Reliquien der Heiligen Corona in Wittenberg

Da der Vortrag „Der Himmel auf Erden. Neues zum Wittenberger Reliquienschatz Friedrichs des Weisen“ von Johanna Liedke am 11. März leider ausfallen muss, entstand der vorliegende Text als Auszug des Themas für den Blog der Arbeitsgemeinschaft für Sächsische Kirchengeschichte. Der Vortrag wird voraussichtlich im kommenden Jahr nachgeholt.

Es gibt Namen, die sich zu bestimmten Zeiten mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen und Assoziationen verbinden lassen. Diese Beobachtung lässt sich aktuell an einer wenig bekannten Heiligen mit dem Namen Corona machen.

Unter dem lateinischen Namen Corona und dem griechischen Namen Stephana verbirgt sich eine eigentlich anonyme frühchristliche Märtyrerin. Beide Begriffe meinen die jenseitige Krone bzw. den Siegeskranz der Märtyrer. Insofern handelt es sich bei Corona nicht um einen Namen im eigentlichen Sinne, sondern um einen Märtyrertitel. Dass sich mit der „Krone“ später eine völlig andere Assoziation verbinden konnte, zeigt sich an den primären Patronaten der Heiligen. Weil die „Krone“ ihres Namens mit Geld in Verbindung gebracht werden kann, wurde die Heilige Corona in finanziellen und die Lotterie betreffenden Fragen angerufen. Schatzgräber versuchten folgerichtig im 17. und 18. Jahrhundert, mithilfe von Corona-Gebeten verborgenen Schätzen näherzukommen. Zu Beginn des Jahres 2020 entstand wieder neues Interesse an der Heiligen im Zusammenhang mit der Pandemie des Coronavirus SARS-CoV-2. Plötzlich legte der Name der Heiligen einen Zusammenhang mit dem Virus nahe, das seinen Namen der „Krone“ aus Spike-Proteinen auf seiner Oberfläche verdankt. Zahlreiche Kirchen entdeckten in der Folge ihre Skulpturen oder Reliquien der Heiligen Corona wieder. Bei den einen wurde echtes Interesse, bei den anderen eher Belustigung ausgelöst – und die Heilige Corona wurde in manchen Pressebeiträgen kurzerhand zur (offensichtlich nicht allzu tüchtigen) Patronin gegen die Seuchen erklärt.

Das Wittenberger Heiltum, die Reliquiensammlung Friedrichs des Weisen, immerhin zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine der größten Sammlungen ihrer Art nördlich der Alpen, kann bei dieser Corona-Renaissance nicht zurückstehen. Hier befand sich nämlich der rechte Daumen der Heiligen. Der Weg dieser Reliquie nach Wittenberg lässt sich historisch nachverfolgen: Friedrich der Weise erhielt die Reliquie im Jahr 1502 als Geschenk von seiner Tante Hedwig, der Äbtissin des Quedlinburger Reichsstifts. Dort waren Corona-Reliquien bereits seit Jahrhunderten vertreten gewesen. Kaiser Otto I. hatte sie 964 dem Stift, das erst wenige Jahrzehnte zuvor als Grablege und Memorialort seines Vaters Heinrichs I. gegründet worden war, geschenkt. Der Quedlinburger Domschatz besitzt noch heute einen Corona-Schrein, der allerdings erst aus dem 15. Jahrhundert stammt.

Abbildung: Reliquiar, das die Corona-Reliquie enthielt (rechts); aus dem Wittenberger Heiltumsbuch (Ausgabe B, 1509/10) mit Holzschnitten aus der Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren unter Zusammenarbeit mit dem Formschneider Symphorian Reinhardt. VD16 Z 250 (http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb00001265-8)

Hedwig von Sachsen, Tochter Kurfürst Friedrichs II., war 1458 im Alter von erst zwölf Jahren zur Äbtissin gewählt worden. Das einst so mächtige und bedeutende Reichsstift Quedlinburg befand sich zu dieser Zeit in einer Phase der Schwäche. Die Stadt Quedlinburg strebte zunehmend erfolgreich nach Unabhängigkeit von der Äbtissin, ihrer Stadtherrin. Die Wahl Hedwigs brachte die Familie der Wettiner ins Spiel, zunächst in Form einer Vormundschaftsregierung durch ihren Vater und nach dessen Tod durch ihre Brüder Ernst und Albrecht. Auch nach dem Ende der Vormundschaft halfen diese ihrer Schwester Hedwig, die Stadt Quedlinburg mit militärischen Mitteln zu unterwerfen. Die Herzöge wiederum gewannen dadurch Zugriff auf ihr Gebiet. Eher zögerlich verlieh Hedwig ihnen 1479 die Vogtei über das Reichsstift, die mit Gerichtsrechten und Einkünften verbunden war. Nach der Leipziger Teilung gingen diese Rechte 1485 an die albertinische Linie. Zu Spannungen kam es nach 1500, als der Albertiner Herzog Georg den Zugriff auf Quedlinburg zu intensivieren versuchte – natürlich gegen den Willen der Äbtissin Hedwig.

Zurück nach Wittenberg: Hedwigs Geschenk der Corona-Reliquie an Friedrich den Weisen fällt genau in die Zeit, als die Äbtissin sich mit wettinischen Zugriffen auf ihren Machtbereich sowohl durch Herzog Georg als auch durch den Magdeburger Erzbischof Ernst, einen Bruder Friedrichs des Weisen, konfrontiert sah. Dass sie Friedrich ein ihm sehr willkommenes Reliquiengeschenk machte und so beim Aufbau seiner Sammlung half, geschah deshalb wohl nicht uneigennützig. Hedwig versuchte anscheinend, die Verbindung zu ihrem ernestinischen Neffen Friedrich zu stärken, um ein Gegengewicht zu den Ansprüchen der anderen Wettiner zu erlangen und den Kurfürsten im Bedarfsfall auf ihrer Seite zu wissen.

Die Heilige Corona wurde dank ihres Namens im Laufe der Jahrhunderte in sehr unterschiedlicher Weise rezipiert. Zunächst dem Namen nach schlicht eine Märtyrerin, lagerten sich unterschiedliche Assoziationen an den Namen an – und unterschiedliche Vorstellungen von „Corona-Hilfen“: Ein Blick auf die Heilige und ihre Reliquien zeigt zum einen den Wunsch nach Hilfe der Heiligen in finanziellen Nöten oder auf der Suche nach Schätzen. Zum anderen zeigt ein Blick nach Wittenberg die Corona-Reliquie als Beispiel für eine im Mittelalter sehr gebräuchliche Art von „Geschenk-Politik“. In diesem Fall war die Gabe wohl unabhängig von der konkreten Heiligen; eher dürfte die Reliquie durch ihre einstmals königliche Schenkung besonderen Wert gehabt haben. Äbtissin Hedwig von Sachsen erwartete im Gegenzug für das Geschenk von Friedrich dem Weisen Hilfe gegen politische Ansprüche und Einmischungsversuche anderer Wettiner. Eine „Corona-Hilfe“ über den Umweg der weltlichen Politik also. Wer heute die Heilige um ihre Hilfe anrufen möchte, wird in Wittenberg freilich nicht mehr fündig – das Heiltum wurde kurz nach dem Tod Friedrichs des Weisen aufgelöst.

Johanna Liedke, Doktorandin am Institut für Kirchengeschichte Leipzig

 

 

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