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1.1 VERFASSUNG UND ORGANISATION DER EKD, UND OEKUMENE

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<1_1> Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland
Vom 13. Juli 1948 (ABl. EKD 1948, S. 233)

<Im Text sind folgende Änderungen berücksichtigt: Neufassung vom 07.11.1974; Änderungen durch KirchenG der EKD vom 06.11.1986 (ABl. EKD 1986, S. 481); Änderungen durch KirchenG der EKD zur ... Herstellung der Einheit ... vom 24.02.1991 (ABl. EKD 1991, S. 89); Beschluss der Kirchenkonferenz zur Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 19. März 1992 (ABl. EKD S. 162); Artikel 10 neu gefasst, Artikel 10a und 26a eingefügt, Artikel 9, 11, 17, 23, 24, 26, 28-32, 34-35 geändert durch Beschluss der Synode der EKD zum KirchenG zur Änderung der Grundordnung der EKD vom 09.11.2000 (ABl. EKD S. 458); Art. 18 geändert durch Beschluss der 9. Synode der EKD zur Änderung ... vom 07.11.2002 [ABl. EKD 2002, S. ???] (ABl. 2003 A 79); Neufassung bekannt gemacht in der EKD vom 28.05.2002 (ABl. EKD 2002, S. 130); Neufassung ab 01.01.2004 bekannt gemacht in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 10.04.2003 (ABl. 2003 A 73); VO <des Rates der EKD> über die In-Kraft-Setzung des KirchenG <der EKD> zur Änderung der Grundordnung ab dem 01.04.2003, vom ??.??.2003 (ABl. EKD 2003, S. 61); Artikel 32 neu gefasst und Artikel 32a bis 32c neu eingefügt durch Kirchengesetz über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland vm 6.11.2003 (ABl. 2004 A 38); Artikel 18 geändert durch Kirchengesetz zur Änderung der Grundordnung ... vom 06.11.2003 [ABl. EKD 2003 S. 406] (ABl. 2004 A 86).>

< Vorspruch >

Grundlage der Evangelischen Kirche in Deutschland ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben ist. Indem sie diese Grundlage anerkennt, bekennt sich die Evangelische Kirche in Deutschland zu dem Einen Herrn der einen heiligen allgemeinen und apostolischen Kirche.

Gemeinsam mit der alten Kirche steht die Evangelische Kirche in Deutschland auf dem Boden der altkirchlichen Bekenntnisse. Für das Verständnis der Heiligen Schrift wie auch der altkirchlichen Bekenntnisse sind in den lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen und Gemeinden die für sie geltenden Bekenntnisse der Reformation maßgebend.

I. Grundbestimmungen

Artikel 1
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland ist die Gemeinschaft ihrer lutherischen, reformierten und unierten Gliedkirchen. Sie versteht sich als Teil der einen Kirche Jesu Christi. Sie achtet die Bekenntnisgrundlage der Gliedkirchen und Gemeinden und setzt voraus, dass sie ihr Bekenntnis in Lehre, Leben und Ordnung der Kirche wirksam werden lassen.
(2) Zwischen den Gliedkirchen besteht Kirchengemeinschaft im Sinne der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (Leuenberger Konkordie). Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert darum das Zusammenwachsen ihrer Gliedkirchen in der Gemeinsamkeit des christlichen Zeugnisses und Dienstes gemäß dem Auftrag des Herrn Jesus Christus.
(3) Mit ihren Gliedkirchen bejaht die Evangelische Kirche in Deutschland die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen. Sie weiß sich verpflichtet, als bekennende Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes über Wesen, Auftrag und Ordnung der Kirche zur Auswirkung zu bringen. Sie ruft die Gliedkirchen zum Hören auf das Zeugnis der Brüder und Schwestern. Sie hilft ihnen, wo es gefordert wird, zur gemeinsamen Abwehr kirchenzerstörender Irrlehre.
(4) Durch seine Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde und in einer Gliedkirche gehört das Kirchenmitglied zugleich der Evangelischen Kirche in Deutschland an.

Artikel 2
(1) Das Recht der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen muss auf der im Vorspruch und in Artikel 1 bezeichneten Grundlage ruhen.
(2) Die gesamtkirchliche Rechtsetzung darf das Bekenntnis der Gliedkirchen nicht verletzen; die Rechtsetzung der Gliedkirchen darf dem gesamtkirchlichen Recht nicht widersprechen.
(3) Die Evangelische Kirche in Deutschland steht in der Ordnung der Ökumene.

Artikel 3
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland ist um ihres Auftrages willen unabhängig in der Aufstellung ihrer Grundsätze, in der Ordnung und Verwaltung ihrer Angelegenheiten und in der Verleihung und Aberkennung ihrer Ämter.
(2) Die Regelung ihres Verhältnisses zum Staat bleibt einem Übereinkommen vorbehalten.

Artikel 4
(1) In der Evangelischen Kirche in Deutschland gilt für den Dienst der Verkündigung und der Sakramentsverwaltung:
1. Die in einer Gliedkirche ordnungsgemäß vollzogene Taufe wird in allen Gliedkirchen anerkannt.
2. Es besteht Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.
3. Die in einer Gliedkirche ordnungsgemäß vollzogene Ordination wird in allen Gliedkirchen anerkannt; Ordinierte sind in allen Gliedkirchen zum Dienst der Verkündigung, zur Vornahme von Taufen und Amtshandlungen zugelassen.
4. Ordnungsgemäß vollzogene Amtshandlungen werden in allen Gliedkirchen anerkannt.
(2) Die gliedkirchlichen Ordnungen und Vereinbarungen zwischen den Gliedkirchen bleiben unberührt.

Artikel 5
Die Ordnung des Verhältnisses der Gliedkirchen zueinander und zur Evangelischen Kirche in Deutschland ist eine Ordnung der Brüderlichkeit. Verhandlungen und Auseinandersetzungen sowie die Geltendmachung von Rechten und Pflichten zwischen ihnen sollen in diesem Geiste stattfinden.

II. Aufgaben

Artikel 6
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland bemüht sich um die Festigung und Vertiefung der Gemeinschaft unter den Gliedkirchen, hilft ihnen bei der Erfüllung ihres Dienstes und fördert den Austausch ihrer Kräfte und Mittel.
(2) Sie wirkt dahin, dass die Gliedkirchen, soweit nicht ihr Bekenntnis entgegensteht, in den wesentlichen Fragen des kirchlichen Lebens und Handelns nach übereinstimmenden Grundsätzen verfahren.

Artikel 7
Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert und unterstützt Einrichtungen und Arbeiten von gesamtkirchlicher Bedeutung, insbesondere die wissenschaftliche Forschung auf den Gebieten der Theologie und des Kirchenrechts, die Kirchenmusik, die kirchliche Kunst und die Herausgabe kirchlichen Schrifttums.


Artikel 8
Die Evangelische Kirche in Deutschland kann den Gliedkirchen für ihre Arbeit Anregungen geben, insbesondere für die Ordnungen der Gliedkirchen, für die Zuordnung der kirchlichen Werke innerhalb einer Gliedkirche zu deren Leitung und für die Gestaltung der kirchlichen Presse.

Artikel 9
Die Evangelische Kirche in Deutschland kann Richtlinien aufstellen
a) für die wissenschaftliche und praktische Ausbildung der Pfarrer und Pfarrerinnen sowie der übrigen kirchlichen Amtsträger und Amtsträgerinnen;
b) für die Rechtsverhältnisse und für die wirtschaftliche Versorgung der Pfarrer und Pfarrerinnen sowie der übrigen kirchlichen Amtsträger und Amtsträgerinnen;
c) für die Erhebung kirchlicher Abgaben;
d) für die Verwaltung des kirchlichen Vermögens;
e) für die Vereinheitlichung der kirchlichen Amtsbezeichnungen und die Benennung der kirchlichen Amtsstellen;
f) für das Archiv- und Kirchenbuchwesen und für die kirchliche Statistik.

Artikel 10
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland kann ihre Angelegenheiten und ihre Beziehungen zu Kirchen im Ausland durch Kirchengesetz regeln, soweit hierfür wegen der Bedeutung der Sache ein Bedürfnis besteht.
(2) Einer kirchengesetzlichen Regelung bedarf es
(a) zur Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland und zur Änderung oder Aufhebung von Kirchengesetzen,
(b) soweit Staatskirchenverträge, die die Evangelische Kirche in Deutschland abschließt, Regelungsgegenstand sind,
(c) in den Fällen des Artikels 33 Absatz 2.

Artikel 10a
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland kann Kirchengesetze für Sachgebiete, die durch Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland für alle oder für mehrere Gliedkirchen einheitlich geregelt sind, mit Wirkung für die betroffenen Gliedkirchen erlassen, wenn die Kirchenkonferenz durch Beschluss nach Artikel 26 a Absatz 4 zustimmt. Das Zustimmungserfordernis gilt nicht für Kirchengesetze nach Artikel 33 Absatz 2.
(2) Die Evangelische Kirche in Deutschland kann Kirchengesetze für Sachgebiete, die noch nicht einheitlich durch Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland geregelt sind, mit Wirkung für die Gliedkirchen erlassen, soweit die Gesetzgebungskompetenz bei ihnen liegt, und zwar
a) für alle Gliedkirchen, wenn alle Gliedkirchen, oder
b) für mehrere Gliedkirchen, wenn diese
dem Kirchengesetz zustimmen.
Die Zustimmung ist gegenüber dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zu erklären. Sie kann auch nach Verkündung des Kirchengesetzes binnen eines Jahres erklärt werden, wenn nichts anderes bestimmt ist. Die Frist beginnt mit dem Tage der Herausgabe des Amtsblattes der Evangelischen Kirche in Deutschland, das die Verkündung nach Artikel 26 a Absatz 6 enthält.
(3) In einem Kirchengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland nach Absatz 2 kann den betroffenen Gliedkirchen die Möglichkeit eingeräumt werden, jederzeit dieses Kirchengesetz in der zurzeit gültigen Fassung für sich außer Kraft zu setzen. Dies gilt nicht für Teile von Kirchengesetzen und nicht für Kirchengesetze nach Artikel 33 Absatz 2. Das Außer-Kraft-Setzen ist gegenüber dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zu erklären. Der Rat stellt durch Verordnung fest, dass und zu welchem Zeitpunkt das Kirchengesetz für die betroffene Gliedkirche außer Kraft getreten ist.

Artikel 11
Die Gliedkirchen nehmen über die Bestellung des oder der Vorsitzenden ihrer Kirchenleitung mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland Fühlung.

Artikel 12
Kirchengesetze und sonstige Ordnungen mit Gesetzeskraft legen die Gliedkirchen spätestens mit der Verkündung dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland vor. Sie sind abzuändern, wenn der Rat mitteilt, dass sie gegen gesamtkirchliche Ordnungen verstoßen.

Artikel 13
Alle Gliedkirchen gemeinsam oder einzelne von ihnen können der Evangelischen Kirche in Deutschland mit Zustimmung des Rates einzelne Aufgaben übertragen oder die Entscheidung in Fragen überlassen, für welche die Gliedkirchen zuständig sind.

Artikel 14
Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert die Zusammenfassung der der Kirche aufgetragenen Arbeit an den verschiedenen Gruppen von Gliedern der Kirche, insbesondere an den Männern, den Frauen und der Jugend, soweit sie über den Bereich der Gliedkirchen hinausgeht und gesamtkirchlicher Ordnungen oder Organe bedarf. Sie regelt die kirchliche Zuordnung dieser Arbeit so, dass die Mitarbeit freier Kräfte gewährleistet ist.

Artikel 15
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Gliedkirchen sind gerufen, Christi Liebe in Wort und Tat zu verkündigen. Diese Liebe verpflichtet alle Glieder der Kirche zum Dienst und gewinnt in besonderer Weise Gestalt im Diakonat der Kirche; demgemäß sind die diakonisch-missionarischen Werke Wesens- und Lebensäußerung der Kirche.
(2) Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert die in ihrem Gesamtbereich arbeitenden Werke der Inneren Mission, ungeachtet deren Rechtsform. Ihre Verbindung mit der Kirche und den Gemeinden sowie die freie Gestaltung ihrer Arbeit werden in Vereinbarungen und entsprechenden Richtlinien gesichert.
(3) Das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland, den Gliedkirchen und ihren Gemeinden getragen. Es dient dem kirchlichen Wiederaufbau sowie der Linderung und Behebung der Notstände der Zeit. Die Ordnung des Hilfswerkes bedarf eines Gesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland.


Artikel 16
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Gliedkirchen wissen, dass die Kirche Christi das Evangelium an die ganze Welt zu bezeugen hat. Im Gehorsam gegen den Sendungsauftrag ihres Herrn treiben sie das Werk der Äußeren Mission. Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert die Arbeit der Äußeren Mission in Zusammenarbeit mit der von den Missionsgesellschaften bestellten Vertretung. Sie kann für diese Zusammenarbeit Grundsätze aufstellen.
(2) Ebenso weiß sich die Evangelische Kirche in Deutschland zum Dienst an der evangelischen Diaspora gerufen. Sie fördert die zur Erfüllung dieses Dienstes bestehenden Einrichtungen und die anderen kirchlichen Werke, soweit sie im Gesamtbereich der Evangelischen Kirche in Deutschland ihren Dienst tun. Sie kann ihnen unter Wahrung ihrer sachlich erforderten Selbstständigkeit für ihre Arbeit und ihre Ordnung Richtlinien geben.

Artikel 17
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland arbeitet in der Ökumene mit.
(2) Die Evangelische Kirche in Deutschland ist Mitglied im Ökumenischen Rat der Kirchen, in der Konferenz Europäischer Kirchen und in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland. Sie pflegt Beziehungen mit den weltweiten christlichen Gemeinschaften, mit ökumenischen Organisationen sowie mit anderen Kirchen.
(3) Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert den Dienst an evangelischen Christen deutscher Sprache oder Herkunft im Ausland in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit deren Kirchen und Gemeinden oder nimmt diesen Dienst in Gemeinschaft mit anderen Kirchen wahr.
(4) Die Evangelische Kirche in Deutschland fördert in ihrem Bereich den Dienst der Gliedkirchen an Christen fremder Sprache oder Herkunft in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Kirchen der Heimatländer.
(5) Die Evangelische Kirche in Deutschland, die Gliedkirchen und deren Vereinigungen sowie die kirchlichen Werke, Verbände und Einrichtungen nehmen ihre ökumenischen Aufgaben unbeschadet ihrer unmittelbaren Beziehungen und Verpflichtungen in gegenseitiger Fühlungnahme wahr. Gemeinsam sind sie bemüht, das Bewusstsein ökumenischer Verantwortung zu stärken.


Artikel 18 <Neufassung ab 01.01.2005>
Die Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr und die Evangelische Seelsorge im Bundesgrenzschutz sind je Gemeinschaftsaufgaben der Evangelischen Kirche in Deutschland und der ihr verbundenen Gliedkirchen.

Artikel 19
Die Evangelische Kirche in Deutschland vertritt die gesamtkirchlichen Anliegen gegenüber allen Inhabern öffentlicher Gewalt. Sie erstrebt ein einheitliches Handeln ihrer Gliedkirchen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens.

Artikel 20
(1) In Erfüllung ihrer Aufgaben kann die Evangelische Kirche in Deutschland Ansprachen und Kundgebungen ergehen lassen, die leitenden Stellen der Gliedkirchen zu Besprechungen versammeln und von ihnen Auskunft oder Stellungnahme einholen.
(2) Sie kann zur Erfüllung bestimmter Aufgaben Kollekten ausschreiben, die in allen Gliedkirchen einzusammeln sind. Ihre Zahl soll jährlich nicht mehr als drei betragen. Die Erhebung weiterer gesamtkirchlicher Kollekten kann sie den Gliedkirchen empfehlen.


III. Gliederung

Artikel 21
(1) Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland sind die bestehenden Landes- und Provinzialkirchen.
(2) Der Zusammenschluss, die Neubildung und die Auflösung von Gliedkirchen erfolgt im Benehmen mit der Evangelischen Kirche in Deutschland. Das Gleiche gilt, wenn sich Gliedkirchen ohne Aufgabe ihres rechtlichen Bestandes innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammenschließen.
(3) Jede Gliedkirche steht, unbeschadet ihrer Zugehörigkeit zu einer konfessionell oder territorial bestimmten Vereinigung von Gliedkirchen, im unmittelbaren Verhältnis zur Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland.
(4) Bekenntnisverwandte kirchliche Gemeinschaften können der Evangelischen Kirche in Deutschland durch Vereinbarung angeschlossen werden. Die Vereinbarung bedarf der Bestätigung durch Kirchengesetz.

IV. Organe und Amtsstellen

Artikel 22
(1) Die Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland sind
- die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland,
- die Kirchenkonferenz,
- der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland.
(2) Zur Beratung der leitenden Organe sind für bestimmte Sachgebiete kirchliche Kammern aus sachverständigen kirchlichen Persönlichkeiten zu bilden.

Artikel 23
(1) Die Synode hat die Aufgabe, der Erhaltung und dem inneren Wachstum der Evangelischen Kirche in Deutschland zu dienen.
(2) Sie beschließt Kirchengesetze nach Maßgabe des Artikels 26 a, erlässt Kundgebungen, bespricht die Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland, erörtert Fragen des kirchlichen Lebens und gibt dem Rat Richtlinien.
(3) Sie wählt in Gemeinschaft mit der Kirchenkonferenz gemäß Artikel 30 den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Artikel 24
(1) Die Synode besteht aus
- 100 Mitgliedern, die von den synodalen Organen der Gliedkirchen gewählt werden, und
- 20 Mitgliedern, die vom Rat berufen werden.
Für jeden Synodalen und jede Synodale sind 2 Stellvertreter oder Stellvertreterinnen zu bestimmen. Von den gewählten und berufenen Synodalen darf nicht mehr als die Hälfte Theologen und Theologinnen sein.
(2) Die Verteilung der zu wählenden Synodalen auf die Gliedkirchen wird durch Gesetz geregelt.
(3) Unter den vom Rat zu berufenden Synodalen sind besonders Persönlichkeiten zu berücksichtigen, die für das Leben der Gesamtkirche und für die Arbeit der kirchlichen Werke Bedeutung haben.
(4) Die Mitglieder der Synode sind an Weisungen nicht gebunden.
(5) Die Mitglieder der Kirchenkonferenz nehmen an den Beratungen der Synode ohne Stimmrecht teil.

Artikel 25
(1) Die Synode wird für 6 Jahre gebildet. Ihre Amtszeit beginnt mit dem ersten Zusammentritt und endet mit dem ersten Zusammentritt der nächsten Synode, der frühestens 70 und spätestens 73 Monate nach Beginn der Amtszeit stattfinden soll.
(2) Die Synode tritt in der Regel einmal im Jahr zu einer ordentlichen Tagung zusammen. Sie ist außerdem einzuberufen, wenn der Rat oder 30 Synodale es verlangen.
(3) Sie wird mit einem Gottesdienst eröffnet. Ihrer Tagung wird im Gottesdienst aller Gemeinden fürbittend gedacht.

Artikel 26
(1) Die Synode wählt für ihre Amtsdauer aus ihrer Mitte ein Präsidium, bestehend aus dem oder der Präses, zwei Vizepräsides und den Beisitzern oder Beisitzerinnen. Die Mitglieder des Präsidiums bleiben bis zur Wahl ihrer Nachfolger oder Nachfolgerinnen im Amt. Der oder die Vorsitzende des Rates soll nicht gleichzeitig Präses der Synode sein.
(2) Die Synode beschließt mit Stimmenmehrheit. Sie ist beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Synodalen anwesend sind. Sie gibt sich eine Geschäftsordnung.
(3) Erhebt der Rat gegen einen Beschluss der Synode Einwendungen, so hat die Synode über den Gegenstand in einer nicht am gleichen Tage stattfindenden Sitzung erneut zu beschließen. Erklären sich zwei Drittel der anwesenden Mitglieder der Synode für die Aufrechterhaltung des Beschlusses, so bleibt er bestehen. Gegen Wahlen durch die Synode kann der Rat Einwendungen nicht erheben.

