. Nach dem Gottesdienst ging der Rückweg durch
das gleiche Paradies, man nahm die Waffen wieder auf und ging so hinein in die
Realität des Alltags.
Das Gotteshaus, der kirchliche Raum wird also zur
Erfüllung der Sehnsucht nach dem ganz Anderen, Ort der Stille, der
Besinnung, aber auch der Bereitung auf eine illusionslose Welt. Wilhelm
Stählin hat einmal von den Kirchen als den "Rasthäusern der Seele"
gesprochen. Er meinte damit, dass es auf den Wegen durch das Leben notwendig
sei, Rast zu halten, den Staub von den Füßen zu schütteln, zu
essen und zu trinken, aber dann auch sich wieder hinauszubegeben und aufs Neue
in die Welt hinausgehen. Dies dürfte eine sehr legitime Sinndeutung des
Kirchenraumes für den protestantischen Raum sein.
Der gottesdienstliche Raum ist insofern "heiliger Raum", weil
in ihm in pointierter Weise die Begegnung mit dem Heiligen sich vollzieht. Dies
geschieht in der Art, dass im Sakramentsempfang Sehen, Hören, Schmecken und
Fühlen - also die Ganzheit des Menschseins - erlebt wird. Dies geschieht
zugleich vor der versammelten Gemeinde und in dem dafür bestimmten Raum.
Erst der Zusammenklang aller dieser Komponenten schafft die "Heiligkeit" des
kirchlichen Raumes. Aber sie verbietet auch den ungehemmten Gebrauch des
Mehrzweckraumes, sie verbietet die Aufhebung der "stabilitas sancti", also den
Altar auf Rollfüßen und die bei Bedarf in der Sakristei abstellbare
Taufschale. Wer einen Kirchenraum betritt, muss auf feste Orte und bekannte
Dinge stoßen.
Nur dort, wo wir bei Betreten einer Wohnung das finden, was
uns erinnert, uns Geborgenheit gibt und uns Vertrautheit schenkt, können
wir tief durchatmen und haben das Gefühl, zu Hause zu sein. Das Gleiche
gilt für den Kirchenraum. Wer also die wie auch immer geartete Schwelle
überschritten hat, sollte sich zunächst mit dem Taufbecken
konfrontiert sehen. Die Taufe am Eingang der Kirche ist der einzige sinnvolle
Ort dafür. Das Aufnehmen des Weihwassers, wie es leider nur die katholische
Kirche kennt, ist ein gutes Symbol für Rückerinnerung an die Taufe und
wird zugleich zum jeweiligen neuen Beginn der Wegstrecke hin zur
Vollendung.
Kirche sollte erschritten werden. Das gilt nicht nur für
die Kathedralkirchen, sondern ist auch in jeder kleinen Kirche möglich.
Kirche muss erschrittener Raum sein. Die Schönheit einer großen
Kathedralkirche hat sich mir als Gemeindepfarrer vor allem dadurch erschlossen,
dass ich, meine Predigt meditierend, immer wieder den Weg des Umganges von der
Kirchentür bis zum Altar, hinter dem Altar vorbei und zurück zur
Kirchentür erschritten habe. Die erste Konfirmandenstunde sollte damit
beginnen, dass der Pfarrer mit seinen Konfirmandinnen und Konfirmanden die
Kirche erschreitet. Dabei soll Schritt für Schritt der Sinn des Weges
klargemacht und gedeutet werden. Vielleicht erreichen wir dabei auch, dass das
lärmende Geschwätz der Alltagsunterhaltung vor Beginn des
Gottesdienstes ein wenig verringert wird. Babygeschrei in der Kirche halte ich
für legitim! Auch im Stall von Bethlehem wird das Christuskind vermutlich
geweint haben. Gespräche über den Sommerschlussverkauf unmittelbar vor
Beginn des Gottesdienstes hätte ich gern um des Gottesdienstbesuchers
willen aus dem kirchlichen Raum verbannt.
Der Weg geht dann vorbei an der Kanzel, dem Ort der Begegnung
mit dem bleibenden Worte Gottes, durch den Chorraum hin zum Altar. Wer dort das
Sanctus meditieren kann, auch wenn er allein oder nur mit wenigen anderen sich
im kirchlichen Raum befindet, erlebt die innere Erfahrung der zeit- und
raumlosen Gegenwart Christi. Die Wiedereinführung des Lichterbaums, der die
Gedenkkerze für Verstorbene als Dankopfer für die Gnade Gottes aus den
orthodoxen Kirchen in unsere lutherischen Kirchen zurückholt, ist zu
begrüßen.
Zum Wesen der Basilika gehört die Dreiteilung von Schiff,
Chorraum und Altarraum. Wer nie inne geworden ist, dass der Aufenthalt im Schiff
der Kirche in ganz bestimmter Weise die Gestalt der Kirche mitten im Strom der
wogenden See zum Ausdruck bringt, wird es schwer haben, sich in die Geborgenheit
des gottesdienstlichen Handelns hineinzubegeben. Wer noch nicht gespürt
hat, was Kirchenmauern und Kirchentür für eine deutliche Sprache in
Bezug auf die Stellung des Christen zur Welt reden, wird immer wieder dem
Ghetto-Dasein oder aber der platten Verweltlichung anheim fallen. Im Schiff der
Kirche zu sitzen, heißt zugleich in jedem gottesdienstlichen Verlauf
Stillung des Sturmes in allen ihren Phasen nachzuerleben. Die Geborgenheit im
Schiff der Kirche kann auch jene hektische Angst überwinden, die in einer
Art geistlicher Prostitution meint, zu jedem und allem das "Wort der Kirche"
hinzufügen zu müssen.
Kirchliche Räume sind ebenso "heilig" wie sie "profan"
sind. Sie sind ebenso "zeitgemäß" wie sie das Zeitlose
repräsentieren. Wenn es nicht um Neubauten geht, so sollten sich alle
Beteiligten immer wieder klarmachen, dass in dieser Kirche Generationen mit den
gleichen Sorgen und den gleichen Freuden gemessen haben. Hier werden - so Gott
will - Generationen sitzen, die das Gleiche hören und empfinden werden, wie
ich heute. Kirchlicher Raum, in welcher Form er sich auch präsentiert, ist
immer auch Symbol für den Ewigen Christus, der Zeit und Raum, Diesseits und
Jenseits in seiner Hand hat.
gekürzter Auszug aus:
Kirche im Tourismus, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft
Missionarische Dienste in der EKD, März 1993.
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