Die Akademiebewegung

 

3. Die Académie Française

3.1 Einfluss Italiens

3.1.1 Die Akademiebewegung

Von Italien ausgehend erfasste die Akademiebewegung ab dem Ende des 16. Jahrhunderts auch andere europäische Länder, hauptsächlich England, Frankreich, Deutschland und Spanien. Die Akademien unterstanden hier zumeist direkt dem Monarchen, wodurch das soziale Ansehen ihrer Mitglieder erheblich stieg.

Die erste französische Akademie mit vom König, in diesem Fall war es Karl IX., genehmigten Statuten, war die 1570 von dem Dichter und Humanisten Jean-Antoine de Baïf (1532-1589) gegründeteAcadémie de Poésie et de Musique. Diese Akademie veranstaltete nicht nur Konzerte, sondern hier wurden auch alle möglichen Themen diskutiert: Naturphilosophie, Mathematik, Malerei, Geographie, sittlich-moralische Fragen, militärische Ausbildung etc. Nach dem Tod des Königs Karl IX wurde die Akademie von Guy du Faur de Pibrac (1529-1584) unter dem Protektorat des König Heinrich III (Nachfolger von Karl IX) von 1576 bis 1585 als Académie du Palais mit ihren alten Statuten im Louvre weitergeführt.

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstehen in Paris dann auch zahlreiche private Akademien, in denen naturwissenschaftliche Forschungen betrieben wurden. So etwa

  • die Académie Putéane der Brüder Pierre und Jacques Dupuy,
  • die wöchentlichen Zusammenkünfte des Bureau d'Adresse, die Théophraste Renaudot (1586-1653) von 1629 bis 1642 leitete,
  • und eine Gruppe von Mathematikern um Marin Mersenne (1588-1648).

Danach entstanden weitere Akademien für die unterschiedlichsten Bereiche. Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden nach dem Vorbild der Hauptstadt auch zahlreiche Provinzakademien gegründet.

3.1.2 Absolutistischer Staat

Frankreich ist im Vergleich zu Italien damals schon ein einheitlicher Staat. Es wird in dieser Zeit nicht nur kulturell, sondern auch politisch von Italien beeinflußt. Henri IV (1553-1610), der ursprünglich Hugenotte war, aber zum Katholizismus übertrat, um König von Frankreich werden zu können - von ihm stammt der Ausspruch "Paris vaut bien une messe", und der 1598 das Edikt von Nantes erlassen hatte, in dem den protestantischen Hugenotten Religionsfreiheit zugesichert wurde, war nämlich mit Maria de' Medici verheiratet. Als Henry IV 1610 ermordet wurde, übernahm Maria de' Medici die Regenschaft für ihren minderjährigen Sohn Louis XIII. Sie überließ aber die politische Führung dem Italiener Concino Concini, der zum ersten Minister Frankreichs gewählt worden war. In der Umgebung von Maria de' Medici und von Concino Concini war auch Richelieu zu finden. Richelieu wurde als "Geschöpf" Concinis im November 1616 zum Staatssekretär für Außenpolitik und Kriegswesen ernannt. Concini wird dann 1617 ermordet. Es kommt zu Auseinandersetzungen zwischen Maria und Louis XIII. Richelieu wird in diese Auseinandersetzung hineingezogen, es gelingt ihm aber trotzdem, 1624 zum Ersten Minister Frankreichs ernannt zu werden. Richelieus innenpolitisches Interesse gilt der Durchsetzung des absolutistischen Staates, für den schon Henry IV. den Grundstein gelegt hatte. Daran hält er auch trotz der protestantischen Aufstände fest, die in der Belagerung von La Rochelle (1627-1628) ihren Höhepunkt finden.

3.1.3 Honnête hommes und Salons

Durch die Zentralisierungsbestrebungen von Richelieu verliert der Adel seine politische Funktion und wendet sich neuen Interessen zu. Es ensteht so ein geschlossener Kulturkreis, der die nächsten Jahrhunderte bestimmen sollte. Der gebildete Teil dieser neuen Gesellschaft richtet sich an den Idealen des honnête homme aus. Die Grundlage hierfür war Baldassare Castigliones Il libro del Cortegiano, das im 16. Jahrhundert ins Französische übersetzt worden war und große Verbreitung fand. Ähnliches gilt auch für die Werke Civile Conversatione von Stefano Guazzo oder Galateus von Giovanni della Casa. In den Hofmann - Traktaten, die in Frankreich im Gefolge des Cortegiano erscheinen, wird nach Spillner immer wieder auf die Bedeutung des guten höfischen Sprachgebrauchs hingewiesen. Bemerkbar macht sich auch der Einfluß der zahlreichen italienischen Akademien, die sich, wie wir gesehen haben, im Laufe des 16. Jahrhunderts mehr der Pflege der italienischen Sprache und Literatur zuwandten. In der gleichen Zeit enstehen auch die Salons, der bekannteste war der der Italienerin Madame de Rambouillet. Den Frauen wird insgesamt zugeschrieben, dass sie eine "refining influence on both the manners and language of the noblemen" ausübten (Lough 1969: 228). Der Beschäftigung mit der Sprache kommt dabei eine große Bedeutung zu.

Eine bestimmte soziale Klasse beginnt also, sich mit der Sprache zu beschäftigen und über sie zu diskutieren. Gegenstand dieser Diskussionen ist u.a. auch die Normierung der Sprache. So wird, wie Spillner sagt, im 17. Jahrhundert der Hof meinungsbildend in der Diskussion um lexikalische und grammatische Fragen, wobei er aus politischen Gründen mehr und mehr die zuvor vom Gerichstwesen "parlement" ausgeübte Rolle als Entscheidungsinstanz für den guten Sprachgebrauch übernimmt (Spillner 1981: 13). Es kam in diesem Zusammenhang auch zu extremen Haltungen, vgl. die Précieuses bzw. die Femmes savantes von Molière. Dem Urteil Molières ist allerdings nicht ganz zu trauen.

3.1.4 François de Malherbe

Mit François de Malherbe (1555-1628), der Hofdichter war, beginnt die eigentliche Normierung der französischen Sprache. Gestützt auf die Regeln der antiken Rhetorik, insbesondere auf Quintilians Institutio oratoria, unterzog Malherbe die Werke zeitgenössischer Dichter einer schonungslosen Sprachkritik, die oft mit schulmeisterlicher Pedanterie einherging. Seine Sprachdoktrin ist in keiner eigenen Abhandlung niedergelegt, sondern manifestiert sich als Sammlung von Einzelbemerkungen. So nimmt er etwa Vers um Vers von Desportes unter die Lupe und misst sie an seinem eigenen Sprachgefühl und bewertet sie entsprechend.

