"Ein Reisender kommt
zur Ruhe?"
Professor Gero Dolezalek im Gespräch
Von Karsten Gaede
Seit dem Wintersemester
1996/97 hat Dr. Gero Rudolf Dolezalek an der Juristenfakultät Leipzig
eine Professur für Bürgerliches, Römisches und Gemeines
Recht und Kirchliche Rechtsgeschichte inne.
Seine erfrischenden
Vorlesungen und die Neugier nach fremden Ländern bewegten den Kleinen
Advokaten, mit ihm ein Gespräch zu führen. So geschah es, daß
die Studenten Eric Marr, Lars Eibisch und Karsten Gaede mit unzähligen
Fragen, aber ohne die passenden Kassetten zu ihrem Diktiergerät zum
Termin erschienen …
Dort
erfuhren sie, daß Prof. Dolezalek am 18. Januar 1943 in einem Hilfskrankenhaus
in Posen während der Evakuierung aus Berlin geboren wurde. Seine aus
Berlin stammende Familie zog für einige Jahre in ein Dorf in der Nähe
von Innsbruck und kehrte 1951 nach Berlin zurück. Das Reifezeugnis
erwarb er schließlich 1962 am Immanuel-Kant-Gymnasium in Bad Oeynhausen.
Prof. Dr. Dolezalek ist
heute in zweiter Ehe verheiratet. Er hat eine Tochter sowie drei Söhne,
von denen die zwei jüngsten mit ihm und seiner Frau seit dem Mai 1997
fest in Leipzig leben. Der älteste Sohn studiert Architektur in Wien,
und die Tochter lernt an einem Internat in Narbonne, Südfrankreich.
Natürlich interessierte
die kleinen Advokaten, ob das Studium der Rechtswissenschaft bei dem jungen
Studenten Gero Rudolf Dolezalek – wie bei jedem der etwa 2500 Jurastudenten
Leipzigs – schon immer der Herzenswunsch war. Dem war nicht so. Ursprünglich
wollte er in Wien Musik studieren, um ein Meister der Violine zu werden.
Er mußte jedoch einsehen, daß ihm seine Finger nicht solche
Voraussetzungen gaben, daß er es über Mittelmaß hinaus
hätte bringen können, wenn er nicht dreifach so viel üben
wollte wie andere.
Er entschloß sich
im Sommersemester 1962 Rechtswissenschaft, Geschichte und Sprachen in Kiel
zu studieren. Jura wählte er damals, weil er hier die Berufsentscheidung
vertagt sah, da eine strikte Festlegung nicht schon in den ersten Semestern
erfolgt. Nach Kiel ging Prof. Dolezalek nach eigener Auskunft, weil er
die Vorstellung hatte, dort segeln zu können! Leider war aber der
Sommer verregnet und sein Zimmer 40 km vom Strand entfernt, so daß
er mehr Zeit auf Bahnhöfen verbrachte, als ihm lieb war. In seinem
dortigen Studium hat ihn vornehmlich ein Professor mit dem Namen Brecher
beeindruckt. Dieser lehrte auch Rechtsgeschichte und weckte mit seiner
pädagogisch geschulten, anschaulichen Art des Vortrages das Interesse
des jungen Studenten Dolezalek. Da er komplizierte Probleme verständlich
darstellte, war es dem Studenten möglich, schon früh seine Befähigung
zum abstrakten Denken zu erkennen und an der Rechtswissenschaft Freude
zu finden. Aus diesem Grund war er bereits im zweiten Semester fest entschlossen,
das Jurastudium fortzuführen.
Im Wintersemester wechselte
er nach Frankfurt am Main. Zu dieser Zeit hatte Prof. Dolezalek eine Verlobte
in Mülheim an der Ruhr. Seine Eltern stellten ihm das Ultimatum, daß
sie ihm das Studium nur finanzieren, wenn er mindestens weiter als 250
km entfernt von der Verlobten studiert! Also nahm der Professor einen Zirkel
in die Hand, zog einen Kreis und wählte den Ort Frankfurt a. M. …
Wenngleich diese Art der
Wahl des Studienortes heute einem erfolgreichen Studium abträglich
ist, war sie für Prof. Dolezalek ein großes Glück. Er "geriet
in die Fänge" von Professor Adalbert Erler, der unter anderem Mitherausgeber
des bedeutenden Handwörterbuchs zur Deutschen Rechtsgeschichte war,
und er besuchte Seminare des bekannten Römisch-Rechtlers Helmut Coing.
