Lokale Kirchengeschichte in der Coronazeit. Ein Erfahrungsbericht zur Serie #KircheninLeipzig

Der Beitrag erschien zuerst am 25. Januar 2022 in: Saxorum. Blog für interdisziplinäre Landeskunde in Sachsen, URL: https://saxorum.hypotheses.org/6643.

Von Tilman Pfuch

1 Das Vergessene finden

Es gibt sie zahllos – die Bücher, Broschüren, Schriften aus vergangenen Zeiten, die längst vergessen und verschwunden sind, hoffnungslos veraltet und ohne jede Relevanz. Stolpert man über sie, lässt sich ein amüsiertes Lächeln kaum vermeiden. Mit wie viel Mühe wurde hier etwas zusammengestellt, und doch hat es keine Bedeutung mehr. So war es auch mit der Broschüre „Höret des Herrn Wort. Die Gotteshäuser von Leipzig“.[1] Ein Griff in ein altes Bibliotheksregal, eher zufällig, brachte den schmalen Band im April 2020 zutage. Und mit ihm zugleich die Frage, „kann das nicht weg“? Wissenschaftlichen Wert hat der Band keinen, kaum historische Relevanz, für die Öffentlichkeitsarbeit oder auch nur als nette private Erinnerung eignet er sich auch nicht. Was also damit anfangen? Dazu zunächst ein Blick auf den Inhalt.

2 Zur Broschüre

Das Heft „Höret des Herrn Wort. Die Gotteshäuser von Leipzig“ bietet wenig Informationen zu seinen Entstehungsumständen. Als Herausgeber ist die „Arbeitsgemeinschaft für Kirchengeschichte, Gemeindegruppe Leipzig“ genannt, die als Arbeitsgemeinschaft für sächsische Kirchengeschichte – Regionalgruppe Leipzig (im Folgenden „Arbeitsgemeinschaft“) noch heute existiert. Außerdem findet sich der Hinweis, dass die Publikation von Gerhard Richter zusammengestellt sei. Sollten die Einträge im sächsischen Pfarrerbuch stimmen, so war der 1901 geborene Richter ab 1937 Pfarrer in Radebeul. Wie sein weiterer Lebensweg verlief, ließe sich nur durch zusätzliche Untersuchungen feststellen. Nach Angaben von Zeitzeugen der Leipziger Regionalgruppe der Arbeitsgemeinschaft war Richter später jedenfalls als Pfarrer der Gemeinde in Leipzig-Schönefeld Vorsitzender der Leipziger Regionalgruppe der Arbeitsgemeinschaft und gab dieses Amt 1975 an Pfarrer Dr. Johannes Hermann ab, der bis 1992 Vorsitzender blieb. Ist damit schon ein möglicher terminus ante quem genannt, so lässt sich die Datierung durch den Inhalt der Broschüre noch weiter präzisieren: So wird zur Thomaskirche Leipzig erwähnt, dass sie 1962/63 erneuert worden sei (S. 1). Gleichzeitig weiß der Verfasser noch nichts von der Sprengung der Universitätskirche zu St. Pauli 1968 (S. 11). Innerhalb der fünf Jahre zwischen 1963 und 1968 muss die Publikation also entstanden sein. Wie das konkrete Entstehungsjahr, so ist auch nicht genannt, wer die Bilder zu verantworten hatte. Auf zwölf Seiten werden insgesamt 35 Kirchgebäude vorgestellt, davon 26 mit einer Abbildung. Zudem gibt es eine kurze Einführung zum Leipziger Kirchenbezirk. Die Texte zu den Kirchen bieten unterschiedlich viele Informationen: Die bekannteren Kirchen sind ausführlicher beschrieben, so vor allem die Nikolai- und die Thomaskirche sowie die Paulinerkirche. In anderen Fällen wie beim Text zur Marienkirche wird nur die Erbauungszeit genannt (S. 11). Auf Quellen oder weitere Informationsmöglichkeiten wird nicht verwiesen. Politische Aussagen sind den Bemerkungen zum aktuellen Zustand der jeweiligen Kirchen nicht zu entnehmen. Dennoch enthalten die einzelnen Beiträge Fragmente zur kirchlichen Lage in Leipzig zur Zeit der Publikation oder zu den Auffassungen des Verfassers, wenn etwa die Modernität der Orgel der nur zehn Jahre später gesprengten Markuskirche hervorgehoben wird oder das „den Großstadtmenschen verlorene Gemeinschaftsgefühl“ explizit Erwähnung findet (S. 6, 9).