Malherbe hat zur französischen Standarsprache insofern beigetragen, als er zahlreiche Varianten im morphosyntaktischen und syntaktischen Bereich (Artikelsetzung, Modusgebrauch, Verwendung von Personalpronomina, Wortstellung) rigoros beschnitt. Im Namen der clarté verwendet er viel Mühe auf die Suche nach dem richtigen Ausdruck und auf die Abgrenzung semantisch ähnlicher Wörter. Sein Hauptanliegen war die épuration du vocabulaire. Er verfolgte unnachsichtig Fremdwörter, besonders Italianismen, Gräzismen, Latinismen und sprach sich vehement gegen die Verwendung von Regionalismen aus. Seine Devise ist "dégasconner la cour". Er verbannte auch Archaismen, Neologismen und Technizismen aus dem guten Sprachgebrauch. Und natürlich galt es mots sales, mots bas et plébées zu meiden, denn sie verstießen gegen die bienséance.

Malherbes Sprachdoktrin galt zunächst nur der Poesie. Durch seine hervorragende Stellung bei Hofe fand sie aber bald auch auf die Schriftsprache und die gepflegte Konversation Anwendung. Erfolg hatte seine Sprachdokrin nicht zuletzt auch deshalb, weil sie auf derselben Linie lag, wie die französische Staatsideologie des 17. Jahrhunderts und weil sie sich mit einem zeitgenössischen Bildungsideal deckte: so war die Politik der absoluten Monarchie auf die Konsolidierung des Nationalstaates gerichtet. Sie strebte deshalb nach einer Abgrenzung gegenüber anderen Staaten und deren Sprachen, nach einer vollständigen Zentralisierung im Innern. Letzteres ging einher mit einer Abwertung des politischen, kulturellen und sprachlichen Gewichts der einzelnen Regionen. Das Bildungsideal der gesellschaftlichen Elite war der honnête homme. Er sollte über alle Themen in klarer, gepflegter, allgemein verständlicher Sprache und ohne Verwendung von Fachausdrücken eine Konversation bestreiten können.

3.2 Die Gründung der Académie française

Seit 1629 gab es einen gelehrten Privatzirkel, der im Haus von Valentin Conrart, dem Sekretär von Louis XIII, zusammentrat. Am 13. März 1634 tritt dieser dann entsprechend einer Aufforderung von Richelieu zum ersten Mal als Académie française zusammen. Von Nicolas Faret stammt der Entwurf zur Einrichtung einer Académie (vgl. Vorworte bei Nebrija, Barros). Der Entwurf von Faret findet sich in: Baum, Richard (1989): Sprachkultur in Frankreich. Texte aus dem Wirkungsbereich der Académie française. Bonn: Romanistischer Verlag.

3.2.1 Der Entwurf zur Einrichtung einer Académie von Nicolas Faret

In dieser Rede wird zunächst darauf eingegangen, dass das Land seit jeher viele wichtige Männer hervorgebracht hat, von deren Ruhm aber im Unterschied zu dem der Griechen und Römer jede Kunde fehlt, weil sie es nicht verstanden haben, ihn niederzuschreiben. Auch Griechen und Römer wurden jedoch zu Sklaven anderer Völker und ihre Sprachen zählen deshalb jetzt zu den toten Sprachen. Frankreich dagegen hatte Glück, denn es ist nicht nur noch immer im Besitz der Werte der Vorfahren, sondern auch in der Lage, die Eloquenz wieder aufleben zu lassen, die zusammen mit denen, die sie erfunden haben und deren Lehrern gealtert zu sein scheint. Es war ein glückliches Zusammentreffen, dass sich nach den großen und denkenswerten Aktionen des Königs unter seinen Untergebenen so viele Männer finden, die fähig sind, das Lesen zu lassen, was auf so erstaunliche Weise ausgeführt wurde. Auch hat der Kardinal Richelieu nicht zuletzt den Schutz der belles lettres übernommen "si necessaires pour le bien, et pour la gloire des Etats".

Der Entwurf fährt fort:

Qu'il sembloit ne manquer plus rien à la felicité du Royaume, que de tirer du nombre des Langues barbares, cette Langue que nous parlons, et que tous nos voisins parleroient bien-tost, si nos conquestes continuoient comme elles avoient commencé.
Que nostre Langue plus parfaite desia que pas vne des autres vivantes, pourroit bien enfin succeder à la Latine, comme la Latine à la Greque, si on prenoit plus de soin qu'on n'avoit fait jusques icy de l'elocution, qui n'estoit pas à la verité toute l'eloquence, mais qui en faisoit vne fort bonne, et fort considerable partie.

Die Académie sollte folgende Aufgaben haben:

Qu'elles seroient de nettoyer la Langue des ordures qu'elle avoit contractées, ou dans la bouche du peuple, ou dans la foule du Palais, et dans les impuretez de la chicane, ou par les mauvais usages des Courtisans ignorans, ou par l'abus de ceux qui la corrompent en l'écrivant, et de ceux qui disent bien dans les chaires, ce qu'il faut dire, mais autrement qu'il ne faut. Que pour cét effect il seroit bon d'establir vn vsage certain des mots.

Dabei sollte der heutige Gebrauch nach den 3 Genres eingeteilt werden: le style sublime, le style mediocre, le style bas / le style comique.

Erreicht werden sollte das durch

l'examen et la correction de leurs [der Akademiker] propres ouvrages. Qu'on en examineroit severement le sujet, et la maniere de le traitter, les arguments, le style, le nombre, et châque mot en particulier.

Die Einzelnen sollten danach selbst entscheiden, ob sie ihre Werke entsprechend korrigieren wollten.

Hinsichtlich der Richtschnur wird gesagt:

l'academie ne desiroit plaire qu'au plus sage de tous les hommes, et non pas à des foux qui commençoient d'estre ébloüis de la gloire qu'elle recevoit d'vn si grand protecteur.

Sollten ihre Beschlüsse auch in der Zukunft nicht als Regeln funktionieren können, dann könnten sie wenigstens Ratschläge darstellen. Hinsichtlich des Namens und der Institutionalisierung wird gesagt:

Que cette Compagnie avoit pris le nom d'ACADEMIE FRANÇOIS, parce qu'il estoit le plus modeste, et le plus propre à sa fonction. Que pour le seau dont elle se serviroit, et les privileges dont elle jouïroit, elle s'en remettoit à son Fondateur, et à son autorité, qui seule ayant donné la forme à cette institution, la pouvait eslever sur des fondemens assez forts pour durer autant que la Monarchie.

Der Entwurf von Faret wird am 27. März 1634 dem Kardinal Richelieu überbracht und von Mai bis Oktober 1634 von der Académie eingehend erörtert. Die Informationen über den Entwurf und die Sitzungen stammen von Pellisson, der die Akademiesitzungen bis zum Jahr 1652 ausgewertet hat. Die Sitzungsberichte der Académie bis zum Jahr 1672 sind nicht überliefert.

