© Elisabeth Burr
zitieren Sie bitte wie folgt: Elisabeth Burr
(2000/2001): "Accademia della Crusca und Académie
française",
<www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/Norm/Academia/lecture/Academy.htm>
oder
<www.fb10.uni-bremen.de/homepages/burr/Norm/Academia/lecture/Academy.htm>
Das Klassische Latein und die gesprochene Sprache entwickeln sich gegen Ende des römischen Reiches1 auseinander. Ab etwa 700 sprechen wir von romanischen Sprachen, die sich aus dem Vulgärlatein als der gesprochenen Form des Lateinischen in Rom und im römischen Reich, in Abhebung vom geschriebenen (literarischen) Latein so nach und nach entwickelt haben.
In den Schriften der weniger aufmerksam Schreibenden häufen sich immer mehr vulgärlateinische Elemente. Trotzdem herrscht zunächst weiterhin das Bewußtsein, eine von der Struktur her grundsätzlich lateinische Sprache zu schreiben, auch wenn sich mit der Zeit die Struktur immer mehr nur noch oberflächlich über die Endungen zeigt (cf. Bruni 1984: 3).
Die Karolingische Reform schraubt die im Latein selbst abgelaufenen Entwicklungen wieder zurück, indem sie das klassische Latein wieder zur Norm erklärt. Die Kluft zwischen der unterrichteten und geschriebenen und den gesprochenen Formen des Lateins wird damit viel stärker.
Als das Volgare zuerst in Frankreich und dann in Italien in schriftlicher Form erscheint, ist dieses Erscheinen also lange schon vorbereitet gewesen und die Zeit ist sozusagen reif für die Annahme der neuen romanischen Sprachen beim Schreiben. In den Gegenden, wo die Karolingische Reform sich durchgesetzt hat ist es zudem immer weniger möglich, die gesprochenen Formen als lateinische auszugeben.
Ein weiterer Grund für das Schreiben im Volgare liegt darin, daß die mittellateinische Kultur verschiedene Statuten für die verschiedenen kulturellen Produkte und Tätigkeiten vorsah, d.h. nicht alle Werke wurden als gleich würdig betrachtet. Stattdessen gab es eine genaue, wenn auch nicht unveränderliche Hierarchie. Zugang zur Kultur hat zu dieser Zeit per definitionem der Klerus. Die Alphabetisierung erfolgt über das Latein, die einzige in den Schulen unterrichtete Sprache. Latein wurde vor allem von denen gelernt, die eine Karriere in der Kirche planten, um theologische und philosophische Studien unternehmen zu können. Von den Klerikern wurde eine totale Hingabe an das philosophische Räsonieren verlangt (cf. Bruni 1984: 3-4).
Abelard (1079-1142) schreibt darüber in seiner Autobiographie Historia Calamitatum. Abelard wurde bei Nantes geboren und lernt später in Paris Heloise, eine sehr gebildete junge Frau kennen. Zwischen ihnen entsteht eine tiefe Liebesbeziehung. Die Frage ist aber, wie Abelard das Philosophsein mit einer Liebesbeziehung vereinigen kann. Die Philosophie verlangt von ihm, sich in Vernunft (ratio) zu üben, die Liebe würde den Philosoph dagegen in eine Beziehung einbinden, die mit der totalen Hingabe an das intellektuelle Räsonieren nicht vereinbar war, da sie seine Fähigkeiten als Denker und Lehrer null und nichtig macht und die ihn dazu führt, Liebesgedichte statt philosophische Schriften zu verfassen. Beide entstehen zwar auf Latein, sie haben aber einen gegensätzlichen Status (cf. Bruni 1984: 4).
Ab dem 12. Jahrhundert entstehen viele mittellateinische Liebesgedichte, die aber, da sie sich mit dem philosophioschen und theologischen Denken nicht in Übereinklang bringen lassen, ein Randdasein fristen, obwohl sie sich auf Ovid berufen (cf. Bruni 1984: 5).
Auch im Bereich des religiösen Schrifttums gibt es solche Statusunterschiede. Die Bibelauslegung und theologische Schriften wurden auf Latein verfaßt. Gleichzeitig war es aber klar, daß der Kontakt mit den Gläubigen, die verschiedene romanische oder andere Sprachen sprachen, nicht verlorengehen durfte. Deshalb verlangte das Reichskonzil von Tours (813), die an die Laien gerichtete Predigt in der Volkssprache zu halten (cf. Bruni 1984: 5).
Auf anderen Konzilen macht man sich dagegen Sorgen über die Ungebildetheit des niedrigen Klerus, der oft nicht in der Lage ist, die Sakramente zu verabreichen, die gewöhnlichsten Gebete zu sprechen, oder die 10 Gebote zu behalten. Als Gegenmittel werden Dekrete eingesetzt, die in katechistischer Form die wichtigsten Glaubenssätze ins Gedächtnis rufen. Es entstehen eine ganze Reihe von Aufstellungen, die sich ohne Anspruch auf Originalität v.a. an den niedrigen Klerus wenden, der fähig ist, wenigstens etwas Latein zu lesen. Er soll dadurch in die Lage versetzt werden, der Masse der Laien die Regeln des christlichen Lebens zu vermitteln. So entstehen große enzyklopädische Abhandlungen und kleine Werke. Sie spielen zwar geistesgeschichtlich keine große Rolle, die Rolle, die sie mit Blick auf die kulturelle Homogenität des christlichen Westens spielten, ist aber nach Bruni (1984: 5) sehr groß. