I. Die psychischen Elemente.

§ 5. Hauptformen und allgemeine Eigenschaften der psychischen Elemente.

    1. Da alle psychischen Erfahrungsinhalte von zusammengesetzter Beschaffenheit sind, so sind psychische Elemente im Sinne absolut einfacher und unzerlegbarer Bestandteile des psychischen Geschehens die Erzeugnisse einer Analyse und Abstraktion, die nur dadurch möglich wird, daß die Elemente tatsächlich in wechselnder Weise verbunden sind. Befindet sich ein Element a in einem ersten Falle zusammen mit b, c, d . . ., in einem zweiten mit b', c', d' . . . usw., so kann eben deshalb, weil keines der Elemente b, b', c, c' . . . konstant an a gebunden ist, von ihnen allen abgesehen werden. Wenn wir z. B. einen einfachen Ton hören, so kann derselbe bald nach dieser, bald nach jener Richtung des Raumes verlegt, und es kann bald dieser, bald jener andere Ton zugleich gehört werden. Weil es aber weder eine konstante räumliche Richtung noch einen konstanten Begleitton gibt, so läßt sich von diesen variabeln Bestandteilen abstrahieren, so daß der einzelne Ton allein als psychisches Element zurückbleibt.

    2. Der Tatsache, daß die unmittelbare Erfahrung zwei Faktoren enthält, einen objektiven Erfahrungsinhalt und das erfahrende Subjekt (§ l, 2), entsprechen zwei Arten psychischer Elemente, die sich als Produkte der psychologischen Analyse ergeben. Die Elemente des objektiven Erfahrungsinhalts bezeichnen wir als Empfindungselemente oder schlechthin als Empfindungen: z.B. einen Ton, eine bestimmte Wärme-, Kälte-, Lichtempfindung usw., wobei jedesmal alle Verbindungen dieser Empfindung mit andern, sowie nicht minder die räumliche und zeitliche Ordnung derselben außer Betracht bleiben. Die subjektiven Elemente bezeichnen wir als Gefühlselemente oder als einfache Gefühle. Beispiele solcher sind: das Gefühl, das eine Licht-, Schall-, Geschmacks-, Geruchs-, Wärme-, Kälte-, Schmerzempfindung begleitet, oder das Gefühl beim Anblick eines wohlgefälligen oder mißfälligen Objekts, die Gefühle im Zustand der Aufmerksamkeit, im Moment eines Willensaktes usw. Diese einfachen Gefühle sind wieder in doppelter Beziehung Produkte der Abstraktion: jedes Gefühl ist nämlich nicht nur mit Vorstellungselementen verbunden, sondern es bildet auch einen Bestandteil eines in der Zeit verlaufenden psychischen Prozesses, während dessen es sich von einem Zeitpunkt zum andern verändert.

    3. Da die wirklichen psychischen Erfahrungsinhalte stets aus mannigfachen Verbindungen von Empfindungs- und Gefühlselementen bestehen, so liegt der spezifische Charakter der einzelnen psychischen Vorgänge zum größten Teile durchaus nicht in der Beschaffenheit jener Elemente, sondern in ihren Verbindungen zu zusammengesetzten psychischen Gebilden begründet. So sind z. B. eine räumliche Vorstellung, ein Rhythmus, ein Affekt, ein Willensvorgang eigenartige Formen psychischer Erfahrung, die als solche mit den Empfindungs- und Gefühlselementen keineswegs schon gegeben sind. Ein psychisches Gebilde verhält sich vielmehr in dieser Beziehung einigermaßen analog wie eine chemische Verbindung, deren Eigenschaften ja ebenfalls keineswegs dadurch bestimmt werden können, daß man die Eigenschaften der chemischen Elemente aufzählt, aus denen sie besteht. Spezifische Beschaffenheit und elementare Natur psychischer Vorgänge sind daher völlig verschiedene Begriffe. Jedes psychische Element ist ein spezifischer Erfahrungsinhalt, aber nicht jeder spezifische Inhalt ist zugleich ein psychisches Element. So sind namentlich die räumlichen, die zeitlichen Vorstellungen, die Affekte, die Willenshandlungen spezifische, aber nicht elementare Prozesse.

