Die Akademiebewegung

 

Italienische Renaissance

  • Elemente einer stadtbürgerlich-kapitalistischen Erwerbsgesellschaft entwickeln sich
  • Herrscher der einzelnen Staaten sehen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in der Förderung der Künste und Wissenschaften
  • kulturelle Zentren entstehen, so z.B. an den Höfen von Mantua, Urbino, Ferrara und in der Toskana
  • Akademien werden gegründet:
    • in vielen Städten wichtige Zentren der Verbreitung der Literatur in der Volkssprache und der Volkssprache selbst
    • Art von Salons, zu denen die Gebildeten der Stadt Zugang hatten
    • Diskussion erfolgt nach mehr oder minder strengen Regeln

Ursprünge der europäischen Akademiebewegung der Neuzeit

  • Wiederbelebung der klassischen Studien durch den italienischen Renaissance-Humanismus
  • Versuch, sich nach dem Vorbild der antiken Platonischen Akademie institutionell zu organisieren:
    • 385 v. Chr. hatte Platon in einem Tempelbezirk am Stadtrand von Athen Schule gegründet
    • Tempelbezirk war über dem Grab eines sagenumwobenen attischen Helden namens Akademos errichtet worden
    • Platons Schule wurde der Name dieses kultischen Bezirks übertragen
    • diente als Begegnungsstätte der freien Diskussion und Wissensvermittlung

Grund für Entstehung der ersten Akademien in Italien:

traditionelle Universitäten konnten die neuen wissenschaftlichen Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllen

Akademiebewegung in der italienischen Renaissance läßt sich in drei Entwicklungsphasen unterteilen, in denen sich jeweils ein anderer institutioneller Typus herausbildete.

1. 3 Phasen

1.1 Die erste Phase

von der Mitte der fünfziger Jahre des 15. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts

oberitalienische Stadtrepubliken

wohlhabende Patrizier, z.B. die Medici in Florenz, scharten Künstler und Gelehrte um sich

Hauptziel klassische Studien

d.h. außerhalb der Universitäten (traditionellen Bildungseinrichtungen) gruppierten sich um einige herausragende gelehrte Humanisten, die keine Kleriker, sondern Laien waren, zunächst informelle Zirkel von gleichgesinnten Freunden und Schülern, um gemeinsam die Texte antiker Autoren zu lesen und zu interpretieren

einige griechische und byzantinische Gelehrte, die nach Italien kamen, wirkten als entscheidende Anreger:

  • Grieche Gemisthos Plethon (um 1360-1452), der mit Cosimo de' Medici (1389-1464) in Florenz auf dem Unionskonzil von 1439 in Kontakt getreten war
  • Byzantiner Giovanni Argyropulos (1415-1487), der ab 1457 an der Florentiner Universität Vorlesungen über antike griechische Philosophie hielt.

Philosophe Marsilio Ficino (1433-1499) gründete unter dem Protektorat von Lorenzo de' Medici in Florenz die Accademia Platonica

  • kleiner Freundeskreis
  • unabhängig vom Hof der Mediceer
  • ohne Reglementierung
  • Diskussion und Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen in allen möglichen Wissensbereichen
  • Platons Werk stand nicht unbedingt im Mittelpunkt des Interesses
  • Ficino hat aber Platons Gesamtwerk und den Kommentar zu Platons Werken ins Lateinische übersetzt
  • von Übersetzung gingen wichtige Impulse aus
  • Accademia erlosch mit Ficinos Tod.

Die führenden Philosophen und Literaten gehörten dagegen dem Kreis um Angelo Poliziano (1454-1494) und der von Lorenzo de' Medici protegierten Universität an, die das intellektuelle Zentrum der achtziger und neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts bildete.

Accademia Romana bzw. Pomponiana seit 1464 in Rom

  • Gesprächskreis um Humanisten Pomponio Leto (1428-1497)
  • Mitglieder u.a.
    • Pietro Bembo (1470-1547)
    • Baldassarre Castiglione (1478-1529)
  • zunächst von seiten des Papstes bekämpft
  • konnte Studien dann aber unbehelligt weiterverfolgen
  • 1527 infolge des Sacco di Roma aufgelöst.