Natürlich wurde damit sein schon vorhandenes Interesse an der Rechtsgeschichte
weiter angefacht. Dieses Interesse, das man Prof. Dolezalek auch in Vorlesungen
anmerkt, welche nicht die Rechtsgeschichte zum Gegenstand haben, wurde
durch Aufenthalte in Italien noch verstärkt. In Modena hat er mit
einem Trimesterstipendium Archive durchforsten dürfen. So hat er als
Student verloren geglaubte Werke in Handschriften wiederentdeckt, an ihnen
geforscht und die Arbeiten später veröffentlicht.
Die
erste juristische Staatsprüfung legte Prof. Dolezalek schließlich
1966 am OLG in Frankfurt a. M. ab.
Zu dieser Zeit studierte
er parallel auch Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität.
Daran anschließend hat er 1968 bei Prof. Erler mit summa cum laude
promoviert und 1970 nach seinem Referendardienst die zweite juristische
Staatsprüfung abgelegt. Mit dem Jahr 1971 wurde Prof. Dolezalek Mitarbeiter
am neugegründeten Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte,
das von Helmut Coing gegründet und geleitet wurde. Dort forschte er
bis zum Jahr 1988 und veröffentlichte zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften
und im Handwörterbuch der Deutschen Rechtsgeschichte.
Ebenfalls hat er die Chance
gesucht, lehrend tätig zu sein. In seiner Zeit am Max-Planck-Institut
hat er an der Universität Berkeley (USA) 1975/76 und an der Universität
von Montpellier (Frankreich) im Wintersemester 1980/1981 gelehrt.
Die Tätigkeit eines
Deutschen an einer ausländischen Universität warf bei uns die
Frage auf, wie man sich etwa die Universität von Montpellier vorstellen
muß und welche Vorlesungen ein Deutscher dort halten könnte.
Prof. Dolezalek berichtete uns, in Montpellier eine Pflichtvorlesung über
französisches Schuldrecht gelesen zu haben, die als grundlegende Vorlesung
im Anfangsjahr diesen Teil des Zivilrechts aus rechtshistorischer Sicht
darstellt. Diese Vorlesung wurde aus der klassischen Vorlesung Römisches
Recht entwickelt, in der Rechtsinstitute des Zivilrechts in ihren Grundzügen
mit der historischen Ableitung dargestellt werden.
Zur Universität von
Montpellier wußte Prof. Dolezalek zu berichten, daß sie ab
1180 als erste Universität nach Bologna die bahnbrechende Rechtslehre
auf dem Niveau des Ius Commune betrieb und so als altehrwürdige, traditionsreiche
Universität zu beschreiben sei.
Nun denken Studenten nicht
nur an Recht, wenn sie Montpellier und Frankreich hören. So war es
nicht verwunderlich, daß Prof. Dolezalek von den kleinen Advokaten
die Frage gestellt bekam, ob er neben seiner Lehrtätigkeit das sagenumwobene
französische Lebensgefühl verspürt habe. Prof. Dolezalek
mußte sich die Antwort nicht lange überlegen, denn dieses Gefühl
hatte er bereits lange zuvor entdeckt. Er schilderte uns wie er 1973 spontan
ein kleines Häuschen in einem kleinen Dorf in Südfrankreich erworben
hat. Dieses hat er nach einer kleinen Feilscherei für etwa 5000 DM
gekauft und nach und nach aus dieser halben Ruine zwar keine Villa aber
ein idyllisches Plätzchen gemacht. Die anwesenden Redakteure des Kleinen
Advokaten sahen sich nun in Gedanken vor eben dieser idyllischen Bleibe.
Unter der Abendsonne, mit einem Bordeaux, hätten sie das Gespräch
mit Prof. Dolezalek sicher noch Stunden fortgeführt …
Im Jahr 1985 hat sich Prof.
Dolezalek entschlossen, in die Lehre zu wechseln. Er nahm eine Halbprofessur
in Nimwegen (Niederlande) an, wodurch die zu dieser Zeit beabsichtigte
Habilitation entfiel. Die als Habilitationsschrift geplante zweibändige
Arbeit erschien dennoch 1986. Während dieser Zeit hatte Prof. Dolezalek
seinen Wohnsitz weiterhin in Frankfurt a. M. und war zusätzlich als
Honorarprofessor in Catania (Italien) tätig, wo er Rechtsgeschichte
und Rechtsinformatik lehrte.
Im
Januar des Jahres 1989 zog Prof. Dolezalek nach Südafrika, um an der
Universität Kapstadt zu lehren.
