1. Einleitung
Die Drucker sind die ersten, die sich nicht nur implizit
oder explizit mit Fragen der Orthographie beschäftigen, sondern
auch in aller Deutlichkeit Normierungsvorschläge
vorbringen. Sie haben schließlich reale wirtschaftliche Interessen
an einer Uniformierung und damit an einem Produkt, das nicht nur in
einer bestimmten Gegend seinen Absatz findet, sondern überall
verkauft werden kann. Ihre Reformvorschläge
gehen denen der Grammatiker letztendlich
voraus. Ihre Aktivitäten zeigen also besonders deutlich den
Zusammenhang zwischen einer bestimmten Technologie und der Sprachnormierung.
2. Geofroy Tory 1480-1533 (z.T. auch Geoffroy geschrieben)
Der in Bourges geborene Humanist Geofroy Tory war nicht nur Drucker,
Typograph und Korrektor (bei den Estienne, Gilles de Gourmont,
Simon de Colines, etc.) in Paris, sondern auch ein gelehrter Philologe,
Grammatiker und Dialektologe. Nach einem Studium in Italien (1505-1506)
wurde er Professor in Paris und Herausgeber bei Henri Estienne. Er
fing an zu malen und zu gravieren. 1516-1518 kehrte er nach Italien
zurück, um sich dort weiterzubilden. Von dort brachte er von Salutati,
Alberti und Trissino für die Kalligraphie und von Aldus und Bembo
für den Druck erstellte Zeichnungen für die «litera
rotonda antica» mit. Letztere ersetzte schon schnell die französischen
und von der gotischen Schrift inspirierten Lettern. Tory arbeitete
auch als Buchbinder und produzierte sehr schöne Initialen,
Ränder und Illustrationen sowie sein berühmtes Buchzeichen
(zerbrochener
Topf) und das von Robert Estienne (Olivenbaum).
Er bildete Generationen von Graveuren aus, darunter Garamont und Granjon.
1525 erschien sein Stundenbuch, das ein von den Handschriften unabhängiges
Typen-Design einführte und das Entwerfen von Büchern in Frankreich
zu einer Kunst machte (vgl. auch die Beschreibung zu "Digital Horae" und das Online-Projekt). Sein Beitrag zur Etablierung eines hochwertigen
Buchdrucks in Frankreich wurde mit seiner Ernennung zum königlichen
Drucker von François I anerkannt.
2.1 Le Champ Fleury
1529 erscheint sein Champfleury, « Auquel
est contenu Lart & Science de la deue & vraye Proportiõ des
Lettres Attiques, quõ dit autremēt Lettres Antiques, & vulgairement
Lettres Romaines proportionnees selon le Corps & Visage
humain, d.h. wo er die seinem Design der Antiqua-Majuskeln zugrundeliegende
Theorie erklärt. Bei Tory werden die Buchstaben
als Gegenstand betrachtet und die Lettern werden zu architektonischen
Konstrukten. Nach Catach (2001: 106) legt Tory mit
diesem Werk den Grundstein für den graphischen und typographischen
Erfolg der Renaissance.
Vorlage für diesen Champ-Fleury Stil ist zum einen Luca
Paccioli, der in seinem De
Divina Proportione (1509)
versuchte, eine Schrift zu entwickeln, indem er im Stil der
Zeichnungen von Leonardo da Vinci die Proportionen des menschlichen
Körpers
auf geometrische Formen reduzierte. Zum anderen waren es die Zeichnungen
von Leonardo da Vinci, den Tory selbst brennend verehrte, und die
Zeichnungen von Dürer. Mit Tory und der großen Wirkung, die sein
Werk auf den Buchdruck hatte, hat sich das Zentrum
der Schriftartenentwicklung von Italien nach Frankreich verlegt.
Le Champ fleury wurde 1524 konzipiert und 1526 fertiggestellt. Gedruckt
wurde es 1529 von Gilles de Gourmont in einer Antiqua-Schrift.
