§ 13. Die Affekte.

    l. Das Gefühl ist, dem allgemeinen Charakter des psychischen Geschehens entsprechend, niemals ein dauernder Zustand. Bei der psychologischen Analyse eines zusammengesetzten Gefühls müssen wir uns daher stets eine momentane Gemütslage fixiert denken. Da dies um so leichter gelingt, je allmählicher und stetiger die psychischen Prozesse verlaufen, so hat sich deshalb auch der Ausdruck Gefühle hauptsächlich für relativ langsamer ablaufende Vorgänge sowie für solche eingebürgert, die, wie z. B. die rhythmischen Gefühle, in ihrem regelmäßigen zeitlichen Verlauf nie ein gewisses mittleres Maß der Intensität überschreiten. Wo sich dagegen eine zeitliche Folge von Gefühlen zu einem zusammenhängenden Verlaufe verbindet, der sich gegenüber den vorausgegangenen und den nachfolgenden Vorgängen als ein eigenartiges Ganzes aussondert, das im allgemeinen zugleich intensivere Wirkungen auf das Subjekt ausübt als ein einzelnes Gefühl, da nennen wir einen solchen Verlauf einen Affekt.

    Dieser Ausdruck weist schon darauf hin, daß es nicht sowohl spezifische subjektive Erfahrungsinhalte sind, die den Affekt von dem Gefühl scheiden, als vielmehr die Wirkungen, die er infolge der eigentümlichen Verbindung bestimmter Gefühlsinhalte ausübt. Deshalb ist aber auch zwischen Gefühl und Affekt durchaus keine scharfe Grenze zu ziehen. Jedes intensivere Gefühl geht in einen Affekt über. Seine Loslösung aus diesem beruht stets auf einer willkürlichen Isolierung; und bei denjenigen Gefühlen, die von vornherein an einen bestimmten zeitlichen Verlauf gebunden sind, bei den rhythmischen, ist diese Isolierung überhaupt unmöglich. Das rhythmische Gefühl unterscheidet sich daher nur noch durch die geringere Intensität jener Gesamtwirkung auf das Subjekt, welcher der "Affekt" seinen Namen verdankt. Doch ist auch dieser Unterschied ein fließender, und sind die durch rhythmische Eindrücke erzeugten Gefühle irgend lebhafter, wie das namentlich dann stattzufinden pflegt, wenn sich der Rhythmus noch mit einem das Gefühl stark erregenden Empfindungsinhalt verbindet, so werden die rhythmischen Gefühle vollständig zu Affekten. Darum bildet der Rhythmus in der Musik wie in der Poesie ein wichtiges Hilfsmittel, um Affekte zu schildern, und um solche in dem Hörer hervorzurufen.

    2. Die Sprache hat die verschiedenen Affekte mit Namen belegt, die, gerade so wie die Bezeichnungen der Gefühle, nicht individuelle Vorgänge, sondern Gattungsbegriffe bedeuten, unter deren jedem sich eine Fülle einzelner Gemütsbewegungen nach gewissen gemeinsamen Merkmalen zusammenfassen läßt. Affekte wie Freude, Hoffnung, Sorge, Kummer, Zorn usw. sind nicht bloß in jedem einzelnen Fall von eigentümlichen Vorstellungsinhalten begleitet, sondern auch ihre Gefühlsinhalte und selbst ihre Verlaufsweisen können mannigfach wechseln. Je zusammengesetzter ein psychischer Vorgang ist, um so eigenartiger gestaltet er sich im einzelnen: ein individueller Affekt wird sich daher noch weniger als ein individuelles Gefühl jemals in identischer Form wiederholen. Jene allgemeinen Affektbezeichnungen haben also höchstens die Bedeutung, daß sie gewisse typische Verlaufsformen von verwandtem Gefühlsinhalt zusammenfassen.

    3. Nicht jeder irgendwie zusammenhängende Verlauf von Gefühlen wird aber Affekt genannt und kann als solcher einer der durch die Sprache fixierten typischen Formen subsumiert werden. Auch der Affekt besitzt vielmehr den Charakter eines einheitlichen Ganzen, das sich von dem zusammengesetzten Gefühl nur durch die zwei Merkmale unterscheidet, daß es einen bestimmten zeitlichen Verlauf zeigt, und daß es eine intensivere Wirkung und Nachwirkung auf den Zusammenhang der psychischen Vorgänge ausübt. Das erste dieser Merkmale beruht eben darauf, daß der Affekt dem einzelnen Gefühl gegenüber ein Prozeß höherer Stufe ist, der eine Aufeinanderfolge mehrerer Gefühle in sich schließt; das zweite beruht auf der Steigerung der Wirkung, die eine Summation von Gefühlen mit sich führt.