3.2.2 Die Gründungsurkunde

Vom 29. Januar 1635 stammt die Gründungsurkunde der Académie Française, die ebenfalls in Baum, Richard (1989): Sprachkultur in Frankreich. Texte aus dem Wirkungsbereich der Académie française. Bonn: Romanistischer Verlag abgedruckt ist.

In dieser Urkunde, die vom König unterschrieben ist, wird zunächst darauf hingewiesen, dass der König seit der Übernahme der Regierung versucht hat, nicht nur etwas gegen das von den Bürgerkriegen verursachte Durcheinander zu tun, sondern auch Frankreich und damit die älteste existierende Monarchie mit allen möglichen Schätzen auszustatten, dass dies aber bisher wegen verschiedener Unruhen noch nicht vollständig möglich war, da er vom Gedanken an den Krieg davon abgelenkt und daran gehindert wurde, die Ruhe zu genießen, die Frankreich den anderen ermöglicht. Nachdem nun aber die anderen unter Frankreichs Schutz in Ruhe und Ordnung leben können und in Frankreich der Handel wieder zum Leben erwacht ist, die Armee diszipliniert wurde und die Finanzen geregelt sind, wäre es jetzt ein Fehler, dem Vorschlag Richelieus nicht zu folgen.

Was schlägt nun Richelieu vor? Er schlägt vor:

  • die Wissenschaften, Künste und Literatur zu pflegen
  • nach all den Eroberungen das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden
  • dabei mit der adligsten aller Künste zu beginnen, d.h. mit der Eloquenz
  • das Französische zur perfektesten Sprache zu machen
  • ihm feste Regeln zu geben
  • das Französische nicht nur elegant zu machen, sondern es auch so auszubauen, dass es in allen Künsten und Wissenschaften eingesetzt werden kann
  • dazu bedarf es nur der Fortsetzung der von ihm iniziierten Zusammenkünfte,
  • der König solle diese Zusammenkünfte offiziell erlauben und zulassen, dass eine Geschäftsordnung und Statuten aufgestellt werden.

Dies tut der König mit dieser Urkunde. Darin wird zugleich festgelegt, dass

  • diese Zusammenkünfte in Paris stattfinden werden
  • diese den Namen Académie française tragen werden
  • Richelieu ihr Chef und Schutzherr ist
  • es 40 Mitglieder gibt
  • Vorstand, Statuten und Geschäftsordnung keiner weiteren Genehmigung durch den König bedürfen
  • die Académie ein Siegel haben soll, dessen Ausgestaltung Richelieu überlassen bleibt
  • den Akademiemitgliedern eine Reihe von Steuern und Abgaben erlassen und Besitzrechte zugesprochen werden
  • die Académie vom Parlement (Gerichtshof) ins Register eingetragen werden soll.

Die Gründungsurkunde wird am 5. Februar dem Parlement zur Eintragung ins Register übergeben. Die Bestätigung durch das Parlament erfolgt allerdings erst am 10. Juli 1637, nachdem Richelieu und der König mehrmals das Parlament dazu aufgefordert hatten.

3.2.3 Die Statuten und die Geschäftsordnung

Vom Februar 1635 stammen auch die von Richelieu selbst ausgearbeiteten Statuten sowie die Geschäftsordnung der Académie. Hierin manifestiert sich (ähnlich wie in der Toskana unter Cosimo II) eine gezielte Sprachpolitik. Ganz im Sinne der absolutistisch - zentralistischen Idee, sollte die Académie die für den zentralistischen Einheitsstaat notwendige einheitliche Sprache schaffen und überwachen:

à donner des règles certaines à nostre langue, et à la rendre pure, éloquente, et capable de traiter les Arts, et les Sciences. (§ 24)

Der Akademie wird eine doppelte Aufgabe zugewiesen: nämlich eine Bestandsaufnahme der französischen Sprache:

Les meilleurs autheurs de la langue françoise seront distribuëz aux Académiciens, pour observer tant les dictions, que les phrases qui peuvent servir de régles générales, et en faire rapport à la Compagnie, qui jugera de leur travail, et s'en servira aux occasions. (§25)

und zu ihrer Verbreitung ein dictionnaire, eine Grammatik, eine Rhetorik und eine Poetik zu erarbeiten:

Il sera composé vn Dictionnaire, vne Grammaire, vne Réthorique. et vne Poëtique sur les observations de l'Académie. (§26)

Ab 1635 fällt damit einer staatlichen Institution die Aufgabe der Sprachnormierung zu. Bei der Ausrichtung der Académie richtet sich Richelieu nach dem Vorbild der italienischen Accademia. Die Verbindung zwischen der Crusca und Frankreich wird nicht zuletzt auch darin klar, dass das 1612 erschienene Vocabolario degli Academici della Crusca dem in Frankreich regierenden Concini gewidmet ist.

3.3 Die Arbeit der Akademie

3.3.1 Querelle du Cid

Die erste wichtige Aufgabe der Akademie im Rahmen der Reinhaltung und Vereinheitlichung der Sprache bestand darin, zur "Querelle du Cid" Stellung zu nehmen, die durch das Stück von Pierre Corneille, Le Cid von 1637 entfacht worden war. Corneille wurde vorgeworfen, er habe in diesem Stück die klassischen Regeln missachtet. 1637 wurden die Sentiments de l'Academie Françoise sur la tragi-comedie du Cid veröffentlicht. Darin gab die Académie denjenigen recht, die Corneille Mißachtung der klassischen Regeln vorgeworfen hatten.

3.3.2 Das Wörterbuch

Danach nahm sich die Académie vor, ein Wörterbuch zu erarbeiten. Ein Konzept dafür hatte Jean Chapelain gleich nach der Gründung der Académie vorgelegt. Abgedruckt ist es ebenfalls in: Baum, Richard (1989): Sprachkultur in Frankreich. Texte aus dem Wirkungsbereich der Académie française. Bonn: Romanistischer Verlag bes. 22-24.

Dieses Konzept sieht das der Crusca vor, dass von den berühmten, nicht mehr lebenden Autoren die Bücher herangezogen werden, die die Académie für die reinsten und eloquentesten hält. Diese werden an die Mitglieder ausgeteilt, damit sie sie aufmerksam lesen. Auf jeweils verschiedene Blätter sollen sie die Wendungen und Sätze schreiben, die sie als wirklich französische erkennen zusammen mit den Angaben zum Band und der jeweiligen Seite. Auf den Sitzungen werden diese dann behandelt und es wird darüber mehrheitlich abgestimmt, ob sie akzeptiert oder abgelehnt werden. Nur diejenigen, die als gut befunden werden, werden aufgenommen. Auf diese Weise werden nach und nach Wörter aus dem ganzen Korpus der französischen Autoren gesammelt und für Frankreich und das Ausland autorisiert zusammen mit dem Nachweis der Autoren. Damit, dass die Académie auf die Herkunft der Ausdrücke und Sätze verweist, wird denjenigen Autoren, von denen sie stammen, Lob gezollt, ohne ihnen aber Anerkennung für andere Ausdrücke und Sätze zuzusprechen.