    4. Die Empfindungen und die einfachen Gefühle zeigen nun sowohl gemeinsame Eigenschaften wie charakteristische Unterschiede. Eine gemeinsame Eigenschaft ist es, daß jedem Element zwei Bestimmungsstücke zukommen: Qualität und Intensität. Jede einfache Empfindung, jedes einfache Gefühl hat eine bestimmte qualitative Beschaffenheit; diese ist aber immer zugleich in irgendeiner Stärke (Intensität) gegeben. Unsere Benennungen der psychischen Elemente richten sich ausschließlich nach der Qualität derselben: so unterscheiden wir Empfindungen als blau, gelb, warm, kalt u. dgl., oder Gefühle als ernst, heiter, traurig, düster, wehmütig usw. Dagegen drücken wir die Intensitätsunterschiede der Elemente in allen Fällen durch übereinstimmende Größenbezeichnungen aus, wie schwach, stark, mäßig stark, sehr stark. In beiden Fällen sind diese Ausdrücke Klassenbegriffe, die einer ersten oberflächlichen Ordnung der Elemente dienen, und deren jeder daher im allgemeinen eine unbegrenzt große Zahl konkreter Elemente umfaßt. Verhältnismäßig am vollständigsten hat die Sprache diese Klassenbegriffe für die Qualitäten der einfachen Empfindungen, namentlich für die Farben und die Töne, entwickelt. Dagegen sind die Benennungen der Gefühlsqualitäten und der Intensitätsstufen weit zurückgeblieben. Zuweilen werden neben der Qualität und Intensität auch noch die Klarheit oder Dunkelheit sowie die Deutlichkeit oder Undeutlichkeit unterschieden. Da diese Eigenschaften aber, wie sich unten (§ 15, 4) zeigen wird, immer erst aus dem Zusammenhange der psychischen Gebilde hervorgehen, so können sie nicht als Eigenschaften der psychischen Elemente selbst betrachtet werden.

    5. Infolge seiner Zusammensetzung aus den zwei Bestimmungsstücken der Qualität und der Intensität besitzt jedes psychische Element innerhalb der ihm zukommenden Qualität einen bestimmten Intensitätsgrad, den man sich in einen beliebigen andern Intensitätsgrad des nämlichen qualitativen Elements durch stetige Abstufung übergeführt denken kann. Hierbei ist aber eine solche Abstufung immer nur nach zwei Richtungen möglich, deren eine wir als Zunahme, und deren andere wir als Abnahme an Intensität bezeichnen. Die Intensitätsgrade jedes qualitativen Elements bilden also eine einzige Dimension, in der man sich von jedem Punkt nach zwei entgegengesetzten Richtungen bewegen kann, ähnlich wie von einem beliebigen Punkt einer geraden Linie aus. Man kann dies in dem Satze ausdrücken: die Intensitätsgrade jedes psychischen Elements bilden ein geradliniges Kontinuum. Die Endpunkte dieses Kontinuums nennen wir bei den Empfindungen Minimal- und Maximalempfindung, bei den Gefühlen Minimal- und Maximalgefühl.