Tory beklagt sich in diesem Werk auch über die schlechte Qualität
der französischen Drucke, plädiert unter anderem mit dem
Argument der besseren Wahrnehmbarkeit für die Antiquabuchstaben
und für eine bestimmte Formatierung der bedruckten Seiten und
verlangt, dass ein System von Akzenten, Hilfszeichen, Cedille und Satzzeichen
aufgestellt wird.
Im Champfleury (vgl. Seitenbeispiel)
wird all das allerdings nicht beachtet: es gibt viel zu viele Majuskeln,
die Zeilenziehung ist schlecht, Abkürzungen erscheinen statt den
Nasalen, Zeichensetzung und Apostrophe fehlen. Die Orthographie
unterscheidet sich insgesamt auch nicht von der der Kopisten.
Tory kommt trotzdem das Verdienst zu, als erster den Accent aïgu,
den Apostroph und die Cedille eingeführt zu haben. Es wird behauptet,
er habe diese von den Druckern spanischer Texte in Toulouse übernommen.
2.2 Normierung der Sprache
Im Champfleury geht es aber nicht nur um die graphische Gestaltung
der Lettern und die äußere Form der Texte, sondern
Tory ruft hier auch ausdrücklich zur Normierung des Französischen
auf und macht diesbezüglich konkrete Vorschläge. Das
hat natürlich gerade auch mit den Bedürfnissen der gedruckten
Ausgaben zu tun. Das Problem mit der Aussprache zahlreicher Vokale
aufgrund der Lautentwicklung gab es zwar auch schon vorher, vor
allem in der Dichtung, der Buchdruck verstärkt nun aber dieses
Problem.
Dass es Tory in seinem Werk um Normierung geht, wird gleich zu Beginn
gesagt:
Ce tontal Oeuure / est diuise en Trois Liures
Au Premier Liure / est contenue Lexhortation a mettre & ordonner
la Lãgue Francoise par certaines Reigle de parler elegãment
en bon & plussain Langage Francois. (A.I. v o)
denn sonst würde das Französische aufgrund einer zu schnellen
Entwicklung untergehen:
[...] Sil ny est mys & ordonne on trouvera que de Cinquante Ans
en Cinquante Ans la La [sic] langue Francoise, pour la plus grande
part, sera changee & peruertie
Ganz ähnlich steht es auch bei Nebrija, doch spricht er nicht
von 50, sondern von 500 Jahren.
Tory tritt für den Gebrauch des Französischen statt des
Lateins ein. Wie er selbst sagt, ist er stolz darauf, der erste zu
sein, der das macht:
DOoncques Iescripray en Francois selõ mõ petit stile & langage
maternel (F 1 ; I v o)
IE sembleray cy par auãture estre nouuel hõme, pource
quon ma point encores veu ēseigner par escript en lãgage
Frãcois la facõ & qualite des Lettres, mais desirant
enluminer aucunement nostre langue, ie suis content estre le premier
petit indice a exciter quelque noble esprit qui se euertura dauantage,
[...](F 1 ; I v o)
Es geht Tory aber nicht nur um die Graphie, sondern er legt auch grammatische
Regeln fest:
SI auec nostre facundite, estoit Reigle certaine, Il me semble
soubz correction, que le langage seroit plus riche, & plus parfaict.
Et a ce .ppos pource quil men souuient, & que je puisse bailler
quelque bõne raison que Reigle se y pourroit tenir, pource
que ie voy communement mains persõnages tãt scauans
que non scauans y faillir & commettre Barbarisme, & langage
inepte, je dis que pour les preterits parfaictes on peut assigner
telle Reigle & dire.