Der Vorschlag Chapelains zum Wörterbuch der Académie enthält aber auch z. T. schon über das Konzept der Crusca hinausgehende Vorstellungen. So sollten zwar die Werke geschätzter, aber schon gestorbener Autoren die Grundlage sein, zugleich sollte aber auch eine Sammlung von Wörtern und Sätzen angelegt werden, die sich zwar nicht bei den Autoren finden, aber zum aktuellen Sprachgebrauch gehören. Auch diese sollten nach Autorisierung durch die Akademie ins Wörterbuch aufgenommen werden und zwar mit dem Hinweis, dass sie vom usage autorisiert sind.

Das Wörterbuch sollte zudem aus zwei Teilen bestehen. Der erste Teil sollte sich nicht am Alphabet ausrichten, sondern an den Stämmen der einfachen Wörter. Die einfachen Wörter sollten dabei zuerst zusammen mit der Angabe des jeweiligen Redeteil (Verb, Substantiv etc.) erscheinen. Danach sollten Wortzusammensetzungen, -ableitungen, Diminutive und Ausdrücke kommen. Für die Ausländer sollten sie lateinisch erklärt werden. Dann sollte das Zitat der Belegstelle und die Angabe zum Autor, von dem das Zitat stammt, folgen. Um das Werk nicht zu groß werden zu lassen, sollte bei einfachen Wörtern, die in allen Büchern erscheinen und zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören, der Verzicht auf Belegstellen möglich sein. Das Wörterbuch sollte Angaben zum Genus der Nomen und zum Stil enthalten, lange Silben sollten einen Akzent bekommen, offenes und geschlossenes E sollten durch Diakritika unterschieden werden und die Orthographie sollte sich an der üblichen ausrichten, um das Lesen nicht zu erschweren. Überflüssiges sollte aber ausgeschieden werden.

Der zweite Teil des Wörterbuchs sollte einen Art von alphabetisch geordneten Index darstellen, wo nur die Wörter zusammen mit der Angabe zur Seite, wo sie behandelt werden, erscheinen. Zugleich sollte auch eine Sammlung der Wörter erstellt werden, die sich zwar bei den Autoren finden, aber nicht mehr gebraucht werden. Sie sollten erklärt werden, damit die Bücher, wo sie erscheinen, verstanden werden können. Zudem sollte ein Wörterbuch zu den einfachen lateinischen Wörtern, die in den für die Ausländer gedachten Erklärungen im Hauptwörterbuch erscheinen, zusammengestellt werden.

Aus dem Wörterbuch ausgeschlossen werden sollten alle möglichen Eigennamen und alle Fachtermini, bis auf die, die zum allgemeinen Sprachgebrauch gehören. Anderen sollte es aber ausdrücklich freigestellt bleiben, hierzu Spezialwörterbücher zu erstellen.

Die Orientierung des Konzepts von Chapelain an der Crusca zeigt sich also v. a. darin, dass er als Grundlage für das Wörterbuch die in den Texten fixierte Sprache festlegt, die Orthographie aber an der damals aktuellen Orthographie orientiert.

Diese Orientierung setzt sich dann allerdings in der Struktur des französischen Wörterbuchs nicht fort, denn die Methode der Crusca setzte die Existenz einer schon klassischen und durch die Jahrhunderte abgesegneten Literatur, die nicht mehr erst diskutiert werden musste, voraus. In Frankreich gab es aber keine solche Literatur. Die Sprache in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Frankreich ist denn auch eine neue Sprache, an der mehr als die Schriftsteller und die Gelehrten, die mondänen Schichten mitgearbeitet haben, die die Politik der französischen Monarchie um den Hof zentriert.

Das Wörterbuch der Académie erscheint mit großer Verspätung, nämlich erst 1694, also 60 Jahre nach ihrer Gründung. Die 1582 in Florenz gegründete Accademia della Crusca hatte dagegen nur 30 Jahre gebraucht, um das Vocabolario degli Accademici della Crusca 1612 zu veröffentlichen. Das Wörterbuch der Académie Française trägt den Titel Le Grand Dictionnaire de l'Académie Françoise. Es war aber nicht alphabetisch, sondern nach Wortgruppen geordnet und enthielt 24.000 Lemmata. Um welche Sprache es sich dabei handelt, steht im Vorwort:

C'est dans cet estat où la Langue Françoise se trouve aujourd'hui qu'a esté composé ce Dictionnaire: et pour la representer dans ce mesme estat, l'Académie a jugé qu'elle ne devoit pas y mettre les vieux mots qui sont entierement hors d'usage, ni les termes des Arts et des Sciences qui entrent rarement dans le Discours; Elle s'est retranchée à la Langue commune, telle qu'elle est dans le commerce ordinaire des honnestes gens, et telle que les Orateurs et les Poëtes l'employent; Ce qui comprend tout ce qui peut servir à la Noblesse et à l'Elegance du discours.

In Wirklichkeit weicht das Akademiewörterbuch aber in vielen Fällen von der im Vorwort geschilderten Konzeption ab und das beschriebene puristische Programm wurde keineswegs durchgehalten. Einerseits wurden zahlreiche veraltete Wörter aufgenommen, zumal wenn sie Grundformen von damals im Gebrauch befindlichen Wörtern waren; andererseits führte das Wörterbuch volkstümliche, familiäre, ja sogar vulgäre Wörter und Ausdrücke auf. Archaismen und Wörter, die weder zum bel usage noch zum bon usage gehörten, wurden im Wörterbuch im allgemeinen durch Zusätze wie vieux oder bas markiert (cf. Winkelmann LRL: 343).

Wie das Wörterbuch der Crusca so wird auch das Wörterbuch der Académie nicht den Erwartungen gerecht. Ein Grund dafür ist zum einen sein spätes Erscheinungsdatum (1694). Bei den Zeitgenossen fand aber auch die Wortauswahl keine ungeteilte Zustimmung. Insbesondere die Aufnahme populärer und vulgärer Wörter wurde heftig kritisiert, v. a. wenn ihnen keine Registermarkierung hinzugefügt worden war.