Artikel 26 a
(1) Entwürfe zu Kirchengesetzen werden vom Rat, von der Kirchenkonferenz oder aus der Mitte der Synode eingebracht. Sie sind mit einer Begründung zu versehen. Vorlagen des Rates sind der Kirchenkonferenz, Vorlagen der Kirchenkonferenz dem Rat zur Stellungnahme zuzuleiten. Der Rat legt der Synode alle Vorlagen mit den Stellungnahmen vor.
(2) Kirchengesetze bedürfen einer zweimaligen Beratung und Beschlussfassung durch die Synode.
(3) Kirchengesetze, die die Grundordnung ändern oder die Gegenstände nach Art. 10 Abs. 2 Buchstabe b betreffen, bedürfen einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Synode.
(4) Kirchengesetze nach Artikel 10 Absatz 2 Buchstaben a und b sowie Artikel 10 a Abs. 1 und 2 bedürfen der Zustimmung der Kirchenkonferenz. Sie werden nach ihrer Verabschiedung durch die Synode von dem oder der Präses unverzüglich der Kirchenkonferenz zugeleitet.
(5) Kirchengesetze, die die Grundordnung ändern, bedürfen einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Kirchenkonferenz.
(6) Kirchengesetze sind im Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland zu verkünden.
(7) Kirchengesetze nach Artikel 10 Abs. 2 und Artikel 10 a Abs. 1 treten mit dem 14. Tage nach der Herausgabe des Amtsblattes in Kraft, wenn nicht jeweils etwas anderes bestimmt ist. Kirchengesetze nach Art. 10 a Abs. 2 treten in Kraft, nachdem die betroffenen Gliedkirchen ihre Zustimmung erklärt haben. Den Zeitpunkt, zu dem diese Kirchengesetze in Kraft treten, bestimmt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland durch Verordnung.

Artikel 27
(1) Werden in der Synode gegen eine Vorlage Bedenken erhoben mit der Begründung, dass sie dem lutherischen, dem reformierten oder einem unierten Bekenntnis widerspreche, und können die Bedenken durch eine Aussprache in der Synode nicht behoben werden, so versammeln sich die Angehörigen des Bekenntnisses zu einem Konvent.
(2) Die Zugehörigkeit der Synodalen zu einem Konvent richtet sich nach dem Bekenntnisstand der Gliedkirchen, denen sie angehören. Unierte Gliedkirchen können bestimmen, ob die von ihnen entsandten Synodalen dem unierten oder demjenigen Konvent beitreten sollen, der ihrem persönlichen Bekenntnisstand entspricht.
(3) Bestätigt der Konvent die Bedenken und können sie auch bei nochmaliger Beratung in der Synode nicht behoben werden, so kann die Synode in dieser Frage nicht gegen die Stellungnahme des Konvents entscheiden.

Artikel 28
(1) Die Kirchenkonferenz hat die Aufgabe, über die Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland und die gemeinsamen Anliegen der Gliedkirchen zu beraten und Vorlagen oder Anregungen an die Synode und den Rat gelangen zu lassen. Sie wirkt bei der Wahl des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und bei der Gesetzgebung nach Maßgabe von Artikel 23 Abs. 3 und 26 a Absätze 1 und 4 mit.
(2) Die Kirchenkonferenz wird von den Kirchenleitungen der Gliedkirchen gebildet. Jede Kirchenleitung entsendet ein Mitglied, das nicht dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland angehören darf. Die Verteilung der Stimmen in der Kirchenkonferenz wird durch Gesetz geregelt. Die Mitglieder des Rates nehmen an den Sitzungen ohne Stimmrecht teil.
(3) Die Kirchenkonferenz wird von dem oder der Vorsitzenden des Rates geleitet. Sie tritt auf Einladung des oder der Vorsitzenden des Rates nach Bedarf zusammen. Auf Verlangen von drei Gliedkirchen muss sie einberufen werden.

Artikel 29
(1) Der Rat hat die Aufgabe, die Evangelische Kirche in Deutschland zu leiten und zu verwalten. Soweit die Befugnisse nicht anderen Organen beigelegt sind, ist er für alle Aufgaben der Evangelischen Kirche in Deutschland zuständig. Der Rat vertritt die Evangelische Kirche in Deutschland nach außen. Er kann Kundgebungen erlassen, wenn die Synode nicht versammelt ist. Er legt der Synode auf jeder ordentlichen Tagung einen Rechenschaftsbericht vor, der zu besprechen ist.
(2) Gegenstände, die durch Gesetz zu ordnen sind, können ausnahmsweise durch Verordnung des Rates geregelt werden, wenn die Sache keinen Aufschub duldet, die Synode nicht versammelt und ihre Einberufung nicht möglich oder der Bedeutung der Sache nicht entsprechend ist. Die Grundordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland darf durch Verordnung nicht geändert werden. Verordnungen sind der Synode bei ihrem nächsten Zusammentritt vorzulegen. Die Synode kann eine Verordnung des Rates ändern oder aufheben. Artikel 26 a Absatz 6 findet Anwendung.

Artikel 30
(1) Der Rat besteht aus 15 Mitgliedern. 14 Mitglieder werden von der Synode und der Kirchenkonferenz gemeinsam in geheimer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Die Kirchenkonferenz kann Vorschläge machen. Die Wahl findet in der zweiten Tagung der Synode statt. Als weiteres Mitglied gehört der oder die Präses der Synode dem Rat an.
(2) Bei der Wahl der Mitglieder des Rates ist die bekenntnismäßige und landschaftliche Gliederung der Evangelischen Kirche in Deutschland zu berücksichtigen.
(3) Der oder die Vorsitzende des Rates sowie der oder die stellvertretene Vorsitzende des Rates werden aus der Mitte der Ratsmitglieder von der Synode und der Kirchenkonferenz gemeinsam in getrennten Wahlgängen mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Der Rat kann Vorschläge machen.
(4) Die Amtsdauer des Rates beträgt 6 Jahre. Wiederwahl ist zulässig. Die Mitglieder bleiben bis zur Wahl ihrer Nachfolger und Nachfolgerinnen im Amt. Nach dem Ausscheiden eines Mitgliedes erfolgt Neuwahl gemäß Absatz 1 und 3.
(5) Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland tritt nach Bedarf zu Sitzungen zusammen. In den Sitzungen wird mit Stimmenmehrheit entschieden; bei Stimmengleichheit gibt der oder die Vorsitzende den Ausschlag. Der Rat gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie kann vorsehen, dass die Erledigung bestimmter Aufgaben einem engeren Ausschuss des Rates übertragen wird.

Artikel 31
(1) Amtsstelle des Rates ist das Kirchenamt. Das Kirchenamt führt die Verwaltung der Evangelischen Kirche in Deutschland und die laufenden Geschäfte des Rates im Rahmen des kirchlichen Rechts nach Richtlinien oder Weisungen des Rates.
(2) Das Kirchenamt hat insbesondere
1. die Synode und die Kirchenkonferenz in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und für die Synode und die Kirchenkonferenz die Aufgaben einer Geschäftsstelle wahrzunehmen sowie für die Geschäftsführung in den Kammern und Kommissionen zu sorgen,
2. an der ständigen Zusammenarbeit zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihren Gliedkirchen und den gliedkirchlichen Vereinigungen sowie den kirchlichen Werken, Verbänden und Einrichtungen mitzuwirken,
3. Stellungnahmen und Auskünfte der Gliedkirchen, der gliedkirchlichen Vereinigungen sowie der kirchlichen Werke, Verbände und Einrichtungen in Angelegenheiten von gesamtkirchlicher Bedeutung einzuholen,
4. Arbeiten und Planungen der Evangelischen Kirche in Deutschland einzuleiten und Entscheidungen der Organe, insbesondere auf dem Gebiet der Rechtsetzung, vorzubereiten,
5. die ökumenischen Verbindungen der Evangelischen Kirche in Deutschland wahrzunehmen,
6. die ihm kirchengesetzlich auf dem Gebiet der Auslandsarbeit und in anderen Bereichen zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen,
7. gesamtkirchliche Anliegen gegenüber staatlichen und anderen Stellen im Rahmen von Regelungen des Rates zu bearbeiten und sie zu vertreten, soweit die Vertretung nicht besonderen Bevollmächtigten übertragen ist,
8. die Öffentlichkeit über die Arbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland zu unterrichten und im Rahmen von Regelungen des Rates öffentliche Erklärungen abzugeben.
(3) Das Kirchenamt wird von einem Kollegium unter Vorsitz eines Präsidenten oder einer Präsidentin geleitet und in Hauptabteilungen gegliedert. Der Rat erlässt Richtlinien für die Organisation und Geschäftsverteilung und gibt dem Kirchenamt eine Geschäftsordnung.
(4) Der Präsident oder die Präsidentin sowie die Leiter und Leiterinnen der Hauptabteilungen des Kirchenamtes werden vom Rat im Benehmen mit der Kirchenkonferenz berufen.

Artikel 32
(1) Die Auslegung kirchlichen Rechts, das gegründet ist auf der Heiligen Schrift und den Bekenntnisschriften, erfolgt durch die verfassungsmäßigen Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland. Unbeschadet der Einheit der verfassungsmäßigen Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland haben die Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland die Aufgabe der Streitschlichtung. Die kirchliche Rechtsprechung in der Evangelischen Kirche in Deutschland ist Richtern und Richterinnen anvertraut.
(2) Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland sind
1. der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland,
2. das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland als Kirchengericht erster Instanz und
3. der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland als Kirchengericht zweiter Instanz.
(3) Durch Kirchengesetz kann die Evangelische Kirche in Deutschland für sich die Zuständigkeit von Kirchengerichten ihrer Gliedkirchen und deren gliedkirchlichen Zusammenschlüsse begründen, soweit dies das Recht der Gliedkirchen und gliedkirchlichen Zusammenschlüsse zulässt.
(4) Durch Kirchengesetz kann die Evangelische Kirche in Deutschland ihren Gliedkirchen, deren gliedkirchlichen Zusammenschlüssen und für kirchliche und freikirchliche Einrichtungen, Werke und Dienste im Bereich der evangelischen Kirchen die Möglichkeit eröffnen, die Zuständigkeit der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland zu begründen.

Artikel 32 a
(1) Die Richter und Richterinnen des Verfassungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland sowie je ein stellvertretendes Mitglied werden auf gemeinsamen Vorschlag des Rates, der Kirchenkonferenz und des Präsidiums der Synode durch die Synode gewählt. Die Richter und Richterinnen des Kirchengerichts und des Kirchengerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland werden vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen. Sie sind an die Heilige Schrift und an ihr Bekenntnis sowie an das in der Kirche geltende Recht gebunden. In diesem Rahmen üben sie ihr Amt unparteiisch und in richterlicher Unabhängigkeit aus. Sie haben sich innerhalb und außerhalb ihres Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.
(2) Zu Richtern und Richterinnen der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland können nur Kirchenmitglieder der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen werden, die zu kirchlichen Ämtern in einer Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland wählbar sind. Nicht berufen werden können die Mitglieder der verfassungsmäßigen Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland.
(3) Die Richter und Richterinnen der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland können gegen ihren Willen nur auf kirchengesetzlich geordnetem Wege ihres Amtes enthoben oder an der Ausübung ihres Amtes gehindert werden.

Artikel 32 b
Der Verfassunsggerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet über die Auslegung der Grundordnung aus Anlass von Meinungsverschiedenheiten zwischen den verfassungemäßigen Organen der Evangelischen Kirche in Deutschland oder eines anderen durch Kirchengesetz Berechtigten, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin geltend macht, durch ein Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners oder der Antragsgegnerin in eigenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein.

Artikel 32 c
(1) Hält ein Kirchengericht ein Kirchengesetz oder eine Verordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland, auf dessen oder deren Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für mit der Grundordnung nicht vereinbar, so hat es das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland einzuholen.
(2) Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs der Evangelischen Kirche in Deutschland hat Gesetzeskraft. Soweit ein Kirchengesetz oder eine Verordnung mit der Grundordnung für unvereinbar und daher für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel im Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland zu veröffentlichen.

V. Besondere und Übergangsbestimmungen

Artikel 33
(1) Die Einnahmen und Ausgaben der Evangelischen Kirche in Deutschland sind für ein Jahr oder mehrere Jahre auf einen Haushaltsplan zu bringen. Ausgaben, die durch eigene Einnahmen nicht gedeckt sind, werden auf die Gliedkirchen umgelegt.
(2) Der Haushaltsplan sowie die Höhe und der Verteilungsmaßstab der Umlage werden durch Gesetz festgelegt. Das Gleiche gilt für Anleihen und Sicherheitsleistungen, die nicht aus Mitteln des laufenden Rechnungsjahres gedeckt werden können.
(3) Über die Haushalts- und Kassenführung ist jährlich Rechnung zu legen. Die Rechnung wird von einem hierzu bestimmten Ausschuss geprüft. Auf Grund seines Berichts beschließt die Synode über die Entlastung.
(4) Das Nähere über das Haushalts-, Umlagen- und Kassenwesen wird durch eine Verordnung des Rates geregelt.

Artikel 34
(1) Die Evangelische Kirche in Deutschland wird in Rechtsangelegenheiten durch den Rat vertreten. Urkunden, welche die Evangelische Kirche in Deutschland Dritten gegenüber verpflichten sollen, und Vollmachten sind von dem oder der Vorsitzenden des Rates oder dem oder der stellvertretenden Vorsitzenden des Rates zu vollziehen; das Siegel ist beizudrücken. Dadurch wird die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung festgestellt.
(2) Der Rat kann die Vertretung allgemein oder im Einzelfall auf das Kirchenamt übertragen und dabei regeln, durch wen Urkunden, welche die Evangelische Kirche in Deutschland Dritten gegenüber verpflichten sollen, und Vollmachten zu vollziehen sind.

Artikel 35
Die Evangelische Kirche in Deutschland als öffentlich-rechtliche Körperschaft ist Trägerin der Rechte und Verbindlichkeiten des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes und der Deutschen Evangelischen Kirche. Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933 wird hiermit aufgehoben. Im Übrigen bleibt das gesamtkirchliche Recht in Kraft, soweit es dieser Grundordnung nicht widerspricht.


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<1_1> Kirchengerichtsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland
(KiGG.EKD)
Vom 06. November 2003 (ABl. 2004 A 38)

Inhaltsübersicht

Abschnitt 1
Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland
§ 1 Sitz
§ 2 Besetzung des Verfassungsgerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland
§ 3 Besetzung des Kirchengerichts und des Kirchengerichtshofes der Evangelischen
Kirche in Deutschland
§ 4 Präsidien
§ 5 Zuständigkeiten
§ 6 Erweiterung der Zuständigkeiten
§ 7 Zuständigkeit in Streitigkeiten aus Dienst- und Entsendungsverhältnissen
§ 8 Rechts- und Amtshilfe

Abschnitt 2
Richter und Richterinnen der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland
§ 9 Wahl, Berufung und Amtszeit
§ 10 Verpflichtung
§ 11 Amtsbezeichnungen
§ 12 Ehrenamt, Entschädigung
§ 13 Verschwiegenheitspflicht
§ 14 Beendigung und Ruhen des Amtes
Abschnitt 3
Geschäftsstelle
§ 15 Geschäftsstelle

Abschnitt 4
Allgemeine Verfahrensvorschriften für die Kirchengerichte der Evangelischen Kirche
in Deutschland
§ 16 Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme
§ 17 Ordnungsvorschriften
§ 18 Form und Verkündung der Entscheidungen
§ 19 Zustellungen
§ 20 Verweisung
§ 21 Zulassungsvoraussetzungen der Verfahrensbevollmächtigten
§ 22 Verfahrenskosten
§ 23 Entschädigung für Zeugen, Zeuginnen und Sachverständige
§ 24 Zwangsmaßnahmen

Abschnitt 5
Streitigkeiten vor dem Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
§ 25 Organstreitigkeiten
§ 26 Normenkontrollverfahren
§ 27 Anzuwendende Vorschriften

Abschnitt 6
Verfahren nach dem Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland
§ 28 Anzuwendende Vorschriften

Abschnitt 7
Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes
§ 29 Anzuwendende Vorschriften

Abschnitt 8
Schlussvorschriften
§ 30 Übergangsregelungen


Abschnitt 1
Kirchengerichte der Evangelischen Kirche
in Deutschland

§ 1
Sitz
(1) Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland haben ihren Sitz in Hannover.
(2) Es können Gerichtstage außerhalb des Sitzes im Inland abgehalten werden. Das Nähere wird durch Verordnung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland geregelt.

§ 2
Besetzung des Verfassungsgerichtshofes
der Evangelischen Kirche in Deutschland

(1) Der Verfassungsgerichtshof besteht aus dem Präsidenten oder der Präsidentin und vier weiteren Richtern und Richterinnen. Der Präsident oder die Präsidentin und zwei weitere Richter oder Richterinnen müssen die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz haben. Die übrigen Richter oder Richterinnen müssen ordinierte Theologen oder ordinierte Theologinnen sein.
(2) Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet in der Besetzung nach Absatz 1 Satz 1.

§ 3
Besetzung des Kirchengerichts und des Kirchengerichtshofes
der Evangelischen Kirche in Deutschland
(3) Die Kammern und Senate entscheiden in der Besetzung mit dem Präsidenten oder der Präsidentin oder dem Vorsitzenden Richter oder der Vorsitzenden Richterin und zwei weiteren Richtern oder Richterinnen, soweit nicht gesetzlich vorgesehen ist, dass der Präsident oder die Präsidentin oder der Vorsitzende Richter oder die Vorsitzende Richterin allein entscheidet.

§ 4
Präsidien
(2) Zur Verteilung der Geschäfte wird bei dem Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland und bei dem Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland jeweils ein Präsidium gebildet. Die Präsidien bestehen aus dem Präsidenten oder der Präsidentin und den Vorsitzenden Richtern und Vorsitzenden Richterinnen. Das Präsidium entscheidet mit Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Präsidenten oder der Präsidentin den Ausschlag.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften des Zweiten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung.

§ 5
Zuständigkeiten
(2) Das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet
1. in Verfahren nach dem Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland und
2. über Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes.
(3) Der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland ist Kirchengericht zweiter Instanz in Verfahren nach Absatz 2.

§ 6
Erweiterung der Zuständigkeiten

§ 7
Zuständigkeit in Streitigkeiten aus
Dienst- und Entsendungsverhältnissen
(1) Für Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis der im unmittelbaren Dienst der Evangelischen Kirche in Deutschland stehenden Kirchenbeamten und Kirchenbeamtinnen, Ruhestandsbeamten und Ruhestandsbeamtinnen und Hinterbliebenen gemäß § 79 Absatz 1 Satz 1 2. Halbsatz Kirchenbeamtengesetz ist in erster Instanz der Rechtshof der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und in zweiter Instanz das Verfassungs- und Verwaltungsgericht der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zuständig.
(2) Für die von der Evangelischen Kirche in Deutschland in den Auslandsdienst entsandten Pfarrer und Pfarrerinnen (Auslandspfarrer und Auslandspfarrerinnen), Auslandspfarrer und Auslandspfarrerinnen im Ruhestand, früheren Auslandspfarrern und Auslandspfarrerinnen und Hinterbliebenen gilt unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Entsendungsverhältnisses gemäß § 18 des Kirchengesetzes über die Mitarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland in der Ökumene Absatz 1 entsprechend.
(3) Die Zulässigkeit des Rechtsweges und das Verfahren richten sich nach der Rechtshofordnung vom 20. November 1973 (KABI. Hann. S. 217) und nach dem Kirchengesetz über die Errichtung eines Verfassungs- und Verwaltungsgerichts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. November 1978 (Amtsblatt Bd. V, S. 142) in der jeweils geltenden Fassung.
(4) Vermögensrechtliche Ansprüche sind vor den staatlichen Verwaltungsgerichten geltend zu machen. Insoweit werden gemäß § 135 Beamtenrechtsrahmengesetz die Vorschriften des Kapitel II Abschnitt II Beamtenrechtsrahmengesetz für anwendbar erklärt.

§ 8
Rechts- und Amtshilfe
(2) Die Rechts- und Amtshilfe staatlicher Behörden richtet sich nach den staatlichen Vorschriften.

Abschnitt 2

Richter und Richterinnen der Kirchengerichte
der Evangelischen Kirche in Deutschland

§ 9
Wahl, Berufung und Amtszeit
(1) Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland und deren Vertreter und Vertreterinnen werden auf gemeinsamen Vorschlag des Rates, der Kirchenkonferenz und des Präsidiums der Synode durch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt.
(2) Die Mitglieder des Kirchengerichts und des Kirchengerichtshofes werden vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland berufen. Für jeden Richter oder jede Richterin wird je ein erstes und ein zweites stellvertretendes Mitglied berufen. Für die stellvertretenden Mitglieder gelten die Vorschriften für die ordentlichen Mitglieder entsprechend.
(3) Ein Mitglied kann mehreren Kirchengerichten der Evangelischen Kirche in Deutschland und Kammern und Senaten angehören. Die Angehörigkeit ist bei der Berufung festzulegen.
(4) Die Amtszeit der Mitglieder beträgt sechs Jahre. Eine erneute Berufung ist zulässig. Solange eine Neuberufung nicht erfolgt ist, bleiben die bisherigen Mitglieder im Amt.
(5) Scheidet ein Mitglied während der Amtszeit aus, erfolgt eine Nachberufung bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit. Scheidet ein Mitglied gemäß § 14 Absatz 1 aus und ist ein stellvertretendes Mitglied nicht vorhanden, so bleibt das Mitglied im Amt, solange eine Nachberufung nicht erfolgt ist.
(6) Bei der Berufung der Mitglieder sollen Männer und Frauen in gleicher Weise berücksichtigt werden.