(F 1 ; III r o)
Er rechtfertigt seinen Aufruft zur Normierung nicht zuletzt auch damit,
dass eine normierte Sprache mehr zur Macht beiträgt als der Krieg:
[...] les Romains qui ont eu domination sus la plusgrande partie
du mõde, ont plus prospere, & plus obtenu de victoires par
leur langue que par leur lance. Pleust a Dieu que peussions ainsi faire,
non pas pour estre Tyrans & Roys sus tous, mais en ayant nostre
laugue bien reiglee, peussions rediger & mettre bonnes Sciences & Arts
en memoire & par escript. (F 1 ; IV v o)
Es ist nach Tory auch nicht schwieriger das Französische,
das mehrere Dialekte kennt, zu normieren als das Griechische, denn
auch bei den Griechen gab es fünf Dialekte, die sich voneinander
auf allen Ebenen unterschieden. Was das Französische betrifft,
so nennt er die folgenden Dialekte:
la langue de Court & Parrhisiene, la langue Picarde, la Lionnoise,
la Lymosine, la Prouuensalle (F 1, V r o).
Dass er schließlich der Sprache von Paris
den Vorzug gibt, zeigt seine Lobrede auf Paris, die wie folgt beginnt :
Paris est vne admirable maison Royalle, [...] (F 1; VI r o-v o).
Er tritt auch für den Gebrauch des Französischen
in den Bereichen der Wissenschaft und Kunst ein, so im Folgenden, wo
er die Hoffnung ausspricht, dass auch die Autoren bald auf Französisch
schreiben:
Nous nauons point ancores veu de tel Autheur en langage Francois,
Pleust a Dieu que beaucop daultres feissent ainsi, non pas pour
contemner les Langues Hebraique, Cre q [die
Tilde über dem q ässt sich nicht darstellen], & Latine,
mais pour cheminer plus seurement en sa voye domestique, Cest a
dire, escripre en Francois, comme Francois que nous sommes. (F
2, XII.r o)
Und so geht das etwa eine ganze Seite weiter:
Il me semble soubz correctiõ quil seroit plusbeau a vng Francois
escripre en francois quen autre langage, tant pour la seurete de son
dict langage Francois, que pour decorer sa Nation & enrichir sa
langue domestique, qui est aussi belle & bõne que vne autre,
quãt elle est biē couchee par escript. (F 2, XII r
o)
Tory führt wie schon gesagt, die Cedille ein.
Hier seine Argumentation:
C deuant O, en pronunciation & langage Francois, aucunesfois
est solide, cõme en disant Coquin, coquard, coq, coquillard.
Aucunesfois est exile, comme en disant Garcon, macon, facon, francois, & aultres
semblables (F 3; XXXVII v o)
AVlcuns designent & font le C. comme si cestoit le O. coupe par
la pãse de la main droicte sans lentre ouuir, mais comme ien
ay veu en Rõme de bien Antique, ie lentreouure par embas,
en luy rendant une queue subtile qui luy donne grace et esperit.
(F 3; XXXVII v o)
Im Folgenden geht es um die Akzente:
En nostre langage Francois nauons point daccents figure en escripture, & ce
pour le default que nostre langue nest encores mise ne ordonnee
a certaines Reigles comme les Hebraique, Greque, et Latine. Ie vouldrois
quelle y fust ainsi que on le porroit bien faire (F 3; LII r o)
Tory wendet sich auch gegen Latinismen, Jargonwörter, regionale
Varianten und Neologismen jeglicher Art, die den honneste Langage seiner
Meinung nach deformieren und korrumpierten. Tory fordert also ausdrücklich
einen regulativen Eingriff.
Insgesamt zeigt sich bei Tory die Einheit von beruflich-ökonomischen,
sowie sprachlich-kulturellen humanistischen Interessen. Vielleicht
war das ja bei Nebrija auch so. Dass die Textherstellung mit dem Buchdruck
insgesamt zu einem ökonomischen Phänomen wird, zeigt auch
die folgende Aussage von Bouchet, mit der er sich an die Drucker wendet.
Ayez tousiours de bons compositeurs
Lettrez assez, & de bons correcteurs,
N’y espargnez argent, quoy qu’õ vo trouble
Vous y aurez a la fin gaing au double.