Was die fehlenden Markierungen betrifft, so legen die von der Akademie 1704 in erster und 1705 in zweiter Auflage veröffentlichten Observations de l'Académie Françoise sur les Remarques de M. de Vaugelas, in denen sich die Akademie offen dagegen aussprach, Alltagswörter wie face oder poitrine oder Redewendungen wie vomir des injures völlig aus dem Sprachgebrauch zu verbannen, nahe, dass die Akademie es ablehnte, den Sprachpurismus gewisser Kreise auf die Spitze zu treiben (cf. Winkelmann LRL: 343). Allerdings konnte sie die Kritik nicht ignorieren und legte deshalb bei der zweiten Ausgabe des Wörterbuchs 1718 bei der Berücksichtigung archaischer und volkstümlicher Wörter viel strengere Maßstäbe an als bei der Erstausgabe. (cf. Winkelmann LRL: 343)

3.4 Claude Favre de Vaugelas (1585-1650)

Vaugelas, der zu den Gründungsmitgliedern der Académie gehörte (cf. Bagola 1991: 153), wurde in Meximieux (Bresse) in Savoyen als Sohn eines Juristen geboren. Dieser Hintergrund wirkte sich auf sein sprachtheoretisches Denken aus. Er setzte die Normierungsbemühungen von Malherbe fort. 1647 erscheinen seine Remarques svr la langve Françoise, von denen den Akademiemitgliedern schon 1637 ein erster Entwurf vorlag. Sie sind sein einziges Werk. Daneben hat er noch zwei Übersetzungen angefertigt: 1615 erschien Les sermons de Fonseque sur tous les evangiles du Caresme: Avec une paraphrase perpetuelle sur toutes les parties des Evangiles (aus dem Spanischen), und 1653 (drei Jahre nach seinem Tod): Quinte Curce, De la vie et des actions d'Alexandre le grand (aus dem Lateinischen). Wohl nicht zuletzt aufgrund seiner Herkunft hatte Vaugelas in Paris Kontakt zur Gesellschaft und zum "Hof als geographischem, politischen und sozialen Zentrum" (Settekorn 1988: 61). Seine Einstellung ist "durch finanzielle, institutionelle und allgemein soziale Einbindung in die höfische Gesellschaft geprägt" (Settekorn 1988: 53).

1639 wurde ihm, nachdem ein erster Versuch, ein Wörterbuch zu erstellen, fehlgeschlagen war, auf Drängen der Akademie von Richelieu schließlich eine Pension von 2000 Pfund zugesagt, damit er als Sekretär mit der Redaktion des Wörterbuches beauftragt werden konnte (cf. Baum 1989: 27-29), wie sich zeigt, ohne greifbaren Erfolg. Wesentlich wichtiger als diese Tätigkeit ist das Buch, das ihn berühmt gemacht hat. Hinter dem Titel Remarques svr la langue françoise, utiles à ceux qui veulent bien parler et bien escrire verbirgt sich nämlich eines der wichtigsten sprachnormierenden Werke der französischen Grammatikographie.

3.4.1 Der bon usage

Vaugelas beschäftigt sich darin, wie der Titel Remarques svr la langue françoise, utiles à ceux qui veulent bien parler et bien escrire zeigt, sowohl mit der gesprochenen als auch mit der geschriebenen Sprache seiner Zeitgenossen. Im Vorwort führt er aus, dass er keine Gesetze aufstellen will, da diese Macht nur dem bon usage zusteht:

CE ne sont pas icy des Loix que ie fais pour nostre langue de mon authorite priuée ; Je serois bien temeraire, pour ne pas dire insense ; car à quel titre & de quel front pretendre un pouuoir qui n'appartient qu'à l'Vsage, que chacun reconnoist pour le Maistre & le Suuerain des langues viuantes? (Vaugelas 1647/1934: 1).

dass er aber den bon usage aus dem Bestehenden herausfiltern will:

Mon dessein n'est pas de reformer nostre langue, ny d'abolir des mots, ny d'en faire, mais seulement de monstrer le bon usage de ceux qui sont fait, & s'il est douteux ou inconnu, de l'esclaircir, & de le faire connoistre.

Er wird also von diesem bon usage Zeugnis ablegen. Deshalb heißt die Schrift auch Remarques und nicht Decisions. Vaugelas versucht nun zu klären, was er unter dem bon usage versteht. Er versteht darunter nicht einfach die Sprache einer Sprachgemeinschaft:

Car si ce n'est autre chose, comme quelques-uns se l'imaginent, que la façon ordinaire de parler d'une nation dans le siege de son Empire, ceux qui y sont nez & éleuez, n'auront qu' à parler le langage de leurs nourrices & de leurs domestiques, pour bien parler la langue de leur pays, & les Prouinciaux & les Estrangers pour la bien sçauoir, n'auront aussi qu' à les imiter.

Stattdessen gilt es zwei usages zu unterscheiden, den bon usage und den mauvais usage:

Il y a sans doute deux sortes d'Vsages, vn bon & vn mauuis. Le mauuais se forme du plus grand nombre de personnes, qui presque en toutes choses n'est pas le meilleur, & le bon au contraire est composé non pas de la pluralité, mais de l'élite des voix, & c'est veritablement celuy que l'on nomme le Maistre des langues, celuy qu'il faut suiure pour bien parler, & pour bien escrire en toutes sortes de stiles, si vous en exceptez le satyrique, le comique, en sa propre & ancienne signification, & le burlesque, qui sont d'aussi peu d'estenduë que peu de gens s'y adonnent.

Der mauvais usage ist für die überwiegende Mehrheit des Volkes kennzeichnend. Dieser verdient es nicht, näher beleuchtet zu werden. Der bon usage wurde seiner Meinung nach dagegen nur von einer kleinen Minderheit beherrscht, von der élite des voix. Dieser sollte beschrieben und kultiviert werden. Den bon usage definiert er wie folgt:

C'est la façon de parler de la plus saine partie de la Cour, conformément à la façon d'escrire de la plus saine partie des Autheurs du temps. Quand ie dis la Cour, i'y comprens les femmes comme les hommes, & plusieurs personnes de la ville où le Prince reside, qui par la communication qu'elles ont auec les gens de la Cour participent à sa politesse.

Vaugelas vertritt also einen aristokratisch-elitären Sprachbegriff, der völlig auf die absolutistische Monarchie zugeschnitten ist. Die Sprachform, die an der Universität (la chaire) oder bei Gericht (le barreau) verwendet wird und die im 16. Jahrhundert noch teilweise Vorbildfunktion besaß, ordnet er jetzt dem Sprachgebrauch des Hofes qualitativ unter.

Der Hof allein reicht aber als regelschaffende Instanz nicht aus, sondern die guten Autoren müssen ebenfalls einen Beitrag leisten. Der bon usage findet sich dann gerade dort, wo sie beide übereinstimmen:

Toutefois quelque auantage que nous donnions à la Cour, elle n'est pas suffisante toute seule de seruir de reigle, il faut que la Cour & les bons Autheurs y concourent, & ce n'est que de cette conformité qui se trouue entre les deux, que l'Vsage s'etablit.

Der Hof ist somit die oberste Instanz, weil das gesprochene Wort vor dem geschrieben kommt. Das gesprochene Wort ist schließlich Abbild des Geistes. Das geschriebene Wort ist dagegen nur ein Abbild des gesprochenen:

Car enfin la parole qui se prononce, est la premiere en ordre & en dignité, puis que celle qui est escrite n'est que son image, comme l'autre est l'image de la pensée.