Dieser Schritt machte neugierig,
also fragten wir nach. Restlos zufrieden war Prof. Dolezalek mit der Halbprofessur
in Nimwegen natürlich nicht. Dem Wunsch nach einer Vollprofessur stand
aber im deutschen Raum entgegen, daß er kein Habilitationsverfahren
durchlaufen hatte. In den Niederlanden fiel ihm dann eine Anzeige auf,
in der die Universität Kapstadt eine Professur ausschrieb. Er entschloß
sich zu einer Bewerbung und wurde einstimmig als Professor für Römisches
Recht, Rechtsvergleichung und Rechtsphilosophie berufen. Prof. Dolezalek
wies darauf hin, daß die Bildungspyramide in Südafrika anders
als in Deutschland ist, nämlich daß der Prozentsatz an Fachleuten
in der Gesamtbevölkerung geringer sei. Also sind Spezialisten landesweit
gefragt. Demgemäß wurde Prof. Dolezalek viel als Gutachter für
Gerichte herangezogen, wenn Spezialfragen zum Gemeinen Recht, Kirchenrecht
und ausländischen Recht anstanden.
In diesem Zusammenhang berichtete
Prof. Dolezalek, wie europäisches Recht und afrikanisches Recht in
Südafrika einhergehen. In Südafrika, so erzählt Prof. Dolezalek,
gilt für Angehörige der schwarzafrikanischen Stämme ihr
jeweiliges Gewohnheitsrecht, und zwar gleichberechtigt neben dem staatlich-europäischen
Recht. Dies heißt in letzter Konsequenz, daß ein Jurist am
staatlichen Gericht, der nach europäischem Verständnis Recht
erlernt hat, auf Wunsch nach Stammesrecht entscheiden muß. Die Parteien
können andererseits auch anstelle des staatlichen Gerichts einen Dorfhäuptling
oder Stammeshäuptling anrufen, und der Staat muß dann dessen
Entscheidung vollstrecken. Lediglich bei schweren Delikten behält
sich der Staat ein Strafmonopol vor, doch ansonsten ist grundsätzlich
dasjenige Gericht zuständig, welches als erstes angerufen wurde.
Nach seiner dortigen Lehrtätigkeit
befragt, erklärte uns Prof. Dolezalek, daß er dort die Basisvorlesung
im Zivil- und Zivilprozeßrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie
sowie eine Vorlesung zur Rechtsvergleichung gelesen hat und wie zuvor an
anderen Universitäten auch vielfach Prüfungen abgenommen hat.
Wenn ein Europäer im
Südafrika des Jahres 1989 lehrt, so drängt sich die Frage auf,
wie er die Apartheid erfahren hat. Prof. Dolezalek sprach uns gegenüber
davon, daß schon 1988 eine Entwicklung in Reformschüben in Gang
gesetzt war. Die Apartheidgesetze der Jahre 1948 bis 1965 mit ihrem "katastrophalen,
schlimmen Inhalt" waren auf Grund des armutsbedingten Organisationsmangels
im Lande nicht flächendeckend in ihrer Striktheit durchführbar,
und der Höhepunkt dieser Gesetzgebung lag bereits weit zurück.
So wurden schließlich ab 1990 die Apartheidgesetze etappenweise abgeschafft
und 1993 auch die politische Verantwortung mit dem Wahlrecht wieder in
die Hände aller Südafrikaner gelegt.
In diesem Zusammenhang interessierte
uns, welche Ansicht die Universität Kapstadts zu diesem Problemkreis
hatte und inwiefern sie die Förderung gleicher Lebensverhältnisse
und Chancen betrieb. Darauf konnte er uns mitteilen, daß den Universitäten
Kapstadt, Johannesburg, Durban und Rhodes eine Vorreiterrolle zukam. So
setzten sich die Universitäten offen über das Verbot hinweg,
schwarze Studenten zu haben. Schließlich waren dann alle Öffentlich-Rechtler
an der Fakultät bei der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt, als
die überfällige Reform Wirklichkeit wurde.
Natürlich wollten wir
nun wissen, aus welchem Grund die Reformen genau zu dieser Zeit stattfanden.
Prof. Dolezalek erklärte uns, daß im Grunde schon immer nur
ein Teil der Weißen die Apartheid unterstützt hatte. Der Umschwung
kam aber dadurch zustande, daß innerhalb des Geheimbundes "Broederbond",
der unter den afrikaanssprachigen Weißen sehr mächtig war (und
noch ist), die Reformwilligen die Mehrheit errangen. Diese war unter anderem
dadurch bewirkt worden, daß die größte Kirche Südafrikas,
nämlich die "Nederduits Gereformeerde Kerk", die Apartheid als Sünde
bezeichnete und strikt untersagte, diese aus der Bibel zu rechtfertigen.
