Beilage III.
Die Bewegung gezupfter Saiten.
Zu Seite 90.
Es sei x die Entfernung eines Punktes einer Saite von ihrem einen
Endpunkte, l die Länge der Saite, so daß für ihren
einen Endpunkt x = 0, für den anderen x == l.
Es genügt, den Fall zu untersuchen, wo die Saite in einer einzigen
durch ihre Gleichgewichtslage gelegten Ebene hin und her schwingt. Es sei
y
die Entfernung des Punktes x aus der Gleichgewichtslage zur Zeit
t; ferner sei m das Gewicht der Längeneinheit
und S die Spannung der Saite, so sind die Bedingungen ihrer Bewegung
.........................................................(1)
und da die Enden der Saite als unbeweglich angenommen werden, muß.
sein
y = 0,
wenn x = 0 oder x = l .........................................................(1a)
Das allgemeinste Integral der Gleichung (l), welches die Bedingungen. (1a)
erfüllt, und einer periodischen Bewegung der Saite entspricht, ist
folgendes :
............(1b)

worin
und A1, A2, A3 sowie
B1,
B2,
B3
etc. beliebige konstante Koeffizienten sind. Deren Größe kann
bestimmt werden, wenn für einen bestimmten Wert von t Form
und Geschwindigkeit der Saite bekannt sind.
Für den Zeitpunkt t = 0 wird die Form der Saite folgende:
...........................................(1c).
und deren Geschwindigkeit:
............................(1d)
.
.
Denken wir uns nun, die Saite sei mit einem spitzen Stift zur Seite gezogen
worden, und zur Zeit t = 0 habe man den Stift fortgezogen, sodaß
in diesem Augenblick die Schwingungen begonnen haben, dann hat die Saite
zur Zeit t = 0 keine Geschwindigkeit, und für jeden Wert von
x
ist
= 0;
dies kann aber nur der Fall sein, wenn in Gleichung (1d)
0 = B1 = B2 = B3
etc.
Die Koeffizienten A hängen von der Gestalt der Saite zur
Zeit t = 0 ab. Die Saite mußte in dem Augenblick, wo der Stift
sie losließ, die auf Seite 93 in Fig.
18 A dargestellte Form zweier gerader Linien haben, die
von
der Spitze des Stifts nach den beiden Befestigungspunkten der Saite gezogen
sind. Nennen wir die Werte von x und y für den Saitenpunkt,
an dem der Stift angriff, beziehlich a und b, so waren zur
Zeit t = 0 die Werte von y wenn
a > x > 0
......................................................................................(2)
wenn l > x > a
.................................................................................(2a)
und es müssen die Werte von y aus (1c) und (2) oder beziehlich
(2a) identisch werden.
Um den Koeffizienten Am zu finden verfährt man
bekanntlich so, daß man beide Seiten der Gleichung (1c) mit sin
dx
multipliziert, und von x = 0 bis x = l integriert.
Dann reduziert sich die Gleichung (1c) auf
........................................(2b)
worin für y die Werte aus (2) und (2a) zu setzen sind. Wenn
in (2b) die Integrationen ausgeführt werden, erhält man:
......................................................(3)
Es wird also Am gleich Null werden, und somit der mte
Ton der Saite wegfallen, wenn
,
d. h. wenn a =
oder =
oder =
etc. Denkt man sich also die Saite in m gleiche Teile geteilt, und
in einem der Teilpunkte angeschlagen, so fällt ihr mter Ton
weg, dessen Knotenpunkte auf die genannten Knotenpunkte fallen.
Jeder Knotenpunkt für den roten Ton ist auch Knotenpunkt für
den 2 mten, 3 mten, 4 mten u. s. w., es fallen also
auch alle die letzteren Töne gleichzeitig fort.
_________________
Man kann das Integral der Gleichung (l) bekanntlich auch in folgender
Form darstellen:
..................................................................(4)
wo
, j
und y aber willkürliche Funktionen sind.
Die Funktion j(x-at) bedeutet eine
beliebige Form der Saite, welche mit der Geschwindigkeit a, sonst
aber ohne Veränderung, in Richtung der positiven x fortrückt,
die andere Funktion y(x-at)
eine
ebensolche, die mit gleicher Geschwindigkeit in Richtung der negativen
x
fortrückt. Beide Funktionen muß man von x = - ¥
bis x = + ¥ gegeben denken für einen
bestimmten Wert der Zeit, dann ist die Bewegung der Saite bestimmt.
Unsere Aufgabe, die Bewegung der gezupften Saite zu bestimmen, wird
in dieser zweiten Form gelöst sein, wenn wir die Funktionen jund
y
so bestimmen können, daß
1) für die Werte x = 0 und x = l der Wert
von y für jeden Wert von t konstant gleich 0 wird. Dies
geschieht, wenn für jeden Werth von t
j( -at) = - y(
+ at) .................................................(4a)
j( l -at) = -
y(
l
+ at) ..............................................(4b)
Setzen wir in der ersten Gleichung at = - v, in der zweiten
l
+ at = - v, so erhalten wir
jv = - y(
- v)
j( 2l + v) = - y(
- v)
also
j( 2l + v) = yv.......................................................(5)
Die Funktion j ist also periodisch; sobald ihr
Argument um 21 wächst, erhält sie wieder denselben Wert.
Das Gleiche läßt sich ebenso für y
finden.
2) Für t = 0 muß sein
=
0 zwischen den Werten x = 0 bis x = l.
Daraus folgt, wenn wir
mit y' bezeichnen, indem wir den Werth
von
aus
Gleichung (4) gleich Null setzen:
j’ (x) = y'
(x)
Wenn wir dies nach x integrieren :
j x = y
x + C
Und da sich weder y noch
ändert, wenn wir zu jdieselbe Konstante
addieren und von y abziehen, so ist die Konstante
C
vollkommen willkürlich, und wir können sie gleich Null setzen,
also schreiben:
j (x) = y
(x) ........................................................(5a)
3) Da endlich zur Zeit t = 0 innerhalb x = 0 bis x
= l die Größe
y = j (x) + y
(x) = 2j(x)
den in Fig. 18 A dargestellten
Wert haben soll, so geben die Ordinaten dieser Figur auch gleich den Wert
von 2j (x) und von
2y (x) . gemäß
Gleichung (5):
zwischen x = 0 und x = l
zwischen x = 2l und x = 3l
zwischen x = 4 l und x = 5 l
u. s. w.
Da dagegen aus (4a), (4b) und (5) folgt j(
- v) = - j( v) und j(
l
- v) = - j( l + v)
so ist der Wert von 2j (x) gegeben
durch die Kurve Fig. 18 G
zwischen x = - l und x = 0
zwischen x = - 3 l und x = - 2 l
und ebenso
zwischen x = l und x = 2 l
zwischen x = 31 und x = 4 l
u. s. w.
So sind die Funktionen j und y
vollständig bestimmt, und indem man die durch beide dargestellten
Wellenlinien mit der Geschwindigkeit a nach entgegengesetzten Richtungen
fortschreiten läßt, erhält man die Saitenformen, welche
in Fig. 18 abgebildet
sind, und welche die Veränderungen der Saite nach je ein Zwölfteil
ihrer Schwingungsdauer darstellen.