§ 10
Verpflichtung
(1) Vor Beginn ihrer Tätigkeit werden die Mitglieder mit nachfolgendem Richtergelöbnis verpflichtet:
"Ich gelobe vor Gott, mein Amt in Bindung an die Heilige Schrift und an das Bekenntnis meiner Kirche und getreu dem in der Evangelischen Kirche in Deutschland geltenden Recht auszuüben und nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen."
Mit dem Richtergelöbnis wird die Annahme des Amtes erklärt.
(2) Die Verpflichtung erfolgt durch den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Präsident oder die Präsidentin des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland kann vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hierzu ermächtigt werden. Die Verpflichtung ist schriftlich festzuhalten.

§ 11
Amtsbezeichnungen
Amtsbezeichnungen der Mitglieder sind "Präsident", "Präsidentin", "Vorsitzender Richter", "Vorsitzende Richterin", "Richter" und "Richterin" mit einem die Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland bezeichnenden Zusatz.

§ 12
Ehrenamt, Entschädigung

§ 13
Verschwiegenheitspflicht
Die Mitglieder haben über den ihnen bekannt gewordenen Inhalt der anhängigen Verfahren auch nach Beendigung ihres Amtes zu schweigen.

§ 14
Beendigung und Ruhen des Amtes
(3) Das Amt eines Mitglieds ist für beendet zu erklären, wenn
1. die rechtlichen Voraussetzungen der Berufung weggefallen sind,
2. es infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder infolge Verlegung seines ständigen Wohnsitzes in das Ausland zur Ausübung seines Amtes nicht mehr in der Lage ist,
3. es seine Pflichten gröblich verletzt hat,
4. das Ergebnis eines straf-, disziplinar- oder berufsgerichtlichen Verfahrens eine weitere Ausübung des Amtes nicht mehr zulässt.

Abschnitt 3
Geschäftsstelle

§ 15
Geschäftsstelle
(4) Zu den Aufgaben der Geschäftsstelle gehören insbesondere
1. die Vermittlung des gesamten Schriftverkehrs zwischen den Kirchengerichten der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihren Mitgliedern und den Verfahrensbeteiligten,
  1. die Ausführung richterlicher Anordnungen,
  2. die Protokollführung und
4. die Erteilung von Ausfertigungen und Abschriften von Entscheidungen.
(5) Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle haben über den ihnen bekannt gewordenen Inhalt der anhängigen Verfahren Stillschweigen zu wahren. Auskünfte dürfen nur zum Verfahrensstand erteilt werden. Rechtsauskünfte dürfen nicht erteilt werden.
(6) Der Präsident oder die Präsidentin des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland übt die Dienstaufsicht über die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle aus. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind in der Bearbeitung der anhängigen Verfahren allein den jeweils zuständigen Präsidenten, Präsidentinnen, Vorsitzenden Richtern und Vorsitzenden Richterinnen verantwortlich.
(7) Der Präsident oder die Präsidentin des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland hat dafür Sorge zu tragen, dass die Tätigkeit der Geschäftsstelle organisatorisch vom Geschäftsbetrieb des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland getrennt ist.
(8) Das Nähere wird in einer Geschäftsordnung geregelt, die der Rat der Evangelischen Kirche auf Vorschlag des Präsidenten oder der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland als Verwaltungsvorschrift erlässt.

Abschnitt 4

Allgemeine Verfahrensvorschriften
für die Kirchengerichte der
Evangelischen Kirche in Deutschland

§ 16
Mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme
(2) Eine Anhörung oder zeugenschaftliche Vernehmung kann ein vom Verfahren betroffener Mitarbeiter oder eine betroffene Mitarbeiterin verweigern, wenn die Aussage in einem ihn oder sie betreffenden Verfahren vor staatlichen Behörden oder Gerichten gegen ihn oder sie verwendet werden kann. Über das Verweigerungsrecht ist zu belehren.

§ 17
Ordnungsvorschriften

§ 18
Form und Verkündung der Entscheidungen
(2) Den Ausfertigungen und Abschriften der Entscheidungen ist das Gerichtssiegel beizudrücken.

§ 19
Zustellungen
(2) Im Übrigen finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechende Anwendung.

§ 20
Verweisung
(2) Ist kein Kirchengericht zuständig, so ist das Verfahren als unzulässig zurückzuweisen.

§ 21
Zulassungsvoraussetzungen der Verfahrensbevollmächtigten
Verfahrensbevollmächtigte müssen Mitglied einer Kirche sein, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen angehört. Soweit sie nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sind, kann ihnen der weitere Vortrag durch Beschluss untersagt werden, wenn ihnen die Fähigkeit zum sachgemäßen Vortrag mangelt. Der Beschluss ist unanfechtbar. Die Verfahrensbevollmächtigung ist schriftlich zu den Verfahrensakten abzugeben.

§ 22
Verfahrenskosten
(1) Gerichtskosten werden nicht erhoben.
(2) Eine Kostenfestsetzung findet nicht statt. Eine Festsetzung des Verfahrenswertes erfolgt auf Antrag.
(3) Im Übrigen finden die Vorschriften der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte entsprechend Anwendung.

§ 23
Entschädigung für Zeugen, Zeuginnen und Sachverständige
Zeugen, Zeuginnen und Sachverständige werden nach dem Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen entschädigt.

§ 24
Zwangsmaßnahmen
Vorschriften über staatliche Zwangsmaßnahmen sind nicht anwendbar.

Abschnitt 5

Streitigkeiten vor dem Verfassungsgerichtshof
der Evangelischen Kirche in Deutschland

§ 25 Organstreitigkeiten
(1) Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet über die Auslegung der Grundordnung aus Anlass von Meinungsverschiedenheiten zwischen den verfassungsmäßigen Organen der Evangelischen Kirche in Deutschland, ihrer Gliedkirchen und deren gliedkirchlichen Zusammenschlüsse, wenn der Antragsteller oder die Antragstellerin geltend macht, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners oder der Antragsgegnerin in eigenen Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein.
(2) Im Antrag ist die Bestimmung der Grundordnung zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung verstoßen sein soll.
(3) Der Antrag muss binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller oder der Antragstellerin bekannt geworden ist.
(4) Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland stellt in seiner Entscheidung fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung gegen eine Bestimmung der Grundordnung verstößt. Die Bestimmung ist zu bezeichnen. Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland kann in der Entscheidungsformel zugleich eine für die Auslegung der Bestimmung der Grundordnung erhebliche Rechtsfrage entscheiden, von der die Feststellung nach Satz 1 abhängt.

26
Normenkontrollverfahren
(1) Ausschließlich der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet über die Vereinbarkeit von Kirchengesetzen und Verordnungen der Evangelischen Kirche in Deutschland mit der Grundordnung.
(2) Vorlageberechtigt und -verpflichtet sind
1. das Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland und
2. der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland.
(3) Die Begründung des Vorlagebeschlusses muss angeben, inwiefern die Entscheidung des Kirchengerichts von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift abhängig sein soll und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die anzuwendende Rechtsvorschrift unvereinbar sein soll. Die Verfahrensakten sind beizufügen. Der Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland entscheidet nur über die Rechtsfrage. Die Organe der Evangelischen Kirche in Deutschland erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme und werden zur mündlichen Verhandlung geladen.


§ 27
Anzuwendende Vorschriften
Im Übrigen finden, soweit kirchengesetzlich nicht etwas anderes bestimmt ist, die Vorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung entsprechende Anwendung.

Abschnitt 6

Verfahren nach dem Disziplinargesetz
der Evangelischen Kirche in Deutschland

§ 23
Anzuwendende Vorschriften
In Verfahren nach dem Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland gelten die Vorschriften des Disziplinargesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland. Die Vorschriften dieses Kirchengesetzes finden ergänzend Anwendung.

Abschnitt 7
Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes

§ 29
Anzuwendende Vorschriften
In Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes gelten die Vorschriften des Mitarbeitervertretungsgesetzes. Die Vorschriften dieses Kirchengesetzes finden ergänzend Anwendung.

Abschnitt 8

Schlussvorschriften

§ 30
Übergangsregelungen
(1) Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Kirchengesetzes besetzt wurden, bleiben bis zum Ablauf der regelmäßigen Amtszeit ihrer Mitglieder bestehen.
(2) Absatz 1 gilt nicht für den Schiedsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland. Dort anhängige Verfahren werden dem Verfassungsgerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland zugeordnet.

Trier, den 6.November 2003

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Rinke


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<1_1> Verordnung über die Kammern und Senate bei den Kirchengerichten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Vom 06. November 2003 (ABl. 2004 A 45)

Aufgrund des § 3 Abs. 2 des in Artikel 2 zum Kirchengesetz über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland beschlossenen Kirchengerichtsgesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. November 2003 (ABl. EKD S. 408) verordnet der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland:

§ 1
Kammern des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland
Bei dem Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland werden drei Kammern errichtet. Sie führen die Bezeichnung
1. Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Disziplinarkammer -,
2. Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Erste Kammer für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - und
3. Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Zweite Kammer für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten -.

§ 2
Senate des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland
Bei dem Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland werden fünf Senate errichtet. Sie führen die Bezeichnung
1. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Lutherischer Senat in Disziplinarsachen -,
2. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Reformierter Senat in Disziplinarsachen -,
3. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Unierter Senat in Disziplinarsachen -,
4. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Erster Senat für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - und
5. Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
- Zweiter Senat für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten -.

Trier, den 6. November 2003

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Rinke


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<1_1> Verordnung über die Berufung der Richter und Richterinnen ... für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Vom 06. November 2003 (ABl. 2004 A 46)

Vollständiger Titel: Verordnung über die Berufung der Richter und Richterinnen des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland - Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland - und des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland - Senate für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland -

Aufgrund der §§ 58 und 59 a des Mitarbeitervertretungsgesetzes vom 6. November 1996 (ABl. EKD 1997 S. 41, 1997 S. 226), zuletzt geändert durch Artikel 5 des Kirchengesetzes über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 06.11.2003 (ABl. EKD S. 408) verordnet der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland:

§ 1
Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland - Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland -
(1) Vorschlagsberechtigt für die Vorsitzenden Richter und Vorsitzenden Richterinnen sind das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland, das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland, die Gesamtmitarbeitervertretung der Amts - und Dienststellen und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Gesamt-Mitarbeitervertretung der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Berliner Dienststelle.
(2) Der Vertreter oder die Vertreterin der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird von der Gesamtmitarbeitervertretung der Amts-, Dienststellen und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Gesamt-Mitarbeitervertretung der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Berliner Dienststelle benannt.
(3) Der Vertreter oder die Vertreterin der Dienstgeber wird vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland benannt.

§ 2
Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland - Senate für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland -
(1) Vorschlagsberechtigt für die Vorsitzenden Richter und Vorsitzenden Richterinnen sind das Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Gesamtmitarbeitervertretung der Amts-, Dienststellen und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland. Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 2 gelten entsprechend.
(2) Der Vertreter oder die Vertreterin der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird von der Gesamtmitarbeitervertretung der Amts-, Dienststellen und Einrichtungen der Evangelischen Kirche in Deutschland benannt. Die Benennung hat in Abstimmung mit der Gesamt-Mitarbeitervertretung der Hauptgeschäftsstelle des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Berliner Dienststelle und den Vereinigungen der Mitarbeitervertretungen der entsprechenden Gliedkirchen und Diakonischen Werke zu erfolgen.
(3) Der Vertreter oder die Vertreterin der Dienstgeber wird vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland benannt. Die Benennung erfolgt im Benehmen mit dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und den Gliedkirchen und gliedkirchlichen Diakonischen Werken, für deren Bereich die Zuständigkeit des Kirchengerichtshofes der der Evangelischen Kirche in Deutschland gegeben ist.

Trier, den 6. November 2003

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland
Rinke


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<1_1> Kirchengesetz über die Angliederung der Evangelischen Brüder-Unität, Distrikt Herrnhut, an den Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik
Vom 28. Juni 1970 (ABl. 1970 A 61)

<Fortwirkend als landeskirchliches Recht, aber fast ganz obsolet durch Auflösung des BEK DDR im Jahre 1990.>

Die Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik hat folgendes Kirchengesetz beschlossen:

Die zwischen dem Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR - vertreten durch die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der DDR - und der Evangelischen Brüder-Unität - Distrikt Herrnhut - vertreten durch die Direktion der Evangelischen Brüder-Unität in Herrnhut - geschlossene Vereinbarung vom 22. 11. 1969 über die Angliederung der Evangelischen Brüder-Unität, Distrikt Herrnhut, an den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR wird in dem aus der Anlage ersichtlichen Wortlaut gemäß Art. 20 der Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR bestätigt.

Potsdam, den 28. Juni 1970

Der Präses
der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen
in der Deutschen Demokratischen Republik
gez. D. Braecklein


V e r e i n b a r u n g

<Obsolet durch Auflösung des BEK DDR im Jahre 1990.>

Auf Grund der vorgegebenen Gemeinschaft der Evangelischen Brüder-Unität mit den im Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik zusammengeschlossenen Kirchen wird angesichts der bestehenden Bekenntnisverwandtschaft zwischen
dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik, vertreten durch die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen in der Deutschen Demokratischen Republik
und
der Evangelischen Brüder-Unität, Distrikt Herrnhut, vertreten durch die Direktion der Evangelischen Brüder-Unität in Herrnhut,
folgende Vereinbarung geschlossen:

1.
Die Evangelische Brüder-Unität, Distrikt Herrnhut, gliedert sich unter Bezugnahme auf Artikel 20 der Ordnung des Bundes dem Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik an. Sie stimmt den Grundbestimmungen der Artikel 1 und 2 der Ordnung des Bundes zu.

2.
Der Bund übernimmt für die Brüder-Unität die Aufgaben, die in den Artikeln 4, 5 (2) und 7 der Ordnung des Bundes dargelegt werden.
Die Anwendung von Artikel 4 (5) der Ordnung des Bundes berührt nicht die eigene Mitgliedschaft der Brüder-Unität im Ökumenischen Rat der Kirchen.

3.
Die Brüder-Unität hat das Recht, zu den Synoden des Bundes sowie den Sitzungen der Konferenz ein Mitglied mit beratender Stimme zu entsenden. Die Kosten der Entsendung trägt die Brüder-Unität.

4.
Die Brüder-Unität zahlt zu den Lasten des Bundes einen jährlichen Beitrag von 1000 (Eintausend) Mark.

5.
Ein Rücktritt von dieser Vereinbarung steht beiden Teilen frei. Der Rücktritt wird mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem er erklärt wurde, wirksam.

6.
Die Vereinbarung wird abgeschlossen unter Vorbehalt der Zustimmung der Gliedkirchen des Bundes und bedarf der Bestätigung durch ein Kirchengesetz des Bundes.

Berlin, den 22. November 1969

Für den Bund der Evangelischen Kirchen
in der Deutschen Demokratischen Republik
L. S.
gez. D. Albrecht Schönherr
gez. Manfred Stolpe

Für die Evangelische Brüder-Unität, Distrikt Herrnhut
L. S.
gez. Erwin Förster
gez. Helmut Hickel


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<1_1> Bekanntmachung einer Vereinbarung mit der Evangelisch-methodistischen Kirche im Bereiche der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
Vom 12. Oktober 1972 (ABl. 1972 A 85)

10632-2/439
Die Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens hat im Rahmen des ihr in § 1 des Kirchengesetzes betr. Abkommen mit der Evangelisch-methodistische Kirche im Bereiche der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens vom 19. Mai 1972 (Amtsblatt Seite A 46 unter II Nr. 13) erteilten Auftrags am 25. August 1972 mit der Evangelisch-methodistische Kirche im Bereiche der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens eine Vereinbarung getroffen, deren Wortlaut anliegend bekannt gegeben wird.

Die Kirchenleitung
der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
Dr. Hempel

Anlage

Vereinbarung
zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelisch-methodistische Kirche im Bereiche der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens über das Verhältnis beider Kirchen zueinander in Hinsicht auf Amtshandlungen und andere Begegnungen.

A.
Grundlage
Die Grundlage über die Vereinbarung bilden die "Richtlinien zur Überwindung der Schwierigkeiten, die sich aus dem Nebeneinander verschiedener christlicher Kirchen an einem Ort ergeben", die von beiden Kirchen angenommen worden sind:

1. Jede christliche Kirche hat nicht nur die Erlaubnis, sondern den Auftrag, in der Welt ein freies und offenes Zeugnis abzulegen und zu versuchen, Menschen in die Gemeinschaft mit Gott zu bringen, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Das Zeugnisgeben ist ein Teil des kirchlichen Liebesdienstes, ein Teil ihres Dienstes an der Menschheit.

2. Das Gebot, von der Wahrheit Christi zu zeugen und andere für diese Wahrheit zu gewinnen, gilt nicht nur in Bezug auf Nichtchristen, sondern auch in Bezug auf andere, die kein lebendiges Verhältnis zu einer christlichen Kirche haben. Kirchen sollten sich über neue Anregungen freuen, die den Glauben derer beleben, die ihrer seelsorgerlichen Fürsorge anvertraut sind, selbst wenn solche Anregungen von außerhalb ihrer eigenen Reihen kommen. Solch ein belebendes Zeugnis, das in eine bestimmte Kirche von außen hineingetragen wird, sollte sowohl auf die Einheit als auch auf die Neubelebung dieser betreffenden Kirche bedacht sein.

3. Sollten in einer Kirche Irrlehren oder Missbräuche die zentralen Wahrheiten des Evangeliums entstellen oder verdunkeln und damit das Heil der Menschen gefährden, so können andere Kirchen verpflichtet sein zu helfen durch treue Bezeugung der Wahrheit, die man dort aus den Augen verloren hat. Die Freiheit hierzu muss grundsätzlich festgehalten werden.

4. Wir achten in unseren Kirchen die Überzeugungen anderer Kirchen, deren Auffassung und Praxis der Kirchenmitgliedschaft wir nicht teilen, und betrachten es als unsere christliche Pflicht, füreinander zu beten und einander zu helfen, unsere jeweiligen Schwächen durch freimütigen theologischen Austausch, die Erfahrung gemeinsamen Gottesdienstes und durch konkrete gegenseitige Hilfeleistung zu überwinden; und wir erkennen es als unsere Pflicht an, wenn in Ausnahmefällen die private oder öffentliche Kritik einer anderen Kirche von uns gefordert zu sein scheint, erst uns selbst zu prüfen und die Wahrheit immer in Liebe und zum Aufbau der Kirchen zu sagen.

5. Wir halten es für die vornehmste Pflicht jedes bewussten Christen, mit betendem Herzen an der Erneuerung der Kirche zu arbeiten, deren Glied er ist.

6. Wir anerkennen das Recht des erwachsenen Menschen, in eine andere Kirche überzutreten, wenn er zu der Überzeugung gelangt, dass ein derartiger Übertritt Gottes Wille für ihn ist.

7. Wenn einigen Kirchen die anderen gewährte Glaubensfreiheit abgestritten wird, entstehen schwere Belastungen der brüderlichen Beziehungen zwischen den Kirchen; darum sollten alle Christen sich um die Einführung und Aufrechterhaltung der Glaubensfreiheit für alle Kirchen und für alle ihre Glieder in jedem Land bemühen.

8. Wir nehmen Abstand von jeder kirchlichen Maßnahme, die materielle oder soziale Vorteile anbietet, um die Kirchenzugehörigkeit des einzelnen zu beeinflussen oder auf Menschen in Zeiten der Hilflosigkeit und Not einen ungeziemenden Druck auszuüben.

9. Obwohl Kirchen durchaus das Recht haben müssen, ihre Haltung im Blick auf konfessionell gemischte Ehen deutlich zu machen, sollte doch die Gewissensentscheidung der Ehegatten hinsichtlich ihrer künftigen Kirchenzugehörigkeit respektiert werden.

