R.Rausch, Horst.Rothe: Generierung deutscher Verbformen mit dem Computer

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5. Bewertung und Einsatz

Zunächst einige kritische Bemerkungen: Da der Algorithmus über kein vollständiges morphologisches und semantisch konnotiertes Wörterbuch verfügt, können fehlerhafte Eingaben nur in beschränkten Maße als solche erkannt werden, was zur Folge hat, daß falsch eingegebene Infinitive bzw. Infinitivphrasen zu falschen Formen führen. Die gegenwärtige Version enthält keine Rechtschreibkontrolle, weil auch dazu ein Wörterbuch nötig wäre. Aus dem gleichen Grund können Akkusativreflexivität und Dativreflexivität nur über den Umweg der Eingabemarkierung differenziert werden.

Eine bestimmte Gruppe von Verben bildet nur den unpersönlichen Teil des Formenumfangs wie zum Beispiel die Verben: regnen: es regnet, es regnete, es regne, geregnet. Zu beobachten ist ferner, daß zahlreiche Verben aus dem technischen Fachwortschatz nur im Infinitiv oder als Partizipien gebräuchlich sind: vakuumbedampfen, vakuumbedampft. Der Anzeigealgorithmus präsentiert jedoch meist den gesamten Formenumfang, ungeachtet der praktischen Verwendbarkeit der Formen.

Zusätzliche Angaben innerhalb der Eingabe oder beim Aufruf des Algorithmus erlauben, den Umfang der zu präsentierenden Formen zu bestimmen, sowie Reflexivität und deren Kasus vorzugeben. Dies setzt im ersten Fall Kenntnisse beim Benutzer voraus. Im 2. Fall können Mechanismen in den Programmen, die den Verbformgenerator benutzen, diese Aufgabe übernehmen, sofern diese Programme ihrerseits über geeignete Mittel verfügen, die Einschränkungen und Besonderheiten zu erkennen, wozu umfangreiche Wörterbücher mit detaillierten Angaben zur Orthographie, Morphosyntax, Valenz und zur semantischen Konnotation erforderlich sind.

Dem Algorithmus könnten durchaus Wörterbücher zur Rechtschreibkontrolle vorgelagert werden, jedoch schränkte dies die Möglichkeiten ein, Neologismen oder ad-hoc-Bildungen sofort mit ihren Flexionsformen präsentieren zu können, ohne daß Nachfragen in Hinblick auf die Korrektheit der Schreibung beantwortet werden müssen.

Von Verben mit homographen Infinitiven und verschiedenen Bedeutungen (schaffen: schuf/schaffte, schleifen: geschliffen/geschleift usw.) werden alle alternativen Formen generiert und gezeigt. Es erfolgt ein Hinweis auf den Bedeutungsunterschied. Bei zusammengesetzten Verben, die solche homographen Basen enthalten, werden nur dann konkurrierende Formen generiert, wenn beim vorliegenden Kompositum beide Formen denkbar sind.

Der Verbformengenerator bildet deutsche Verbformen weitaus seltener fehlerhaft als ein durchschnittlich gebildeter deutscher Muttersprachler, wie die internen Testergebnisse zeigen. Diese Bewertung ist so vorsichtig gewählt, weil es außerordentlich schwierig ist (wenn nicht gar unmöglich), die Aussage "Der Algorithmus macht keine Fehler" zu verifizieren. Die Bemühungen bei der Erarbeitung des vorliegenden Algorithmus waren jedoch durchaus von diesem Anspruch geprägt, dennoch wird die Praxis zeigen, daß sich gelegentlich einzelne, meist wenig gebräuchliche zusammengesetzte Verben finden, die Ergänzungen in den Ausnahmelisten erforderlich machen werden. Bei widersprüchlichen oder unterschiedlich interpretierbaren Aussagen in der Literatur bezüglich der Formenbildung wurde der Dudenausgabe [Drosdowski 1991] der Vorrang gegeben, sofern dieses Werk eine Entscheidung zuließ.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung erweist sich, daß vom Verbformengenerator die Formen der starken Verben generell richtig gebildet werden, was vom durchschnittlichen Muttersprachler nicht behauptet werden kann; es sei auf die Konjunktivformen oder an die Formen dieser Verben im Präteritum verwiesen.

Für Ausländer erweist sich die Nutzung des Programms ENDUNG bzw. DEUTSCH , das diesen Algorithmus enthält, als eine große Hilfe beim Erwerb des Wissens über die Bildung der deutschen Verbformen, zumal im Gegensatz zu Lehr- und Nachschlagewerken nicht nur einzelne typische, sondern alle Formen präsentiert werden. Wie wichtig das ist, erkennt man, wenn man die zahlreichen Anpassungen der Basis oder die möglichen, obligatorischen oder verbotenen Elisionen betrachtet, ganz abgesehen davon, daß das Eintippen eines Infinitivs am Computer wesentlich schneller geht, als ihn in einem Nachschlagewerk aufzufinden.

Die Wortstellung im Deutschen ist für Ausländer in der Regel problematisch. Durch die Möglichkeit der Konjugation ganzer Phrasen wird dem Lernenden ein Werkzeug in die Hand gegeben, das wegen seiner Schnelligkeit und Vollständigkeit jedes gedruckte Lehrbuch oder Nachschlagewerk in den Schatten stellt.