3. Manuzio - Bembo
Kommen wir nun zu Italien. Zum Zentrum des Buchdrucks in Italien
wurde wie gesagt Venedig. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Aldus
Manuzio und Pietro Bembo. Ihr Nebeneinander und ihre Zusammenarbeit
haben in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts zu einer ganz neuen
Situation geführt,
die auf die weitere Entwicklung der Volgari, von denen es ja damals
in Italien eine ganze Menge gab, und auf die Normierung der Sprache
einen starken Einfluß haben
sollte.
Ich hatte schon darauf hingewiesen, dass der Buchdruck eine v.a. ökonomische
Angelegenheit war und die ersten Drucker v.a. schneller bessere und
billigere Kopien von Manuskripten herstellen wollten. Da sie diese
verkaufen wollten, musste es sich um Texte handeln, für die es
eine große Nachfrage gab. Eine solche bestand in Italien zu dieser
Zeit gerade hinsichtlich klassisch lateinischer und auch griechischer
Texte (vgl. den Humanismus). In Italien gab es aber zu dieser Zeit,
im Unterschied zu anderen romanisch sprachigen Ländern, darüber
hinaus auch schon einen hoch geschätzten volkssprachlichen Kanon,
nämlich die Werke der sogenannten Tre Corone. Es ist
deshalb nicht verwunderlich, wenn die Drucker schon bald versuchten,
die volkssprachlichen Bestseller für ihre ökonomischen
Zwecke zu nutzen.
3.1 Die Commedia von Dante
Der größte Bestseller unter den volkssprachlichen Werken
war, wie es schient, die Commedia von Dante. Schließlich
haben von diesem Text 600 allein im 14. Jahrhundert hergestellte Manuskripte überlebt.
Kein Wunder also, dass die Commedia einer der ersten Texte
war, der von den Druckern aufgegriffen und gedruckt wurde. Die erste
gedruckte Version dieses Werkes wurde, wie schon gesagt, 1472 von Johann
Neumeister in Foligno hergestellt
und zwar in einer für damalige Verhältnisse übergroßen
Auflage von 1200 Exemplaren.
Allein die große Nachfrage nach diesem Werk kann auch erklären,
dass schon innerhalb weniger Monate zwei weitere gedruckte Ausgaben
davon erschienen, und zwar in Venedig und Mantua. Da letztere
jeweils auf wieder einem anderen Manuskript (es gab schließlich
600 solcher Manuskripte) basierten, lagen innerhalb kürzester
Zeit also drei unterschiedliche Druckversionen der Commedia vor.
Weitere Ausgaben folgten schon kurz danach. Eine allgemein anerkannte
Ausgabe etablierte sich damit aber noch nicht, obwohl die beiden neapolitanischen
Ausgaben auf ein und derselben Ausgabe basierten, nämlich
der von Foligno. Wie die folgende Liste zeigt, erschienen alle ersten
gedruckten Ausgaben des Werkes außerhalb von Florenz:
1472 Foligno
1472 Venedig
1472 Mantua
1477 Neapel (Vorlage ist die Ausgabe von Foligno)
1478-1479 Neapel (Vorlage ist die Ausgabe von Foligno)
1477 Venedig
1478 Mailand
Das beweist natürlich, dass Dante längst nicht mehr nur
den Status eines Autors aus einer bestimmten Region (der Toskana) oder
einer bestimmten Stadt (Florenz) inne hatte, sondern als italienischer
Klassiker aufgefasst wurde. Dies aber ärgerte gerade die Florentiner,
die Dante als ihren eigenen Autor betrachteten.
Eine Antwort auf die Provokation, die die nicht florentinischen Inkunabeln
und das Begreifen von Dante als italienischem Klassiker für die
Florentiner darstellten, gab der Drucker Nicolo di Lorenzo della Magna,
als er 1481 die erste florentinische
Ausgabe zusammen mit einem Kommentar von
Cristoforo Landino, einem damals überaus bekannten und in Florenz
lehrenden Literaturkritiker, herausgab. In diesem Kommentar reklamiert
Landino, sozusagen am Abend vor dem Krieg von Florenz mit Neapel und
Mailand, in recht nationalistischer Manier Dante als ureigensten
Dichter der Florentiner.