10. Bevor ein Kind in die Gliedschaft einer Kirche aufgenommen wird, der die Eltern oder der Vormund gegenwärtig nicht angehören, soll man sich in angemessener Weise seelsorgerlich um die Einheit der Familie bemühen; und wo der vorgesehene Wechsel der Kirchenzugehörigkeit dem Wunsch derjenigen, die für Pflege und Erziehung des Kindes unmittelbar verantwortlich sind, widerspricht, soll ...? ... nicht in die Gliedschaft der anderen Kirche aufgenommen werden, wenn nicht ein außerordentlich gewichtiger Grund vorliegt.

11. Es soll in angemessener Weise Seelsorge geübt werden, bevor irgendjemand in die Gliedschaft einer Kirche aufgenommen wird, wenn er als Glied einer anderen Kirche bereits unter Kirchenzucht steht oder wenn es Anzeichen dafür gibt, dass die Gründe für die Beantragung der Mitgliedschaft in einer anderen Kirche weltlicher oder unwürdiger Art sind.

12. Immer, wenn ein Glied einer Kirche in eine andere Kirche aufgenommen werden möchte, sollte es zwischen den beteiligten Kirchen zu einer unmittelbaren Fühlungsnahme kommen; wenn es jedoch deutlich ist, dass Gewissensmotive und gute Gründe vorliegen, sollte man dem Betreffenden weder vor noch nach seinem Übertritt Hindernisse in den Weg legen.

B.

Auf dieser Grundlage wird Folgendes vereinbart:

I. Allgemeines

Es ist das Anliegen beider Kirchen, ihre Glieder in Treue zu ihrer Kirche zu bestärken. Die Kirchen greifen grundsätzlich nicht in die Gemeinden der anderen Kirche ein.
Sie erkennen gegenseitig die auf Grund dieser Vereinbarung vollzogenen Amtshandlungen an.
Beide Kirchen sind bereit, ihre Gotteshäuser zu gemeinsamen Veranstaltungen oder aus besonderem Anlass gegenseitig zur Verfügung zu stellen, wobei auch die Benutzung der Kanzel inbegriffen ist.

II. Amtshandlungen

1. Taufe

1.1. Gehört je ein Elternteil einer der beiden Kirchen an, so entscheiden die Eltern, welche Kirche um Vollziehung der Taufe gebeten werden soll. Um der geistigen Verantwortung willen ist es richtig, wenn der um die Taufe gebetene Pfarrer / Pastor der einen Kirche nach der Anmeldung den zuständigen Pfarrer / Pastor der anderen Kirche von der Anmeldung unterrichtet.
Das Kind gehört unter die Betreuung der Kirche, in welcher die Taufe vollzogen wurde.

1.2. Sind beide Eltern Glieder einer der beiden Kirchen, so hat der Pfarrer / Pastor der anderen Kirche die Taufe abzulehnen und die Eltern an den zuständigen Pfarrer / Pastor derjenigen Kirche, deren Glied sie sind, zu verweisen. Sind die Eltern aber "Kirchenangehörige" der Evangelisch-methodistische Kirche (in Vorbereitung auf die Gliedschaft), so ist die Klärung über den Vollzug der Taufe zwischen den beiden zuständigen Pfarrern / Pastoren herbeizuführen.

1.3. Wer in seiner Kirche das Recht zur Ausübung des Patenamtes hat, kann das Patenamt auch in der anderen Kirche ausüben. Auch ein zur anderen Kirche Übergetretener kann das Patenamt in der Kirche, der er zuvor angehört hat, ausüben, wenn die Erziehung des Kindes nach der Ordnung der Kirche gewährleistet ist, in der die Taufe vollzogen wird.

2. Konfirmation/Einsegnung

2.1. Ein Kind ist grundsätzlich in der Kirche zu konfirmieren / einzusegnen, in der es getauft worden ist.

2.2. Gehören beide Eltern der gleichen Kirche an, so kann die Konfirmation / Einsegnung in der anderen Kirche nur nach Fühlungsnahme mit dem Pfarrer / Pastor der Kirche, der die beiden Eltern angehören, vorgenommen werden, wobei die Gründe in ihrer Beziehung zur Ordnung beider Kirchen ernsthaft überprüft werden.

2.3. Hat ein Kind zwei Jahre oder länger den Kindergottesdienst und den kirchlichen Unterricht / Christenlehre besucht und mit Zustimmung der Eltern an dem zweijährigen Konfirmanden- / Katechismus-Unterricht in der anderen Kirche teilgenommen, kann es in der anderen Kirche konfirmiert / eingesegnet werden. Um der geistlichen Verantwortung für die Kinder willen sollte in allen solchen Fällen eine gegenseitige Fühlungsnahme erfolgen.

3. Trauung

3.1. Gehört von den Brautleuten je ein Teil einer der beiden Kirchen an, so entscheiden die Brautleute, in welcher Kirche sie getraut sein wollen. Der um die Trauung gebetene Pfarrer / Pastor der einen gibt vor Vollzug dem zuständigen Pfarrer / Pastor der anderen Kirche davon Kenntnis.

3.2. Gehören beide Brautleute der einen Kirche an, kann die Trauung in der anderen Kirche nur nach rechtzeitiger Fühlungsnahme mit dem Pfarrer / Pastor der Kirche, der die Brautleute angehören, vollzogen werden. Bei der Fühlungsnahme sind die Gründe dafür, dass die Trauung bei der anderen Kirche beantragt wird, ernsthaft zu überprüfen. Liegt eine Überweisungsbescheinigung vor, kann auf die Fühlungsnahme verzichtet werden.

4. Beerdigung

4.1. Liegt ein letzter glaubwürdig bezeugter Wunsch eines Verstorbenen, der einer der beiden Kirchen angehört hat, vor, von einem Pfarrer / Pastor der anderen Kirche bestattet zu werden, so soll diesem Wunsch entsprochen werden. Vorher nimmt der Pfarrer / Pastor, der um die Bestattung gebeten wurde, mit dem zuständigen Pfarrer / Pastor der Kirche, welcher der Verstorbene angehört hat, Fühlung.
4.2. Wenn Angehörige eines Verstorbenen, der zu der anderen Kirche gehört hat, wünschen, dass der Verstorbene von dem Pfarrer / Pastor in ihrer Kirche beerdigt wird, ist dazu die Zustimmung des zuständigen Pfarrers / Pastors der anderen Kirche erforderlich.

Anmerkung:
Den Pfarrern der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ist Folgendes empfohlen worden: Bei Beerdigungen der Mitglieder von Freikirchen ist hinsichtlich der Gewährung des Glockengeläuts zu berücksichtigen, dass der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR mit zahlreichen Freikirchen im Ökumenischen Rat und in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen zusammenarbeitet.
Den Mitgliedern der zur Arbeitsgemeinschaft gehörenden Kirchen bzw. christlichen Gemeinschaften sollte bei Beerdigungen "insbesondere für die Gewährung des Glockengeläuts" mindestens die gleiche Rechtsstellung eingeräumt werden wie Katholiken. Ähnlich ist bei erbetener Benutzung eines gottesdienstlichen Gebäudes im Rahmen der Beerdigungsfeier zu verfahren. Von dieser Regelung ist im Einzelfall nur dann abzuweichen, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen (z.B. Ärgernis durch einen vorangegangenen Kirchenaustritt).

III. Kirchenzucht

1. Beide Kirchen sind sich darin einig, dass kirchenzuchtliche Maßnahmen als seelsorgerliche Hilfe anzusehen sind. Hat eine Kirche an einem ihrer Glieder Kirchenzucht geübt, dann sollte die andere Kirche dies respektieren.

2. Jeder Pfarrer / Pastor ist gehalten, sich sorgfältig Kenntnis zu verschaffen und vor Vollzug einer Amtshandlung an einem Glied der anderen Kirche sich mit dem Pfarrer / Pastor der anderen Kirche zu beraten.

3. Widerspricht ein Pfarrer / Pastor dem Vollzug einer Amtshandlung an einem Glied seiner Kirche durch den Pfarrer / Pastor der anderen Kirche aus Gründen der Kirchenzucht, so kann die Amtshandlung durch letzteren nur mit Zustimmung seines zuständigen Superintendenten vollzogen werden. Der Superintendent ist gehalten, vor einer diesbezüglichen Entscheidung mit dem Superintendenten der anderen Kirche Fühlung aufzunehmen.

IV. Übertritt

Beim Übertritt von Gliedern der einen Kirche in die andere ist über folgende Regelung Einverständnis erzielt worden, wodurch der Kirchenaustritt vor dem staatlichen Notariat entfällt:

1. Glieder der einen Kirche, die einen Übertritt in die andere Kirche vorzunehmen beabsichtigen, haben den Pfarrer / Pastor derjenigen Kirche aufzusuchen, in die sie einzutreten wünschen.

2. Der Pfarrer / Pastor prüft durch seelsorgerliches Gespräch mit den Übertrittswilligen sorgfältig die Lauterkeit des beabsichtigten Wechsels der Kirchenzugehörigkeit.

3. Erscheint es dem aufgesuchten Pfarrer / Pastor richtig, dem Übertrittsverlangen stattzugeben, so sollte er zunächst mit dem Pfarrer / Pastor derjenigen Gemeinde, aus welcher die Übertrittswilligen auszuscheiden wünschen, Fühlung aufnehmen. Diese Fühlungnahme soll vor allem der Feststellung eventueller Tatsachen dienen, die den beabsichtigten Wechsel der Kirchenzugehörigkeit erschweren oder in Frage stellen.

4. Hat der Pfarrer / Pastor der aufnehmenden Kirche nach sorgfältiger Prüfung den Eindruck, dass dem Übertrittsverlangen stattgegeben werden sollte, so trägt er die Angelegenheit dem in seiner Kirche hierfür zuständigen Organ vor. Dieses Organ trifft die Entscheidung über die vorliegenden Aufnahmeanträge.

5. Nach vollzogenem Übertritt wird eine kirchenamtliche Bescheinigung nach beiliegendem Muster ausgefertigt. Sie ist von dem / der Übergetretenen und vom Pfarrer / Pastor der aufnehmenden Kirche zu unterzeichnen. Das Dienstsiegel ist beizudrücken.

6. Übertretende von der Vollendung des 14. Lebensjahres an haben diese Bescheinigung persönlich zu unterschreiben. Erziehungsberechtigte können den Übertritt zugleich für die ihnen anvertrauten Kinder vollziehen. In diesen Fällen sind die Personalien der Kinder in der kirchenamtlichen Bescheinigung anzugeben.

7. Ein Stück der kirchenamtlichen Bescheinigung verbleibt beim Übergetretenen, ein zweites beim Pfarrer / Pastor der aufnehmenden Kirche. Ein drittes Stück wird vom Pfarrer / Pastor der aufnehmenden Kirche an den Pfarrer / Pastor derjenigen Gemeinde übersandt, welche der Übergetretene bisher angehörte.

8. Wenn der Übertritt von Gliedern von einer Kirche in die andere im Zusammenhang mit einem Wechsel des Wohnsitzes erfolgt, so ist diese kirchenamtliche Bescheinigung dem Pfarrer / Pastor derjenigen Gemeinde zuzuleiten, welcher der / die Übergetretene/n bisher angehört hat / haben.

V. Schlussbemerkung

Beide Kirchen sind sich darin einig, dass dieses Abkommen Hilfe sein will, den gemeinsamen missionarischen Auftrag, zu dem sie sich verpflichtet wissen, zu erfüllen.
Die Pfarrer / Pastoren beider Kirchen sind gebeten, auf örtlicher Ebene sich zum Verständnis und in der Handhabung dieser Vereinbarung regelmäßig zu begegnen. Die seelsorgerliche Verpflichtung an ihren Gemeindegliedern, aber auch die brüderliche Pflicht. Gemeindeglieder aus der eigenen Seelsorge in die Seelsorge des Pfarrers / Pastors der anderen Kirche zu entlassen, bedingen ein Offensein für die brüderliche Gemeinschaft. Auch in schwierigen Fragen des Übertritts eines Gemeindegliedes der einen Kirche in die andere und in der Vorbereitung auf einen Übertritt soll sich gemeinsame seelsorgerliche Verantwortung bewähren.
Diese Vereinbarung will helfen, Klärungen auch rechtlicher Art im Miteinander beider Kirchen zu erreichen. Aber das ist nicht ihr ausschließliches Ziel. Um die begonnene Zusammenarbeit beider Kirchen zu fördern, theologische Fragen zu behandeln sowie möglicherweise auftretende Konfliktfälle zu klären, wollen die beiden Kirchen im permanenten Gespräch bleiben. Die Kirchenleitungen benennen zu diesem Zweck Mitglieder für eine Kommission. Sie setzt sich paritätisch zusammen und hat die Aufgabe, die beiderseitigen ökumenischen Beziehungen auf allen Ebenen zu fördern. Die Kommission tritt jeweils nach Vereinbarung oder auf Verlangen einer der beiden Kirchenleitungen zusammen.

Dresden, den 25. April 1972
Die Kirchenleitung
der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens
Dr. Hempel
Landesbischof

Evangelisch-methodistische
Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik
Armin Härtel
Bischof

Anlage zu Ziffer IV. 5. der Vereinbarung zwischen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelisch-methodistische Kirche im Bereich der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens über das Verhältnis beider Kirchen zueinander in Hinsicht auf Amtshandlungen und andere Begegnungen.

Muster
Kirchenamtliche Bescheinigung

Vor dem unterzeichneten Pfarrer/Pastor, Prediger der .................................. Kirche erschien(en) der (die) Unterzeichnete(n)
(Vorname, Familienname, Geburtstag, Beruf, Anschrift)
und erklärte(n):
Ich habe - Wir haben - bisher der .............................. Kirche angehört. Mit Wirkung vom heutigen Tage bin ich - sind wir - auf meinen - auf unseren - Antrag in die .............................. Kirche aufgenommen worden.
Diese Erklärung gebe(n) ich (wir) zugleich für mein(e) - unser(e) - Kind(er) ab, das (die) das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (haben):
Vorname, Familienname, Geburtstag und Anschrift des (der) Kindes(r)

........................................
(Ort) (Datum)

Unterschrift des/der Unterschrift des Pfarrers/Pastors,
Übergetretenen Predigers der aufnehmenden Gemeinde

Dienstsiegel


-~-
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<1_1> Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
A. Erläuterungen zur "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre"
(ABl. 1997 B 57)

1 Vorgeschichte und Entstehung:

Im Frühjahr 1995 veröffentlichten - zunächst als internen Entwurf - der Lutherische Weltbund und der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen den Entwurf einer "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre". Offizielle Kommissionen der beiden kirchlichen Traditionen haben über 25 Jahre hinweg theologische Dialoge geführt, die auch das Verständnis der Rechtfertigungslehre und deren Funktion innerhalb der Theologie umfassen. Die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" ist aus diesen Dialogen erwachsen (vgl. § 3). In diese Dialoge sind historische Forschungen über die Ansatzpunkte der Kontroversen im 16. Jahrhundert sowie über deren heutige theologische Bewertung aus evangelisch-lutherischer und katholischer Sicht eingeflossen. In den Teilen 3 und 4 der "Gemeinsamen Erklärung" wird auf Formulierungen aus verschiedenen lutherisch/katholischen Dialogen zurückgegriffen. Ein Anhang "Quellen zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" enthält daher Auszüge dieser Dokumente. 1

2 Bisherige Arbeit an der Erklärung:
Im Januar 1995 erhielten die Mitgliedskirchen den ersten Entwurf mit der Bitte um Stellungnahme. Die Stellungnahme der Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens ist in die Gemeinsame Stellungnahme des Deutschen Nationalkomitees des LWB vom 31. Januar 1996 eingeflossen. Insgesamt haben sich 36 von 122 Mitgliedskirchen des LWB geäußert, teils zustimmend, teils ablehnend, teils Veränderungen wünschend.
Ein gemeinsamer lutherisch/römisch-katholischer Redaktionsausschuss überarbeitete den Entwurf (= Würzburg I, Juni 1996). Diese zweite Fassung wurde dem Beschluss des LWB-Rates zufolge redigiert, vor allem die Paragraphen 23, 26 und 28-31, ferner diejenigen Paragraphen, auf welche die römisch-katholische Kirche besonders hinwies. Die deutschen Wünsche wurden teilweise berücksichtigt. Damit liegt nun die endgültige Fassung 1997 der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" vor.
Der Rat und das Exekutivkomitee des LWB bitten, bis 1. Mai 1998 die Entscheidung der Mitgliedskirchen des LWB über die Annahme des Vorschlages für die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1997) unter Beantwortung der folgenden Frage nach Genf zu senden:
Akzeptiert Ihre Kirche die in § 40 und 41 der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre erreichten Ergebnisse und bejaht somit, dass auf Grund der Übereinstimmung über das grundlegende Verständnis und die grundlegende Wahrheit unserer Rechtfertigung in Christus, welche die gemeinsame Erklärung bezeugt, die Lehrverurteilungen der lutherische Bekenntnisschriften hinsichtlich der Rechtfertigung die Lehre der römisch-katholischen Kirche über die Rechtfertigung, wie sie in der Gemeinsamen Erklärung dargestellt ist, nicht mehr treffen?
Zu dieser Frage wird die Herbsttagung der Landessynode Stellung nehmen. Dazu ist ein Beschlussvorschlag vom Deutschen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes erarbeitet worden.

3 Ziel und Aufbau der Erklärung:
3.1 Das Ziel der Erklärung ist, durch das dargelegte Verständnis der Rechtfertigungslehre zu zeigen, "dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht, in dessen Licht die in Nr. 18 bis 39 beschriebenen, verbleibenden Unterschiede in der Sprache, der theologischen Ausgestaltung und der Akzentsetzung des Rechtfertigungsverständnisses tragbar sind (Nr. 40)".
Nunmehr können die unterzeichnenden evangelisch-lutherischen Kirchen erklären, dass "die in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche enthaltenen Verurteilungen der Rechtfertigungslehre der römisch-katholischen Kirche deren heutige Lehre, wie sie in der ,Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre' dargestellt ist, nicht treffen".
Seitens der katholischen Kirche wird eine entsprechende Erklärung aus ihrer Sicht erwartet.
3.2 Bereits in dem 1985 fertig gestellten Dokument "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" wurden die seit der Reformation bestehenden Kontroversen zwischen evangelischer und katholischer Lehre bezüglich der Themen "Rechtfertigung", "Sakramente" und "Amt" geprüft (vgl. ABl. 1991, S. B 5 ff.). Angesichts der Ergebnisse sollte verbindlich ausgesprochen werden, "dass die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts den heutigen Partner nicht treffen, insofern seine Lehre nicht von dem Irrtum bestimmt ist, den die Verwerfung abwehren wollte." Dem hat die Landessynode mit ihrem Beschluss vom April 1995 entsprochen, aber nur teilweise, da es auch Lehrverurteilungen gibt, die noch treffen. Weiterhin trifft eine Reihe von Lehrverurteilungen nur dann nicht mehr, wenn dazu die in dem Dokument "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" vorgelegte oder in den Stellungnahmen gegebene Interpretation von römisch-katholischer Seite lehramtlich festgestellt wird. In dem damals gefassten Beschluss heißt es:
"Eine Einigung darin, dass die Rechtfertigungslehre ihre Bedeutung nicht nur als besondere Teillehre im Ganzen der Glaubenslehre der Kirche hat, sondern dass ihr darüber hinaus die Bedeutung als kritischer Maßstab für Lehre und Praxis der Kirche insgesamt zukommt ..., ist aus evangelischer Sicht ein fundamentaler Fortschritt im ökumenischen Dialog zwischen unseren Kirchen, der nicht genug zu begrüßen ist."
3.3 Nunmehr formuliert die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung. Die "Gemeinsame Erklärung" enthält nicht alles, was in jeder der Kirchen über Rechtfertigung gelehrt wird; sie umfasst aber einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre und zeigt, "dass die weiterhin unterschiedlichen Entfaltungen nicht länger Anlass für Lehrverurteilungen sind" (§ 5).
Kapitel 1 entfaltet die biblische Rechtfertigungsbotschaft. Kapitel 3 formuliert "Das gemeinsame Verständnis der Rechtfertigung". Von besonderer Bedeutung ist dabei § 18, wo die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die christliche Glaubenslehre insgesamt hervorgehoben wird.
Kapitel 4 bezieht Stellung zu sieben Problembereichen im Zusammenhang mit der Rechtfertigungslehre. Zuerst wird formuliert, was gemeinsam gesagt (bzw. bekannt) werden kann. Dann werden die jeweiligen Besonderheiten der evangelischen und katholischen Lehre vom Gemeinsamen her ausgelegt. Das Ziel des Dokuments, die Lehrverurteilungen der Bekenntnisschriften und die canones von Trient als auf den heutigen Partner nicht anwendbar zu erklären, wird so zu erreichen versucht, dass nicht jede Verurteilung einzeln angesprochen wird, sondern dass in Kapitel 4 als "Kernstück" zu sieben Problembereichen (sog. "Unterscheidungslehren") Stellung genommen wird.
Kapitel 5 fasst das Ergebnis zusammen und nennt die erwarteten Auswirkungen für das Leben und die Lehre der Kirchen.

