Die Grundlagen der Grammatiken der romanischen Sprachen

   
 

Entwicklung der Wortklassen

Nomen (Onoma): deklinierbarer Redeteil, der eine Person oder eine Sache bezeichnet

Verb (Rhema): Redeteil, der nicht deklinierbar, aber nach Zeit, Person und Numerus konjugierbar ist und Ausführung oder Erleiden einer Handlung be­zeichnet

Partizip (Metoche): Redeteil, der an den Merkmalen von Onoma und Rhema teilhat

Artikel (Arthron): deklinierbarer Redeteil, der dem Onoma vorangeht oder folgt

Pronomen (Antonymia): Redeteil, der ein Onoma ersetzt und auf Personen verweist

Präposition (Prothesis): Redeteil vor anderen Wörtern zur kompositionalen oder syntaktischen Verbindung

Adverb (Epirrhema): unflektierter Redeteil, der einem Rhema hinzugefügt wird oder es mo­difiziert

Konjunktion (Syndesmos): diskursverbindender Redeteil.

(nach: Robins, Robert Henry (1966): „The Development of the Word Class System of the European Grammatical Tradition“, in: Foundations of Language 2: 3-19; zitiert nach: Paul, Lothar (1978): Geschichte der Grammatik im Grundriß . Sprachdidaktik als angewandte Er­kenntnistheorie und Wissenschaftskritik (= Pragmalinguistik 14). Weinheim/Basel: Beltz 238-239

Die Stoiker

Mit den Stoikern fängt der 3 Jahrhunderte dauernde Streit zwischen Anomalisten und Analogisten an. Zunächst wurde die Analogie von den Alexandrinern in der Lehre der Regelmäßigkeiten der Flexion und der Wortbildung vertreten. Die Opposition zu dieser Lehre entstand erst später als nämlich Krates von Mallos auf die Unregelmäßigkeiten in der Flexion hinwies. Auf diesem Hintergrund entwickelten sich die Theorien der beiden großen Schulen, der Schule der Alexandriner, vertreten durch Aristarch (Analogisten – Regelmäßigkeit, Zusammenhang zwischen Lautbild und Vorstellungsgehalt, Empiristen) und der Schule von Pergamon, vertreten durch Krates (Anomalisten – die Inhalte brauchen nicht dem Ausdruck zu entsprechen, Rationalisten) (cf. Coseriu 1975: 115-122).

Übersicht

Für den Bereich der Grammatik ist vor allem die Lehre der Alexandriner und damit die von den Analogien wichtig (cf. Coseriu 1975: 115). Die Schule der Alexandriner war offen didaktisch und literarisch ausgerichtet. Zu ihrer Zeit verbreitete sich nämlich eine andere Varietät, die Koine, über die ganze griechische Welt. Deshalb wurde die Notwendigkeit gesehen, den literarischen Standard der griechischen Grammatik und des griechischen Stils, wie ihn die großen klassischen Autoren geschrieben hatten, zu bewahren. So entstanden die didaktischen Grammatiken des Griechischen. Die berühmteste ist die Grammatik von Dionysius Thrax von etwa 100 v. Chr.

Definition von Grammatik (Überblick)

Die Grammatik nach Dionysius Thrax

Dionysius definierte Grammatik als die empirische Untersuchung des Sprachgebrauchs von Poeten, Prosaschriftstellern und nannte als ihr wichtigstes Ziel, die kritische Wertung der Literatur (cf. Robins 1988a: 464). Darüber hinaus setzte sich die alexandrinische Sichtweise insgesamt auch deshalb durch, weil sie den Bedürfnissen der hellinisierten Ostprovinzen des römischen Reiches genügte und der Ausbildung der oberen römischen Klasse in griechischer Sprache und in der Wertschätzung griechischer Literatur dienen konnte.