    Infolge der angegebenen Merkmale besitzt der Affekt bei aller Verschiedenheit seiner Formen eine gewisse Regelmäßigkeit des Verlaufs. Er beginnt nämlich stets mit einem mehr oder minder intensiven Anfangsgefühl, das durch seine Qualität und Richtung sofort für die Beschaffenheit des Affekts kennzeichnend ist, und das entweder in einer durch einen äußeren Eindruck hervorgerufenen Vorstellung (äußere Affekterregung), oder in einem durch Assoziations- und Apperzeptionsbedingungen entstehenden psychischen Vorgang (innere Affekterregung) seine Quelle hat. Darauf folgt dann ein von entsprechenden Gefühlen begleiteter Vorstellungsverlauf, der wieder sowohl nach der Qualität der Gefühle wie nach der Geschwindigkeit des Vorgangs bei den einzelnen Affekten charakteristische Unterschiede zeigt. Endlich schließt der Affekt mit einem Endgefühl, welches nach dem Übergang jenes Verlaufs in eine ruhigere Gemütslage zurückbleibt, und in welchem der Affekt abklingt, falls er nicht sofort in das Anfangsgefühl eines neuen Affektanfalls übergeht. Letzteres findet sich namentlich bei Affekten von intermittierendem Verlaufstypus. (Vgl. unten 12.)

    4. Die Steigerung der Wirkungen, die im Verlauf des Affekts zu beobachten ist, bezieht sich nun nicht bloß auf den psychischen Inhalt der ihn zusammensetzenden Gefühle, sondern auch auf deren physische Begleiterscheinungen. Bei den einzelnen Gefühlen beschränken sich diese auf geringe Veränderungen der Herz- und der Atmungsinnervation, die nur mit Hilfe exakter graphischer Methoden nachweisbar sind, und zu denen zuweilen noch mimische Bewegungen von mäßiger Ausbreitung und Stärke hinzutreten (§ 7, 10 f.). Dies ist bei den Affekten wesentlich anders. Hier steigern sich nicht nur durch die Summation und den Wechsel der aufeinander folgenden Gefühlsreize die Wirkungen auf das Herz, die Blutgefäße und die Atmung, sondern es werden auch stets in deutlich erkennbarer Weise die äußeren Bewegungsorgane in Mitleidenschaft gezogen, indem zunächst stärkere Bewegungen der mimischen Muskeln, dann solche der Arme und des Gesamtkörpers (pantomimische Bewegungen) eintreten, zu denen sich bei stärkeren Affekten noch ausgebreitete Innervationsstörungen, wie Muskelzittern, krampfhafte Erschütterungen des Zwerchfells und der Antlitzmuskeln, lähmungsartiger Nachlaß des Muskeltonus, hinzugesellen.

    Wegen ihrer symptomatischen Bedeutung für die Affekte bezeichnet man alle diese Bewegungen als Ausdrucksbewegungen. In der Regel treten sie vollkommen unwillkürlich auf, entweder reflexartig den Affekterregungen folgend oder in der Form impulsiver, aus den Gefühlsbestandteilen des Affekts entspringender Triebhandlungen. Sie können dann aber auch durch willkürliche Verstärkung oder Hemmung der Bewegungen oder selbst durch absichtliche Erzeugung solcher in der mannigfaltigsten Weise abgeändert werden, so daß bei den Ausdrucksbewegungen die ganze Skala äußerer Bewegungsreaktionen, die uns bei den Willenshandlungen beschäftigen wird, in Aktion treten kann (§ 14).

