Probleme mit der Rechtschreibreform

Roland Schmitt-Hartmann
Beispiel: Tripelkonsonanten.

Früher waren die Regeln (man beachte den Plural) so:

  1. Wenn bei einer Zusammensetzung von zwei Wörtern drei gleiche Konsonanten aufeinander treffen, fällt in der Regel (sic!) einer weg.

  2. Bei einer Silbentrennung kommt der dritte Konsonant wieder hinzu.

  3. Die Ausnahme ist, wenn nach dem dritten Konsonanten ein weiterer anderer Konsonant folgt. Dann werden alle drei geschrieben.

Jetzt ist die Regel so:

  1. Es fällt nichts weg.

Welches ist einfacher? Welche logischer? Welche leichter zu lernen?
Welche konsequenter?

Dass die alte Regel Schwierigkeiten bereitete, zeigt das Beispiel (alt) "Stilleben". Bis mein Kunstlehrer uns in der achten Klasse sagte, dass es sich um ein Still-Leben und nicht um ein "Stil- Leben" handelte. Hier wurde also die korrekte Bedeutung und Aussprache durch eine seltsame Schreibweise verdeckt.

Dies ist jetzt nicht mehr so. Jetzt heißt das Viech "Stillleben" und man kann lesen, was es heißt und wie es ausgesprochen wird, OHNE dass diese Information explizit angegeben werden muss - und man weiß mehr über die entsprechenden Bilder - nämlich, dass da "stille" Sachen dargestellt werden, und nicht unbedingt "stilvolle".


Susanne Metzger-Rehn
Was sind "scheinbare Namen" bzw. warum sind manche Namen keine Namen? Die "goldene Hochzeit" zum Bleistift... Man kann ja nicht fragen: Wie war die Hochzeit? - golden. Wenn man mit was fragt, müßte die Antwort eigentlich substantivischen Charakter haben, oder?

Der "blaue Brief" unterscheidet sich von einem blaufarbenen Brief eigentlich genausosehr wie die "rote Karte" von einer roten Karte. Auch in meinem Kurs haben sich darüber viele aufgeregt.


Oliver.Gassner:
ABER, was bei der Reform mein erster Gedanke war: Das HAUPT-Problem sehe ich in der (auch aber nicht nur elektronischen) Datenverarbeitung. Nein, nicht die Rechtschreibprogramme, sondern Suchmaschinen und Datenbanken, Stichwort- und Schlagwortverzeichnisse. Die Programme müßten alle so umgeschrieben werden, daß sie - egal ob man in der Übergangszeit (und danach?) - die neue oder alte Form angibt, jeweils beide Formen finden.

Gibt es dazu schon Überlegungen oder Diskussionen (im Netz?). Ich stelle mir vor, daß das in den comp-Gruppen vielleicht ein Thema ist.


Dirk Moebius:
Mit freundlichen Grüßen und Beileidsbekundungen an alle Tunfische und Gämsen

Anselm Lingnau:
Nicht zu vergessen das arme Känguru!

(So weit, auch 'Ku' zu schreiben, geht die Rechtschreibreform dann doch nicht. Dabei haben Ku und Gnu doch viel mehr miteinander gemeinsam als Gnu und Känguru, heißt das Gnu doch auch 'Ku-Antilope'!)


Heinrich Pflaumer:
Die neuen Regeln sind nicht eindeutig, sondern können unterschiedlich ausgelegt werden. Die Folge ist, daß im Bertelsmann manches anders steht als im Duden.
Otto Stolz:
Manches -- aber sehr wenig. Sieht man von unterschiedlicher Darstellung desselben Sachverhalts und von unterschiedlicher Auswahl der aufgeführten Wörter ab, so gibt es nur sehr wenig Unterschiede -- wesentlich weniger als vor der Reform!

Eine wissenschaftliche Untersuchung, exemplarisch durchgeführt am Buchstaben H, ergab, dass im untersuchten Bereich gerade mal 4 (in Worten: vier) echte Unterschiede auftreten, die auf Unsicherheiten in der Regelauslegung zurückzuführen sind, nämlich:

 Duden 1996                        Bertelsmann 1996
 hartgesotten[er Sünder]           hart gesotten[er Sünder]
 hierher gehörig                   hierhergehörig
 hoch gewachsen                    hochgewachsen
 [der] hundertjährige Kalender     [der] Hundertjährige Kalender

In der letzten Auflage vor der Rechtschreibreform (Vergleich Duden 1991 mit Knaur 1992) waren es dagegen noch 20 echte Unterschiede, die auf unterschiedlicher Auslegung der Regelungen beruhten! (Wenn ich richtig gezählt habe). Dazu kommen noch 10 unterschiedliche Angaben zur Silbentrennung, die damals ja noch keine Wahlmöglichkeit (heute: §112) kannte.

Nicht gerechnet habe ich in beiden Vergleichen die Unterschiede in geographischen Namen und in fachsprachlichen Wörtern, da diese nicht Gegenstand der Rechtschreibregeln sind.

Fazit:
Die angebliche Ungenauigkeit der neuen Regeln im Vergleich mit den alten hat sich also als Zwecklüge von Denk und Konsorten entpuppt, die einer genauen Untersuchung nicht standhält.

Kleiner Gag am Rande: vor der Rechtschreibreform trennte Duden "He|li|ko|pter", Knaur dagegen "He|li|kop|ter" (damals unzulässig); heute ist es gerade umgekehrt (wobei nach §112 beide Trennungen zulässig sind, worauf beide Bücher mehr (Bertelsmann) oder weniger (Duden) deutlich hinweisen).


Horst Rothe
rotheh@rz.uni-leipzig.de
letzte Änderung: 17.08.99 seit 23.07.1996