Diese Kardinalsfrage spaltete die National Party und bewirkte eine Mehrheit
auf Seiten der Apartheidgegner. Der geringe Prozentsatz der Weißen,
der die Apartheid noch zu stützen versuchte, konnte sich des wachsenden
Drucks nicht mehr erwehren, so daß die Vernunft am Ende siegte. Gleichzeitig
errangen innerhalb der (ebenfalls bis heute geheimen) Kommunistischen Partei,
welche die Freiheitsbewegung ANC beherrschte, die Anhänger von Gorbatschow
die Mehrheit, und die Befürworter des Staatssozialismus nach dem Vorbild
der DDR gerieten in die Minderheit. Dadurch wurde die Freiheitsbewegung
nun als Verhandlungspartner akzeptabel, und Gorbatschow selbst hat diese
Verhandlungen angeschoben.
Prof. Dolezalek sieht in
dieser Entwicklung eine Parallele zur DDR, denn auch hier wurde die Staatsidee
nicht (mehr) von der großen Masse der Bürger getragen, woraufhin
die und die Staatsführung wechselte, so daß ein unblutiger Umschwung
erfolgte.
Diese positiven Worte über
Südafrika ließ er nicht im Raum stehen, ohne zu betonen, daß
das Rassendenken, das hinter der Apartheid steht, nicht aus allen Köpfen
verschwunden ist. Noch immer empfinden Verblendete aller Gruppen die eigene
Rasse als höherwertig. Zudem brechen nun die anderen Probleme des
Entwicklungslandes Südafrika auf, die zuvor von dem Problem Apartheid
überlagert wurden: fehlende Bildung und Ausbildung, demzufolge Arbeitslosigkeit,
Kriminalität und ein zu großes Bevölkerungswachstum, welches
das Wasser im Lande zu knapp werden läßt.
Prof. Dolezalek schilderte
uns nun, daß er in seiner Zeit in Südafrika stets versucht hat,
den Kontakt zur europäischen Rechtslehre nicht abreißen zu lassen.
So kam es, daß er in den Semesterferien nicht wenige Gastprofessuren
in Europa wahrnahm. Er lehrte daher zwischen 1989 und 1995 in Louvain (Frankreich),
Trient (Italien), Barcelona und Würzburg.
Hier stellten wir nun auch
die Frage, welche Sprachen er beherrscht. Wir erfuhren, daß er neben
Deutsch, bereits in Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch,
Niederländisch, Afrikaans und Latein Vorlesungen gehalten hat. Dazu
ist er in der Lage, Russisch, Portugiesisch und Dänisch mit Hilfe
eines Wörterbuchs zu lesen. Sprachen haben mehr oder weniger mit Reisen
zu tun.
"Was bedeutet die Reiselust
eines Professors für seine Familie?" "Die müssen mit …" Nach
diesem harten Satz offenbarte Prof. Dolezalek, daß das rastlose Leben
eines vielsprachigen Hochschullehrers unangenehme Seiten hat und daß
"die müssen mit", nicht immer funktioniert. So wurde 1983 die erste
Ehe ein Opfer der Reisen. Glücklicherweise heiratete Prof. Dolezalek
1988 erneut, und seine Frau akzeptierte auch den Wechsel nach Südafrika.
Den kleinen Advokaten war nicht entgangen, daß der ursprüngliche
Wunsch, Musiker zu werden, nicht gänzlich ohne Wirkung geblieben sein
kann. So fragten wir nach, ob er nun hier in Leipzig Zeit für die
Violine findet. Zu wenig, viel zu wenig Zeit antwortete der Professor.
Mit Musik hat Prof. Dolezalek dennoch ständig zu tun, denn seine Frau
ist Kirchenmusikerin. Sie ist in den U.S.A. aufgewachsen, hat zuerst dort
Musik studiert und kam erst mit 27 zu einem weiterführenden Studium
nach Deutschland. Zur Zeit ist sie Kantorin der Christuskirche Leipzig-Eutritzsch.
Wenn
es einen Professor so weit hinaus geführt hat, ist die Frage gestattet,
wie es dann glücklicherweise zu einer Professur in Leipzig gekommen
ist. Nach 6 Jahren war es der Wunsch von Prof. Dolezalek und seiner Frau,
wieder nach Deutschland zurückzukehren. Mit den Jahren war auch das
ursprünglich fremde Südafrika weniger lehrreich geworden, und
wenn er noch in Deutschland als Hochschullehrer lehren wollte, drängte
ihn die Zeit. Ein weiterer Grund war für Prof. Dolezalek, daß
im Entwicklungsland Südafrika die Möglichkeiten für rechtsgeschichtliche
und rechtsvergleichende Forschung beschränkt sind: Es mangelt an den
Büchern, die man dazu braucht. Auch ausgedehnte Aufenthalte in Europa
können diesen Umstand nicht voll ausgleichen, so daß man allmählich
im Wissensstand zurückfällt. Im April 1995 kündigte er seine
Professur in Südafrika, wurde statt dessen Professor in Aberdeen und
unterrichtete vertretungsweise in München, während er seine Familie
in Frankfurt a. M. "geparkt hat". Da Prof. Dolezalek kein Habilitationsverfahren
durchlaufen hatte, waren seine Chancen, eine Professur in Deutschland zu
bekommen, nicht sehr gut, obwohl die ordentliche Professur in Kapstadt
den gleichen Rang wie eine formelle Habilitation einnimmt und vor allem
pädagogische Erfahrung vermuten läßt. Prof. Dolezalek bewarb
sich an mehreren Universitäten vergeblich, erhielt dann aber im Februar
1996 einen Ruf nach Leipzig und lehrte dort ab dem Sommersemester 1996
nebenher. Am 1. April 1997 trat er seine jetzige Professur für Bürgerliches,
Römisches und Gemeines Recht und Kirchliche Rechtsgeschichte an.