Accademia Pontaniana 1471 Neapel

  • Initiator war Dichter und Humanist Giovanni Pontano (1426-1503)
  • Ziel war die Lektüre der Werke von Vergil
  • 1523 aufgelöst.

1.2 Die zweite Phase

Sprachgesellschaften des 16. Jahrhunderts

  • Universitäten integrierten zwar humanistische Inhalte in Lehrbetrieb
  • berücksichtigten aber nicht die Volkssprache und die in ihr verfasste Literatur
  • mit Vulgärhumanismus treten die Volkssprachen gleichberechtigt neben die klassischen Sprachen
  • Schwergewicht auf der florentinischen Sprache und Literatur (bes. Dante, Petrarca, Boccaccio)
  • Akademien spezialisierten sich auf diesen Bereich
  • Mitglieder nicht mehr vorwiegend professionelle Intellektuelle, sondern adlige Amateure
  • wohlhabendes Bürgertum war als kulturtragende Schicht von der höfischen Gesellschaft mit dem Fürsten an der Spitze abgelöst worden
  • Mittelpunkt wieder Florenz

1540 Accademia degli Umidi gegründet

  • zunächst freie Vereinigung von Dichtern
  • mit Erlass vom 23. Februar 1541 von Cosimo II de' Medici zur Accademia Fiorentina umgewandelt
  • Anerkennung, Privilegien, Grade, Gehälter und Nebeneinkünfte
  • organisatorisch mit der Universität verbunden
  • Macht- und Sprachpolitik verbinden sich
  • Cosimo II. betreibt eine Art von politica della lingua
  • bedient sich zu ihrer Durchsetzung einer Akademie
  • Akademie sollte schriftlich Sprachregeln festlegen

1582 wird in Florenz Accademia della Crusca gegründet

  • bestand zuerst neben der Accademia fiorentina
  • wird dann ihre Nachfolgerin hinsichtlich der philologischen und kulturellen Arbeit
  • wurde zum Vorbild für alle weiteren europäischen Sprachgesellschaften und -akademien
  • seit 1591 normatives Wörterbuch in Arbeit
  • erscheint 1612 in Venedig als Vocabolario degli Accademici della Crusca
  • herausragende lexikographische Leistung
  • wurde auch für andere Nationalsprachen zum Vorbild (z.B. Französisch).

1.3 Die dritte Phase

beginnt Ende des 16. Jahrhunderts

naturwissenschaftliche Akademien, die meist aus privaten Zusammenkünften hervorgegangen sind.

Giovanni Battista della Porta (1538-1615) gründete 1560 in Neapel die Academia Secretorum Naturae

  • Mitglieder führten gemeinsam naturwissenschaftliche Experimente durchf
  • bestand bis 1568.

Rom Fürst Federico Cesi (1582-1630) gründete Accademia dei Lincei

  • Mitglieder u.a. della Porta und Galileo Galilei
  • Scharfsinnigkeit des Luchses (lince) sollte die Akribie symbolisieren, mit der wissenschaftliche Forschungen betrieben wurden.
  • Arbeit 1630 mit Tod von Cesi eingestellt
  • mehrmals wiederbelebt:
    • 1745-1752,
    • 1801-1840,
    • 1847-1939
    • wieder seit 1944.

Accademia del Cimento in Florenz

  • eine der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Akademien
  • Cimento
  • bedeutet Experiment
  • weist auf naturwissenschaftliches, besonders physikalisches Experimentieren hin
  • bestand nur von 1657-1667
  • stand unter Patronat ihres Gründers Leopold di Toscana
  • Mitglieder u.a.
  • Dichter und Gelehrter Alfonso Borelli (1608-1679)
  • Galileis Schüler Vincenzio Viviani (1622-1703)

2. Accademia della Crusca

  • 1582 in Florenz gegründet
  • ursprünglich privater Zirkel
  • Mitglieder bezeichneten sich als Crusconi
  • 1583 schloss sich ihnen Lionardo Salviati
  • gab Zirkel Namen Accademia della Crusca
  • unter Salviatis Führung Struktur der Accademia festgelegt

2.1 Der Kanon

nicht allein die herausragenden Autoren wurden kanonisiert, sondern gesamtes Schrifttum des Trecento.