Die guten Schriftsteller drücken dem Sprachgebrauch des Hofes das Siegel auf und verbreiten ihn bei den Lesenden, die durch die Lektüre ihre Fehler verbessern und eine reine Sprache und einen reinen Stil erhalten. Dies läßt sich nur bei den guten Autoren lernen:

Mais le consentement des bons Autheurs est comme le sceau, ou une verification, qui authorise le langage de la Cour, & qui marque le bon Vsage, & decide celuy qui s'estudient à bien parler & à bien escrire, lors que se rendant assidus à la lecture des bons Ouurages, ils se corrigent de plusieurs fautes familieres à la Cour, & acquierent une pureté de langage & de stile, qu'on n'apprend que dans les bons Autheurs.

Trotzdem reicht das Lesen nicht aus, um die Sprache des Hofes zu lernen. Um eine gute Aussprache zu lernen, muss man sich stattdessen am Hof aufhalten. Nur am Hof, den Vaugelas hier mit einer école gleichsetzt, lassen sich auch die neuen in die Konversation eindringenden Wörter lernen.

Was das Schreiben betrifft, so kann man durch das Lesen der guten Autoren durchaus selbst zu einem guten Autor werden, indem man sich an ihnen wie an Modellen orientiert. So hat ja der Kardinal Bembo gesagt, dass die besten italienischen Autoren zumeist nicht die waren, die in die Reinheit der Sprache hineingeboren waren, weil eben nirgends auf der Welt die Sprache so rein ist, dass sich darein nicht einige Fehler mischten und weil es unmöglich ist, dass diejenigen, für die diese Fehler natürlich sind, sie nicht auch in ihre Schriften einfließen lassen. Statt wie die anderen, die einen solchen Vorteil haben, dauernd vor den Fehlern ihrer Gegend auf der Hut zu sein, haben sie sich ausgezeichneten Meistern angeschlossen, um sie zu imitieren. Oft sind sie dabei sogar über diese hinausgewachsen:

Le Cardinal Bembo à qui la langue Italienne est si redeuable, qui n'a pas terni l'esclat de sa pourpre parmy la poussiere de la Grammaire, a obserué, que presque tous les meilleurs Autheurs de sa langue, n'ont pas esté ceux qui estoient nez dans la pureté du langage, & cela par cette seule raison, qu'il n'y a iamais eu de lieu au monde, non pas mesme Athenes ny Rome, où le langage ait esté si pur, qu'il ne s'y soit meslé quelques defauts, & qu'il est comme impossible, que ceux à qui ils sont naturels n'en laissent couler dans leurs escrits; Au lieu que les autres ont cet avantage, que se deffiant continuellement des vices de leur terroir, ils se sont attachez à des patrons excellens qu'ils se sont proposez d'imiter, & qu'ils ont souuent surpassez prenant de chacun ce qu'il auoit de meilleur;

Vaugelas leitet daraus ab, dass es dreierlei bedarf, um wirklich gutes Sprechen und Schreiben zu lernen, nämlich

  • das Lesen,
  • den Umgang mit dem Hof und
  • die Sprachgelehrten.

Nur letztere können in Zweifelsfällen entscheiden:

Il est vray que d'adiouster à la lecture, la frequentation de la Cour & des gens sçauants en la langue, est encore toute autre chose, puis que tout le secret pour acquerir la perfection de bien escrire & de bien parler, ne consiste qu'à joindre ces trois moyens ensemble. Si nous l'auons fait voir pour la Cour & pour les Autheurs, l'autre n'y est gueres moins necessaire, parce qu'il se presente beaucoup de doutes & de difficultez, que la Cour n'est pas capable de resoudre, & que les Autheurs ne peuuent esclaircir, soit que les exemples dont on peut tirer l'esclaircissement y soient rares, & qu'on ne les trouue pas à point nommé, ou qu il n'y en ait point du tout.

Die Reinheit der Sprache lässt sich also nicht leicht erwerben. Man braucht dazu die 3 genannten Mittel. Die ersten beiden verlangen zudem viel Zeit. Auch reicht es nicht, immer wieder eine Reise an den Hof zu machen und Leute, die diese Sprache benutzen zu kennen, man muss (wie Vaugelas) am Hof schon lange leben und intensiv mit diesen Leuten verkehren und man darf sich nicht zu lang in der Provinz aufhalten, um seine Sprache nicht von der dortigen korrumpieren zu lassen:

Ce n'est donc pas une acquisition si aisée à faire que celle de la pureté du langage, puis qu'on n'y sçauroit paruenir que par les trois moyens que i'ay marquez, & qu'il y en a deux qui demandent plusieurs années pour produire leur effet; Car il ne faut pas s'imaginer que de faire de temps en temps quelque voyage à la Cour, & quelque connoissance auec ceux qui sont consommez dans la langue, puisse suffire à ce dessein. Il faut estre assidu dans la Cour & dans la frequentation de ces sortes de personnes pour se preualoir de l'un & de l'autre, & il ne faut pas insensiblement se laisser corrompre par la contagion des Provinces en y faisant un trop long sejour.

Ich denke, damit rechtfertigt Vaugelas auch seine eigene Kompetenz. Natürlich gibt er sich bescheiden, wenn er dann sagt, dass er nicht für sich in Anspruch nehme, dass mit dem dreimaligen aufmerksamen Lesen seiner Remarques das Gleiche erreicht werden könne, wie mit den drei genannten Mitteln, er meint aber, dass sie diesem Ziel nahekommen könnten, wenn er seine Arbeit so gut geleistet hat, wie sie eben einer leisten kann, der die gleichen Prädikate aufweisen kann, wie er:

qui depuis trente-cinq ou quarantes ans auroit uescu dans la Cour, qui dès sa tendre jeunesse auroit fait son apprentissage en nostre langue aupres du grand Cardinale du Perron & de M. Coëffeteau, qui sortant de leurs mains auroit eu un continuel commerce de conference & de conuersation avec tout ce qu'il y a eu d'excellens hommes à Paris en ce genre, & qui avroit uieilli dans la lecture de tous les bons Autheurs.

Den bon usage unterteilt Vaugelas dann weiter in einen usage declaré, also den Gebrauch, wo Hof und gute Autoren übereinstimmen, und einen usage douteux:

L'usage declaré est celuy dont on sçait asseurément que la plus saine partie de la Cour et des autheurs du temps sont d'accord; et par consequent le douteux ou l'inconnu est celuy dont on ne le sçait pas.

Was die Zweifel betrifft, so gibt es für sie zumindest die folgenden Gründe:

  • Unterschied zwischen Aussprache und Schrift
  • die Seltenheit des Gebrauchs bestimmter Wörter (Genus)
  • es finden sich zwei Aussprachen oder zwei Schreibweisen
  • Ausnahmen von der Regel
  • grammatische Konstruktionen

Ausgeräumt werden die Zweifel

  • durch Zuhören
  • durch Befragen der guten Autoren
  • durch Befragen der lebenden Autoren
  • durch Befragen der Sprachkundigen
  • es entscheidet die Mehrheit der Stimmen

sind sie gespalten, dann können beide Arten gebraucht werden bzw. diejenige, die einem besser gefällt.