Wir fragten nun wegen der
Weltoffenheit von Prof. Dolezalek vorsichtig, ob er gezögert hat,
weil Leipzig im blühenden Osten Deutschlands gelegen ist. Uns begegnete
dann auch ein entschiedenes Nein.
"Ich freue mich sehr, daß
ich nach Leipzig gekommen bin. Leipzig ist ein glücklicher Umstand."
Hätte man an anderer Stelle Zweifel haben können, so zerstreute
sie Prof. Dolezalek mit dem Folgenden. Er lobte Leipzig für dessen
Kultur und vor allem die Musik, die Kirchenmusik, die offenbar seine musikalische
Heimat ist. "Leipzig ist eine Kulturstadt ersten Ranges." Er hofft, daß
der Kulturstandard vor allem auf dem musikalischen Bereich gehalten werden
kann, wenn die Bevölkerung das Angebot weiterhin annimmt.
Die erste Einrichtung kultureller
Art, die Prof. Dolezalek in Leipzig besuchte, waren verständlicherweise
die Motetten in der Thomaskirche. Auf einen rechtsgeschichtlich interessierten
Menschen, wie es Prof. Dolezalek ist, übt die Stadt mit der Deutschen
Bücherei, der gut ausgestatteten Universitätsbücherei und
den teilweise wieder nach Leipzig zurückkehrenden Beständen der
Reichsgerichtsbibliothek natürlich auch einen besonderen Reiz aus:
"Für die Rechtsgeschichte ist Leipzig phantastisch." Die Probleme
finanzieller Art sind nach seinem Eindruck ohnehin unisono an den Fakultäten
in ganz Deutschland anzutreffen.
Nun wollten wir wissen,
ob ihm speziell in Leipzig ein bestimmter "Geist" oder besondere Eigenschaften
bei Studenten oder der Fakultät aufgefallen sind. Er wies uns darauf
hin, daß er weniger mit deutschen Universitäten vergleichen
könne, tat dies dann aber mit ausländischen Universitäten.
Für uns überraschend stellte er fest, daß Studenten in
Deutschland, in Leipzig, reifer sind als dies an Universitäten in
Italien oder Spanien der Fall ist. Er erklärte dies damit, daß
die männlichen Studenten älter sind, weil sie in aller Regel
Zivil- oder Wehrdienst geleistet hätten und auch die Schulausbildung
oft länger ist. Im Ausland würden die Jungs auch mal mit Papierfliegern
werfen …
Nach den Chancen befragt,
in Leipzig eine gute Ausbildung zu genießen, antwortete Prof. Dolezalek,
daß er keine Gründe sehe, warum dies in Leipzig nicht möglich
sein soll. Er beurteilt die Ausgangsposition im Vergleich mit anderen Universitäten
nicht als rosig, doch als in jedem Falle brauchbar. Zudem legt er Wert
darauf, daß Leipzig beste Aussichten hat, sich wieder einen Namen
zu machen, denn die Stadt liegt sehr zentral in Ostdeutschland, die Umzüge
des Bundesverwaltungsgerichts und des 5. Strafsenats des BGH tun ihr übriges,
und mit der Deutschen Bücherei steht eine hervorragende Bibliothek
im Hintergrund.
Will ein Student heute sicher
eine Stelle anstreben, so muß er Auslandserfahrung, ein schnell erreichtes
Prädikatsexamen und frühzeitige Praktika nachweisen. Uns interessierte,
wie Prof. Dolezalek diese Elemente gewichten würde, hätte er
sein Studium heute aufgenommen. Er antwortete darauf, daß die "absoluten
Cracks" auch weiterhin kein Problem haben werden, spezifische Berufe wie
den des Richters zu erreichen. Nur die wenigsten können sich aber
darauf verlassen, zu diesen 5 % zu gehören. Deshalb empfiehlt er allen
anderen, neben soliden juristischen Grundkenntnissen eine zusätzliche
Ausbildung zu verfolgen. Diese kann zum Beispiel aus Sprachkenntnissen
bestehen und es sollte vor allem eine außerjuristische Materie sein.