    6. Nach ihrem symptomatischen Charakter lassen sich die Ausdrucksbewegungen in drei Klassen sondern: l) Rein intensive Symptome: sie sind durchweg Ausdrucksformen stärkerer Affekte und bestehen bei mäßigeren Graden in gesteigerten Bewegungen, bei sehr heftigen Affekten in plötzlicher Hemmung oder Lähmung der Bewegung. 2) Qualitative Gefühlsäußerungen: sie bestehen in mimischen Bewegungen, unter denen Reaktionen der Mundmuskeln, die den auf süße, saure und bittere Geschmackseindrücke folgenden Reflexen gleichen, die vorwiegende Rolle spielen. Dabei entspricht der süße Gesichtsausdruck Lustaffekten, der saure und bittere Unlustaffekten, während die sonstigen Modifikationen des Gefühls, wie die Erregung und Depression, die Spannung und ihre Lösung, durch die Spannungen der Mundmuskeln ausgedrückt werden. 3) Vorstellungsäußerungen: sie bestehen im allgemeinen in pantomimischen Bewegungen, bei denen entweder auf die Gegenstände des Affekts hingewiesen wird (hinweisende Gebärden), oder bei denen die Gegenstände sowie die mit ihnen zusammenhängenden Vorgänge durch die Form der Bewegung angedeutet werden (darstellende Gebärden). Hiernach entsprechen diese drei Ausdrucksformen genau den psychischen Elementen des Affekts: die erste der Intensität, die zweite der Gefühlsqualität, die dritte dem Vorstellungsinhalt. Demgemäß kann auch eine konkrete Ausdrucksbewegung alle drei Ausdrucksformen in sich vereinigen. Unter ihnen ist die dritte Form, die der Vorstellungsäußerungen, wegen ihrer genetischen Beziehungen zur Sprache von besonderer psychologischer Bedeutung. (Vgl. § 21, 3.)

    6. Die Begleiterscheinungen der Affekte im Gebiet der Puls- und Atmungsbewegungen können von dreierlei Art sein. Sie können bestehen: l) in der unmittelbaren Wirkung der Gefühle, aus denen sich die Affekte zusammensetzen, also z. B. in einer Verlängerung der Puls- und Verkürzung der Atmungswellen bei Lustgefühlen, in den entgegengesetzten Veränderungen bei Unlustgefühlen, usw. (vgl. § 7, 10 f.); doch trifft dies nur bei relativ ruhigen Affekten zu, bei denen die einzelnen Gefühle zureichend Zeit haben, sich zu entwickeln. Ist dies nicht der Fall, so treten Erscheinungen auf, die nicht bloß von der Gefühlsqualität, sondern zugleich und meist vorzugsweise von der Intensität der aus ihrer Summation sich ergebenden Innervationswirkungen abhängen. Solche Summationswirkungen können dann bestehen: 2) in verstärkter Innervation, welche bei nicht allzu rascher Folge der Gefühle wegen einer in diesem Fall durch die Summation bewirkten Steigerung der Erregung eintritt; sie äußert sich, weil beim Herzen die gesteigerte Erregung vorwiegend die Hemmungsnerven trifft, in verlangsamten und verstärkten Pulsschlägen, zu denen sich meist eine zunehmende Innervation der mimischen und der pantomimischen Muskeln gesellt: sthenische Affekte. Ist der Verlauf der Gefühle entweder ein sehr stürmischer, oder dauert er eine ungewöhnlich lange Zeit in gleicher Richtung, so ist aber die Wirkung des Affekts: 3) eine mehr oder minder ausgebreitete Lähmung der Herzinnervation und des Tonus der äußeren Muskeln, unter Umständen verbunden mit speziellen Innervationsstörungen einzelner Muskelgruppen, besonders des Zwerchfells und der synergisch mit ihm tätigen Antlitzmuskeln. Hier ist dann das nächste von der Lähmung der regulatorischen Herznerven herrührende Symptom starke Pulsbeschleunigung mit entsprechender Atmungsbeschleunigung, während zugleich die Puls- wie die Atmungsbewegungen schwächer werden, und der Tonus der äußeren Muskeln bis zu lähmungsartiger Erschlaffung abnimmt: asthenische Affekte. Ein letzter Unterschied, der aber nicht wohl zur Aufstellung einer selbständigen Gattung physischer Affektwirkungen Anlaß geben kann, da es sich bei ihm nur um Modifikationen der die sthenischen und asthenischen Affekte charakterisierenden Erscheinungen handelt, beruht endlich: 4) auf der größeren oder geringeren Schnelligkeit, mit der die Zunahme oder die Hemmung der Innervation auftritt: schnelle und langsame Affekte.

    7. Sowohl bei der natürlichen Entstehung wie bei der künstlichen Erzeugung der Affekte besitzen nun die physischen Begleiterscheinungen, abgesehen von ihrer symptomatischen Bedeutung, die wichtige psychologische Eigenschaft der Affektverstärkung. Sie beruht darauf, daß die erregende oder hemmende Innervation bestimmter Muskelgebiete von inneren Tastempfindungen begleitet wird, an die sinnliche Gefühle geknüpft sind. Indem diese sich mit dem sonstigen Gefühlsinhalt der Affekte verbinden, steigern sie die letzteren in ihrer Intensität. Von der Herzbewegung und Atmung sowie von der Gefäßinnervation gehen solche Gefühle nur bei starken Affekten aus, wo sie dann freilich um so intensiver werden können; dagegen sind schon bei mäßigen Affekten die Zustände der vermehrten oder verminderten Spannung der mimischen und pantomimischen Muskeln auf den Gefühlszustand und dadurch auch auf den Affekt von Einfluß.