Die florentinische Ausgabe wird wohl auch wegen des modernen Kommentars
von Landino in den nächsten Jahren zur allgemein anerkannten Version,
d.h. zur Vulgata. Auf ihr basieren eine ganze Reihe der in der Folge
gedruckten Werke. Die Funktion einer Vulgata behält sie so
lange, bis 1502 in Venedig bei Aldus Manutius die sogenannte Aldine erscheint,
d.h. die von Pietro Bembo erarbeitete Fassung der Commedia.
Diese Aldine verdrängt die florentinische Ausgabe total und
wird für die nächsten 300 Jahre zur allgemein akzeptierten
Ausgabe.
Der Text der Aldine war von dem der florentinischen Vulgata total
verschieden. Erstens hatte Bembo in die Vorbereitung seiner Ausgabe
ein bisher nicht nur bei der Herausgabe von Texten im Volgare, sondern
auch bei der Herausgabe von lateinischen Texten ungewöhnlich hohes
Maß an philologischer Arbeit gesteckt. Dieser Arbeit sind
auch die folgenden Änderungen zu verdanken: Zum ersten Mal werden
die Abkürzungen im Text aufgelöst und die Wörter nach
grammatischen Kriterien durch Spazien getrennt. Zudem griff Bembo ausgiebig
auf die Zeichensetzung zurück und vereinheitlichte die Verwendung
des Apostrophs sowie der Akzente.
Zum Zweiten hat Bembo seiner Ausgabe nicht die fehlerhafte florentinische
Vulgata von Florenz zugrundelegte, sondern ein anerkanntes Manuskript
aus dem 14. Jahrhundert, das Boccaccio einmal Petrarca geschenkt hatte
und das sich in der Bibliothek von Bembos Vater, Bernardo Bembo, befand.
Pietro Bembo schrieb den ganzen Text eigenhändig ab und legte
die Kopie dann Aldus Manutius zum Druck vor.
Durch seine Arbeit an diesem Text legte Bembo die zu Dantes Zeit (14.
Jahrhundert) gebrauchte Sprache frei. Dadurch tauchte das Gedicht zum
ersten Mal seit mehr als 120 Jahren wieder in seiner ursprünglichen
Form aus einem Meer von exegetischen Kommentaren auf. Dies hatte allerdings
auch zur Folge, dass der Abstand zwischen Dante und den rhetorischen
Vorlieben der Hochrenaissance deutlich wurde. Das Idol der Hochrenaissance
war nämlich eher die städtische und psychologisch raffiniertere
Poesie eines Petrarcas und nicht so sehr der religiöse Eifer und
der unorthodoxe Stil eines Dante. Das Bewusstwerden dieses Abstands
erklärt insgesamt, warum mit Bembos Aldine letztendlich auch die
Marginalisierung des Werks von Dante innerhalb des literarischen Kanons
Italiens begann.
Festzuhalten bleibt insgesamt, dass mit der gemeinsamen Veröffentlichung
der volkssprachlichen Klassiker, d.h. dem Canzoniere von Petrarca
- Bembo hatte ja schon vor der Commedia für Aldus Manutius
eine einflussreiche Ausgabe von Petrarcas Canzoniere vorbereitet,
die 1501 gedruckt wurde - und der Commedia von Dante durch
Bembo und Manutius der Grundstein für die Erkenntnis gelegt
wurde, dass es in Italien nicht nur eine eigenständige literarische
Tradition in der Volkssprache gab, sondern diese auch nicht weniger
wert war, als die von den Humanisten idealisierte griechische und lateinische
Tradition.
Damit stand einer Kanonisierung der volkssprachlichen Werke und der
Erhebung der Sprache der Klassiker zum Modell nichts mehr im Wege.
3.2 Questione della lingua
Die Veröffentlichung der Commedia durch Manutius und
Bembo bedeutet aber gleichzeitig auch die Wiederaufnahme der im 15.