Bei diesem Weg ist die Dauer des Studiums für ihn nebensächlich,
wenn es dem Studenten finanziell erlaubt ist. Wenn man diese Doppelausbildung
aber nicht beschreiten kann, so fürchtet er, daß nur mit juristischen
Grundkenntnissen ein erfolgreicher Einstieg in einen juristischen Beruf
schwer möglich ist.
Prof. Dolezalek hat 1986
ein umfangreiches Buch mit dem Titel "Repertorium manuscriptorum veterum
Codicis Iustiniani" veröffentlicht. Auf die Frage nach dem Inhalt
dieses Buches teilte er uns mit, daß er in 226 mittelalterlichen
Handschriften in 111 Bibliotheken Glossen zum Codex Iustinianus aus der
Zeit von 1100 bis 1240 analysiert hat, die Ausgangspunkt für die Standardkommentare
ab dem Jahr 1240 waren, aber dann von letzteren verdrängt worden sind
und in Vergessenheit gerieten. Hierbei hat er mittels selbst entwickelter
Computerprogramme versucht, Gruppen innerhalb der handschriftlichen Überlieferung
festzustellen.
Wir wollten nun wissen,
wie er speziell zu einem Verfechter der römischen Rechtstradition
wurde und die Motivation zu einem solchen Buch fand. Prof. Dolezalek hat
schon als Student in Modena die Möglichkeit gehabt, einen Blick in
originäre Quellen des römisch-kanonischen Rechts zu werfen. Er
wurde als Student mit der Aufgabe betraut, im dortigen Staatsarchiv viele
hunderte Blätter aus mittelalterlichen Handschriften zu ordnen. Bei
dieser Arbeit hielt er neben medizinischen und theologischen Texten auch
Handschriften juristischer Art aus dem 11. bis 15. Jahrhundert in seinen
Händen. Diese Schriften haben ihn nicht wieder losgelassen und sein
Interesse speziell für römisches Recht geweckt.
Im Bezug zum Thema Rechtsgeschichte
durfte natürlich unsererseits die Frage nicht fehlen, wie sie denn
dem Studenten nutzen soll, der nicht primär wissenschaftlich interessiert
ist. Prof. Dolezalek legte nun überzeugend dar, daß die methodischen
Grundlagenfächer wie Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte genau
das Grundverständnis vermitteln, das die Basis des juristischen Lernens
ist. Sicherlich ist nicht das historische Detailwissen Schlüssel zur
Fallösung, doch Hochschullehrer können gerade in diesen Fächern
grundlegende Prinzipien vermitteln. Erst diese versetzen den Studenten
in die Lage, abwägen zu können, welches Wissen er ständig
parat haben muß und welches Wissen Details darstellt, das er sich
schnell anlesen kann.
Dennoch wandten wir ein,
daß Studenten in großer Zahl eben diese Grundlagenfächer
geringschätzen, so daß doch ein großer Bedarf bestehen
muß, die Grundlagenfächer zu überdenken, damit sie nicht
das fünfte Rad am Wagen bleiben. Prof. Dolezalek gab zu, daß
auch er das Patentrezept noch nicht gefunden hat. Er sieht die Schwierigkeit
darin, daß gut gemeinte Äußerungen subtiler Art über
die Bedeutung von Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie kaum wahrgenommen
werden und deutliche Appelle allzuleicht als Moralpredigten abgelehnt werden,
was der Sache noch mehr schadet. So versucht er selbst, in seiner Vorlesung
alles zu tun, um die Inhalte attraktiv und anschaulich zu vermitteln.
Prof. Dolezalek bemerkte
auch, daß eben nicht nur das induktive, fallbezogene Lernen nötig
ist. Das Lernen mit den Problemen eines Einzelfalles ist erst dann effektiv,
wenn die Grundzüge problemlos auf die Fälle angewandt werden
können. Hat man diese Grundlinien nicht erfaßt, ergeht es dem
Studenten so, wie es Prof. Dolezalek zu seiner Studienzeit erläutert
wurde: Die Universität lehrt die Funktion der einzelnen Rädchen
des Rechts, und es sei nicht schlimm, wenn der Zusammenhang am Beginn fehle.
Dieser folgt, wenn die Rädchen von der Universität unter kräftiger
Mithilfe des Studenten in den letzten Semestern zusammengesetzt werden.
Mit diesem System will sich Prof. Dolezalek nicht zufrieden geben, und
daher zieht er den Weg vom Allgemeinen zum Speziellen vor, da der Student
sonst im Detail ertrinkt und nicht mehr in der Lage ist, sich kurz vor
dem Examen auf die Grundzüge zu besinnen.