Stationen, die zu dieser Haltung führten:

Bembo (1470-1547) hatte seine These, dass dem ästhetischen Ideal die Literatursprache des 14. Jahrhunderts entspräche, mit der Modellhaftigkeit der Trecentisti gerechtfertigt, die seiner Meinung nach eine Tradition begründet hatten, der die späteren Werke niemals das Wasser reichen konnten.

Radikalisiert und systematisiert wurde Bembos Position zunächst durch Vincenzo Borghini (1515-1580), der die Manuskripte des 14. Jahrhunderts studierte. Borghini schreibt nämlich in Per le regole della lingua toscana von 1571:

Però io ho creduto che il suo perfetto grado sia stato dal 1348 al 1420 o quelle intorno ... Onde io dico che la lingua nostra è ... viva, viva dico nei libri non solo del Boccaccio, che non disse ogni cosa, ma nei libri domestici, come gli chiama Cicerone, nelle lettere familiari di quel buon tempo, nei libri dei conti, giornali e ricordanze, e di più nella lingua de' nostri buoni e puri cittadini che l'hanno di tempo in tempo cavata dai lor padri e madri e mantenuta pura e hanno il riscontro (zitiert nach Vitale 1978: 100).

lebende Sprache wird mit der Schriftlichkeit gleichgesetzt

nach Krefeld zeigt sich romantischer Grundzug des rückwärtsgewandten, ästhetisierenden Purismus (cf. Krefeld 1988).

Leonardo Salviati (1539-1589) radikalisierte und systematisierte Ansatz noch weiter:

Salviati

  • Vincenzo Borghini (1515-1580) war sein philologischer Lehrer
  • Salviati erwarb sich den Ruf eines Schriftstellers, Redners und Stilisten
  • wurde sowohl von Borghini als auch von Guarini und Tasso um Rat gefragt
  • ab 1584 erscheint sein Werk Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone
    • ursprünglich 3 bzw. 4 Bände geplant
    • es existieren aber nur zwei
    • Avvertimenti = Erörterungen (vgl. Remarques von Vaugelas)
    • Salviati will keine Grammatik schreiben
    • will verschiedene Themenbereiche aus der Sprache und Grammatik
    • gibt konkrete Hinweise, wie im Hinblick auf einen guten Sprachgebrauch zu verfahren ist, d.h. an welchen Kriterien man sich orientieren soll.
  • differenziert zwischen lebenden und toten Sprachen
  • tote Sprachen sortiert er sofort aus
  • bei lebenden Sprachen differenziert er weiter zwischen solchen
    • die nicht oder nur unter Schwierigkeiten geschrieben werden können - sortiert er aus
    • Sprachen, die gesprochen und geschrieben werden oder geschrieben werden können - darauf konzentriert er sich
    • Sprachen, für die die Regeln erst erstellt werden müssen - kann Einzelner nicht schaffen
    • Sprachen, die schon Regeln haben - müssen nur noch gesammelt werden .

korrektes Schreiben soll Aussprache folgen: "la scrittura seguiti la pronunzia"

beruft sich auf Quintilian: "E benchè dica Quintiliano, scriuasi, come si parla"

Das bezieht sich natürlich vor allem auf die Orthographie.

perfekte Sprache ist charakterisiert durch

  • treffenden Ausdruck
  • Leichtigkeit des Ausdrucks
  • Kürze
  • Klarheit der Aussage

gerade die Autoren zwischen 1300 und 1400 zeichnen sich durch einen solchen treffenden, leichten und klaren Ausdruck aus

sie also Repräsentanten einer guten und perfekten Sprache.

le regole del uolgar nostro douersi prendere da'nostri uecchi Autori, cioè da quelli, che scrissero dell'anno mille trecento, fino al mille quattrocento: perciocchè innanzi non era ancor uenuto al colmo del suo piu bel fiore il linguaggio: e dopo, senza alcun dubbio, subitamente diede principio a sfiorire. (Salviati 1584-1586: 74).