Ständig werden auf den verschiedensten Fachgebieten, im Journalismus oder in der Alltagssprache neue Wörter gebildet, die in den Medien zwar schnell wiederzufinden sind, in für Ausländer gemachten Lehrwerken jedoch erst nach Jahren erscheinen. Der Verbformengenerator hingegen präsentiert die Formen der Neubildungen in der überwiegenden Anzahl der Fälle, ohne daß der Algorithmus oder die Ausnahmelisten geändert werden müßten.

Wie universal der Algorithmus arbeitet, zeigt sich im Umgang mit neuen Wortbildungen, die auf mannigfaltige Weise zustande kommen können. Zu nennen wären für die Bildung von Verben zumindest

Die fettgedruckten Verben - Jargon oder nicht - waren in der angegebenen Form im damals aktuellsten Duden [Drosdowski 1991] nicht enthalten, ein Großteil davon ist auch 2007 in keinem deutschen Wörterbuch zu finden. Dies unterstreicht die Vorzüge einer algorithmischen Lösung, die problemlos zu jedem dieser Verben sämtliche konjugierten Formen liefert, obwohl keines dieser Verben in einer der vom Algorithmus verwendeten Listen enthalten ist.

Die klare Struktur des Algorithmus und die Einfachheit der verwendeten Ausnahmelisten macht es zu jeder Zeit möglich, aktuelle Erkenntnisse einfließen zu lassen, z. B. wenn doch noch ein Verb gefunden wird, das durch die Maschen geschlüpft war.

Der Algorithmus arbeitet außerordentlich schnell - die benötigte Zeit für die Auflistung der Formen auf dem Bildschirm (wenige Millisekunden) ist bei weitem größer als die Zeit zur Analyse und Synthese der Formen. Die hohe Geschwindigkeit wird durch ausgefeilte Teilalgorithmen, insbesondere bei der Erkennung der Ausnahmen, erreicht. Der Algorithmus kommt gänzlich ohne Backtracking aus, was sicher der Hauptgrund für seine hohe Geschwindigkeit ist. Auch die Wahl der Sprache Borland-Pascal 7.0 bzw. Delphi beeinflußte die Geschwindigkeit positiv, zumal die Verwendung von Inline-Assembler-Sequenzen in dieser Sprache auf besonders günstige Weise unterstützt wird.

Neben den außerordentlichen Vorteilen für den Lernenden, ein derart flexibel gestaltetes Nachschlagewerk zur Verfügung zu haben, fiel bei der Erstellung des Algorithmus eine tiefgehende Prüfung der in Grammatiklehrwerken niedergelegten Regeln nebenher mit ab bzw. war notwendige Voraussetzung, den vorliegenden Algorithmus überhaupt erstellen zu können. An zahlreichen Stellen des Programmquelltextes finden sich Bemerkungen, wie außerordentlich schwierig es war, Hinweise oder gar Regeln in der Fachliteratur zu finden. Einige Fragen, insbesondere die potentielle Elision oder Apokopierung (hauptsächlich in Konjunktiv- bzw. Imperativformen), blieben gänzlich offen und konnten bis dato nicht befriedigend belegt werden. Die Anwendung linguistischen Wissens am Computer fördert schonungslos zutage, wo die aufgestellten Regeln tatsächlich Entscheidungen zulassen und wo deren Schärfe zu wünschen übrigläßt, ganz abgesehen davon, daß das Überprüfen der Prämissen semantisch motivierter Regeln bei der Umsetzung mit dem Computer immer noch große Schwierigkeiten bereitet. Bemerkenswert scheint zu guter Letzt, daß mit dem Verbformengenerator der Beweis angetreten worden ist, daß Regeln selbst mit Prämissen wie "wenn es schwer sprechbar ist", durchaus formalisierbar sind, wenn der Betrachter tief genug in den Gegenstand und seine Nachbarwissenschaften (hier die Phonetik) eingedrungen ist und eine computergerechte Darstellungsform dafür gesucht hat.

Für die Computerlinguistik erwies sich einmal mehr, daß eine auf fundiertem linguistischen Wissen basierende morphologische Analyse unerläßlich ist und den Schlüssel zum Erfolg liefern kann und daß andererseits gewisse Unzulänglichkeiten bleiben, solange der Computer nicht "versteht", was inhaltlich gemeint ist. Man denke nur an die Präsentation verschiedener möglicher Flexionsformen zu homographen Infinitiven mit Bedeutungsdifferenzierungen, wo im gegebenen Kontext nur eine der alternativen Formen korrekt ist, der vorgestellte Algorithmus jedoch nicht in der Lage ist, eine gültige Entscheidung zu treffen.

Verwendet wird der vorgestellte Algorithmus in dem mit dem Deutsch-Österreichischen Hochschul-Softwarepreis ausgezeichneten Programm ENDUNG bzw. DEUTSCH, das Aussprache und Grammatik des Deutschen für Ausländer, Übersiedler und Dialektsprecher vermittelt. Er dient sowohl als Nachschlagewerk, indem alle Formen zu einem vom Nutzer vorgegebenen Infinitiv präsentiert werden als auch zur Kontrolle der Nutzerantworten bei Übungen, so daß der Autor der Übungsaufgaben von der zeitraubenden Arbeit des Zusammenstellens der richtigen Lösungen befreit ist.

Inzwischen gibt es den
Verformengenerator für Windows XP, 2000, NT, 98, 95 oder Windows 3.1, den Sie hier bestellen können.

Hier können Sie eine
Demo herunterladen Demo-Version des Verbformengenerators herunterladen.

Literatur

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Horst Rothe Lernsoftware DEUTSCH