    7a. Die ältere Psychologie pflegte, gemäß ihrer allgemeinen Neigung zur intellektualistischen Deutung psychischer Vorgänge, zumeist logische Reflexionen über die Affekte für eine Theorie oder gar für eine Schilderung der Affekte selbst anzusehen. Das vorzüglichste Beispiel dieser Art ist Spinozas Affektenlehre. Dabei wurden dann außerdem meist die psychologischen Darstellungen von ethischen Gesichtspunkten beeinflußt. Hierauf gründet sich insbesondere auch die Unterscheidung von Affekt und Leidenschaft, wobei man unter dieser die durch dauernde Gefühle und Affekte entstehende Herrschaft bestimmter Triebe über den Willen verstand. Kant veränderte diese Begriffsbestimmungen dahin, daß er das Eigentümliche des Affekts in das plötzliche Entstehen, das der Leidenschaft in die zur Gewohnheit gewordene Richtung des Gefühls verlegte. Alle diese Unterscheidungen sind jedoch teils von bloß praktischer Bedeutung und gehören daher ausschließlich in die Gebiete der Charakterologie und der Ethik, teils beziehen sie sich auf Eigenschaften, die den unten zu erörternden Intensitäts- und Verlaufsmerkmalen der Affekte zufallen (12). Psychologisch betrachtet bilden deshalb die Leidenschaften überhaupt kein von den Affekten irgendwie zu sonderndes Gebiet. Gegenüber dieser vorwiegend auf praktisch-psychologischen Motiven beruhenden Betrachtungsweise haben dann in der neueren Zeit namentlich die Ausdrucksbewegungen sowie die sonstigen physiologischen Begleiterscheinungen in Puls, Atmung, Gefäßinnervation die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, und man hat begonnen, in ihnen, ähnlich wie in den Innervationssymptomen der Gefühle, wertvolle Hilfsmittel für das Studium der Affekte zu erkennen. Doch können diese äußeren Hilfsmittel niemals die unmittelbare Beobachtung der psychischen Vorgänge selbst ersetzen; sie können höchstens die Aufmerksamkeit auf Eigenschaften und Beziehungen der Vorgänge lenken, die sonst vielleicht derselben entgehen würden. Solche durch die objektive Beobachtung nahegelegte Eigenschaften sind besonders die obenerwähnten Verstärkungen der Affekte durch die an die Ansdrucksbewegungen gebundenen sinnlichen Gefühle. Wenn freilich C. Lange und W. James in dieser begleitenden Erscheinung die ausschließliche Ursache der Affekte selbst erblicken wollten, indem sie diese für psychische Vorgänge erklärten, die regelmäßig erst durch die Ausdrucksbewegungen ausgelöst würden, so ist diese paradoxe Annahme aus drei Gründen unhaltbar. Erstens treten die entscheidenden äußeren Symptome der Affekte erst in einem Moment hervor, wo die psychische Natur des Affekts schon deutlich differenziert ist: dieser selbst geht also denjenigen Innervationswirkungen voran, die hier als seine Ursachen in Anspruch genommen werden. Zweitens ist es absolut unmöglich, die Mannigfaltigkeit der psychischen Affektzustände dem verhältnismäßig einfachen Schema der Innervationsänderungen einzuordnen: die psychischen Vorgänge selbst sind um vieles reicher als ihre spezifisch verschiedenen Ausdrucksformen. Endlich stehen drittens die physischen Begleiterscheinungen der Affekte in durchaus keiner konstanten Beziehung zu der psychologischen Qualität derselben. Dies gilt namentlich von den Puls- und Atmungswirkungen, aber auch z. B. von den pantomimischen Ausdrucksbewegungen. Affekte, die einen sehr verschiedenen, ja entgegengesetzten Gefühlsinhalt haben, können unter Umständen in bezug auf diese physischen Erscheinungen zu der nämlichen Klasse gehören. So können z. B. Freude und Zorn gleicherweise sthenische Affekte sein. Eine von Überraschung begleitete Freude kann aber auch das physische Bild eines asthenischen Affekts darbieten.