    Dagegen besitzen die Qualitäten wechselndere Eigenschaften. Zwar läßt sich auch jede Qualität in ein bestimmtes Kontinuum derart einordnen, daß man von einem bestimmten Punkt eines solchen zu jedem beliebigen andern Punkte desselben durch stetige Übergänge gelangen kann. Aber diese Kontinua der Qualitäten, die sich als Qualitätssysteme bezeichnen lassen, zeigen Unterschiede sowohl in der Mannigfaltigkeit ihrer Abstufungen wie in der Zahl der in ihnen möglichen Richtungen. In ersterer Hinsicht können wir gleichförmige und mannigfaltige, in letzterer Hinsicht eindimensionale und mehrdimensionale Qualitätssysteme unterscheiden. So gibt es z. B. qualitativ nur eine Druck-, Kälte- und Schmerzempfindung, während jede dieser Qualitäten in sehr verschiedenen Intensitätsgraden möglich ist. Daraus ist nicht zu schließen, daß es in jedem dieser Systeme wirklich nur eine Qualität gebe. Vielmehr scheint es, daß in solchen Fällen die Mannigfaltigkeit der Qualitäten entweder nur eine beschränktere ist, oder daß uns bloß in der Sprache die Ausdrücke zur Bezeichnung der vorhandenen Unterschiede mangeln. Wollten wir uns also ein solches System räumlich versinnlicht denken, so würde es wahrscheinlich niemals völlig auf einen Punkt reduziert werden. So zeigen z. B. die Druckempfindungen der verschiedenen Hautstellen geringe qualitative Unterschiede, die immerhin groß genug sind, daß wir daran jede Hautstelle von einer andern hinreichend von ihr entfernten unterscheiden können. Dagegen sind solche Unterschiede wie die bei der Berührung eines spitzen oder stumpfen, rauhen oder glatten Körpers nicht zu den Qualitätsunterschieden zu rechnen, da sie auf einer größeren Zahl gleichzeitig vorhandener Empfindungen beruhen, aus deren verschiedener Verbindung zu zusammengesetzten psychischen Gebilden erst jene Eindrücke hervorgehen.

Von diesen gleichförmigen unterscheiden sich die mannigfaltigen Qualitätssysteme darin, daß sie eine größere Zahl deutlich unterscheidbarer Elemente umschließen, zwischen denen stetige Übergänge möglich sind. Hierher gehören unter den Empfindungssystemen das Tonsystem, das Farbensystem, die Systeme der Geruchs- und der Geschmacksqualitäten, unter den Gefühlssystemen jedenfalls diejenigen, die die subjektiven Komplemente jener Empfindungssysteme bilden, die Systeme der Tongefühle, der Farbengefühle usw., außerdem aber wahrscheinlich zahlreiche Gefühle, die zwar objektiv an zusammengesetzte Eindrücke gebunden, als Gefühle aber von einfacher Beschaffenheit sind, wie z. B. die den verschiedenen Tonverbindungen entsprechenden mannigfaltigen Harmonie- und Disharmoniegefühle. Die Unterschiede der Dimensionszahl lassen sich jedoch mit Sicherheit bis jetzt nur bei gewissen Empfindungssystemen feststellen. So ist z. B. das Tonsystem ein eindimensionales, das gewöhnliche Farbensystem, welches die Farben samt ihren Übergängen zu Weiß umfaßt, ein zweidimensionales System; das vollständige System der Lichtempfindungen, welches auch noch die dunkeln Farbentöne und die Übergänge zu Schwarz enthält, ist endlich ein dreidimensionales Empfindungssystem.

6. Zeigen in den bisher erwähnten Beziehungen die Empfindungs- und die Gefühlselemente im allgemeinen ein übereinstimmendes Verhalten, so unterscheiden sich nun aber beide in einigen wesentlichen Eigenschaften, die mit der unmittelbaren Beziehung der Empfindungen auf die Objekte und der Gefühle auf das Subjekt zusammenhängen.