4 Weiteres Vorgehen:
Das Deutsche Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes empfiehlt seinen Mitgliedskirchen, bei den nächsten Synodaltagungen (für die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens wird es die Herbsttagung der Landessynode sein) zur Beschlussfassung den folgenden Beschlussvorschlag zu verwenden:


B. Dokumentation

Lutherische Weltbund
Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen

Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Endgültiger Vorschlag 1997

Präambel
(1) Die Lehre von der Rechtfertigung hatte für die lutherische Reformation des 16. Jahrhunderts zentrale Bedeutung. Sie galt ihr als der "erste und Hauptartikel"1, der zugleich "Lenker und Richter über alle Stücke christlicher Lehre"2 sei. Ganz besonders wurde die Rechtfertigungslehre in der reformatorischen Ausprägung und ihrem besonderen Stellenwert gegenüber der römisch-katholischen Theologie und Kirche der damaligen Zeit vertreten und verteidigt, die ihrerseits eine anders geprägte Rechtfertigungslehre vertraten und verteidigten. Hier lag aus reformatorischer Sicht der Kernpunkt aller Auseinandersetzungen. Es kam in den lutherischen Bekenntnisschriften3 und auf dem Trienter Konzil der römisch-katholischen Kirche zu Lehrverurteilungen, die bis heute gültig sind und kirchentrennende Wirkung haben.
(2) Die Rechtfertigungslehre hat für die lutherische Tradition jenen besonderen Stellenwert bewahrt. Deshalb nahm sie auch im offiziellen lutherisch-katholischen Dialog von Anfang an einen wichtigen Platz ein.
(3) In besonderer Weise sei verwiesen auf die Berichte "Evangelium und Kirche" (1972)4 und "Kirche und Rechtfertigung" (1994)5 der internationalen Gemeinsamen römisch-katholischen/evangelisch-lutherischen Kommission, auf den Bericht "Rechtfertigung durch den Glauben" (1983)6 des katholisch-lutherischen Dialogs in den USA und die Studie "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" (1986)7 des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen in Deutschland. Einige von diesen Dialogberichten haben eine offizielle Rezeption erfahren. Ein wichtiges Beispiel ist die verbindliche Stellungnahme, die die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands zusammen mit den anderen Kirchen in der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem höchstmöglichen Grad kirchlicher Anerkennung zu der Studie über die Lehrverurteilungen verabschiedet hat (1994).8
(4) All die genannten Dialogberichte und auch die Stellungnahmen dazu zeigen in ihrer Erörterung der Rechtfertigungslehre untereinander ein hohes Maß an gemeinsamer Ausrichtung und gemeinsamem Urteil. Es ist darum an der Zeit, Bilanz zu ziehen und die Ergebnisse der Dialoge über die Rechtfertigung in einer Weise zusammenzufassen, die unsere Kirchen in der gebotenen Präzision und Kürze über den Gesamtertrag dieses Dialogs informiert und es ihnen zugleich ermöglicht, sich verbindlich dazu zu äußern.
(5) Das will diese Gemeinsame Erklärung tun. Sie will zeigen, dass auf Grund des Dialogs die unterzeichnenden lutherischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche9 nunmehr imstande sind, ein gemeinsames Verständnis unserer Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus zu vertreten. Sie enthält nicht alles, was in jeder der Kirchen über Rechtfertigung gelehrt wird; sie umfasst aber einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre und zeigt, dass die weiterhin unterschiedlichen Entfaltungen nicht länger Anlass für Lehrverurteilungen sind.
(6) Unsere Erklärung ist keine neue und selbstständige Darstellung neben den bisherigen Dialogberichten und Dokumenten, erst recht will sie diese nicht ersetzen. Sie bezieht sich vielmehr - wie der Anhang über die Quellen zeigt - auf die genannten Texte und deren Argumentation.
(7) Wie die Dialoge selbst, so ist auch diese Gemeinsame Erklärung von der Überzeugung getragen, dass eine Überwindung bisheriger Kontroversfragen und Lehrverurteilungen weder die Trennungen und Verurteilungen leicht nimmt, noch die eigene kirchliche Vergangenheit desavouiert. Sie ist jedoch von der Überzeugung bestimmt, dass unseren Kirchen in der Geschichte neue Einsichten zuwachsen und dass sich Entwicklungen vollziehen, die es ihnen nicht nur erlauben, sondern von ihnen zugleich fordern, die trennenden Fragen und Verurteilungen zu überprüfen und in einem neuen Licht zu sehen.

1 Biblische Rechtfertigungsbotschaft
(8) Zu diesen neuen Einsichten hat unsere gemeinsame Art und Weise geführt, auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu hören. Gemeinsam hören wir das Evangelium, dass "Gott die Welt so sehr geliebt hat, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3,16). Diese frohe Botschaft wird in der Heiligen Schrift in verschiedener Weise dargestellt. Im Alten Testament hören wir das Wort Gottes von der menschlichen Sündhaftigkeit (Ps 51, 1-5; Dan 9, 5 f.; Koh 8, 9 f; Esra 9, 6 f.) und vom menschlichen Ungehorsam (Gen 3, 1-19; Neh 9, 16 f. 26) sowie von der Gerechtigkeit (Jes 46, 13; 51, 5-8; 56, 1; [vgl. 53, 11]; Jer 9, 24) und vom Gericht Gottes (Koh 12, 14; Ps 9, 5 f.; 76, 7-9).
(9) Im Neuen Testament werden bei Matthäus (5, 10; 6, 33; 21, 32), Johannes (16, 8-11), im Hebräerbrief (5, 13; 10, 37 f.) und im Jakobusbrief (2, 14-26) die Themen "Gerechtigkeit" und "Rechtfertigung" unterschiedlich behandelt.
(10) Auch in den paulinischen Briefen wird die Gabe des Heils auf verschiedene Weise beschrieben, unter anderem: als "Befreiung zur Freiheit" (Gal 5, 1-13; vgl. Röm 6, 7), als "Versöhnung mit Gott" (2 Kor 5, 18-21; vgl. Röm 5, 11), als "Frieden mit Gott" (Röm 5, 1), als "neue Schöpfung" (2 Kor 5, 17), als "Leben für Gott in Christus Jesus" (Röm 6, 11, 23), oder als "Heiligung in Christus Jesus" (vgl. 1 Kor 1, 2; 1, 30; 2 Kor 1, 1). Herausragend unter diesen Bezeichnungen ist die Beschreibung als "Rechtfertigung" des Sünders durch Gottes Gnade im Glauben (Röm 3, 23-25), die in der Reformationszeit besonders hervorgehoben wurde.
(10) Paulus beschreibt das Evangelium als Kraft Gottes zur Rettung des unter die Macht der Sünde gefallenen Menschen: als Botschaft, die die "Gerechtigkeit Gottes aus Glauben zum Glauben" (Röm 1, 16 f.) verkündet und die "Rechtfertigung" (Röm 3, 21-31) schenkt. Er verkündet Christus als "unsere Gerechtigkeit" (1 Kor 1, 30), indem er auf den auferstandenen Herrn anwendet, was Jeremias über Gott selbst verkündet hat (Jer 23, 6). In Christi Tod und Auferstehung sind alle Dimensionen seines Erlösungswerkes verwurzelt, denn er ist "unser Herr, der wegen unserer Verfehlungen hingegeben, wegen unserer Gerechtigkeit auferweckt wurde" (Röm 4, 25). Alle Menschen bedürfen der Gerechtigkeit Gottes, denn "alle haben gesündigt und die Herrlichkeit Gottes verloren" (Röm 3, 23; vgl. Röm 1, 18-3, 20; 11, 32; Gal 3, 22). Im Galaterbrief (3, 6) und im Römerbrief (4, 3-9) versteht Paulus den Glauben Abrahams (Gen 15, 6) als Glauben an den Gott, der den Sünder rechtfertigt (Röm 4, 5) und beruft sich auf das Zeugnis des Alten Testaments, um sein Evangelium zu unterstreichen, dass jene Gerechtigkeit allen angerechnet wird, die wie Abraham auf Gottes Versprechen vertrauen. "Der aus Glauben Gerechte wird leben (Hab 2, 4; vgl. Gal 3, 11; Röm 1, 17). In den paulinischen Briefen ist Gottes Gerechtigkeit zugleich Gottes Kraft für jeden Glaubenden (Röm 1, 16 f.). In Christus lässt er sie unsere Gerechtigkeit sein (2 Kor 5, 21). Die Rechtfertigung wird uns zuteil durch Christus Jesus, "den Gott dazu bestimmt hat, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben" (Röm 3, 25; vgl. 3, 21-28). "Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt -, nicht auf Grund eurer Werke" (Eph 2, 8 f.).
(11) Rechtfertigung ist Sündenvergebung (Röm 3, 23-25; Apg 13, 39; Lk 18, 14), Befreiung von der herrschenden Macht der Sünde und des Todes (Röm 5, 12-21) und vom Fluch des Gesetzes (Gal 3, 10-14). Sie ist Aufnahme in die Gemeinschaft mit Gott, schon jetzt, vollkommen aber in Gottes künftigem Reich (Röm 5, 1 f.). Sie vereinigt mit Christus und seinem Tod und seiner Auferstehung (Röm 6, 5). Sie geschieht im Empfangen des Heiligen Geistes in der Taufe als Eingliederung in den einen Leib (Röm 8, 1 f. 9 f.; 1 Kor 12, 12 f.). All das kommt allein von Gott um Christi willen aus Gnade durch den Glauben an das "Evangelium vom Sohn Gottes" (Röm 1, 1-3).
(12) Die Gerechtfertigten leben aus dem Glauben, der aus dem Wort Christi kommt (Röm 10, 17) und der in der Liebe wirkt (Gal 5, 6), die Frucht des Geistes ist (Gal 5, 22 f.). Aber da Mächte und Begierden die Gläubigen äußerlich und innerlich anfechten (Röm 8, 35-39; Gal 5, 16-21) und diese in Sünde fallen (1 Joh 1, 8.10), müssen sie die Verheißungen Gottes immer wieder hören, ihre Sünden bekennen (1 Joh 1, 9), an Christi Leib und Blut teilhaben und ermahnt werden, in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes gerecht zu leben. Darum sagt der Apostel den Gerechtfertigten: "Müht euch mit Furcht und Zittern um euer Heil! Denn Gott ist es, der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, noch über euren guten Willen hinaus" (Phil 2, 12 f.). Die frohe Botschaft aber bleibt: "Jetzt gibt es keine Verurteilung mehr für die, welche in Christus Jesus sind" (Röm 8, 1) und in denen Christus lebt (Gal 2, 20). Durch die gerechte Tat Christi wird es "für alle Menschen zur Gerechtsprechung kommen, die Leben gibt" (Röm 5, 18).

2 Die Rechtfertigungslehre als ökumenisches Problem
(13) Die gegensätzliche Auslegung und Anwendung der biblischen Botschaft von der Rechtfertigung waren im 16. Jahrhundert ein Hauptgrund für die Spaltung der abendländischen Kirche, was sich auch in Lehrverurteilungen niedergeschlagen hat. Für die Überwindung der Kirchentrennung ist darum ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung grundlegend und unverzichtbar. In Aufnahme von bibelwissenschaftlichen, theologie- und dogmengeschichtlichen Erkenntnissen hat sich im ökumenischen Dialog seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine deutliche Annäherung hinsichtlich der Rechtfertigungslehre herausgebildet, so dass in dieser gemeinsamen Erklärung ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre formuliert werden kann, in dessen Licht die entsprechenden Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts heute den Partner nicht treffen.

3 Das gemeinsame Verständnis der Rechtfertigung
(14) Das gemeinsame Hören auf die in der Heiligen Schrift verkündigte frohe Botschaft und nicht zuletzt die theologischen Gespräche der letzten Jahre zwischen den lutherischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche haben zu einer Gemeinsamkeit im Verständnis von der Rechtfertigung geführt. Es umfasst einen Konsens in den Grundwahrheiten; die unterschiedlichen Entfaltungen in den Einzelaussagen sind damit vereinbar.
(15) Es ist unser gemeinsamer Glaube, dass die Rechtfertigung das Werk des dreieinigen Gottes ist. Der Vater hat seinen Sohn zum Heil der Sünder in die Welt gesandt. Die Menschwerdung, der Tod und die Auferstehung Christi sind Grund und Voraussetzung der Rechtfertigung. Daher bedeutet Rechtfertigung, dass Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist, derer wir nach dem Willen des Vaters durch den Heiligen Geist teilhaftig werden. Gemeinsam bekennen wir: Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.11
(16) Alle Menschen sind von Gott zum Heil in Christus berufen. Allein durch Christus werden wir gerechtfertigt, indem wir im Glauben dieses Heil empfangen. Der Glaube selbst ist wiederum Geschenk Gottes durch den Heiligen Geist, der im Wort und in den Sakramenten in der Gemeinschaft der Gläubigen wirkt und zugleich die Gläubigen zu jener Erneuerung ihres Lebens führt, die Gott im ewigen Leben vollendet.
(17) Gemeinsam sind wir der Überzeugung, dass die Botschaft von der Rechtfertigung uns in besonderer Weise auf die Mitte des neutestamentlichen Zeugnisses von Gottes Heilshandeln in Christus verweist: Sie sagt uns, dass wir Sünder unser neues Leben allein der vergebenden und neuschaffenden Barmherzigkeit Gottes verdanken, die wir uns nur schenken lassen und im Glauben empfangen, aber nie - in welcher Form auch immer - verdienen können.
(18) Darum ist die Lehre von der Rechtfertigung, die diese Botschaft aufnimmt und entfaltet, nicht nur ein Teilstück der christlichen Glaubenslehre. Sie steht in einem wesenhaften Bezug zu allen Glaubenswahrheiten, die miteinander in einem inneren Zusammenhang zu sehen sind. Sie ist ein unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will. Wenn Lutheraner die einzigartige Bedeutung dieses Kriteriums betonen, verneinen sie nicht den Zusammenhang und die Bedeutung aller Glaubenswahrheiten. Wenn Katholiken sich von mehreren Kriterien in Pflicht genommen sehen, verneinen sie nicht die besondere Funktion der Rechtfertigungsbotschaft. Lutheraner und Katholiken haben gemeinsam das Ziel, in allem Christus zu bekennen, dem allein über alles zu vertrauen ist als dem einen Mittler (1 Tim 2.5 f.), durch den Gott im Heiligen Geist sich selbst gibt und seine erneuernden Gaben schenkt [vgl. Quellen zu Kap. 3.].

4 Die Entfaltung des gemeinsamen Verständnisses der Rechtfertigung
4.1 Unvermögen und Sünde des Menschen angesichts der Rechtfertigung
(19) Wir bekennen gemeinsam, dass der Mensch im Blick auf sein Heil völlig auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist. Die Freiheit, die er gegenüber den Menschen und den Dingen der Welt besitzt, ist keine Freiheit auf sein Heil hin. Das heißt, als Sünder steht er unter dem Gericht Gottes und ist unfähig, sich von sich aus Gott um Rettung zuzuwenden oder seine Rechtfertigung vor Gott zu verdienen oder mit eigener Kraft sein Heil zu erreichen. Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade. Weil Katholiken und Lutheraner das gemeinsam bekennen, darum gilt:
(20) Wenn Katholiken sagen, dass der Mensch bei der Vorbereitung auf die Rechtfertigung und deren Annahme durch seine Zustimmung zu Gottes rechtfertigendem Handeln "mitwirke", so sehen sie in solch personaler Zustimmung selbst eine Wirkung der Gnade und kein Tun des Menschen aus eigenen Kräften.
(21) Nach lutherischer Auffassung ist der Mensch unfähig, bei seiner Errettung mitzuwirken, weil er sich als Sünder aktiv Gott und seinem rettenden Handeln widersetzt. Lutheraner verneinen nicht, dass der Mensch das Wirken der Gnade ablehnen kann. Wenn sie betonen, dass der Mensch die Rechtfertigung nur empfangen kann (mere passive), so verneinen sie damit jede Möglichkeit eines eigenen Beitrags des Menschen zu seiner Rechtfertigung, nicht aber sein volles personales Beteiligtsein im Glauben, das vom Wort Gottes selbst gewirkt wird [vgl. Quellen zu Kap. 4.1].

4.2 Rechtfertigung als Sündenvergebung und Gerechtmachung
(22) Wir bekennen gemeinsam, dass Gott aus Gnade dem Menschen die Sünde vergibt und ihn zugleich in seinem Leben von der knechtenden Macht der Sünde befreit und ihm das neue Leben in Christus schenkt. Wenn der Mensch an Christus im Glauben teilhat, rechnet ihm Gott seine Sünde nicht an und wirkt in ihm tätige Liebe durch den Heiligen Geist. Beide Aspekte des Gnadenhandelns Gottes dürfen nicht voneinander getrennt werden. Sie gehören in der Weise zusammen, dass der Mensch im Glauben mit Christus vereinigt wird, der in seiner Person unsere Gerechtigkeit ist (1 Kor 1, 30): sowohl die Vergebung der Sünden, als auch die heiligende Gegenwart Gottes. Weil Katholiken und Lutheraner das gemeinsam bekennen, darum gilt:
(23) Wenn Lutheraner betonen, dass Christi Gerechtigkeit unsere Gerechtigkeit ist, wollen sie vor allem festhalten, dass dem Sünder durch den Zuspruch der Vergebung die Gerechtigkeit vor Gott in Christus geschenkt wird und sein Leben nur in Verbindung mit Christus erneuert wird. Wenn sie sagen, dass Gottes Gnade vergebende Liebe ("Gunst Gottes"12) ist, verneinen sie damit nicht die Erneuerung des Lebens des Christen, sondern wollen zum Ausdruck bringen, dass die Rechtfertigung frei bleibt von menschlicher Mitwirkung und auch nicht von der lebenserneuernden Wirkung der Gnade im Menschen abhängt.
(24) Wenn die Katholiken betonen, dass dem Gläubigen die Erneuerung des inneren Menschen durch den Empfang der Gnade geschenkt wird,13 dann wollen sie festhalten, dass die vergebende Gnade Gottes immer mit dem Geschenk eines neuen Lebens verbunden ist, das sich im Heiligen Geist in tätiger Liebe auswirkt; sie verneinen damit aber nicht, dass Gottes Gnadengabe in der Rechtfertigung unabhängig bleibt von menschlicher Mitwirkung [vgl. Quellen zu Kap. 4.2].