    7b. In den allgemeinen Innervationswirkungen, die zu jener Unterscheidung der sthenischen, asthenischen, der raschen und langsamen Affekte Anlaß gaben, spiegeln sich demnach überhaupt nicht die Gefühlsinhalte derselben, sondern nur die formalen Eigenschaften der Stärke und der Geschwindigkeit des Verlaufs der Gefühle. Dies erhellt deutlich auch daraus, daß man analoge Unterschiede der unwillkürlichen Innervation, wie sie die verschiedenen Affekte begleiten, durch eine bloße Folge indifferenter Eindrücke, z. B. durch die Taktschläge eines Metronoms, hervorrufen kann. Namentlich beobachtet man hierbei, daß die Atmung die Tendenz hat, sich der größeren oder geringeren Geschwindigkeit der Metronomschläge anzupassen; mit der Zunahme dieser Geschwindigkeit werden die Atmungen frequenter, und meist fallen bestimmte Atmungsphasen mit bestimmten Taktschlägen zusammen. Zugleich zeigt sich, daß das Anhören eines solchen indifferenten Rhythmus nicht völlig affektlos ist: man hat bei wachsender Geschwindigkeit der Taktschläge zuerst den Eindruck eines ruhigen, dann eines sthenischen, und endlich bei der schnellsten Folge den eines asthenischen Affekts. Doch haben die Affekte in diesem Versuch gewissermaßen einen bloß formalen Charakter: sie zeigen inhaltlich eine große Unbestimmtheit, die erst dann schwindet, wenn man sich in einen konkreten Affekt von den gleichen formalen Eigenschaften hineindenkt. Dies tritt aber sehr leicht ein, und hierauf beruht die große Fähigkeit rhythmischer Eindrücke zur Schilderung wie zur Erregung von Affekten. Es bedarf dann nur noch einer Hinweisung auf den qualitativen Gefühlsinhalt, wie sie der Musik durch den Klanginhalt der musikalischen Gebilde möglich ist, um einen Affekt in allen seinen Bestandteilen frei zu erzeugen.

    7c. Sind somit die Innervationswirkungen der Affekte symptomatische Hilfsmittel von vieldeutigem Charakter, die für sich allein keinen psychologischen Wert besitzen, so können sie gleichwohl, verbunden mit der auf experimentellem Wege geregelten Selbstbeobachtung, einen solchen gewinnen, namentlich indem sie bei der Ausführung experimenteller Selbstbeobachtungen als Hilfsmittel der Kontrolle dienen. Denn für die Affekte gilt ganz besonders, daß die Beobachtung der im natürlichen Verlauf des Lebens sich von selbst einstellenden psychischen Vorgänge unzulänglich bleibt. Erstens bietet der Zufall dem Psychologen die Affekte nicht gerade in dem Augenblick, wo er sie wissenschaftlich analysieren möchte; und zweitens befinden wir uns namentlich bei stärkeren Affekten, denen reale Ursachen zugrunde liegen, am allerwenigsten in der Lage, uns selbst exakt zu beobachten. Viel besser gelingt dies, wenn man sich willkürlich in eine bestimmte Affektstimmung versetzt. Da man nun aber hierbei nicht zu ermessen vermag, inwieweit der auf diese Weise subjektiv erzeugte Affekt mit einem aus objektiven Ursachen entstandenen gleicher Art in Intensität und Verlaufsweise übereinstimmt, so bildet die gleichzeitige Untersuchung der physischen Wirkungen, namentlich der dem Willenseinfluß am meisten entzogenen des Pulses und der Atmung, eine erwünschte Kontrolle. Denn bei gleicher physiologischer Qualität der Affekte dürfen wir aus den übereinstimmenden physischen Wirkungen auch auf eine Übereinstimmung ihrer formalen Eigenschaften schließen, und die Intensität der Ausdruckssymptome gibt sogar ein gewisses Maß ab für die größere oder geringere Annäherung des künstlich erzeugten an den natürlichen Affekt.

    Literatur. Kant, Anthropologie, 3. Buch. Darwin, Ausdruck der Gemütsbewegungen, 1872. Piderit, Mimik und Physiognomik, 2. Aufl., 1866. Lehmann, Die körperlichen Äußerungen psychischer Zustände, I, 1899. W. Gent, Phil. Stud., Bd. 18. Meumann und Zoneff, ebenda. Alechsieff, Psychol. Stud., Bd. 3. Salow, ebenda, Bd. 4. Rehwoldt, ebenda, Bd. 7 (mit Atlas). Ernst Weber, Der Einfluß psychischer Zustände auf den Körper, 1908. Wundt, Völkerpsychologie, I3, Kap. l. C. Lange, Über Gemütsbewegungen, 1887. W. James, Psychology, II, Chap. 25. Stumpf, Zeitschr. f. Psychol., Bd. 2. Wundt, Zur Lehre von den Gemütsbewegungen, Kleine Schriften, Bd. 2. (Zugleich Kritik der Theorien.) Physiol. Psych.6, III, Kap. 16, 2. M. u. T. Vorl. 25 u. 26.