Grammatische Kategorien

Die Stoiker identifizierten die relevanten grammatischen Kategorien im Griechischen und entwickelten Platons und Aristoteles Satzaufteilung zu zunächst 4 dann 5 Wortklassen weiter. Zum Modell für andere griechische Grammatiken und für die Beschreibung der Syntax des Griechischen um 200 n. Chr. durch Apollonius Dyscolus wurden aber die 8 Wortklassen (Nomen, Verb, Partizip, Artikel, Pronomen, Präposition, Adverb und Konjunktion) der Alexandriner ( Dionysius Thrax) und die diesen Klassen zugeschriebenen Kategorien (Kasus, Tempus, Numerus, Genus etc.). Die Stoiker führten den Casus und seine Namen ein, ebenso die Begriffe für die Redeteile und unterschieden zwischen Appelativum und Eigennamen. Mit den Stoikern entsteht auch die Theorie des Verbalaspekts (ausgedehnt – vollkommen):

Vergangenheit

Gegenwart

Imperfekt

Präsens

Plusquamperfekt

Perfekt

Aorist

Abbildung 1 (cf. Coseriu 1976: 53).

Die Römer

Römische Gelehrte übernahmen, so wird behauptet, grosso modo einfach die in der griechischen Grammatik und Sprachphilosophie entwickelte Betrachtungsweise hinsichtlich der phonologischen und grammatischen Kategorien (cf. Robins 1988a: 466): „à travers les Latins, c'est la grammaire greque qui a été transmise à l'Occident. Le latin a été décrit à l'aide des catégories mises au point pour décrire le grec, et souvent même avec les termes grecs.“ (Desbordes 1988: 15). Françoise Desbordes vertritt sogar die These, dass die ersten lateinischen Grammatiken von Griechen geschrieben wurden: „Je ferais l'hypothèse suivante: les premières descriptions du latin étaient faites par des Grecs, en grec même pour certains, en tout cas par rapport au grec;“ (Desbordes 1988: 17-18).

Unterschiede Griechisch - Latein

Diskutiert wurden lediglich die Fälle, wo das Griechische und Lateinische sich offensichtlich unterschieden, so beim bestimmten Artikel, den es im Lateinischen im Unterschied zum Griechischen nicht gab, ebenso im Falle des Duals und beim Kasussystem, wo sich 6 lateinische Kasus den 5 griechischen Kasus gegenüberstanden.

Während fünf lateinische Kasus mit den griechischen Kasus auf einer semantischen Grundlage in Übereinkunft gebracht werden konnten, blieb der heute Ablativ genannte Kasus, dessen syntaktische und semantische Funktionen sich auf den griechischen Genetiv und Dativ verteilten, aussen vor und wurde zuerst als ‚lateinischer Kasus‘ und als 6. Fall bezeichnet: „Apud Graecos, ut diximus, ablatiuus non inuenitur, sed omnia per genetiuum proferunt.“ (Pompeius, zitiert nach Desbordes 1988: 17)

Die acht Wortarten wurden in der lateinischen Grammatik dadurch beibehalten, dass an die Stelle der fehlenden Artikelklasse die Interjektionen als eigenständige Klasse traten. Die Griechen hatten die Interjektionen dagegen als eine Unterklasse der Adverbien betrachtet.

Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.)

Einer solchen Einschätzung widerspricht allerdings Daniel J. Taylor: „Neither in language science nor in many other areas of learning and culture were the Romans content merely to accept what they inherited from Greece, and rather than casting what they had to say about language in a traditionally Grecian mold, they instead assigned it, or at least some of it, a new structure, a distinctly Roman conceptual architecture, as it were.“ (Taylor 1988: 39). Zur Illustration dieser These zieht er gerade Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.) heran, der stark von den Stoikern beeinflußt war und der zu einer Zeit, als es noch keine geschriebenen lateinischen Grammatiken gab, eine Abhandlung zum Lateinischen schrieb: De lingua Latina , von der nur ein Teil noch vorhanden ist. Taylor macht daran die Entstehung einer eigenständigen lateinischen linguistischen Theorie fest.