Jahrhundert durch die nicht-toskanischen Inkunabeln verursachte Provokation,
die seinerzeit mit der florentinischen Ausgabe der Commedia und
dem Kommentar von Landino beantwortet worden war. Bembo, der venezianische
Patrizier, und Manutius, der in Venedig ansässige Drucker, maßten
es sich schließlich an, den Florentinern mit dieser Ausgabe etwas über
ihre eigene volkssprachliche Klassik und über ihre eigene Volkssprache
beizubringen. Es ist also kein Wunder, wenn in diesem Zusammenhang
die sogenannte Questione della lingua explodierte, d.h. die
Kontroverse zwischen Florenz und anderen italienischen Zentren, bei
der es um das richtige sprachliche und rhetorische Modell für
die Literatur ging.
Mit dem Buchdruck hatte sich ja schon der Ort verschoben, an dem die
Ausarbeitung eines Modells stattfand, d.h. maßgeblich für
das Modell war jetzt nicht mehr der Hof als Ort des praktischen Umgangs
mit der Mündlichkeit und Schriftlichkeit, sondern das Buch, wo
allein die schriftliche Sprache regierte. Und dass mit dem Druck der
volkssprachlichen Klassiker durch zwei so herausragende venezianische
Persönlichkeiten und der Erhebung dieser Ausgaben zum Modell zugleich
auch die Erhebung einer bestimmten Sprache zum Modell verbunden
war, das haben die Kontrahenten sehr wohl verstanden. Und Bembo sicher
an erster Stelle.
Für Bembo stellte ja schließlich die Herausgabe der volkssprachlichen
Klassiker den Ausgangspunkt für seine praktischen und polemischen
Bemühungen um die Förderung einer ganz bestimmten literarischen
Tradition in der Volkssprache und um ein ganz bestimmtes sprachliches
Modell dar. Diese Bemühungen mündeten, wie bekannt sein
dürfte, in den Prose della volgar lingua, die 1525 im
Druck erschienen. In diesem aus drei Büchern bestehenden Werk
bringt Bembo seine sprachlichen und rhetorischen Vorstellungen zum
Ausdruck und erklärt, unter Anlehnung an die von den Humanisten
hinsichtlich des Lateins aufgestellten Modelle, Virgil und Cicero,
Petrarcas volkssprachliche Werke zum Modell für die Dichtkunst
und Boccaccio zum Modell der volkssprachlichen Prosa.
Ohne den Buchdruck hätte sich aber dieses volkssprachliche Modell
insgesamt nicht oder wenigstens nicht so schnell durchsetzen können.
Zwar war für die Drucker und Korrektoren das Florentinische durch
ihre Arbeit an den vielen Ausgaben der volkssprachlichen Werke
von Dante und Petrarca schon vor dem Erscheinen von Bembos Prose zu
einer Art von Berufssprache, zu einer „lingua di mestiere“ (cf.
Trifone 1993: 446), geworden und hatten die Korrektoren, wie wir
gesehen haben, innerhalb ein und desselben Textes Normalisierungen
vorgenommen, doch seine endgültige Festschreibung erfuhr das Modell
erst mit den Prose della volgar lingua von Bembo, die selbst
wieder vom Buchdruck profitierten.
Ohne den Buchdruck und die praktische Umsetzung des Modells durch
die venezianischen Drucker nämlich hätte sich auch Bembo
nicht durchsetzen können. Die Drucker waren es schließlich,
die Bembos grammatische Norm propagierten, indem sie sie mit Blick
auf den nationalen Markt der Überarbeitung der Texte in der Volkssprache
durch die Korrektoren zugrundelegten. Die damit dem Modell von Seiten
der Druckindustrie zukommende Anerkennung führte letztendlich
auch dazu, dass Lexikographen und Grammatiker auf den durch die Veröffentlichung
der Prose in Bewegung gesetzten Zug aufsprangen bzw. ihre
ursprünglich eingenommene Perspektive aufgaben und sich an dem
von Bembo vertretenen und durch
die Drucker verbreiteten Modell orientierten. Dass sie das tun,
zeigen nicht nur Aussagen wie die folgende:
Di molto nome in nostra età è nel studio di lettere
la dottrina et giudicio del nobile Messer Pietro Bembo, li cui
facondi et ornati ragionamenti volgari sopra la thosca lingua poco
avanti in luce usciti, dilettatione grandissima possono addurre agli
uomini seguitanti la dirittezza natia dell'isioma thoscano.