4.3 Rechtfertigung durch Glauben und aus Gnade
(25) Wir bekennen gemeinsam, dass der Sünder durch den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt wird; dieses Heil wird ihm vom Heiligen Geist in der Taufe als Fundament seines ganzen christlichen Lebens geschenkt. Der Mensch vertraut im rechtfertigenden Glauben auf Gottes gnädige Verheißung, in dem die Hoffnung auf Gott und die Liebe zu ihm eingeschlossen sind. Dieser Glaube ist in der Liebe tätig; darum kann und darf der Christ nicht ohne Werke bleiben. Aber alles, was im Menschen dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht und nachfolgt, ist nicht Grund der Rechtfertigung und verdient sie nicht.
(26) Nach lutherischem Verständnis rechtfertigt Gott den Sünder allein im Glauben (sola fide). Im Glauben vertraut der Mensch ganz auf seinen Schöpfer und Erlöser und ist so in Gemeinschaft mit ihm. Gott selber bewirkt den Glauben, indem er durch sein schöpferisches Wort solches Vertrauen hervorbringt. Weil diese Tat Gottes eine neue Schöpfung ist, betrifft sie alle Dimensionen der Person und führt zu einem Leben in Hoffnung und Liebe. So wird in der Lehre von der "Rechtfertigung allein durch den Glauben" die Erneuerung der Lebensführung, die aus der Rechtfertigung notwendig folgt und ohne die kein Glaube sein kann, zwar von der Rechtfertigung unterschieden, aber nicht getrennt. Vielmehr wird damit der Grund angegeben, aus dem solche Erneuerung hervorgeht. Aus der Liebe Gottes, die dem Menschen in der Rechtfertigung geschenkt wird, erwächst die Erneuerung des Lebens. Rechtfertigung und Erneuerung sind durch den im Glauben gegenwärtigen Christus verbunden.
(27) Auch nach katholischem Verständnis ist der Glaube für die Rechtfertigung fundamental; denn ohne ihn kann es keine Rechtfertigung geben. Der Mensch wird als Hörer des Wortes und Glaubender durch die Taufe gerechtfertigt. Die Rechtfertigung des Sünders ist Sündenvergebung und Gerechtmachung durch die Rechtfertigungsgnade, die uns zu Kindern Gottes macht. In der Rechtfertigung empfangen die Gerechtfertigten von Christus Glaube, Hoffnung und Liebe und werden so in die Gemeinschaft mit ihm aufgenommen14. Dieses neue personale Verhältnis zu Gott gründet ganz und gar in der Gnädigkeit Gottes und bleibt stets vom heilsschöpferischen Wirken des gnädigen Gottes abhängig, der sich selbst treu bleibt und auf den der Mensch sich darum verlassen kann. Deshalb wird die Rechtfertigungsgnade nie Besitz des Menschen, auf den er sich Gott gegenüber berufen könnte. Wenn nach katholischem Verständnis die Erneuerung des Lebens durch die Rechtfertigungsgnade betont wird, so ist diese Erneuerung in Glaube, Hoffnung und Liebe immer auf die grundlose Gnade Gottes angewiesen und leistet keinen Beitrag zur Rechtfertigung, dessen wir uns vor Gott rühmen könnten (Röm 3, 27) [vgl. Quellen zu Kap. 4.3].

4.4 Das Sündersein des Gerechtfertigten
(28) Wir bekennen gemeinsam, dass der Heilige Geist in der Taufe den Menschen mit Christus vereint, rechtfertigt und ihn wirklich erneuert. Und doch bleibt der Gerechtfertigte zeitlebens und unablässig auf die bedingungslos rechtfertigende Gnade Gottes angewiesen. Auch er ist der immer noch andrängenden Macht und dem Zugriff der Sünde nicht entzogen (vgl. Röm 6, 12-14) und des lebenslangen Kampfes gegen die Gottwidrigkeit des selbstsüchtigen Begehrens des alten Menschen nicht enthoben (vgl. Gal 5, 16; Röm 7, 7.10). Auch der Gerechtfertigte muss wie im Vaterunser täglich Gott um Vergebung bitten (Mt 6, 12; 1 Joh 1, 9), er ist immer wieder zu Umkehr und Buße gerufen, und ihm wird immer wieder die Vergebung gewährt.
(29) Das verstehen Lutheraner in dem Sinne, dass der Christ "zugleich Gerechter und Sünder" ist: Er ist ganz gerecht, weil Gott ihm durch Wort und Sakrament seine Sünde vergibt und die Gerechtigkeit Christi zuspricht, die ihm im Glauben zu Eigen wird und ihn in Christus vor Gott zum Gerechten macht. Im Blick auf sich selbst aber erkennt er durch das Gesetz, dass er zugleich ganz Sünder bleibt, dass die Sünde noch in ihm wohnt (1 Joh 1, 8; Röm 7, 17.20); denn er vertraut immer wieder auf falsche Götter und liebt Gott nicht mit jener ungeteilten Liebe, die Gott als sein Schöpfer von ihm fordert (Dtn 6, 5; Mt 22, 36-40 parr.). Diese Gottwidrigkeit ist als solche wahrhaft Sünde. Doch die knechtende Macht der Sünde ist auf Grund von Christi Verdienst gebrochen: Sie ist keine den Christen "beherrschende" Sünde mehr, weil sie durch Christus "beherrscht" ist, mit dem der Gerechtfertigte im Glauben verbunden ist; so kann der Christ, solange er auf Erden lebt, jedenfalls stückweise ein Leben in Gerechtigkeit führen. Und trotz der Sünde ist der Christ nicht mehr von Gott getrennt, weil ihm, der durch die Taufe und den Heiligen Geist neugeboren ist, in täglicher Rückkehr zur Taufe die Sünde vergeben wird, so dass seine Sünde ihn nicht mehr verdammt und ihm nicht mehr den ewigen Tod bringt15. Wenn also die Lutheraner sagen, dass der Gerechtfertigte auch Sünder und seine Gottwidrigkeit wahrhaft Sünde ist, verneinen sie nicht, dass er trotz der Sünde in Christus von Gott ungetrennt und seine Sünde beherrschte Sünde ist. Im letzteren sind sie mit der römisch-katholischen Seite trotz der Unterschiede im Verständnis der Sünde des Gerechtfertigten einig.
(30) Die Katholiken sind der Auffassung, dass die Gnade Jesu Christi, die in der Taufe verliehen wird, alles was "wirklich" Sünde, was "verdammungswürdig" ist, tilgt (Röm 8,116), dass jedoch eine aus der Sünde kommende und zur Sünde drängende Neigung (Konkupiszenz) im Menschen verbleibt. Insofern nach katholischer Überzeugung zum Zustandekommen menschlicher Sünden ein personales Element gehört, sehen sie bei dessen Fehlen die gottwidrige Neigung nicht als Sünde im eigentlichen Sinne an. Damit wollen sie nicht leugnen, dass diese Neigung nicht dem ursprünglichen Plan Gottes vom Menschen entspricht, noch, dass sie objektiv Gottwidrigkeit und Gegenstand lebenslangen Kampfes ist; in Dankbarkeit für die Erlösung durch Christus wollen sie herausstellen, dass die gottwidrige Neigung nicht die Strafe des ewigen Todes verdient17 und den Gerechtfertigten nicht von Gott trennt. Wenn der Gerechtfertigte sich aber willentlich von Gott trennt, genügt nicht eine erneute Beobachtung der Gebote, sondern er muss im Sakrament der Versöhnung Verzeihung und Frieden empfangen durch das Wort der Vergebung, das ihm kraft des Versöhnungswerkes Gottes in Christus gewährt wird [vgl. Quellen zu Kap. 4.4].

4.5 Gesetz und Evangelium
(31) Wir bekennen gemeinsam, dass der Mensch im Glauben an das Evangelium "unabhängig von Werken des Gesetzes" (Röm 3, 28) gerechtfertigt wird. Christus hat das Gesetz erfüllt und es durch seinen Tod und seine Auferstehung als Weg zum Heil überwunden. Wir bekennen zugleich, dass die Gebote Gottes für den Gerechtfertigten in Geltung bleiben und dass Christus in seinem Wort und Leben den Willen Gottes, der auch für den Gerechtfertigten Richtschnur seines Handelns ist, zum Ausdruck bringt.
(32) Die Lutheraner verweisen darauf, dass die Unterscheidung und richtige Zuordnung von Gesetz und Evangelium wesentlich ist für das Verständnis der Rechtfertigung. Das Gesetz in seinem theologischen Gebrauch ist Forderung und Anklage, unter der jeder Mensch, auch der Christ, insofern er Sünder ist, zeitlebens steht und das seine Sünde aufdeckt, damit er sich im Glauben an das Evangelium ganz der Barmherzigkeit Gottes in Christus zuwendet, die allein ihn rechtfertigt.
(33) Weil das Gesetz als Heilsweg durch das Evangelium erfüllt und überwunden ist, können Katholiken sagen, dass Christus nicht ein Gesetzgeber im Sinne von Mose ist. Wenn Katholiken betonen, dass der Gerechtfertigte zur Beobachtung der Gebote Gottes gehalten ist, so verneinen sie damit nicht, dass die Gnade des ewigen Lebens den Kindern Gottes durch Jesus Christus erbarmungsvoll verheißen ist18 [vgl. Quellen zu Kap. 4.5].

4.6 Heilsgewissheit
(34) Wir bekennen gemeinsam, dass die Gläubigen sich auf die Barmherzigkeit und die Verheißungen Gottes verlassen können. Auch angesichts ihrer eigenen Schwachheit und mannigfacher Bedrohung ihres Glaubens können sie kraft des Todes und der Auferstehung Christi auf die wirksame Zusage der Gnade Gottes in Wort und Sakrament bauen und so dieser Gnade gewiss sein.
(35) Dies ist in besonderer Weise von den Reformatoren betont worden: In der Anfechtung soll der Gläubige nicht auf sich, sondern ganz auf Christus blicken und ihm allein vertrauen. So ist er im Vertrauen auf Gottes Zusage seines Heils gewiss, wenngleich auf sich schauend niemals sicher.
(36) Katholiken können das Anliegen der Reformatoren teilen, den Glauben auf die objektive Wirklichkeit der Verheißung Christi zu gründen, von der eigenen Erfahrung abzusehen und allein auf Christi Verheißungswort zu vertrauen (vgl. Mt 16, 19; 18, 18). Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sagen Katholiken: Glauben heißt, sich selbst ganz Gott anvertrauen,19 der uns aus der Finsternis der Sünde und des Todes befreit und zum ewigen Leben erweckt.20 Man kann nicht in diesem Sinn an Gott glauben und zugleich dessen Verheißungswort für nicht verlässlich halten. Keiner darf an Gottes Barmherzigkeit und an Christi Verdienst zweifeln. Aber jeder kann in Sorge um sein Heil sein, wenn er auf seine eigenen Schwächen und Mängel schaut. In allem Wissen um sein eigenes Versagen darf der Glaubende dessen gewiss sein, dass Gott sein Heil will [vgl. Quellen zu Kap. 4.6].

4.7 Die guten Werke des Gerechtfertigten
(37) Wir bekennen gemeinsam, dass gute Werke - ein christliches Leben in Glaube, Hoffnung und Liebe - der Rechtfertigung folgen und Früchte der Rechtfertigung sind. Wenn der Gerechtfertigte in Christus lebt und in der empfangenen Gnade wirkt, bringt er, biblisch gesprochen, gute Frucht. Diese Folge der Rechtfertigung ist für den Christen, insofern er zeitlebens gegen die Sünde kämpft, zugleich eine Verpflichtung, die er zu erfüllen hat; deshalb ermahnen Jesus und die apostolischen Schriften den Christen, Werke der Liebe zu vollbringen.
(38) Nach katholischer Auffassung tragen die guten Werke, die von der Gnade und dem Wirken des Heiligen Geistes erfüllt sind, so zu einem Wachstum in der Gnade bei, dass die von Gott empfangene Gerechtigkeit bewahrt und die Gemeinschaft mit Christus vertieft werden. Wenn Katholiken an der "Verdienstlichkeit" der guten Werke festhalten, so wollen sie sagen, dass diesen Werken nach dem biblischen Zeugnis ein Lohn im Himmel verheißen ist. Sie wollen die Verantwortung des Menschen für sein Handeln herausstellen, damit aber nicht den Geschenkcharakter der guten Werke bestreiten, geschweige denn verneinen, dass die Rechtfertigung selbst stets unverdientes Gnadengeschenk bleibt.
(39) Auch bei den Lutheranern gibt es den Gedanken eines Bewahrens der Gnade und eines Wachstums in Gnade und Glauben. Sie betonen allerdings, dass die Gerechtigkeit als Annahme durch Gott und als Teilhabe an der Gerechtigkeit Christi immer vollkommen ist, sagen aber zugleich, dass ihre Auswirkung im christlichen Leben wachsen kann. Wenn sie die guten Werke des Christen als "Früchte" und "Zeichen" der Rechtfertigung, nicht als eigene "Verdienste" betrachten, so verstehen sie gleichwohl das ewige Leben gemäß dem Neuen Testament als unverdienten "Lohn" im Sinne der Erfüllung von Gottes Zusage an die Glaubenden. [vgl. Quellen zu Kap. 4.7].

5 Die Bedeutung und Tragweite des erreichten Konsenses
(40) Das in dieser Erklärung dargelegte Verständnis der Rechtfertigungslehre zeigt, dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht, in dessen Licht die in Nr. 18 bis 39 beschriebenen, verbleibenden Unterschiede in der Sprache, der theologischen Ausgestaltung und der Akzentsetzung des Rechtfertigungsverständnisses tragbar sind. Deshalb sind die lutherische und die römisch-katholische Entfaltung des Rechtfertigungsglaubens in ihrer Verschiedenheit offen aufeinander hin und heben den Konsens in den Grundwahrheiten nicht wieder auf.
(41) Damit erscheinen auch die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts, soweit sie sich auf die Lehre von der Rechtfertigung beziehen, in einem neuen Licht: Die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der lutherischen Kirchen wird nicht von den Verurteilungen des Trienter Konzils getroffen. Die Verwerfungen der lutherischen Bekenntnisschriften treffen nicht die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der römisch-katholischen Kirche.
(42) Dadurch wird den auf die Rechtfertigungslehre bezogenen Lehrverurteilungen nichts von ihrem Ernst genommen. Etliche waren nicht einfach gegenstandslos; sie behalten für uns "die Bedeutung von heilsamen Warnungen", die wir in Lehre und Praxis zu beachten haben.21
(43) Unser Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre muss sich im Leben und in der Lehre der Kirchen auswirken und bewähren. Im Blick darauf gibt es noch Fragen von unterschiedlichem Gewicht, die weiterer Klärung bedürfen: sie betreffen unter anderem das Verhältnis von Wort Gottes und kirchlicher Lehre sowie die Lehre von der Kirche, von der Autorität in ihr, von ihrer Einheit, vom Amt und von den Sakramenten, schließlich von der Beziehung zwischen Rechtfertigung und Sozialethik. Wir sind der Überzeugung, dass das erreichte gemeinsame Verständnis eine tragfähige Grundlage für eine solche Klärung bietet. Die lutherischen Kirchen und die römisch-katholische Kirche werden sich weiterhin bemühen, das gemeinsame Verständnis zu vertiefen und es in der kirchlichen Lehre und im kirchlichen Leben fruchtbar werden zu lassen.
(44) Wir sagen dem Herrn Dank für diesen entscheidenden Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung. Wir bitten den Heiligen Geist, uns zu jener sichtbaren Einheit weiterzuführen, die der Wille Christi ist.


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<1_1> Dokumentation zur "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre"
(ABl. 1998 B 39)

Am 25. Juni, dem Gedenktag der Verlesung des Augsburger Bekenntnisses, veröffentlichte der Vatikan seine Antwort auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Die Stellungnahme aus Rom war mit Spannung erwartet worden und brachte eine unvorhergesehene Wende. Dennoch - oder gerade deshalb - ist die theologische Arbeit an dieser Erklärung um der Sache willen weiterhin notwendig.
In letzter Zeit waren gelegentlich kritische Stimmen zu hören, dass diese Gemeinsame Erklärung (vgl. ABl. 1997, B 57 ff.) unsere Gemeinden kaum oder nur am Rande berühre. In der Tat ist der Text eines solchen ökumenischen Dokuments nicht leicht zu lesen. Die erforderliche Genauigkeit der Formulierungen ist wenig leserfreundlich. Aber die Sache, die Arbeit an Schrift und Bekenntnis, geht uns als Kirche miteinander an. Die Bekenntnisschriften sind eine "Erinnerungspotenz", da unsere Verkündigung nicht ohne eine ernstliche Auseinandersetzung mit der Tradition auskommt; sie sind ein "Fluchtgitter", d. h. sie wirken häretischen Faktoren im eigenen theologischen Denken entgegen; schließlich sind sie eine "Konzentrationsnötigung", d. h. sie stellen einen Prioritätenkatalog dar und verweisen auf das Zentrum der Schrift. Wir dokumentieren im Folgenden für die theologische Arbeit in Konventen oder ökumenischen Arbeitskreisen und für das Gespräch in den Gemeinden
1. die Erklärung der Kirchenleitung vom 16. Juli 1998;
2. die Antwort des Vatikans im vollen Wortlaut;
3. die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 17. Juli 1998.
Solche gemeinsamen Bemühungen sollten helfen, "eine Sprache zu finden, die imstande ist, die Rechtfertigungslehre auch den Menschen unserer Zeit verständlicher zu machen", wie die Antwort aus Rom anregt.
Ein Zugang ist zu finden, wenn es gelingt, die seelsorgerliche Ausrichtung allen Redens von der Rechtfertigung zu verdeutlichen.
In einer Welt der Leistung, in der zuerst das gilt, "was sich rechnet", entscheidet die Weise, wie Christus und der Glaube im Ereignis der Rechtfertigung zusammenstehen, über das Verständnis Gottes wie des Menschen, über klare Verkündigung und den schriftgemäßen Gebrauch der Sakramente.
"An Christus zu glauben ohne Werke" (M. Luther, WA 29, 481,17) meint im Kern den Zuspruch und Trost wider die Angst, was aus mir wird, wenn ich so bin, wie ich bin. Gott nimmt mich trotz meines missratenen oder gelingenden Tuns an, d. h. obwohl ich so bin, wie ich bin.
Dass ich so bin, ist nicht ein "Ausrutscher" oder "Kavaliersdelikt". Es reicht bis ins "Unterfutter" meines Wesens. Das ist auch der Grund, dass nach reformatorischem Verständnis die Sünde nicht vornehmlich in Tatsünden besteht. Es bedeutet schon eine heilsame Ernüchterung, dass "auch in dem besten Leben" unser Tun unentrinnbar untermischt ist mit Bösem und mit einer Unreinheit des Herzens, das in der Tiefe nicht aus und in der Liebe Gottes lebt. Heilung kann geschehen, wo der Krankheitsherd lokalisiert ist.
Bis ins Letzte tragende Heilsgewissheit ist nur im Blick auf Christus und das Wort seiner Verheißung zu gewinnen, nicht auf das eigne Tun. Christus ist nicht nur die Ursache, sondern auch die Gabe der Rechtfertigung. Der "Effekt" der Rechtfertigung besteht nicht nur in der Sündentilgung, sondern in der Christusgemeinschaft und darin, dass Christus der Herr unseres Lebens ist. Die guten Werke sind die Folge, nicht die Voraussetzung. Getrösteter Glaube kann darum nicht so folgenlos bleiben, wie R. Huch kritisierte, "dass die meisten Menschen bereitwillig die Last der guten Werke abschüttelten und das Wohlgefühl, das die Erleichterung mit sich brachte, für göttliche Gnade hielten. Sie glaubten sich im Schlaraffenland, wo die Seligkeit dem Faulsten in den Schoß fliege". Die Zuordnung von Glaube und Werken, Rechtfertigung und Heiligung ist ein "immergrünes" Thema christlichen Lebens und der Theologie überhaupt.
Aus diesem Grunde ist das "simul iustus et peccator" keine "Formel", sondern eine unaufgebbare Zustandbeschreibung einer realen Glaubenserfahrung. Das Leben des Christen bleibt im Widerstreit (Röm 7): ich gehöre durch die Taufe bleibend zu Gott - obwohl ich immer wieder von Gott wegstrebe. Christus zu folgen oder ihm zu widerstreben reicht bis in die Tiefe. Das bedeutet aber keinesfalls, dass alles beim Alten bleibt oder wir auf der Stelle treten. "Auch der peccator ist iustus, denn er ist der Rekonvaleszent, der auf die volle Genesung zugeht und dem Gott schon die Gerechtigkeit zugesprochen hat." (R. Herrmann). Genau genommen schreiten wir nicht zur Gesundheit vor, sondern sie ist schon da, ist in uns auf dem Wege. Trotz der tiefen Gespaltenheit sind wir im Innersten nicht zwei Menschen. Der "iustus" und der "Peccator" in uns "sind also nicht voneinander getrennt vorzustellen, sondern sie sind wie die Morgendämmerung, die weder Tag noch Nacht ist, aber dennoch beides genannt werden kann, mehr aber ist sie als Tag zu bezeichnen, zu welchem sie sich von der Finsternis der Nacht hinbewegt" (M. Luther, WA 2, 586,9 zu Gal 5,17).