Varro übernimmt zwar das Modell des Verbalaspekts von den Stoikern, nicht aber deren philosophische Überlegungen zur Unendlichkeit der zeitlichen Referenz in die Vergangenheit und Zukunft. Er ignoriert den Aorist, d.h. das praeteritum perfectum , das im Latein keine einheitlich identifizierbare morphologische Form hat. Statt semantische Überlegungen anzustellen, konzentriert er sich auf den grammatischen Inhalt der Verbformen. Somit erhält er das von ihm gesuchte symmetrische Modell. Die grundlegende Unterscheidung in seinem System ist die zwischen infectum und perfectum , die er vor allem an dem morphologischen Unterschied zwischen den imperfektiven und perfektiven Verbstämmen festmacht. Durch diese Herangehensweise entdeckt er das Futur Perfekt Indikativ, das in der römischen Grammatiktradition fast ganz übersehen wurde (cf. Taylor 1988: 40):

 

Vergangenheit

Gegenwart

Futur

   

 

     

Für Varro's Behandlung der Deklination und seiner Unterscheidung zwischen derivativer und inflektiver Morphologie gibt es dagegen kein stoisches Vorbild, möglicherweise auch nicht für die Konjugation (cf. Taylor 1988: 42).

Varro klassifiziert nämlich die lateinischen Verben allein aufgrund ihrer morphologischen Form (2. Person Sg. aktiv Präsens Indikativ) in Konjugationsklassen (in der Technê des Dionysius dagegen auf der Grundlage des Akzents und der Wurzelendkonsonanten und der Diphthonge der 2. und 3. Person Singular).

Varro teilt das lateinische Lexikon in flektierende (produktive) und nicht flektierende, derivationelle (sterile) Wörter ein. Die flektierenden Wörter teilt er auf der Grundlage von Kasus und Tempus weiter ein in 4 Klassen:

 

Nomen = + Kasus - Tempus
Verben = - Kasus + Tempus
Partizipien = + Kasus + Tempus
Adverbien = - Kasus - Tempus

Diesen vier Klassen ordnet er dann bestimmte syntaktische Funktionen zu.

Was die Deklination betrifft, so unterscheidet Varro hier eine declinatio voluntaria und eine declinatio naturalis (cf. Taylor 1988: 43) auf der Grundlage des Ablativ Singular Morphems. Donatus folgt dieser Art der Einteilung später (cf. Taylor 1988: 46).

Nach Abwägung der Argumente von Analogisten und Anomalisten kommt er zu dem Schluss, dass Sprache regelmäßig ist und aufgrund von Regeln funktioniert. Der Grammatiker hat die Aufgabe, diese Regeln zu entdecken und zu formalisieren. Es müssen aber auch die Unregelmäßigkeiten, also sogenannte Anomalien akzeptiert und festgehalten werden. Der Grammatiker hat gerade nicht die Aufgabe, entgegen dem Gebrauch die Sprache zu verbessern. Solche Anomalien können nach Varro entweder semantischer Natur, wie Nomen im Plural für einzelne Entitäten, neutrale Nomen für männliche und weibliche Lebewesen, oder grammatischer Natur sein, wie etwa unregelmäßige Verben, Ableitungslücken etc.

Quintilian

Varro ist, wie Albrecht ausführt, dann die wichtigste Quelle von Quintilian, der den Dreh- und Angelpunkt für die Überlieferung der consuetudo Auffassung der Stoiker darstellt (cf. Albrecht 1987: 110-111). Über die consuetudo schreibt Quintilian in Institutio oratoria :

„Sermo constat ratione, vetustate, auctoritate, consuetudine [...]. Consuetudo vero certissima loquendi magistra, utendumque plane sermone, ut nummo [gesetzliches Zahlungsmittel], cui publica forma est.“ (zit. nach Albrecht 1987: 111).

Korrektheit bei Quintilian

Grammatik bei Quintilian

 

 

   
 
 
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