Da aber die Befragten, wenn sie keine Vorlagen für einen bestimmten Gebrauch haben, letztendlich ihre Kenntnisse durch Analogieschlüssen ziehen, gründet sich die Sprache letztendlich entweder auf den usage oder auf die Analogie:

De tout ce discours il s'ensuit que nostre langue n'est fondée que sur l'Vsage ou sur l'Analogie, laquelle encore n'est distinguée de l'Vsage, que comme la copie ou l'image l'est de l'original, ou du patron sur lequel elle est formée, tellement qu'on peut trancher le mot, & dire que nostre langue n'est fondée que sur le seul Vsage ou desia reconnû, ou que l'on peut reconnoistre par les choses qui sont connuës, ce qu'on appelle Analogie.

Vaugelas kritisiert hier diejenigen, die behaupten, Sprache gründe sich auf Vernunft (raison). Mit dem usage ist es seiner Meinung nach wie mit dem Glauben, man kann darüber diskutieren und versuchen, ihn zu begründen, letztendlich muss man sich ihm aber unterwerfen:

Ainsi l'Vsage est celuy auquel il se faut entierement sousmettre en nostre langue, mais pourtant il n'en exclut pas la raison ny le raisonnement, quoy qu'ils n'ayent nulle authorités; [...] En un mot l'Vsage fait beaucoup de choses par raison, beaucoup sans raison, & beaucoup contre raison.

Vernünftig sind die meisten grammatischen Konstruktionen, wie etwa der Accord. Dagegen hat zum Beispiel die Art und Weise der Ähnlichkeit oder Variation der Tempusformen und Personen keinen vernünftigen Grund, sie entspringt der Phantasie der ersten Menschen, die die Sprache geschaffen haben. Gegen die Vernunft verstösst z. B. zu sagen "une infinité de gens croyent". Hinzu kommen noch die delicatesse & les mysteres du stile. Der Bon Vsage ist zugleich der bel Vsage und der mauvais usage schließt auch das Vulgäre ein.

Was heißt nun aber peuple?

De ce grand Principe, que le bon Vsage est le Maistre de nostre langue, il s'ensuit que ceux-là se trompent, que en donnent tout la iurisdiction au peuple, abusez par l'exemple de la langue Latine mal entendu, laquelle, à leur auis, reconnoist le peuple pour son Souuerain; car ils ne considerent pas la difference qu'il y a entre populus en Latin, & Peuple en François, & que ce mot de Peuple ne signifie aujourd' huy parmy nous que ce que les Latins appellent Plebs, qui est une chose bien differente & au dessous de Populus en leur langue. Le Peuple composoit auec le Senat tout le corps de la Republique, & comprenoit les Patriciens, & l'Ordre des Cheualiers avec le reste du Peuple. Il est vray qu'encore qu'il faille avoûer que les Romains n'estoient pas faits comme tous les avtres hommes, & qu'ils ont surpassé toutes les Nations de la terre en lumiere d'entendement, & en grandeur de courage, si est ce qu'il ne faut point douter, qu'il n'y eust diuers degrez, & comme diverses classes de suffisance & de politesse parmy ce peuple, & que ceux des plus bas estages n'vsassent de beaucoup de mauuais mots & de mauuaises phrases, que les plus éleuez d'entre eux condemnoient. Tellement que lors qu'on disoit que le Peuple estoit le Maistre de la langue, cela s'entendoit sans doute de la plus saine partie du peuple, comme quand nous parlons de la Cour & des Autheurs, nous entendons parler de la plus saine partie de l'un & del'autre. Selon nous, le peuple n'est le maistre que du mauuais Vsage, & le bon Vsage est le maistre de nostre langue.

3.4.2 Die Remarques

Vaugelas geht bei seinen Remarques unsystematisch vor. Er will kein Richter sein, sondern Zeuge, der den bon usage in einer ungeordneten Sammlung von Regeln festhält. Die Remarques sind weder alphabetisch, noch nach Redeteilen geordnet. Vaugelas rechtfertigt dieses Vorgehen auch damit, dass er bei einer eventuell dringenden Veröffentlichung so immer noch Teile anfügen kann. Im strengen Sinne sind die Remarques auch keine Grammatik. Sie erinnern aber irgendwie an Bembos Prose della Volgar lingua, die ja auch im strengen Sinn keine Grammatik sind. Wie Bembo, so steht auch Vaugelas ausserhalb der Tradition der lateinischen Grammatik und ausserhalb der rationalistischen Sprachtheorie, die die ratio über den usus stellt. Diese wird ja von Vaugelas ausdrücklich zurückgewiesen.

Hier zunächst ein Beispiel aus den Remarques (mit Ausnahme bei den Beispielen stammen die Hervorhebungen von mir):

Vn adjectif auec deux substantifs de different genre
EXemple, Ce peuple a le coeur & la bouche
ouuerte à vos louâges. On demande s'il
faut dire ouuerte, ou ouuerts. M. de Malherbe
[P 83] disoit, qu'il falloit éuiter cela comme vn es-
cueil, & ce conseil est si sage, qu'il semble qu'on
ne s'en sçauroit mal trouuer; Mais il n'est pas
question pourtant de gauchir tousjours aux
difficultez, il les faut vaincre, & establir vne
reigle certaine pour la perfection de nostre
langue. Outre que bien souuent voulant éui-
ter cette mauuaise rencontre, on perd la gra-
ce de l'expression, & l'on prend vn destour qui
n'est pas naturel. Les Maistres du mestier re-
connoissent aisément cela. Comment dirons-
nous donc? Il faudroit dire, ouuerts, selon la
Grammaire Latine, qui en vse ainsi, pour vne
raison qui semble estre commune à toutes les
langues, que le genre masculin estant le plus
noble, doit predominer toutes les fois que le
masculin & le feminin se trouuent ensemble; (raison)
mais l'oreille a de la peine à s'y accommoder,
parce qu'elle n'a point accoustumé de l'ouir
dire de cette façon, & rien ne plaist à l'oreil-
le, pour ce qui est de la phrase & de la diction,
que ce qu'elle a accoustumé d'ouîr. Ie vou-
drois donc dire, ouuerte, qui est beaucoup plus
doux, tant à cause que cét adjectif se trouue
joint au mesme genre auec le substantif qui
le touche, que parce qu'ordinairement
on parle ainsi, qui est la raison decisiue, & que
par consequent l'oreille y est toute accous-
tumée. Or qu'il soit vray que l'on parle ainsi
[P 84] d'ordinaire dans la Cour, ie l'asseure comme
y ayant pris garde souuent, & comme l'ayant
fait dire de cette sorte à tous ceux à qui ie
l'ay demandé, par vne certaine voye qu'il
faut tousjours tenir, quand on veut sçauoir as-
seurément si vne chose se dit, ou si elle ne se
dit pas. Mais qu'on ne s'en sie point à moy,
& que chacun se donne la peine de l'obser-
uer en son particulier. (alle sprechen so)