    l) Die Empfindungen bieten, wenn sie bloß in ihrer Intensität innerhalb einer und derselben Qualität verändert werden, im allgemeinen reine Intensitätsunterschiede dar, die von der Empfindung Null an stetig in einer Richtung bis zu einer Maximalempfindung E zunehmen (o E Fig. l). Dagegen verändern sich die Gefühle von einem gefühlsfreien Zustande Null an stets nach zwei einander entgegengesetzten Richtungen, wobei sie in kontrastierende Gefühle, wie Lust und Unlust, übergehen (ebd. G' G"). Ebenso zeigen die Empfindungen, wenn sie bloß in ihrer Qualität, aber in einer und derselben Qualitätsdimension verändert werden, reine Qualitätsunterschiede, die immer zugleich Unterschiede gleicher Richtung sind und schließlich zu Maximalunterschieden werden. So sind z. B. in der Reihe der Farben Rot und Grün oder Blau und Gelb, in der Reihe der Töne der tiefste und der höchste hörbare Ton Maximalunterschiede, und sie sind zugleich reine Qualitätsunterschiede (E' E" Fig. l). Jedes Gefühlselement dagegen geht auch hier, wenn es in seiner Qualität stetig abgestuft wird, durch einen gefühlsfreien Null- oder Indifferenzpunkt (o) in ein Gefühl von entgegengesetzter Qualität über (wie der untere Pfeil zwischen G' G" in Fig. l andeutet). Am deutlichsten ist dies bei denjenigen Gefühlen, die regelmäßig mit bestimmten Empfindungen verbunden sind, z. B. bei den Ton- und Farbengefühlen. Ein hoher und ein tiefer Ton sind als Empfindungen Unterschiede, die sich mehr oder weniger den Maximalunterschieden der Tonempfindung nähern; die entsprechenden Tongefühle sind aber Gegensätze. Allgemein also werden die Empfindungsqualitäten durch größte Unterschiede, die Gefühlsqualitäten durch größte Gegensätze begrenzt. Die stets zwischen diesen Gegensätzen liegende Indifferenzzone ist übrigens häufig deshalb nicht nachzuweisen, weil bei dem Verschwinden bestimmter Gefühle andere Gefühlsqualitäten fortbestehen oder neu entstehen können. Letzteres kommt namentlich dann vor, wenn der Übergang des Gefühls in die Indifferenzzone von einer Empfindungsänderung abhängt. So verschwinden z. B. bei den mittleren Tönen der musikalischen Skala die den hohen und tiefen Tönen entsprechenden Gefühle; aber den mittleren Tönen selbst kommt eine Gefühlsqualität zu, die nun erst deutlich auftritt. Dies erklärt sich daraus, daß das einer bestimmten Empfindungsqualität entsprechende Gefühl in der Regel Bestandteil eines zusammengesetzten Gefühlssystems ist, in welchem es gleichzeitig verschiedenen Gefühlsrichtungen angehört. So liegt die Gefühlsqualität eines Tones von bestimmter Höhe nicht bloß in der Dimension der Höhengefühle, sondern auch in der der Intensitätsgefühle, und endlich in den verschiedenen Dimensionen, nach denen sich der Klangcharakter der Töne ordnen läßt. Ein Ton von mittlerer Höhe und Stärke kann sich also in bezug auf die Höhen- und die Intensitätsgefühle in der Indifferenzzone befinden, während doch das Klanggefühl bei ihm sehr ausgeprägt sein kann. Direkt beobachten läßt sich daher die Bewegung der Gefühle durch die Indifferenzzone überhaupt nur, wenn man gleichzeitig auf eine Abstraktion von andern begleitenden Gefühlselementen Bedacht nimmt.

Fig. l. Verhalten der Empfindungen und Gefühle bei stetigen Intensitäts- und Qualitätsänderungen.

    2) Gefühle von spezifischer und zugleich von einfacher, unzerlegbarer Qualität kommen nicht bloß als subjektive Komplemente einfacher Empfindungen, sondern auch als charakteristische Begleiter zusammengesetzter Vorstellungen oder gelbst verwickelter Vorstellungsprozesse vor. So gibt es z. B. nicht bloß ein einfaches Tongefühl, welches sich mit der Höhe und der Intensität der Töne ändert, sondern auch ein Harmoniegefühl, das, als Gefühl betrachtet, durchaus ebenso unzerlegbar ist und nach dem Charakter der Zusammenklänge wechselt. Weitere Gefühle, die wieder von sehr mannigfaltiger Art sein können, entstehen durch die melodische Klangfolge, und auch hier erscheint jedes einzelne Gefühl, in einem bestimmten Moment für sich allein betrachtet, als eine unzerlegbare Einheit. Hieraus folgt, daß die einfachen Gefühle viel mannigfaltiger und zahlreicher sind als die einfachen Empfindungen.