Wie wichtig es ihm ist,
dies auch zu erreichen, zeigt seine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung
des Lernerfolgs seiner Studenten: "Der einzige Erfolg, der zählt."
Wenn dem so ist, fragten
wir uns natürlich, wie er diesen optimal in den Massenvorlesungen
des Studiums der Rechtswissenschaften gewährleisten will, stehen doch
Vorlesungen in der Kritik, da sie als Frontalvortrag Defizite hinsichtlich
der langfristigen Aufnahme des Stoffes aufweisen. Der Professor will diesen
negativen Umständen mit einer Art der Darstellung entgegensteuern,
die darauf abzielt, das Raster des zu lesenden Stoffgebietes fest im Wissen
der Studenten zu verankern. Er beginnt eine Vorlesungsreihe mit der groben
Darstellung des Inhalts und fährt erst nach diesem Überblick
fort, die einzelnen Details des Stoffgebietes den Studenten zu vermitteln.
Er vergleicht diese Technik
damit, daß er das Bild einer Bergkette beschreibt. Zunächst
stellt er den groben Umriß, also die Kammlinie des Gebirges dar,
um im Anschluß daran die einzelnen "Häuschen und Wälder"
anzuordnen. Die Kammlinie wird nun durch die genauere Beschreibung der
Details tiefer ins Gedächtnis eingeprägt, und gleichzeitig hat
man bei jedem Detail des Bildes stets vor Augen, wo denn sein Platz im
Ganzen ist. Prof. Dolezalek hofft, daß sich ein aufmerksamer Student
in seiner Vorlesung unter Zuhilfenahme von Folien und einer bildhaften
Darstellung, das Raster in gesiebter und merkbarer Form aneignen kann.
Nach seiner Ansicht kann die Vorlesung dieses Raster besser als ein Buch
vermitteln, denn die betonte Darstellung eines Rechtsprinzips ist eindringlicher
als der Fettdruck in einem Buch (selbstredend hängt dieser Effekt
natürlich vom Dozenten ab, Anmerkung des Autors). Darüber hinaus
sieht Prof. Dolezalek den Vorteil der Vorlesung darin, daß die Vorlesung
zu einer geregelten Tageseinteilung zwingt, die trotz aller studentischen
Freuden nötig ist. Ist man dann noch wirklich aufmerksam, beruhigt
man nicht nur das Gewissen, sondern geht einen wesentlichen Schritt in
die richtige Richtung.
Rede und Antwort stehen
mußte Prof. Dolezalek auch darüber, wo er von der deutschen
Einigung erfahren hat und was er dabei gedacht und empfunden hat. Er schilderte
uns nun, wie er im ersten Jahr im fernen Südafrika von den Ereignissen
hörte. Ausgerechnet jetzt passierte etwas für ihn schier Unglaubliches,
Faszinierendes, und er konnte in Südafrika kaum genaue Informationen
über die Entwicklung erhalten und sich in keiner Weise beteiligen.
Er hatte das Gefühl, am falschen Ort zu sein.
Wir erkundigten uns, welche
Ansicht er als Rechtshistoriker zum rechtlichen Vollzug der Einigung hat.
Prof. Dolezalek schickte zunächst voraus, daß die Rückschau
immer einfacher ist und man deshalb nur das Handeln zur Zeit der Entscheidungen
kommentieren könne. Die Möglichkeit der Einheit wurde von den
Verantwortlichen als einmalige Chance gesehen, die ein eiliges Handeln
zu fordern schien. Deshalb kann man nicht aus heutiger Sicht vorwerfen,
daß man eine längere, vielleicht vernünftigere Übergangsphase
hätte festlegen sollen.
Wir führten dennoch
auf, ob nicht auch die Chance vertan wurde, fortschrittliche Elemente der
Rechtsnormen der DDR wie die völlige rechtliche Gleichstellung des
nicht ehelichen Kindes im Erbrecht zu übernehmen. Dem Gedanken, daß
vereinzelt Bestimmungen gut waren, war Prof. Dolezalek nicht prinzipiell
abgeneigt, und er äußerte, daß eine Auseinandersetzung
durchaus fruchtbar sein könnte. Die Größe der 1990 anstehenden
Aufgaben hätte aber die Einzelfragen in den Hintergrund gedrängt,
so daß ohne böse Absicht nicht immer das Optimum erreicht wurde.
Berücksichtigung muß seiner Meinung nach finden, daß in
vielen Bereichen nach dem Einigungsvertrag Übergänge vereinbart
wurden, die teilweise noch einen Raum für DDR-Recht gaben.