Neantmoins M. de Malherbe a escrit, il le faut
estre en lieu où le temps, & la peine soient bien em-
ployez. On respond que cét exemple n'est pas
semblable à l'autre, & qu'en celuy-cy il faut es-
crire, comme a fait M. de Malherbe, parce que
deux substantifs qui ne sont point synonimes,
ny approchans, comme le temps, & la peine, re-
gissent necessairement vn pluriel, lors que le
verbe passif vient aprés auec le verbe substan-
tif, ou que le verbe substantif est tout seul,
comme le mari & la femme sont importuns, car
on ne dira jamais, le mari & la femme est impor-
tune, parce que deux substantifs differens de-
mandent le pluriel au verbe qui les suit, &
dés que l'on employe le pluriel au verbe, il le
faue employer aussi à l'adjectif, qui prend le
genre masculin, comme le plus noble, quoy
qu'il soit plus proche du feminin.
La question n'est donc pas pour l'exem-
ple de M. de Malherbe; car la chose est sans
[P 85] difficulté, & sans exception, mais pour l'exem-
ple qui est le sujet de cette Remarque, où le
dernier substantif bouche, est joint immedia-
tement à son adjectif ouuerte sans qu'il y ayt
aucun verbe ny substantif, ny autre entre
deux; comme on dit, les pieds & la teste nuê,
& non pas, les pieds & la teste nuds.

Nach Schroeder ist die Genusregel für Adjektive, die zu mehreren Substantiven gehören, bemerkenswert. Während nämlich im Altfranzösischen das Genus des nächstliegenden Substantivs entscheidend war, richtet sich das Adjektiv von nun an nach dem maskulinen Wort (cf. Schroeder 1996: 52).

3.5 Wertung

Malherbe, Vaugelas und die Académie schufen also im 17. Jahrhundert eine an der Hofgesellschaft ausgerichtete Standardvarietät (bon usage). Sie erhoben manches, was im 16. Jahrhundert angesprochen worden war, zum Programm. Wie die Aussage "le bon au contraire est composé non pas de la pluralité, mais de l'élite des voix" im Vorwort der Remarques und die damit vollzogene "Zurücksetzung des Majoritätsprinzips zugunsten des Eliteprinzips" (Weinrich 1960: 20) zeigt, spiegelt Vaugelas' Schrift die Einstellung des Absolutismus wider.

Die Enzyklopädie der Aufklärung definiert den guten Sprachgebrauch dagegen im folgenden Jahrhundert ganz anders, obwohl sie den Wortlaut fast genau übernimmt, aber eben nur fast genau. Wir haben hier nämlich einen entscheidenden inhaltlichen Unterschied: "Le bon usage est la façon de parler de la plus nombreuse partie de la cour, conformément à la façon d'écrire de la plus nombreuse partie des auteurs les plus estimés du temps" (zitiert nach Weinrich 1960: 20). Beide Definitionen zeigen aber auch, dass im Unterschied zur Situation in Italien, zur Bestätigung des Sprachgebrauchs des Hofes nicht der Sprachgebrauch der antiken Autoren, sondern ausdrücklich der Sprachgebrauch der besten jeweils zeitgenössischen Schriftsteller herangezogen und somit auch der Sprachwandel berücksichtigt wird.

Auf den Sprachwandel geht Vaugelas selbst ausdrücklich ein. Seiner Meinung nach sind nicht die einzelnen Normen dauerhaft festzuschreiben, wohl aber die Methode zu ihrer Ermittlung, d. h. die Beobachtung des guten Sprachgebrauchs der "elitären Instanzen" (Berschin / Felixberger / Goebl 1978: 239). Indem aber der Grammatiker oder Sprachgelehrte die gesellschaftliche Hierarchie akzeptiert und so den Hof als höchste Instanz festlegt, legt er auch eine Sprachnorm einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht als die ausschlaggebende fest. Was dabei unter der "plus saine partie" zu verstehen ist, lässt sich bisher nicht ganz klären. Dieter Janik leitet die Formel von dem aus dem kanonischen Recht stammenden lateinischen Begriff "pars sanior" ab, der sich bei Wahlen nicht auf das Mehrheitsrecht "pars maior" bezieht, sondern auf die "Tradition der qualitativen Bewertung der Stimmen" (Janik 1984: 427). Die Entscheidung, wer zu der "plus saine partie" zu rechnen ist, trifft nach Gauger / Oesterreicher / Windisch (1981: 35) der Grammatiker. Insofern ist sein Ansatz normativ. In der Darstellung des einmal als "bon usage" identifizierten Sprachgebrauchs ist er hingegegn deskriptiv.

Der ideale Sprecher des "bon usage" ist nach Grimm (31994: 12) bzw. Geckeler / Dietrich (1995: 214) der konversationsgewandte und anpassungsfähige "honnête homme", der weiss, "was man wann zu sagen hat und wie man es ausformulieren muß" (Schroeder 1996: 53). Er muß keinem Beruf nachgehen, deshalb haben Fachbegriffe auch keinen Platz im "bon usage". Nach Weinrich wählte Vaugelas auch gerade deshalb den Begriff "bon usage" statt des fast bedeutungsgleichen "coutume". Letzteres wurde nämlich im Zusammenhang mit dem Gewohnheitsrecht im Justizwesen in einem technischeren Sinn als ersteres verwendet und war deshalb eher ein Fachbegriff (cf. Weinrich 1960: 7).

Neben Fachtermini, die Vaugelas auf das jeweilige Fachgebiet begrenzen will, sollen auch Archaismen und Neologismen keinen Platz im guten Sprachgebrauch haben. Vaugelas toleriert zwar Wortbildungen durch Derivation, lehnt aber die Einführung gänzlich neuer Wörter ab. Das Recht dazu hat nicht einmal der Herrscher.

Vaugelas beschäftigt sich also vor allem mit Fragen der Wortwahl. Auch die Aussprache und Schreibweise spielen eine Rolle. Mit grammatischen, syntaktischen und morphologischen Fragen beschäftigt er sich dagegen lediglich am Rand, so wenn er etwa das Genus bestimmter Nomen anspricht und dabei das Maskulinum als "genre plus noble" bezeichnet.

Die Remarques wurden zwischen 1651 und 1738 23mal neu aufgelegt (cf. Winkelmann LRL 342). Mit den Remarques hatte Vaugelas einen Vertextungstyp des sprachnormativen Diskurses geschaffen, der nachfolgenden Generationen als Vorbild diente. So war Vaugelas auch das Vorbild für Gilles Ménage und Dominique Bouhours. Sie führen Vaugelas fort, ohne in ihren Werken seine Gedanken zur französischen Sprache wesentlich zu erweitern oder deutlich über sie hinauszugehen.

 
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