Vorgehen bei Argumentation für die Sprache der Autoren des 14. Jahrhunderts:

stellt zunächst fest, dass sich in der von den genannten Autoren verwendeten Sprache natürlich auch scorrezioni di favella, d.h. abusi der gesprochenen Sprache befinden, denn die Sprache der Autoren geht ja auch auf gesprochene Sprache zurück. Deshalb gilt es nach Salviati zwischen zwei Arten von uso zu unterscheiden:

[...] anzi sia l'uso in tutti i tempi, non gli scrittori, l'arbitro del fauellare: e bene in cio, e sauiamente disse il Latino poeta: ma dello scriuere, non l'uso assolutamente, ma l'uso buono, e approuato dal consenso de'saui, n'aurà lo'mperio, e'l dominio. (Salviati 1584-1586: 73) (cf. Quintilian)

zeitgenössische Sprache von Florenz kann nicht Modell sein, da es keinen Konsens gibt, dass sie besser ist als die, die Boccaccio und die anderen Trecentisti geschrieben haben

aktuelle Sprache von Florenz weist auch zu viele Unzulänglichkeiten auf und die gute Sprache findet sich gegenwärtig ausschließlich bei den Autoren mit höchstem Ansehen

im 14. Jahrhundert dagegen war die gute Sprache nach Salviati durchaus weit verbreitet.

abusi in der gesprochenen Sprache sind zudem zu seiner Zeit viel größer als sie es im 14. Jahrhundert waren

manifestieren sich auch in der geschriebenen Sprache häufiger als im Trecento

selbst die Sprache der piu lodati ist deshalb nicht so gut, wie die Sprache im Trecento.

Von Autoren des Trecento soll deshalb das Lexikon, die Redeweise und die Grammatik übernommen werden

sollen so lange gültig sein, bis ein besserer Sprachgebrauch entstanden sein wird oder von Autoren höchsten Ansehens andere Richtlinien erarbeitet werden, die auf einem allgemeinen Konsens der saui, also der Gebildeten oder Weisen beruhen.

Salviati sieht damit zwar den Sprachgebrauch als ausschlaggebend an, aber keineswegs den aktuellen Sprachgebrauch. Dieser entspricht nämlich gerade nicht dem buon uso. Der gute Sprachgebrauch wird stattdessen nur durch die Autoren des Trecento repräsentiert (cf. Bagola).

Salviati entwickelt also insgesamt eine Theorie vom historischen Niedergang einer ehemals reinen und natürlichen Sprache. Er stellt auch bereits das gesamte Programm zur puristischen Wiederannäherung an die alte Idealsprache auf.

Danach gilt es nicht nur Latinismen, nicht florentinische Neologismen, Fremdwörter incl. der Dialektismen und Fachwörter, sondern auch die affettazione stilistica zu vermeiden (cf. Vitale 1978: 104).

Salviati benennt zudem mit Schlagwörtern die ästhetischen Qualitäten des Florentinischen (vgl. Orazione in lode della fiorentina lingua, 1564): das 'fiorentino puro' besitzt eine 'dolcezza in comparabile', so dass es ganz Italien zur 'dilettazione' gereicht (cf. Migliorini 1949: 39).

2.2 Vocabolario della Crusca

Leonardo Salviati regte die Schaffung eines normativen Wörterbuchs an

zwischen dem Guten und Schlechten sollte unterschieden werden: "procedere a una scelta fra il buono e il cattivo."