Er merkt auch kritisch an,
daß zu einer wirklichen Auseinandersetzung mit möglicherweise
fortschrittlichen Rechtsnormen die rechtswissenschaftliche Basis aus der
DDR fehlt, denn die westdeutsche Rechtsvergleichung hat das Recht der DDR
bei weitem mehr durchgearbeitet, als die Schriften aus der DDR selbst.
So ist vor allem die Geltung des Rechts wissenschaftlich unerforscht geblieben.
Daher gab es zu dem bequemen Weg der grundsätzlichen Übernahme
des Rechts der Bundesrepublik keine sofort durchführbare Alternative.
Ein leidiges Thema konnten
wir nicht unberührt lassen: Die unter Studenten allseits beliebten
Klausuren, die in der Praxis kein Gegenstück finden, verdrängen
immer mehr die Hausarbeiten.
Wir fragten Prof. Dolezalek,
ob er hierin nicht eine Verschlechterung für die wissenschaftliche
Ausbildung und die spätere Praxis sieht. Er antwortete dann auch,
daß er diese Entwicklung für sehr bedenklich halte.
Zwar sind Hausarbeiten im
Examen aus Gründen eines nicht zu überwindenden Mißtrauens
kaum praktikabel, aber bei Übungen haben sie die wichtige Funktion,
die Nachschlagetechnik und die Fähigkeit, sich in Themen einzuarbeiten,
zu vermitteln. Damit geben sie dem Studenten mehr als nur eine Vorbereitung
auf das Examen. Sie bereiten ihn darauf vor, in seinem Beruf gründlich
und präzise arbeiten zu können. Diesen Vorteil sollte man in
jedem Falle bedenken, bevor man auch noch die Zwischenprüfung einzig
auf Klausuren stützt. Um das Ausbildungsniveau anzuheben und wirklich
interessierte Studenten vor Kürzungen an ihrer wissenschaftlichen
Arbeit zu bewahren, würde es Prof. Dolezalek befürworten, bei
der Auswahl der Jura-Studienanfänger auf die Noten in den entsprechenden
Fächern im Abiturzeugnis zu achten. Es sei allgemein bekannt, daß
abstraktes Denkvermögen wie in der Mathematik nötig ist und das
Element der Sprache im Studium sehr bedeutend ist. Diese Fächer sagen
mehr als andere etwas über den möglichen Jura-Studienerfolg aus.
Mit ihnen könnte man die Befähigung zu der nötigen Wissenschaftstechnik
besser nachweisen und so das Studium zahlenmäßig frühzeitiger
entlasten, um nicht rein auf die Selektion im Studium setzen zu müssen.
Demgegenüber sieht er ebenso klar, daß eine solche Regelung
nicht völlig solche Studenten ausschließen darf, bei denen das
Interesse am Juristischen erst spät erwacht ist.
Zuletzt hatten wir noch
Fragen in eigener Sache. Prof. Dolezalek hat ab dem Wintersemester 1996
jede Ausgabe des Kleinen Advokaten gelesen. Interessiert hat uns nun, ob
er auf seinen bisherigen Stationen ähnliche Zeitungen der Studenten
der juristischen Fakultät gelesen hat, aus denen er uns Anregungen
geben könnte. Zu unserer Überraschung antwortete er, daß
ihm keine vergleichbare Zeitung einfällt. Die ihm bisher aufgefallenen
Zeitungen seien im wesentlichen reine Mitteilungsblätter der Fachschaften
gewesen, die nach kurzer Zeit wieder eingegangen sind. Lediglich in den
USA ist eine Tradition etabliert, daß fast alle wichtigen juristischen
Zeitschriften durch Studenten redigiert werden. Diese Bemerkung lenkte
das Gespräch zu einer Idee eines kleinen Advokaten, zu grundsätzlichen
juristischen Themen allgemeinen Interesses eine Rubrik zu eröffnen,
in der ein Hochschullehrer oder wissenschaftlicher Assistent im Umfang
von ca. 3 Seiten über ein Thema schreibt, das ihm eine Stellungnahme
wert ist. Diese soll eine im Stil eines Denkanstoßes geschriebene,
fundierte Meinung darstellen, die sich auch auf die Juristenausbildung
beziehen könnte. Wir fragten nun sogleich Prof. Dolezalek, ob er diese
Idee für realisierbar hält und sich selbst beteiligen würde.
Dies führte zu einer kontroversen Diskussion, an deren Ende eine etwas
abgewandelte Form des Vorschlages stand, den alle Anwesenden für machbar
hielten. Ob sich diese Idee wirklich umsetzen läßt, darauf darf
der Leser des Kleinen Advokaten gespannt sein.
Herr Professor Dolezalek,
der kleine Advokat bedankt sich für das aufschlußreiche Gespräch.