3 Eine Broschüre von 1965 und social media

Das gefundene Heft nicht einfach wieder ins Regal zurückzustellen, war ein spontaner Entschluss. Erst im Februar 2020 hatte die Leipziger Regionalgruppe der Arbeitsgemeinschaft Accounts auf Facebook (@saechsischekirchengeschichte), Twitter (@AGSKG_Leipzig) und Instagram (saechsischekirchengeschichte) eingerichtet, hauptsächlich mit dem Ziel, eigene Veranstaltungen besser bewerben zu können.[2] Doch schon ab März mussten die Vorträge und Exkursionen aufgrund der Corona-Pandemie entfallen. Was also mit den neuen Werbekanälen anfangen? Hier kam die Broschüre wie gerufen: Sie bot Anlass, (evangelische) Kirchen zu thematisieren, betraf also das inhaltliche Kerngeschäft der Arbeitsgemeinschaft. Außerdem war sie mit ihrem Alter von knapp 60 Jahren selbst schon ein Zeugnis Leipziger Kirchengeschichte. Zugleich war sie knapp gehalten, gerade das richtige Format also für Kontexte, in denen lange Abhandlungen nicht zielführend sind. Die 26 Abbildungen ermöglichten nicht nur eine geeignete Illustration, sondern wiesen durch ihre gleichförmige Gestaltung auch auf die Gemeinsamkeit aller Einzelbeiträge hin. Damit war ein Projekt mit wenig erforderlicher Vorbereitungs- und Durchführungszeit entstanden, genau das richtige also für die ehrenamtlich durchgeführte Arbeit der Arbeitsgemeinschaft. Aus demselben Grund verzichtete die Serie auf weitere Werbung oder flankierende, längere Beiträge.

Die Serie unter dem Hashtag #KircheninLeipzig begann am 16. April 2020. Etwa einmal am Tag veröffentlichten die Accounts einen Beitrag. Text und (wenn vorhanden) Bild der Broschüre wurden als Bild publiziert. Als Anmerkung wurde jeweils kurz (meist in Tweetlänge) auf das weitere Schicksal der jeweiligen Kirche oder bemerkenswerte Ereignisse und auf weitere Literatur zu den Gotteshäusern verwiesen. Mit Beiträgen am 28. Mai 2020 fand die Serie ihren Abschluss.

Die Resonanz viel je nach Medium leicht unterschiedlich aus. Auf Twitter erhielten die Beiträge durchschnittlich drei Likes, wobei die einzelnen Tweets unterschiedlich stark aufgegriffen wurden. So bekam der Eintrag zur Thomaskirche zwei Antworten, fünf Retweets und neun Likes. Dagegen folgten auf den Tweet zur Bethanienkirche (als einzigen) überhaupt keine Reaktionen. Doch neben den direkten Rückmeldungen zu den einzelnen Beiträgen gelang es durch die Serie besonders auf Twitter, die Anzahl der Follower nachhaltig zu erhöhen und den Account so bekannter zu machen.[3] Auf Instagram hingegen erhielten die einzelnen Beiträge weniger Reaktionen (maximal fünf Likes, im Durchschnitt zwei, mehrere Male keine Reaktion), dafür aber wurde der Hashtag #KircheninLeipzig durch andere Accounts aufgegriffen. Die Reaktionen auf Facebook wiederum hielten sich mit denen auf den beiden anderen Kanälen in etwa die Waage: Auch hier gab es einige Einträge ganz ohne Reaktion, aber auch einmal acht und einmal fünf Likes. Neue Follower der Seite konnten kaum gewonnen werden, dafür wurde der Hashtag auch einmal von einer anderen Seite aufgegriffen.