    3) Die Mannigfaltigkeit der reinen Empfindungen zerfällt in eine Anzahl voneinander getrennter Systeme, zwischen deren Elementen keine qualitativen Übergänge stattfinden. Empfindungen, die verschiedenen Systemen angehören, werden daher als disparate bezeichnet. In diesem Sinne sind ein Ton und eine Farbe, aber auch eine Wärme- und eine Druckempfindung disparat. Nach diesem Kriterium repräsentiert jeder der vier Spezialsinne (Geruch, Geschmack, Gehör und Gesicht) ein in sich geschlossenes, gegen jedes andere Sinnesgebiet disparates, aber mannigfaltiges Empfindungssystem, während der allgemeine Sinn (Tastsinn) selbst schon vier gleichförmige Empfindungssysteme (Druck-, Wärme-, Kälte-, Schmerzempfindungen) enthält. Im Gegensatz hierzu bilden nun alle einfachen Gefühle eine einzige zusammenhängende Mannigfaltigkeit, insofern es kein Gefühl gibt, von dem aus man nicht durch Zwischenstufen und Indifferenzzonen zu irgendeinem andern Gefühle gelangen könnte. Obgleich darum auch hier gewisse Systeme unterschieden werden können, deren Elemente näher miteinander zusammenhängen, wie z. B. das der Farbengefühle, Tongefühle, Harmoniegefühle, rhythmischen Gefühle u. dgl., so sind doch diese Systeme nicht absolut in sich abgeschlossen, sondern es finden überall Beziehungen teils der Verwandtschaft, teils des Gegensatzes zu andern Systemen statt. So zeigen sich z. B. das angenehme Gefühl bei einer mäßigen Wärmeempfindung, das Gefühl der Tonharmonie, das Gefühl befriedigter Erwartung u. a., so groß ihre qualitative Verschiedenheit auch sein mag, doch darin verwandt, daß wir auf sie alle die allgemeine Bezeichnung "Lustgefühle" anwendbar finden. Noch nähere Beziehungen finden sich zwischen gewissen einzelnen Gefühlssystemen, z. B. zwischen den Ton- und Farbengefühlen, wo tiefe Töne den dunkeln, hohe den hellen Lichtqualitäten verwandt erscheinen. Wenn man hierbei meist den Empfindungen selbst eine Verwandtschaft zuschreibt, so beruht das wahrscheinlich durchaus nur auf einer Übertragung der begleitenden Gefühle.

    Dieses dritte Unterscheidungsmerkmal weist darauf hin, daß der Ursprung der Gefühle ein einheitlicher ist, gegenüber den auf einer Mehrheit verschiedener, zum Teil voneinander isolierbarer Bedingungen beruhenden Empfindungen. Wahrscheinlich steht dieser Unterschied mit der Beziehung der Gefühle auf das einheitliche Subjekt und der Empfindungen auf eine Vielheit von Objekten in unmittelbarem Zusammenhang.

    6a. Die Bezeichnungen "Empfindung" und "Gefühl" haben erst in der neueren Psychologie die ihnen in den obigen Begriffsbestimmungen angewiesene Bedeutung gewonnen. In der älteren psychologischen Literatur werden sie teils mangelhaft unterschieden, teils sogar miteinander vertauscht; ebenso werden von den Physiologen noch jetzt gewisse Empfindungen, nämlich die des Tastsinns und der inneren Organe, als Gefühle und darum auch der Tastsinn selbst als der "Gefühlssinn" bezeichnet. Mag dies aber auch der ursprünglichen Wortbedeutung Fühlen = Tasten entsprechen, so sollten doch, nachdem einmal jene Differenzierung der Bedeutungen eingetreten ist, derartige Vermengungen vermieden werden. Ferner wird das Wort Empfindung selbst von Psychologen nicht bloß für einfache, sondern auch für zusammengesetzte Qualitäten, wie z. B. für Zusammenklänge, für räumliche und zeitliche Vorstellungen, gebraucht. Da wir für diese zusammengesetzten Gebilde ohnehin schon die vollkommen geeignete Bezeichnung "Vorstellungen" besitzen, so ist aber die Einschränkung des Begriffs auf die psychologisch einfachen Sinnesqualitäten zweckmäßiger. Zuweilen hat man endlich auch den Begriff "Empfindung" auf solche Erregungen beschränkt, die direkt von äußeren Sinnesreizen herrühren. Da für die psychologischen Eigenschaften der Empfindung dieser Umstand gleichgültig ist, so ist jedoch eine solche Begrenzung des Begriffs nicht zu rechtfertigen.