1. Erklärung der Kirchenleitung der Ev.-Luth. Landekirche Sachsens zur Antwort des Vatikans zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Die Landessynode der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens hatte am 27. März 1998 der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zugestimmt. Damit war die Hoffnung verbunden, einen wichtigen Schritt zur vertieften Gemeinschaft der Kirchen zu gehen, dem weitere Schritte folgen sollten. Die Antwort des Vatikans auf die Gemeinsame Erklärung vom 25. Juni 1998 brachte jedoch eine unerwartet herbe Enttäuschung. Sie würdigt zwar, dass es zwischen der katholischen und der lutherischen Position zahlreiche Konvergenzpunkte gibt und ein hoher Grad an Übereinstimmung erreicht wurde. Die Antwort lässt jedoch nicht erkennen, worin die katholische Seite den Fortschritt im gegenseitigen Verständnis und in der Annäherung der Dialogpartner sieht.
Die Gemeinsame Erklärung zielt darauf, die formulierten Übereinstimmungen gemeinsam zu bejahen und festzustellen, dass die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die in der Gemeinsamen Erklärung vorgelegte Lehre der jeweils anderen Seite nicht treffen und verbleibende Unterschiede tragbar sind. Dieses Ziel ist nicht erreicht.
Die Antwort aus Rom besteht darauf, dass erst andere Divergenzen überwunden werden müssen, ehe "auf jene Wahrheiten, über die ein Konsens erreicht worden ist, die Verurteilungen des Trienter Konzils nicht mehr anzuwenden sind". Diese fundamentalen Einwände überraschen. Sie waren nicht den Änderungswünschen der katholischen Seite vor der Formulierung des endgültigen Textes der Gemeinsamen Erklärung im Januar 1997 zu entnehmen. Besonders schwerwiegend ist:
- Die Antwort aus Rom bekräftigt, "dass das ewige Leben gleichzeitig sowohl Gnade als auch Lohn ist, der von Gott für die guten Werke und Verdienste erstattet wird".
Sie geht damit hinter bereits gefundene Übereinstimmungen zurück. Nach lutherischer Auffassung sind die guten Werke als Früchte des Glaubens erforderlich. Sie gelten dem Nächsten "aus reiner Liebe allein". Sie sind aber frei von der bangen Sorge, ob genug geleistet ist, um die letztgültige Akzeptanz Gottes zu finden.
- Beschwerlich ist die Feststellung, dass die Verurteilungen des Konzils von Trient weiterhin die Einsicht treffen, dass der Christ "zugleich Gerechter und Sünder ist". Dieser reformatorische Kernsatz nimmt das Zeugnis der Heiligen Schrift und die Erfahrung von Christen auf. Sie erleben sich als Sünder, die Gottes Willen und Gebot zuwider handeln, und dennoch auf den Zuspruch des Erbarmens Gottes vertrauen dürfen.
- Schmerzlich ist der grundsätzliche Zweifel an der "tatsächlichen Autorität" des durch Synodenbeschlüsse erzielten Konsenses im Leben und in der Lehre der lutherischen Gemeinschaft.

Die römisch-katholische Antwort muss in nächster Zeit in der weltweiten Gemeinschaft der lutherischen Kirchen und mit den anderen reformatorischen Kirchen sorgfältig geprüft und in ihren Auswirkungen bedacht werden. Die tief gehende Kritik aus Rom kann nicht das Wirken derjenigen schmälern, die sich auf katholischer und evangelischer Seite um Einigung im Kern unseres Glaubens gemüht haben und weiterhin mühen.
Die Kirchenleitung bittet die Gemeinden, die ökumenischen Kontakte weiter zu intensivieren trotz der Enttäuschung über die Antwort aus Rom zur Gemeinsamen Erklärung. Wir halten weitere Schritte zu einer vertieften Gemeinschaft der Kirchen für notwendig. Dazu gehört auch die gegenseitige Einladung zur Feier des Heiligen Abendmahls in Sonntagsgottesdiensten, die evangelischerseits seit langem ausgesprochen ist, sowie die Verminderung der Belastungen für bekenntnisverschiedene Ehen.
Wir bitten die Gemeinden, in ökumenischen Begegnungen die Gemeinsamkeiten mit den katholischen Christen wahrzunehmen und zur Grundlage gemeinsamen Handelns zu machen. Das gemeinschaftliche Bezeugen des Glaubens und das gemeinsame Handeln in unserer Gesellschaft sind dringend erforderlich, zumal unsere Umwelt die christliche Botschaft zunehmend fremd empfindet. Wir hoffen, dass auch in Zukunft die Gemeinschaft beider Kirchen sich im gemeinsamen Zeugnis und Dienst bewährt.

Dresden, am 16. Juli 1998
Landesbischof, Vorsitzender der Kirchenleitung
Volker Kreß




2. Antwort der Katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklärung zwischen der Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre
ERKLÄRUNG

Die "Gemeinsame Erklärung zwischen der Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre" ("Gemeinsame Erklärung") stellt einen bemerkenswerten Fortschritt im gegenseitigen Verständnis und in der Annäherung der Dialogpartner dar; sie zeigt, dass es zwischen der katholischen und der lutherischen Position in einer jahrhundertelang so kontroversen Frage zahlreiche Konvergenzpunkte gibt. Man kann mit Sicherheit sagen, dass sowohl, was die Ausrichtung der Fragestellung betrifft, als auch hinsichtlich der Beurteilung, die sie verdient, ein hoher Grad an Übereinstimmung erreicht worden ist.(1) Die Feststellung, dass es "einen Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre"(2) gibt, ist richtig.
Trotzdem ist die katholische Kirche der Überzeugung, dass man noch nicht von einem so weitgehenden Konsens sprechen könne, der jede Differenz zwischen Katholiken und Lutheranern im Verständnis der Rechtfertigung ausräumen würde. Die "Gemeinsame Erklärung" nimmt selbst auf einige dieser Unterschiede Bezug. Tatsächlich sind die Positionen in einigen Punkten noch unterschiedlich. Auf der Grundlage der bereits unter zahlreichen Aspekten erzielten Übereinstimmung will die katholische Kirche zur Überwindung der noch bestehenden Divergenzen dadurch beitragen, dass sie im Folgenden eine Reihe von Punkten, nach ihrer Bedeutung geordnet, vorlegt, die bei diesem Thema einer Verständigung in allen Grundwahrheiten zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund noch entgegenstehen. Die katholische Kirche hofft, dass die nachfolgenden Hinweise ein Ansporn sein können, um das Studium dieser Fragen in demselben brüderlichen Geist weiterzuführen, der den Dialog zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund in letzter Zeit geprägt hat.


PRÄZISIERUNGEN

1. Die größten Schwierigkeiten, um von einem vollständigen Konsens über das Thema Rechtfertigung zwischen den beiden Seiten sprechen zu können, finden sich in Paragraph 4.4 "Das Sündersein des Gerechtfertigten" (Nr. 28-30). Selbst unter Berücksichtigung der in sich legitimen Unterschiede, die von unterschiedlichen theologischen Zugangswegen zur Gegebenheit des Glaubens herrühren, löst vom katholischen Standpunkt her schon allein die Überschrift Erstaunen aus. Nach der Lehre der katholischen Kirche wird nämlich in der Taufe all das, was wirklich Sünde ist, hinweggenommen, und darum hasst Gott nichts in den Wiedergeborenen(3). Daraus folgt, dass die Konkupiszenz, die im Getauften bleibt, nicht eigentlich Sünde ist. Deshalb ist die Formel "zugleich Gerechter und Sünder" so, wie sie am Anfang von Nr. 29 erklärt wird ("Er ist ganz gerecht, weil Gott ihm durch Wort und Sakrament seine Sünde vergibt ... In Blick auf sich selbst aber erkennt er ..., dass er zugleich ganz Sünder bleibt, dass die Sünde noch in ihm wohnt..."), für Katholiken nicht annehmbar. Diese Aussage erscheint nämlich unvereinbar mit der Erneuerung und Heiligung des inneren Menschen, von der das Trienter Konzil spricht. Der in Nr. 28-30 verwendete Begriff "Gottwidrigkeit" wird von Katholiken und Lutheranern unterschiedlich verstanden und wird daher tatsächlich zu einem mehrdeutigen Begriff. In demselben Sinn ist für einen Katholiken auch der Satz in Nr. 22: "... rechnet ihm Gott seine Sünde nicht an und wirkt in ihm tätige Liebe durch den Heiligen Geist", nicht eindeutig genug, weil die innere Verwandlung des Menschen nicht klar zum Ausdruck kommt. Aus all diesen Gründen gibt es Schwierigkeiten mit der Aussage, diese Lehre über das "simul iustus et peccator" sei in der aktuellen Fassung, in der sie in der "Gemeinsamen Erklärung" vorgelegt wird, nicht von den Anathemata (Verurteilungen) der tridentinischen Dekrete über die Ursünde und die Rechtfertigung betroffen.

2. Eine weitere Schwierigkeit findet sich in Nr. 18 der "Gemeinsamen Erklärung", in der sich ein klarer Unterschied in Bezug auf die Bedeutung herausstellt, welche die Rechtfertigungslehre für Katholiken und Lutheraner als Kriterium für das Leben und die Praxis der Kirche hat. Während für die Lutheraner diese Lehre eine ganz einzigartige Bedeutung erlangt hat, muss, was die katholische Kirche betrifft, gemäß der Schrift und seit den Zeiten der Väter die Botschaft von der Rechtfertigung organisch in das Grundkriterium der "regula fidei" einbezogen werden, nämlich das auf Christus als Mittelpunkt ausgerichtete und in der lebendigen Kirche und ihrem sakramentalen Leben verwurzelte Bekenntnis des dreieinigen Gottes.

3. Wie es in Nr. 17 der "Gemeinsamen Erklärung" heißt, teilen Lutheraner und Katholiken die gemeinsame Überzeugung, dass das neue Leben aus der göttlichen Barmherzigkeit und nicht aus unserem Verdienst kommt. Es muss jedoch daran erinnert werden, dass diese göttliche Barmherzigkeit, wie es in 2. Kor 5,17 heißt, eine neue Schöpfung bewirkt und damit den Menschen befähigt, in seiner Antwort auf das Geschenk Gottes mit der Gnade mitzuwirken. In diesem Zusammenhang nimmt die katholische Kirche mit Befriedigung zur Kenntnis, dass Nr. 21 in Übereinstimmung mit can. 4 des Dekretes des Trienter Konzils über die Rechtfertigung (DS 1554) sagt, dass der Mensch die Gnade zurückweisen kann; es müsste aber auch gesagt werden, dass dieser Freiheit zur Zurückweisung auch eine neue Fähigkeit zur Annahme des göttlichen Willens entspricht, eine Fähigkeit, die man mit Recht "cooperatio" (Mitwirkung) nennt. Diese mit der neuen Schöpfung geschenkte Neubefähigung gestattet nicht die Verwendung des Ausdrucks "mere passive" (Nr. 21). Dass diese Fähigkeit andererseits Geschenkcharakter hat, drückt das 5. Kapitel des tridentinischen Dekretes (DS 1525) treffend aus, wenn es sagt: "ita ut tangente Deo cor hominis per Spiritus Sancti illuminationen, neque homo ipse nihil omnino agat, inspirationen illam recipiens, quippe qui illam et abicere potest, neque tamen sine gratia Dei movere se ad iustitiam coram illo libera sua voluntate possit" ["wenn also Gott durch die Erleuchtung des Heiligen Geistes des Herz des Menschen berührt, tut der Mensch selbst, wenn er diese Einhauchung aufnimmt, weder überhaupt nichts - er könnte sie ja auch verschmähen -, noch kann er sich andererseits ohne die Gnade Gottes durch seinen freien Willen auf die Gerechtigkeit vor ihm zubewegen"].
In der Tat wird auch von lutherischer Seite in Nr. 21 ein "volles personales Beteiligtsein im Glauben" festgehalten. Es bedürfte jedoch einer Klarstellung über die Vereinbarkeit dieses Beteiligtseins mit der Annahme der Rechtfertigung "mere passive", um den Grad der Übereinstimmung mit der katholischen Lehre genauer festzustellen. Was sodann den Schlusssatz von Nr. 24 - "Gottes Gnadengabe in der Rechtfertigung bleibt unabhängig von menschlicher Mitwirkung" - betrifft, so muss er in dem Sinne verstanden werden, dass die Gnadengaben Gottes nicht von den Werken des Menschen abhängig sind, nicht aber in dem Sinne, dass die Rechtfertigung ohne Mitwirkung des Menschen erfolgen könne. In analoger Weise muss sich der Satz in Nr. 19, wonach die Freiheit des Menschen "keine Freiheit auf sein Heil hin" ist, mit der Aussage über das Unvermögen des Menschen, aus eigener Kraft die Rechtfertigung zu erlangen, verbinden lassen.
Die katholische Kirche vertritt auch die Ansicht, dank die guten Werke des Gerechtfertigten immer Frucht der Gnade sind. Doch gleichzeitig und ohne irgendetwas von der totalen göttlichen Initiative aufzuheben (5), sind sie Frucht des gerechtfertigten und innerlich verwandelte Menschen. Man kann daher sagen, dass das ewige Leben gleichzeitig sowohl Gnade als auch Lohn ist, der von Gott für die guten Werke und Verdienste erstattet wird (6). Diese Lehre ist die Konsequenz aus der inneren Verwandlung des Menschen, von der in Nr. 1 dieser Note die Rede war. Diese Klarstellungen verhelfen zu dem vom katholischen Standpunkt aus angemessenen Verständnis von Paragraph 4.7 (Nr. 37-39) über die guten Werke des Gerechtfertigten.

4. Bei der Fortführung dieser Bemühung wird man auch das Sakrament der Buße behandeln müssen, das in Nr. 30 der "Gemeinsamen Erklärung" erwähnt wird. Denn durch dieses Sakrament kann, wie das Konzil von Trient formuliert (7), der Sünder aufs Neue gerechtfertigt werden (rursus
iustificari); das schließt die Möglichkeit ein, durch dieses Sakrament, das sich von dem der Taufe unterscheidet, die verlorene Gerechtigkeit wiederzuerlangen (8). Nicht auf all diese Aspekte wird in besagter Nr. 30 ausreichend hingewiesen.

5. Diese Beobachtungen wollen die Lehre der katholischen Kirche in Bezug auf jene Punkte präzisieren, über die keine völlige Übereinstimmung erreicht wurde, und einige der Paragraphen, die die katholische Lehre darlegen, ergänzen, um das Maß des Konsenses, zu dem man gelangt ist, besser ins Licht zu rücken. Der hohe Grad der erreichten Übereinstimmung gestattet allerdings noch nicht zu behaupten, dass alle Unterschiede, die Katholiken und Lutheraner in der Rechtfertigungslehre trennen, lediglich Fragen der Akzentuierung oder sprachlichen Ausdrucksweise sind. Einige betreffen inhaltliche Aspekte, und daher sind nicht alle, wie in Nr. 40 behauptet wird, wechselseitig miteinander vereinbar.
Außerdem ist zu sagen: Auch wenn es stimmt, dass auf jene Wahrheiten, über die ein Konsens erreicht worden ist, die Verurteilungen des Trienter Konzil nicht mehr anzuwenden sind, müssen dennoch erst die Divergenzen, die andere Punkte betreffen, überwunden werden, bevor man geltend machen kann, dass - wie es in Nr. 41 ganz allgemein heißt - diese Punkte nicht mehr unter die Verurteilungen des Konzils von Trient fallen. Das gilt an erster Stelle für die Lehre über das "simul iustus et peccator" (vgl. oben Nr. 1).

6. Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt der Repräsentativität auf den unterschiedlichen Charakter der beiden Partner hinzuweisen, die diese "Gemeinsame Erklärung" erarbeitet haben. Die katholische Kirche erkennt die vom Lutherischen Weltbund unternommene große Anstrengung an, durch Konsultation der Synoden den "magnus consensus" zu erreichen, um seiner Unterschrift echten kirchlichen Wert zu geben: es bleibt allerdings die Frage der tatsächlichen Autorität eines solchen synodalen Konsenses, heute und auch in Zukunft, im Leben und in der Lehre der lutherischen Gemeinschaft.

PERSPEKTIVEN FÜR DIE KÜNFTIGE ARBEIT

7. Die katholische Kirche möchte ihre Erwartung bekräftigen, dass diesem wichtigen Schritt hin zu einem Einvernehmen in der Rechtfertigungslehre weitere Studien folgen mögen, die eine zufrieden stellende Klärung der noch bestehenden Divergenzen erlauben. Wünschenswert wäre insbesondere eine Vertiefung des biblischen Fundamentes, das sowohl für die Katholiken wie für die Lutheraner die gemeinsame Grundlage der Rechtfertigungslehre darstellt. Besagte Vertiefung sollte dem ganzen neuen Testament und nicht nur den paulinischen Schriften gelten. Denn auch wenn es zutrifft, dass der hl. Paulus der neutestamentliche Autor ist, der am meisten über dieses Thema gesprochen hat, was eine gewisse vorrangige Aufmerksamkeit verlangt, fehlt es auch in den anderen Schriften des Neues Testamentes nicht an fundierten Bezugnahmen auf dieses Thema. Was die von der "Gemeinsamen Erklärung" erwähnten verschiedenen Formen betrifft, mit denen Paulus den neuen Zustand des Menschen beschreibt, so könnte man die Kategorien der Sohnschaft und der Erbschaft (Gal 4,4-7; Röm 8,14-17) hinzufügen. Die Betrachtung aller dieser Elemente wird für das gegenseitige Verständnis sehr hilfreich sein und die Lösung jener noch bestehenden Divergenzen in der Rechtfertigungslehre ermöglichen.

8. Schließlich sollten sich Lutheraner und Katholiken gemeinsam darum bemühen, eine Sprache zu finden, die imstande ist, die Rechtfertigungslehre auch den Menschen unserer Zeit verständlicher zu machen. Die Grundwahrheiten von dem von Christus geschenkten und im Glauben angenommenen Heil, vom Primat der Gnade vor jeder menschlichen Initiative, von der Gabe des Heiligen Geistes, der uns dazu fähig macht, unserem Stand als Kinder Gottes entsprechend zu leben, usw. sind wesentliche Aspekte der christlichen Botschaft, die die Gläubigen aller Zeiten erleuchten sollten.

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Diese Note, welche die offizielle katholische Antwort auf den Text der "Gemeinsamen Erklärung" darstellt, ist in gemeinsamer Verständigung zwischen der Kongretation für die Glaubenslehre und dem Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit der Christen ausgearbeitet worden und wird vom Präsidenten dieses Päpstlichen Rates als direkt Verantwortlichem für den ökumenischen Dialog unterzeichnet.

Anmerkungen
1 Vgl. "Gemeinsame Erklärung", Nr. 4: "ein hohes Maß an gemeinsamer Ausrichtung und gemeinsamem Urteil".
2 Ebd., Nr. 5; vgl. Nr. 13-, 40; 43.
3 Vgl. Konzil von Trient, Dekret über die Ursünde (DS 1515).
4 Vgl. Konzil von Trient, Dekret über die Rechtfertigung, Kap. 8, "...iustifieatio. quae non est sola peccatorum remissio, sed et sanctificatio et renovatio interioris hominis" ["...die Rechtfertigung..., die nicht nur Vergebung der Sünden ist, sondern auch Heiligung und Erneuerung des inneren Menschen"] (DS 1528); vgl. auch can. 11 (DS 1561).
5 Vgl. Konzil von Trient, Dekret über die Rechtfertigung, Kap. 16 (DS 1546), wo Joh 15,5, der Weinstock und die Reben, zitiert wird.
6 Vgl. ebd. DS 1545; und can. 26 (DS 1576).
7 Ebd. Kap. 14 (vgl. DS 1542).
8 Vgl. ebd. can. 29 (DS 1579); Dekret über das Sakrament der Buße, Kap. 2 (DS 1671); can. 2 (DS 1702).

(Übersetzt aus dem italienischen Original)



3. Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Antwort aus Rom auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre

Am 25. Juni 1998 wurde die offizielle Antwort des Vatikans auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre veröffentlicht. Da diese Antwort den gesamte Protestantismus betrifft und sich auf das evangelisch katholische Verhältnis insgesamt auswirkt, hat der Rat der EKD am 17. Juli 1998 auf seiner ersten der Veröffentlichung folgenden Sitzung über die Antwort aus Rom eingehend beraten.
Er nimmt dazu wie folgt Stellung:
Unseren katholischen Freunden sagen wir: Wir bleiben zusammen. Wir lassen uns von unseren katholischen Mit-Christen weder trennen noch entfernen - auch nicht durch Signale aus dem Vatikan, die alte Lehrverurteilungen bekräftigen.
Allen Gemeinden rufen wir zu: Die praktische Zusammenarbeit zwischen evangelischen und katholischen Christen am Ort und darüber hinaus bis zum Rat der EKD: und zur katholischen Deutschen Bischofskonferenz hat sich bewährt. Über viele Jahre hin hat sie starke und lebendige Gemeinsamkeit entstehen lassen. An ihr halten wir fest. Lasst sie uns weiter vertiefen.
Um der Menschen willen, die sich nach Einheit im Glauben und nach Gemeinschaft im Gottesdienst sehnen, bekräftigen wir: Auch ärgerliche Rückschläge können uns nicht von dem Versuch abbringen, kirchliche Lehrfragen zu klären.
Im Einzelnen erklären wir:
1. Uns verbindet viel mehr, als uns trennt: Diese Überzeugung bestimmt auch weiterhin das Verhältnis zwischen den evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, eine Hoffnung (Epheser 4) - aus der Bindung an diese fundamentalen Gemeinsamkeiten wachsen auch in der Zukunft die Kräfte, die andauernden schmerzlichen Folgen der Trennung zu überwinden und bleibende Differenzen in versöhnter Verschiedenheit auszuhalten. Die Überzeugung, dass uns viel mehr verbindet, als uns trennt, hilft auch dabei, Rückschläge im Bemühen um eine Vertiefung der ökumenischen Beziehungen zu verkraften.