Zu unserer Zeit hat im Bereich des Studiums der Texte die Lehre
und das Urteil des noblen Meisters Pietro Bembo einen großen Namen,
dessen fruchtbare und elegante Ausführungen im Volgare zur Toskanischen
Sprache vor kurzem erschienen sind und zur großen Freude
/ Bereicherung der Männer gereichen können, die der angeborenen
Rechtschaffenheit der toskanischen Sprache folgen.
sondern auch die Titel der im Folgenden aufgeführten grammatischen
oder lexikographischen Werke:
Niccolò Liburnio (1526): Le tre fontane di Messer Nicolò Liburnio
in tre libri divise, sopra la grammatica, et eloquenza di Dante,
Petrarcha et Boccaccio. Venedig. Liburnio hatte vor diesem Wörterbuch
schon die Abhandlung Le vulgari elegantie (1521) veröffentlicht,
in der er nicht nur Dante, Petrarca und Boccaccio als sprachliche
Modelle bezeichnete, sondern auch die modernen florentinischen und
toskanischen Autoren.
Lucilio Minerbi (1535): Il Decamerone di M. Giovanni Boccaccio
col Vocabolario di M. Lucilio Minerbi nuovamente stampato et
con somma diligentia ridotto. Venedig.
Francesco del Bailo, genannt l'Alunno (1539): Osservationi sopra
il Petrarca. Venedig.
Francesco del Bailo, genannt l'Alunno (1543): Le ricchezze della
lingua volgare sopra il Boccaccio. Venedig.
Eine weitere Förderung erhält das Modell durch die Masse
der Mitte des 16. Jahrhunderts entstehenden praktischen Hilfsmitteln
zum Erlernen eben dieses modellhaften literarischen Volgare bzw. zum
Verbessern der schon vorhandenen Kenntnisse.
In Italien geht es also in der Anfangszeit des Buchdrucks nicht wie
noch bei Alberti, der sich in seiner Grammatik auf die lingua d’uso von
Florenz bezog, und im Unterschied zu Spanien und Frankreich nicht so
sehr um die Wahl einer bestimmten regionalen Varietät bzw. der
Explizierung und Fixierung der ihr inhärenten Regelmäßigkeiten,
sondern um die Wahl und Fixierung eines literarischen Modells,
das eigentlich nur zufällig mit dem Florentinischen verbunden
ist. In Italien gab es schließlich, im Unterschied zu Spanien
und Frankreich kein Zentrum, das zur politischen und sprachlichen Hegemonie
fähig gewesen wäre.
Dass dabei die Commedia von Dante eine herausragende Rolle spielte,
ist der Tatsache zu verdanken, dass sie damals einer der größten
Bestseller war und dass die Drucker den damit verbundenen ökonomischen
Wert verstanden. Als dann mit der Ausgabe von Bembo und Manutius ein
von den intellektuellen Autoritäten außerhalb von Florenz
anerkanntes Exemplar dieses Werkes vorlag, stand der Herausbildung
einer nationalen literarischen Identität über die Kanonisierung
der volkssprachlichen Klassiker insgesamt nichts mehr im Wege. Dabei
verläuft der Prozess in etwa parallel zu dem Prozess,
der zur Annahme des florentinischen Volgare als Literatursprache und
der von Bembo propagierten Norm auf der ganzen Halbinsel und somit
zur Reduzierung der Regionalsprachen auf Dialekte führte.
Das ursprüngliche Modell, das auch in der Toskana nie allein auf
der Schriftlichkeit, sondern auch auf der Mündlichkeit basierte
(vgl. Alberti), wurde so durch ein rein schriftsprachliches Modell
ersetzt.
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