Am 20. Januar 1612 kam das Vocabolario degli Accademici della Crusca bei Giovanni Alberti in Venedig heraus:

  • erstes großes Wörterbuch einer modernen Sprache
  • Selektionskriterien hatte das puristische Programm von Salviati und seinen Vorgängern geliefert

Vorwort [A' lettori]:

Nel compilare il presente Vocabolario (col parere dell'Illustrissimo Cardinal Bembo, de' Deputati alla correzione del Boccaccio dell'anno 1573. e ultimamente del Caualier Lionardo Salviati) abbiamo stimato necessario di ricorrere all'autorità di quegli scrittori, che vissero, quando questo idioma principalmente fiorì, che fù da' tempi di Dante, o uer poco prima, sino ad alcuni anni, dopo la morte del Boccaccio. Il qual tempo, raccolto in una somma di tutto un secolo, potremo dir, che sia dall'anno del Signore 1300. al 1400. poco più, o poco meno: perchè, secondo che ottimamente discorre il Saluati, gli scrittori, dal 1300 indietro, si possono stimare, in molte parti della lor lingua, souerchio antichi, e quiei dal 1400 auanti, corruppero non piccola parte della purità del fauvellare di quel buon secolo

Grundstock des Wörterbuchs = sämtliche aus dem 14. Jahrhundert überlieferten Quellen

spätere Epochen oder zeitgenössische Sprachgebrauch nur gelegentlich berücksichtigt:

"delle scritture cinquecentesche accoglieva solo quelle che al Trecento fiorentino si erano rifatte (Bembo, Ariosto, Della Casa e pochi altri); all'uso vivo ricorreva solo in via subordinata e occasionalmente a completamento della lingua trecentesca; codificava la lingua letteraria e si poneva come severa e intransigente salvaguardia del patrimonio linguistico della tradizione toscana (Vitale 1978: 105).

aufgenommen wurden also lediglich Wörter toskanischer, vor allem antiker Autoren, deren Sprache als besonders rein galt

übrige Autoren wurden als unrein abgelehnt wurde

Sprache der Trecentisten, v.a. von Boccaccio, wird idealisiert

integriert werden so zwar auch niedrige und volkstümliche Ausdrucksweisen, die in den Texten aus dem 14. Jahrhundert erscheinen, aber kein Fachvokabular.

Veröffentlichung der ersten Ausgabe des Vocabolario della Crusca ist entscheidender Augenblick für die weitere Geschichte der Lexikographie:

  • bedeutet in gewisser Weise Bruch mit der bisherigen Lexikographie
  • bedeutet auch einen Rückschritt, denn In die meisten didaktisch ausgerichteten Werke waren schon Wörter aus den unterschiedlichsten Fachgebieten aufgenommen worden.

Erscheinen des Wörterbuchs bedeutet auch Einschnitt für die ganze Debatte um die Questione della lingua:

  • praktische Ausführung des Wörterbuchs geht mit der dem Wörterbuch zugrundeliegenden Theorie konform
  • in den oben behandelten Wörterbüchern aus dem 16. und den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts finden sich dagegen Schwankungen in der Methode, verschiedenartige Inkohärenzen, Brüche zwischen den theoretischen Prinzipien und der Ausführung etc. (cf. Della Valle 1993: 46).

Auch im Bereich der Orthographie wendet sich das Blatt mit dem Erscheinen dieses Wörterbuchs:

  • alphabetisches Wörterbuch ist ja schon an für sich ein leicht zu benutzendes Werkzeug für diejenigen, die Zweifel hinsichtlich des korrekten Schreibens haben
  • Crusca Wörterbuch ist zudem ein wissenschaftlich gut aufgebautes und lexikalisch reiches Wörterbuch
  • besaß darüber hinaus große Autorität .

Dem Wörterbuch zugrunde lagen die von Salviati in den Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone aufgestellten Regeln. Sie werden fast vollständig von den Accademici übernommen und dann über das Wörterbuch verbreitet:

Nell'ortografia abbiam seguitato quasi del tutto quella del sopraddetto Salviati parendoci di presente non ci avere, chi n'abbia piú fontamento discorso.