2. Die Gemeinsame Erklärung hat zwei Ziele verfolgt: Auf der Grundlage der in der Erklärung beschriebenen Übereinstimmungen einen "Konsens in Grundwahrheiten" der Rechtfertigungslehre zu erzielen und zugleich festzustellen, dass die Lehrverurteilungen des 16. Jahrhunderts die in der Gemeinsamen Erklärung vorgelegte Lehre der jeweils anderen Seite nicht treffen. Die Antwort des Vatikans nötigt auf Grund der in den "Präzisierungen" vorgenommenen Einschränkungen zu der Deutung: Aus seiner Sicht sind im Ergebnis beide Ziele nicht erreicht.

3. Auch auf der evangelischen Seite hat es Kritik an der Gemeinsamen Erklärung gegeben. In der jetzt eingetretenen Lage hilft es nicht weiter, eine Auseinandersetzung darüber zu führen, wer in diesem Streit Recht hatte oder Recht behält. Beide Aspekte müssen zur Geltung gebracht werden: Das Bemühen um eine ökumenische Hermeneutik, die in der Ausdrucksweise einer anderen Tradition die Gemeinsamkeit in der Sache wahrnimmt, und das beharrliche Dringen auf sachliche Klarheit, das sich nicht zufrieden gibt mit mehrdeutigen und widersprüchlichen Kompromissformulierungen.

4. Die Antwort aus Rom vermeidet es, von den lutherischen Kirchen als Kirchen zu sprechen. Dies hat auf der Seite der evangelischen Kirchen schon bei der Beschäftigung mit der Gemeinsamen Erklärung selbst erheblichen Anstoß erregt. Es ist bedauerlich, dass in dieser Frage nach wie vor Positionen festgehalten werden, die in der Sache unangemessen sind und dem Verhältnis zwischen unseren beiden Kirchen nicht gerecht werden.

5. Die römische Antwort stellt darüber hinaus die Frage, welche tatsächliche Autorität der unter den lutherischen Kirchen über die Gemeinsame Erklärung erzielte Konsens "heute und auch in der Zukunft im Leben und in der Lehre der lutherischen Gemeinschaft" hat. Auch der evangelischen Seite ist der Weg fremd, auf dem in der römisch-katholischen Kirche Lehrentscheidungen zustande kommen. Aber ökumenischer Dialog setzt voraus, dass man den Weg von Lehrentscheidungen wechselseitig respektiert. Deshalb kann, wenn das ökumenische Miteinander gedeihlich bleiben soll, der Weg der römisch-katholischen Kirche nicht zum Bewertungsmaßstab für das Zustandekommen von Entscheidungen in den reformatorischen Kirchen gemacht werden.

6. Der Vorschlag, die Rechtfertigungsbotschaft, wie sie uns insbesondere in den Briefen des Paulus entgegentritt, in den weiteren Horizont des gesamten Neuen Testaments zu rücken, verdient Zustimmung. Dies kann jedoch in evangelischem Verständnis nicht bedeuten, dass dadurch die Bedeutung der Rechtfertigung allein aus Gnade und allein durch Glauben als maßgebliches Kriterium für Lehre und Leben der Kirche abgeschwächt wird. Soweit die Antwort die Darstellung der römisch-katholischen Lehre in der Gemeinsamen Erklärung für ergänzungsbedürftig hält, muss die innerkatholische Diskussion weitere Klärung erbringen. Die Antwort stellt jedoch auch Kernstücke der reformatorischen Rechtfertigungslehre in Frage, die nach unserem Urteil unaufgebbar sind. So hat die Aussage, der Glaubende sei "gerecht und Sünder zugleich", ihren bleibenden Sinn gerade darin, herauszustellen, dass die überlegene göttliche Gnade ihn von der "Mitwirkung" an seiner Rechtfertigung entlastet und zugleich von der Illusion befreit, er könne das ewige Leben "auch" als Lohn für die guten Werke und Verdienste erwarten.

7. Die Antwort aus Rom stützt sich auf Gründe, die schon bei der Ausarbeitung der Gemeinsamen Erklärung hätten vorgelegt werden können, die aber durch den gemeinsamen Abschluss der Arbeiten als überwunden betrachtet werden mussten. Es ist ein ökumenisch unakzeptables Verfahren, dass der Vatikan sie erst jetzt, nach dem Urteilsbildungs- und Entscheidungsprozess im Lutherischen Weltbund und seinen Mitgliedskirchen, vorbringt. Jeder künftige Arbeitsprozess zur Gewinnung eines Lehrkonsenses muss auf den Grundsatz aufgebaut sein, dass gleichberechtigte und gleichverpflichtete Partner in zeitlicher Abstimmung zu verlässlichen Zwischenergebnissen und verbindlichen Entscheidungen gelangen.

8. Die evangelischen Kirchen müssen im ökumenischen Dialog nicht anders als die römisch-katholische Kirche in langen Zeiträumen denken. Das gilt für die Dialoge auf Weltebene wie für die Verständigungsprozesse auf regionaler Ebene. Das Dokument "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?" liegt seit 1985 auf dem Tisch. Jede weitere ökumenische Verständigung über Lehrverurteilungen der Vergangenheit ist darauf angewiesen, dass eine verbindliche römisch-katholische Antwort auf dieses Dokument gegeben wird.

9. Es wäre falsch, jetzt die Bemühungen um Lehrkonsense aufzugeben. Nur mit ihrer Hilfe lässt sich Kirchengemeinschaft theologisch begründen und förmlich erklären. Kirchliche Lehre muss klären, in welchen Grundaussagen des Glaubens eine Übereinstimmung unabdingbar ist und in welchen Fragen Unterschiede und Gegensätze nicht kirchentrennend sind oder auch kirchentrennend bleiben. Die Einigung in Lehrfragen stellt als solche allerdings die Kirchengemeinschaft noch nicht her. Auch sind Lehrkonsensgespräche keineswegs der stärkste Motor des ökumenischen Prozesses. Die Kirchen wachsen von unten her zusammen. Wir ermutigen Gemeinden und Gruppen, in der Pflege und dem Ausbau der Beziehungen zwischen den evangelischen Kirchen und der römisch-katholischen Kirche nicht nachzulassen.

10. Die Antwort aus Rom schließt mit der Aufforderung, sich gemeinsam darum zu bemühen, "eine Sprache zu finden, die imstande ist, die Rechtfertigungslehre auch den Menschen unserer Zeit verständlicher zu machen". Das sollte rasch und energisch geschehen. Auf diesem Wege können wir viel dazu beitragen, die historischen Gegensätze zu überwinden. Es besteht heute die ernste Gefahr, dass wir zurückfallen in die Wiederholung alter Kontroversen. Nur das entschlossene, um gegenseitiges Verstehen bemühte Fragen nach der Wahrheit des Evangeliums und das gemeinsame Gebet bringen uns ökumenisch voran.

Kloster Wülfinghausen, den 17. Juli 1998
Pressestelle der EKD

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<1_1> Gemeinsame offizielle Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Vom 11. Juni 1999 (ABl. 1999 B 45)

Am 31. Oktober 1999 soll in Augsburg die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" unterzeichnet werden. Damit soll nach monatelangen Abstimmungsgesprächen der im Jahre 1995 begonnene Prozess der Rezeption dieses Dokuments (vgl. Amtsblatt Teil B, 1997, S. 57 ff.; 1998, S. 27 ff., 39 ff.) abgeschlossen werden. In der Gemeinsamen offiziellen Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche wird erklärt, dass die gegenseitigen Lehrverurteilungen die Lehre der anderen, wie sie in der Gemeinsamen Erklärung dargelegt ist, nicht mehr treffen und dass ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht. Ein erläuternder "Annex" zeigt, wie die strittigen Fragen geklärt worden sind. Nachfolgend werden beide Dokumente abgedruckt.
Der Vorsitzende des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes hat den Mitgliedskirchen des DNK/LWB die Anregung gegeben, am Reformationsfest die Unterzeichnung in Augsburg mit ihren Gebeten zu begleiten, und diesen wichtigen Schritt der Annäherung zwischen unseren Kirchen in den Gottesdiensten, möglichst auch in ökumenischen Gottesdiensten zu feiern, und die Botschaft von der Rechtfertigung in den Mittelpunkt zu stellen.

Gemeinsame offizielle Feststellung des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche
vom 11. Juni 1999
1. Auf der Grundlage der in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE) erreichten Übereinstimmungen erklären der Lutherische Weltbund und die Katholische Kirche gemeinsam: "Das in dieser Erklärung dargelegte Verständnis der Rechtfertigungslehre zeigt, dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht" (GE 40). Auf der Grundlage dieses Konsenses erklären der Lutherische Weltbund und die Katholische Kirche gemeinsam: "Die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der lutherischen Kirchen wird nicht von den Verurteilungen des Trienter Konzils getroffen. Die Verwerfungen der lutherischen Bekenntnisschriften treffen nicht die in dieser Erklärung vorgelegte Lehre der römisch-katholischen Kirche" (GE 41).

2. Im Blick auf den Beschluss des Rates des Lutherischen Weltbundes über die Gemeinsame Erklärung vom 16. Juni 1998 und die Antwort der Katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklärung vom 25. Juni 1998 sowie die von beiden Seiten vorgebrachten Anfragen wird in der (als "Anhang" bezeichneten) beigefügten Feststellung der in der Gemeinsamen Erklärung erreichte Konsens weiter erläutert; so wird klargestellt, dass die früheren gegenseitigen Lehrverurteilungen die Lehre der Dialogpartner, wie sie in der Gemeinsamen Erklärung dargelegt wird, nicht treffen.

3. Die beiden Dialogpartner verpflichten sich, das Studium der biblischen Grundlagen der Lehre von der Rechtfertigung fortzuführen und zu vertiefen. Sie werden sich außerdem auch über das hinaus, was in der Gemeinsamen Erklärung und in dem beigefügten Anhang behandelt ist, um ein weiterreichendes gemeinsames Verständnis der Rechtfertigungslehre bemühen. Auf der Basis des erreichten Konsenses ist insbesondere zu denjenigen Fragen ein weiterer Dialog erforderlich, die in der Gemeinsamen Erklärung selbst (GE 43) besonders als einer weiteren Klärung bedürftig benannt werden, um zu voller Kirchengemeinschaft, zu einer Einheit in Verschiedenheit zu gelangen, in der verbleibende Unterschiede miteinander "versöhnt" würden und keine trennende Kraft mehr hätten. Lutheraner und Katholiken werden ihre Bemühungen ökumenisch fortsetzen, um in ihrem gemeinsamen Zeugnis die Rechtfertigungslehre in einer für die Menschen unserer Zeit relevanten Sprache auszulegen, unter Berücksichtigung der individuellen und der sozialen Anliegen unserer Zeit.
Durch diesen Akt der Unterzeichnung bestätigen die Katholische Kirche und der Lutherische Weltbund die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre in ihrer Gesamtheit.

ANHANG (ANNEX)
1. Die folgenden Erläuterungen unterstreichen die in der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GE) erreichte Übereinstimmung in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre; so wird klargestellt, dass die früheren wechselseitigen Verurteilungen die katholische und die lutherische Rechtfertigungslehre, wie sie in der Gemeinsamen Erklärung dargestellt sind, nicht treffen.

2. "Gemeinsam bekennen wir: Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht aufgrund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken." (GE 15)

A. "Wir bekennen gemeinsam, dass Gott aus Gnade dem Menschen die Sünde vergibt und ihn zugleich in seinem Leben von der knechtenden Macht der Sünde befreit (...)" (GE 22). Rechtfertigung ist Sündenvergebung und Gerechtmachung, in der Gott "das neue Leben in Christus schenkt" (GE 22). "Gerechtfertigt aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott" (Röm 5, 1). "Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es" (1 Job 3, 1). Wir sind wahrhaft und innerlich erneuert durch das Wirken des Heiligen Geistes und bleiben immer von seinem Wirken in uns abhängig. "Wenn jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung, das Alte ist vergangen, Neues ist geworden." (2 Kor 5, 17). Die Gerechtfertigten bleiben in diesem Sinne nicht Sünder.
Doch wir würden irren, wenn wir sagten, dass wir ohne Sünde sind (1 Joh 1, 8-10; vgl. GE 28). Wir "verfehlen uns in vielen Dingen" (Jak 3, 2). "Wer bemerkt seine eigenen Fehler? Verzeihe mir meine verborgenen Sünden!" (Ps 19, 13). Und wenn wir beten, können wir nur, wie der Zöllner, sagen: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" (Luk 18, 13). Unsere Liturgien geben dem vielfachen Ausdruck. Gemeinsam hören wir die Mahnung: "Daher soll die Sünde euren sterblichen Leib nicht mehr beherrschen, und seinen Begierden sollt ihr nicht gehorchen" (Röm 6, 12). Dies erinnert uns an die beständige Gefährdung, die von der Macht der Sünde und ihrer Wirksamkeit im Christen ausgeht. Insoweit können Lutheraner und Katholiken gemeinsam den Christen als simul iustus et peccator verstehen, unbeschadet ihrer unterschiedlichen Zugänge zu diesem Themenbereich, wie dies in GE 29-30 entfaltet wurde.

B. Der Begriff "Konkupiszenz" wird auf katholischer und auf lutherischer Seite in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht. In den lutherischen Bekenntnisschriften wird Konkupiszenz verstanden als Begehren des Menschen, durch das der Mensch sich selbst sucht und das im Lichte des geistlich verstandenen Gesetzes als Sünde angesehen wird. Nach katholischem Verständnis ist Konkupiszenz eine auch nach der Taufe im Menschen verbleibende, aus der Sünde kommende und zur Sünde drängende Neigung. Unbeschadet der hier eingeschlossenen Unterschiede kann aus lutherischer Sicht anerkannt werden, dass die Begierde zum Einfallstor der Sünde werden kann. Wegen der Macht der Sünde trägt der ganze Mensch die Neigung in sich, sich gegen Gott zu stellen. Diese Neigung entspricht nach lutherischem und katholischem Verständnis nicht "dem ursprünglichen Plan Gottes vom Menschen" (GE 30). Die Sünde hat personalen Charakter und führt als solche zur Trennung von Gott. Sie ist das selbstsüchtige Begehren des alten Menschen und mangelndes Vertrauen und mangelnde Liebe zu Gott.
Die Wirklichkeit des in der Taufe geschenkten Heils und die Gefährdung durch die Macht der Sünde können so zur Sprache kommen, dass einerseits die Vergebung der Sünden und die Erneuerung des Menschen in Christus durch die Taufe betont und andererseits gesehen wird, dass auch der Gerechtfertigte "der immer noch andrängenden Macht und dem Zugriff der Sünde nicht entzogen (vgl. Röm 6, 12-14) und des lebenslangen Kampfes gegen die Gottwidrigkeit (...) nicht enthoben" ist (GE 28).

C. Rechtfertigung geschieht "allein aus Gnade" (GE 15 und 16), allein durch Glauben, der Mensch wird "unabhängig von Werken" gerechtfertigt (Röm 3, 28; vgl. GE 25). "Die Gnade ist es, die den Glauben schafft, nicht nur, wenn der Glaube neu im Menschen anfängt, sondern solange der Glaube währt" (Thomas von Aquin, S. Th. II/II 4, 4 ad 3). Gottes Gnadenwirken schließt das Handeln des Menschen nicht aus: Gott wirkt alles, das Wollen und Vollbringen, daher sind wir aufgerufen, uns zu mühen, (vgl. Phil 2, 12 f.). "(...)... alsbald der Heilige Geist, wie gesagt, durchs Wort und heilige Sakrament solch sein Werk der Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiss, dass wir durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken können und sollen (...)" (FC SD II, 64 f.; BSLK 897, 37 ff.).

D. Gnade als Gemeinschaft des Gerechtfertigten mit Gott in Glaube, Hoffnung und Liebe wird stets vom heilsschöpferischen Wirken Gottes empfangen (vgl. GE 27). Doch der Gerechtfertigte ist dafür verantwortlich, die Gnade nicht zu verspielen, sondern in ihr zu leben. Die Aufforderung, gute Werke zu tun, ist die Aufforderung, den Glauben zu üben (vgl. BSLK 197, 45 f.). Die guten Werke des Gerechtfertigten soll man tun, "nämlich dass wir unsern Beruf fest machen, das ist, dass wir nicht wiederum vom Evangelio fallen, wenn wir wiederum sundigeten" (Apol. XX, 13, BSLK 316, 18-24; unter Bezugnahme auf 2 Petr 1, 10. Vgl. auch FC SD IV, 33; BSLK 948, 9-23). In diesem Sinn können Lutheraner und Katholiken gemeinsam verstehen, was über das "Bewahren der Gnade" in GE 38 und 39 gesagt ist. Freilich, "alles, was im Menschen dem freien Geschenk des Glaubens vorausgeht und nachfolgt, ist nicht Grund der Rechtfertigung und verdient sie nicht" (GE 25).

E. Durch die Rechtfertigung werden wir bedingungslos in die Gemeinschaft mit Gott aufgenommen. Das schließt die Zusage des ewigen Lebens ein: "Wenn wir nämlich ihm gleich geworden sind in seinem Tod, dann werden wir mit ihm auch in seiner Auferstehung vereinigt sein" (Röm 6, 5; vgl. Joh 3, 36; Röm 8, 17). Im Endgericht werden die Gerechtfertigten auch nach ihren Werken gerichtet (vgl. Mt 16, 27; 25, 31-46; Röm 2, 16; 14, 12; 1 Kor 3, 8; 2 Kor 5, 10 etc.). Wir sehen einem Gericht entgegen, in dem Gott in seinem gnädigen Urteil alles annehmen wird, was in unserem Leben und Tun seinem Willen entspricht. Aber alles, was unrecht in unserem Leben ist wird aufgedeckt und nicht in das ewige Leben eingehen. Die Konkordienformel stellt ebenfalls fest: "Wie dann Gottes Wille und ausdrücklicher Befehl ist, dass die Gläubigen gute Werk tuen sollen, welche der heilige Geist wirket in den Gläubigen, die ihnen auch Gott um Christi willen gefallen lässt, ihnen herrliche Belohnung in diesem und künftigen Leben verheißet" (FC SD IV, 38; BSLK 950, 18- 24). Aller Lohn aber ist Gnadenlohn. auf den wir keinen Anspruch haben.

3. Die Rechtfertigungslehre ist Maßstab oder Prüfstein des christlichen Glaubens. Keine Lehre darf diesem Kriterium widersprechen. In diesem Sinne ist die Rechtfertigungslehre ein "unverzichtbares Kriterium, das die gesamte Lehre und Praxis der Kirche unablässig auf Christus hin orientieren will" (GE 18). Als solche hat sie ihre Wahrheit und ihre einzigartige Bedeutung im Gesamtzusammenhang des grundlegenden trinitarischen Glaubensbekenntnisses der Kirche. Gemeinsam haben wir "das Ziel, in allem Christus zu bekennen, dem allein über alles zu vertrauen ist als dem einen Mittler (1 Tim 2, 5 f.), durch den Gott im Heiligen Geist sich selbst gibt und seine erneuernden Gaben schenkt" (GE 18).

4. In der Antwortnote der Katholischen Kirche soll weder die Autorität lutherischer Synoden noch diejenige des Lutherischen Weltbundes in Frage gestellt werden. Die Katholische Kirche und der Lutherische Weltbund haben den Dialog als gleichberechtigte Partner ("par cum pari") begonnen und geführt. Unbeschadet unterschiedlicher Auffassungen von der Autorität in der Kirche respektiert jeder Partner die geordneten Verfahren für das Zustandekommen von Lehrentscheidungen des anderen Partners.

11. Juni 1999


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