Zarte, klare Farbigkeit: Zum 120. Geburtstag von Rose Ausländer

Deutsch · 11 Mai 2021

Vergiß / die Härte / Verzeih / das Übel – Die Dichterin dieser Worte heißt Rose Ausländer. In einer jüdischen Familie wurde sie vor 120 Jahren, am 11. Mai 1901, als Rosalie Beatrice Scherzer geboren. Ihr Geburtsort Czernowitz, Hauptstadt der Bukowina, war sprachlich und kulturell plural, geprägt und belebt von Menschen verschiedener Ethnizitäten. Rund ein Drittel der Bewohner*innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren jüdisch. Die meisten von ihnen sprachen Deutsch. Heute in der Ukraine gelegen, gehörte Czernowitz bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn, bis 1940 zu Rumänien, nach dem Zweiten Weltkrieg zur Sowjetunion. Bekannt ist Czernowitz als Herkunftsort bedeutender Dichter*innen und Denker*innen: Paul Celan, Rose Ausländer, Ariadne Löwendal, Selma Meerbaum-Eisinger. Weil sie Vertriebene, Flüchtende und gezwungen waren, sich immer wieder neu zurechtzufinden, wurden sie, wie die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Amy-Diana Colin schreibt, „geistige Mittler zwischen den Kulturen“. 

Rose Ausländers Lebensweg ist kein geradliniger, sondern einer der Sprünge, Gefahren, Wirrnisse und der Krankheit. Geradezu beispielhaft vereint ihre Familie Ostjüdisches (väterlicherseits) und Westjüdisches (mütterlicherseits) miteinander, treffen orthodoxe Traditionen mit der bildungsbürgerlichen Moderne zusammen. Früh beginnt Rose Ausländer, sich mit Philosophie und Literatur zu beschäftigen, setzt dies auch im Rahmen ihres Studiums fort. 1921 wandert sie in die USA aus, kehrt 1931 aber, um ihre kranke Mutter zu pflegen, nach Czernowitz zurück. Hier überlebt sie die NS-Zeit im Ghetto und in ständiger Angst vor Deportation. Nach dem Krieg verlässt sie Czernowitz, kehrt wieder in die USA zurück. Doch auch dort bleibt sie nicht für immer. Düsseldorf wird schließlich ihre letzte Station. Nach langer Krankheit stirbt sie 1988. Unzählige Gedichte bleiben der Nachwelt erhalten. Zeugnisse einer nur noch in Worten existierenden Welt.     

Der schmale Gedichtband Brief aus Rosen trägt auf dem Titel ein Gemälde von Alexej von Jawlensky: Brauntöne, Ocker, etwas Weiß und wenige schwarze Linien lassen ein Gesicht entstehen, bei dem der Bildtitel Stummer Schmerz sofort einleuchtet.

Frage

Wind mischt Farben

Ich suche mein

Gesterngrün

Im verwandelten Wald

Rose Ausländers Gedichte, vor allem ihre späten, erscheinen oft wie die sprachliche Fassung von Bildern. Besonders Assoziationen zu Gemälden von Alexej von Jawlensky und Marc Chagall drängen sich auf. Neben der Recherche über Czernowitz und seine kulturelle Vielfalt bietet sich auch der Dialog von Bild und Text als Ausgangspunkt für eine Unterrichtseinheit zu Rose Ausländer an.

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— Frieder Stange