    Die konkrete Unterscheidung der Empfindungs- und Gefühlselemente wird durch die Existenz der Indifferenzzone der Gefühle wesentlich unterstützt. Zugleich hängt es mit diesem Verhältnis der Abstufung zwischen Unterschieden und der Abstufung zwischen Gegensätzen zusammen, daß die Gefühle sehr viel variablere Elemente unserer unmittelbaren Erfahrung sind. Auf dieser wechselnden Beschaffenheit, die es kaum gestattet, einen Gefühlszustand unveränderter Qualität oder Stärke festzuhalten, beruhen dann auch die größeren Schwierigkeiten, denen die exakte Untersuchung der Gefühle begegnet.

    Da die Empfindungen jedem unmittelbaren Erfahrungsinhalt zukommen, die Gefühle aber vermöge ihrer Oszillationen durch eine Indifferenzzone in gewissen Grenzfällen verschwinden können, so ist es begreiflich, daß wir zwar bei den Empfindungen von den begleitenden Gefühlen, niemals jedoch umgekehrt bei diesen von jenen zu abstrahieren vermögen. Hierdurch entsteht dann leicht entweder die falsche Auffassung, die Empfindungen seien die Ursachen der Gefühle, oder die andere, die Gefühle seien eine besondere Spezies der Empfindungen. Die erste dieser Meinungen ist deshalb unzulässig, weil die Gefühlselemente nie aus den Empfindungen als solchen, sondern nur aus dem Verhalten des Subjekts abzuleiten sind, daher auch unter verschiedenen subjektiven Bedingungen eine und dieselbe Empfindung von verschiedenen Gefühlen begleitet sein kann. Die zweite Meinung ist unhaltbar, weil teils die unmittelbare Beziehung der Empfindungen auf den objektiven Erfahrungsinhalt, der Gefühle auf das Subjekt, teils die Eigenschaften der Abstufung zwischen größten Unterschieden und zwischen größten Gegensätzen beide wesentlich unterscheiden. Demnach sind, vermöge der zu jeder psychologischen Erfahrung gehörigen objektiven und subjektiven Faktoren, Empfindungen und Gefühle als reale und gleich wesentliche Elemente des psychischen Geschehens anzusehen, die aber in durchgängigen Beziehungen zueinander stehen. Da sich zugleich in diesen Wechselbeziehungen die Empfindungselemente als die konstanteren erweisen, die allein unter Mithilfe der Beziehung auf ein äußeres Objekt durch Abstraktion isoliert werden können, so muß bei der Untersuchung der Eigenschaften beider notwendig von den Empfindungen ausgegangen werden. Einfache Empfindungen, bei deren Betrachtung von den begleitenden Gefühlselementen abstrahiert wird, bezeichnet man aber als reine Empfindungen.

    Literatur. Kant, Anthropologie, 2. Buch. Herbart, Lehrbuch zur Psychologie, § 68 u. 95 (Unterscheidung der Begriffe Empfindung und Gefühl im heutigen Sinne). A. Horwicz, Psychologische Analysen auf physiolog. Grundlage, 2 Bde., 1872–1878. Physiol. Psych.6, Bd. 2, Kap. VII. Zur Lehre von den Gemütsbewegungen, Kleine Schriften Bd. 2.