    8. Bei der großen Zahl von Faktoren, die für die Untersuchung der Affekte in Betracht kommen, ist eine psychologische Analyse der einzelnen Formen derselben um so weniger möglich, als jeder der zahlreichen unterscheidenden Namen immerhin auch hier nur eine Klasse bezeichnet in der eine Fülle besonderer Formen und innerhalb dieser wieder unzählige individuelle Fälle von unübersehbarer Mannigfaltigkeit vorkommen. Es kann sich darum nur um eine Übersicht der hauptsächlichsten Grundformen der Affekte handeln. Die Gesichtspunkte, von denen hier auszugeben ist, müssen aber psychologische sein, d.h. solche, die den unmittelbaren Eigenschaften der Affekte selber entnommen sind, da die physischen Begleiterscheinungen überall nur einen symptomatischen Wert und dabei zugleich, wie oben bemerkt, oft einen vieldeutigen Charakter besitzen.

    Solcher psychologischer Gesichtspunkte können nun im allgemeinen drei der Unterscheidung der Affekte zugrunde gelegt werden: l) die Qualität der in die Affekte eingehenden Gefühle, 2) die Intensität dieser Gefühle, und 3) die Verlaufsform, die durch die Art und die Geschwindigkeit des Wechsels der Gefühle bedingt wird.

    9. Nach der Qualität der Gefühle lassen sich zunächst gewisse Grundformen der Affekte aufstellen, die den früher unterschiedenen Hauptrichtungen der Gefühle entsprechen (§ 7, 7). Hiernach würden Lust- und Unlustaffekte, exzitierende und deprimierende, spannende und lösende Affekte zu unterscheiden sein. Dabei kommt aber in Betracht, daß die Affekte wegen ihrer zusammengesetzteren Beschaffenheit noch mehr als die Gefühle durchgängig gemischte Formen sind. Es kann daher im allgemeinen eine jener Gefühlsrichtungen als die für einen bestimmten Affekt primäre bezeichnet werden, an die sich dann Gefühlselemente, die den andern Richtungen angehören, als sekundäre Bestandteile anschließen. Dieser sekundäre Charakter verrät sich in der Regel auch darin, daß je nach verschiedenen Bedingungen abweichende Unterformen des primären Affekts entstehen können. So ist z. B. die Freude ihrem Grundcharakter nach ein Lustaffekt; sie wird dann in ihrem Verlauf durch die Steigerung des Gefühls meist zugleich zu einem exzitierenden, bei übermäßiger Stärke der Gefühle wird sie aber zu einem deprimierenden Affekt. Das Leid ist ein Unlustaffekt von zumeist deprimierendem Charakter; bei etwas größerer Intensität der Gefühle kann es jedoch exzitierend werden, um endlich bei maximaler Intensität wieder in Depression überzugehen. Viel entschiedener noch ist der Zorn seinem vorherrschenden Charakter nach exzitierender Unlustaffekt; aber bei großer Gefühlsstärke, bei dem Übergang in die Wut, wird auch er deprimierend. Während so die exzitierende und die deprimierende Beschaffenheit durchgängig nur als Nebenformen von Lust- und Unlustaffekten vorkommen, finden sich eher zuweilen die spannenden und lösenden Gefühle als primäre Bestandteile. So ist bei der Erwartung das diesem Zustand eigentümliche spannende Gefühl das primäre; mit dem Übergang in den Affekt gesellen sich aber dazu leicht Unlustgefühle von je nach Umständen erregendem oder beruhigendem Charakter. Bei rhythmischen Eindrücken oder Bewegungen entspringen endlich aus dem Wechsel der Spannungs- und Lösungsgefühle Lustaffekte, die dann wieder je nach der Beschaffenheit des Rhythmus zugleich exzitierende oder deprimierende sind, im letzteren Fall aber mit Unlustgefühlen sich mischen oder, namentlich bei der Mitwirkung anderer Gefühlselemente (z. B. von Klang- und Harmoniegefühlen), ganz in solche übergehen können.