Die heutige Graphie des Italienischen geht also im Großen und Ganzen auf das 16. Jahrhundert und die damals von Grammatikern, Lexikographen, Druckern und den Literaten insgesamt getroffenen Entscheidungen zurück:

  • Entscheidungen wurden mit dem Erscheinen des Vocabolario degli Accademici della Crusca 1612 kodifiziert
  • stellten durch Jahrhunderte hindurch einen stabilen und dauerhaften Bezugspunkt für alle gebildeten Schreibenden und vor allem für die Drucker in allen Teilen Italiens dar
  • Purismus in Italien konnte sich Dank des Vocabolario und seiner Neuauflagen auf historisch dauerhafte Art institutionalisieren
  • Einstellung zur unverändert beibehaltenen Konzeption des Wörterbuchs sollte auch in den folgenden Jahrhunderten Prüfstein exklusiver Sprachbewertung und Kristallisationspunkt puristisch-archaisierender Bewegungen bleiben
  • Abschluß des Prozesses erst gegen die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. (cf. Krefeld 1988: 314-315).

2.3 Der Streit um das Vocabolario

Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts wird vom Streit um dieses Wörterbuch bestimmt (cf. Krefeld 1988).

Gegen die Verabsolutierung des Toskanischen durch die exklusive Schule Bembos bzw. der Crusca wie auch durch die Propagandisten der zeitgenössischen fiorentinità in der Nachfolge Machiavellis und dem gleichzeitigen Anspruch auf eine gültige Norm treten vor allem auch nicht toskanische Autoren auf:

  • Paolo Beni (1552-1525) Candia: Anticrusca
  • Giorgio Ottonelli (1550-1620) Fanano bei Modena
  • Alessandro Tassoni (1565-1635) Modena (verläßt die Crusca)
  • Scipio Errico (1592-1670) Messina
  • Diodato Franzoni (1. Hälfte 17. Jh.) Bologna

Franzoni verfasste ein gegen die Crusca gerichtetes Oracolo della lingua d'Italia (1641). Er beruft sich auf die anerkannten Autoren, die nicht aus der Toskana bzw. aus Florenz stammen:

Concludo adunque, che la miglior lingua d'Italia sia quella, che da diverse città, e diverse Provincie di essa, et anche straniere, riceve il meglio (zit. nach Vitale 1978: 172).

Auch in der Toskana selbst, v.a. in Siena, war das Prestige des Florentinischen nicht unangefochten.

Girolamo Gigli (1660-1722) setzte dem puristischen Wörterbuch der Crusca ein umfangreiches satirisches Vocabolario Cateriniano entgegen.

Die Heilige Catarina da Siena stammte zwar aus einer wohlhabenden Familie in Siena, d.h. aus der Toskana, und war auch eine Trecentista (geboren wurde sie 1347), sie gehörte aber nicht zu den kanonisierten Autoren der Crusca (cf. Vitale 1978: 192-195).

Grund für Opposition gegen Wörterbuch:

  • Konzeption des Vocabolario
  • Ausrichtung am archaischen Sprachgebrauch des Trecento
  • Orientierung an älterem Sprachgebrauch und seine Erhebung zur exemplarischen Norm engte den Raum für die Sprachentwicklung erheblich ein
  • Gegner des Vocabolario betrachteten die Sprache dagegen als gegenwartsbezogen
  • berücksichtigten auch die Sprachveränderung und -entwicklung
  • sahen die größte Perfektion der Sprache nicht im Trecento

Mit der Zeit wandten sich auch Akademiemitglieder gegen das Wörterbuch, vor allem als 1623 bei der 2. Auflage, die bei Jacopo Sarzina in Venedig erscheint, an der Grundkonzeption keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden.

Insgesamt ergibt sich bei dem Streit um das Wörterbuch in etwa die folgende Aufteilung der Parteien:

1. Cruscaner

a) archaisch orientiert

 

b) modern ausgerichtet

2. Anticruscaner

 

Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass es sich bei der Sprache, um die es hier dauernd geht, um das Ausdrucksmittel einer sozialen Oberschicht oder kulturellen Führungsschicht handelt.

 
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