4 Überlegungen zur ehrenamtlichen Arbeit

War die Serie #KircheninLeipzig ein Erfolg? Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Sicher, im Vergleich zu anderen Social-Media-Phänomenen blieben die Reaktionen äußerst verhalten.[4] Allerdings ist zu beachten, dass die Serie mit möglichst geringem Aufwand thematisch und geographisch konzentriert realisiert wurde: Angesprochen wurden letztlich nur Interessierte an der Geschichte Leipziger Kirchen. Gerade weil die Accounts im Vorfeld nur wenige Follower gesammelt hatten, blieb die Reichweite insgesamt gering, sodass Interessierte zudem über die einzelnen Beiträge stolpern mussten. Der Erfolg ist daher eher im langfristigen Effekt zu suchen: Mit der Serie zeigten die Accounts gerade in der Zeit Präsenz, in der keine Veranstaltungen durchgeführt werden konnten, sie ihrem eigentlichen Zweck also nicht entsprechen konnten. Damit ist eine solche Serie auch für andere Accounts eher kleiner Vereine oder Initiativen zu empfehlen: Die starke Fokussierung des Inhalts der Einzelbeiträge wie auch die begrenzte Dauer führen dazu, dass nur überschaubare Ressourcen eingesetzt werden müssen, die ja gerade in der ehrenamtlichen Arbeit oft nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Möglicherweise eignet sich ein solches Format besonders auch dazu, neue engagierte Mitglieder zu gewinnen, die keinen Zugang zu den üblichen Aufgabenfeldern des Vereins oder der Initiative mitbringen. Denn durch die Begrenzungen können die Freiwilligen wie in einer Art „Probeengagement“ testen, ob eine Mitarbeit für sie in Frage kommt. Auch dies könnte als Erfolg für ein solches Projekt gewertet werden. Der Blick auf die Serie #KircheninLeipzig macht jedenfalls nur einen ganz kleinen Teil der vielen Möglichkeiten deutlich, die die Präsenz auf Social Media für historisch-kulturelle Vereine bietet.

 

Autor

Tilman Pfuch, Dipl. Theol., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftung LEUCOREA Wittenberg. Sein Promotionsvorhaben zu den Gutachten der Theologischen Fakultäten Leipzig und Wittenberg zwischen 1560 und 1625 ist am Lehrstuhl für Spätmittelalter und Reformation der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig angesiedelt. Er engagiert sich ehrenamtlich in der Regionalgruppe Leipzig der Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte.

[1] Arbeitsgemeinschaft für Kirchengeschichte, Gemeindegruppe Leipzig (Hg.): Höret des Herrn Wort. Die Gotteshäuser von Leipzig. Zusammengestellt von Gerhard Richter, [ohne Ort; ohne Datum].

[2] Der erste Tweet auf Twitter stammt vom 5. Februar 2020.

[3] Am 9. Juni 2020 hatte der Account 53 Follower. Unter den aufgeführten Accounts gehörte er damit zu denjenigen mit der geringsten Followerzahl. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Tweets – bis auf die Serie #KircheninLeipzig – auf Hinweise zu (durch die Pandemie mehrheitlich ausgefallenen) Veranstaltungen konzentrieren. Vgl. Judith Matzke/Martin Munke: Landes(zeit)geschichte und Soziale Medien. In: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 70 (2020), S. 256-284, hier: 282. URN: urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-733917. Ich danke Frau Matzke für Zugänglichmachung des Beitrags.

[4] Bekannt sind Phänomene wie der Hashtag #schlössersafari des Museums Burg Posterstein, das sich zu einem Instagram-Phänomen mit (Stand 21.01.2022) über 11.000 Beiträgen entwickelt hat oder das Meme „absolut unit“, das auf einige Beiträge des Museum of English Rural Life (MERL) zurückgeht.

 

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