    10. In den von der Sprache geschaffenen Bezeichnungen der Affekte hat vorzugsweise diese qualitative Gefühlsseite, und in ihr wieder der Lust- oder Unlustcharakter der Gefühle Beachtung gefunden. Dabei lassen sich die von der Sprache geformten Begriffe in drei Klassen ordnen: l) Bezeichnungen subjektiver, hauptsächlich nach dem Gemütszustand selbst unterschiedener Affekte. Dahin gehören Freude und Leid und, als Unterarten des Leides, bei denen die deprimierende, spannende oder lösende Richtung der Gefühle eine mitwirkende Rolle spielt, Wehmut, Kummer, Gram, Schreck. 2) Bezeichnungen objektiver, auf einen äußeren Gegenstand sich beziehender Affekte: Vergnügen und Mißvergnügen und, als Unterarten des letzteren, die wieder verschiedene Richtungen in sich vereinigen, Verdruß, Unwille, Zorn, Wut. 3) Bezeichnungen objektiver Affekte, die sich auf äußere Ereignisse beziehen, welche erst in der Zukunft zu erwarten sind: Hoffnung und Furcht und, als Modifikationen der letzteren, Angst und Sorge. Sie sind Verbindungen spannender Affekte mit Lust- und Unlustgefühlen und, in veränderlicher Weise, zugleich mit exzitierender oder deprimierender Gefühlsrichtung.

    Offenbar hat die Sprache für die Unlustaffekte eine viel größere Mannigfaltigkeit von Namen geschaffen, als für die Lustaffekte. Dies kann entweder in der tatsächlich größeren Mannigfaltigkeit der Unlustformen, oder aber darin seinen Grund haben, daß sie in höherem Grade die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Wahrscheinlich wirken beide Ursachen zusammen.

    11. Nach der Intensität der Gefühle können wir schwache und starke Affekte unterscheiden. Diese den psychischen Eigenschaften der Gefühle entnommenen Begriffe decken sich aber nicht mit den auf die physischen Begleiterscheinungen gegründeten der sthenischen und asthenischen Affekte, sondern das Verhältnis jener psychologischen zu diesen psychophysischen Kategorien ist zugleich von der Qualität und von dem Stärkegrad der Gefühle abhängig. So sind schwache und mäßig starke Lustaffekte durchweg sthenisch, die Unlustaffekte dagegen werden bei längerer Dauer asthenisch, auch wenn sie von geringer Stärke sind, wie Kummer, Sorge. Endlich die stärksten Affekte, wie Schreck, Angst, Wut, aber auch übermäßige Freude, sind stets asthenisch. So ist denn die Unterscheidung der psychischen Stärke der Affekte überhaupt von untergeordneter Bedeutung, um so mehr, als sonst übereinstimmende Affekte nicht nur in verschiedener Intensität vorkommen, sondern auch in einem und demselben Verlauf in ihrer Intensität wechseln können. Indem aber ferner dieser Wechsel, vermöge des oben angeführten Prinzips der Affektverstärkung, zu einem wesentlichen Teile durch die infolge der physischen Begleiterscheinungen entstehenden sinnlichen Gefühle bestimmt wird, ist es zugleich erklärlich, daß in diesem Fall der ursprünglich physiologische Gegensatz des Sthenischen und Asthenischen auch auf den psychologischen Charakter des Affekts häufig einen entscheidenderen Einfluß ausübt, als die primäre psychische Intensität desselben.

    12. Wichtiger ist das dritte Unterscheidungsmerkmal, die Verlaufsform. Nach ihr können wir unterscheiden: 1) Plötzlich hereinbrechende Affekte, wie Überraschung, Erstaunen, Enttäuschung, Schreck, Wut: sie alle erheben sich sehr rasch zu einem Maximum, um dann allmählich abzunehmen und in die ruhige Gemütslage überzugehen. 2) Allmählich ansteigende Affekte, wie Sorge, Zweifel, Kummer, Traurigkeit, Erwartung, in vielen Fällen auch Freude, Zorn, Angst: sie steigen allmählich zu ihrem Maximum und sinken ebenso allmählich wieder. Eine Modifikation der allmählich ansteigenden Affekte bilden endlich: 3) die intermittierenden Affekte, bei denen mehrere auf- und absteigende Phasen aufeinander folgen. Zu ihnen gehören alle länger dauernden Affekte. So treten namentlich Freude, Zorn, Traurigkeit, aber auch die verschiedensten anderen allmählich ansteigenden Affekte paroxysmenweise auf und lassen dabei oft noch ein Stadium zunehmender und ein solches abnehmender Intensität der Affektanfälle unterscheiden. Dagegen zeigen die plötzlich hereinbrechenden Affekte selten den intermittierenden Verlauf. Dies kommt wohl nur dann vor, wenn der Affekt auch als ein allmählich ansteigender möglich ist. Solche Affekte von sehr wechselnder Verlaufsform sind z. B. Freude und Zorn. Sie können zuweilen plötzlich hereinbrechen, wobei freilich der Zorn meist sofort in Wut überspringt; sie können aber auch allmählich zu- und abnehmen und folgen dann meist zugleich dem intermittierenden Typus. Nach ihren psychophysischen Begleiterscheinungen sind die plötzlich hereinbrechenden Affekte durchweg asthenische, die allmählich ansteigenden können bald sthenische, bald asthenische sein.

    12a. Hiernach bietet die Verlaufsform, so charakteristisch sie in einzelnen Fällen sein kann, doch ebensowenig wie die Intensität der Gefühle feste Kriterien zu einer psychologischen Klassifikation der Affekte. Vielmehr kann eine solche offenbar nur auf die Qualität des Gefühlsinhalts gegründet werden, während Intensität und Verlaufsform für die Untereinteilungen maßgebend sein können. In der Art, wie diese Bedingungen teils untereinander, teils mit den physischen Begleiterscheinungen und durch die letzteren dann wieder mit sekundären sinnlichen Gefühlen zusammenhängen, erweisen sich aber die Affekte als höchst zusammengesetzte psychische Gebilde, die daher auch im einzelnen Fall außerordentlich variieren. Eine einigermaßen erschöpfende Klassifikation müßte deshalb so vielgestaltige Affekte wie Freude, Zorn, Furcht, Sorge wieder teils nach ihren verschiedenen Verlaufstypen, teils nach der Intensität der sie zusammensetzenden Gefühle, teils endlich nach der von diesen beiden Momenten abhängigen Form ihrer physischen Begleiterscheinungen in ihre Unterformen gliedern. So würde sich z. B. eine schwache, eine starke und eine wechselnde Gefühlsform des Zornes, eine plötzliche, eine allmählich ansteigende und eine intermittierende Verlaufsform, endlich eine sthenische, eine asthenische und eine gemischte Ausdrucksform desselben unterscheiden lassen. Für das psychologische Verständnis wichtiger als eine solche Einteilung ist es aber, daß man sich in jedem besonderen Fall von dem kausalen Zusammenhang der einzelnen Erscheinungsformen Rechenschaft gibt. In dieser Beziehung ist bei jedem Affekt von zwei Faktoren auszugehen: 1) von der Qualität und Intensität der ihn zusammensetzenden Gefühle, und 2) von der Schnelligkeit der Aufeinanderfolge dieser Gefühle. Durch den ersten dieser Faktoren wird der allgemeine Charakter des Affekts, durch den zweiten wird zum Teil seine Stärke, außerdem aber namentlich seine Verlaufsform, und durch beide zusammen werden die physischen Begleiterscheinungen sowie infolge der mit diesen verbundenen sinnlichen Gefühle die psychologischen Affektverstärkungen verursacht. Eben wegen dieser letzteren sind die physischen in der Regel als psychophysische Begleiterscheinungen zu bezeichnen. Dabei sollen aber natürlich die Ausdrücke "psychisch" und "psychophysisch" hier, wo sie sich bloß auf die Symptomatologie der Affekte beziehen, keinen absoluten Gegensatz andeuten. Vielmehr verstehen wir unter psychischen Affekterscheinungen lediglich jene, die sich nicht durch unmittelbar wahrzunehmende physische Symptome verraten, mögen auch solche (z. B. in der Form von Puls- und Atmungsänderungen) durch exakte Hilfsmittel nachweisbar sein; psychophysische Erscheinungen dagegen nennen wir solche, die sich ohne weiteres als doppelseitige zu erkennen geben.

    Literatur. Maaß, Versuch über die Leidenschaften, 2 Tle., 1805 (zusammenfassendes Werk der älteren Psychologie). Bain, The emotions and the will, 1859. Ribot, Psychologie des sentiments, 1896. Bourdon, L'expression des émotions et des tendances dans le langage, 1892. Lehmann. Die Hauptgesetze des menschlichen Gefühlslebens, 1892. H. Berger, Ztschr. f. Psychol., Bd. 56. Mimische Ausdrucksbewegungen der Affekte: Piderit, Mimik u. Physiognomik, 2. Aufl., 1886, Völkerpsychologie, 3. Aufl., Bd. l. Phys. Ps.6, III, Kap. 16. M. u. T.5 Vorl. 25 u. 26. Vgl. außerdem die Literatur § 12.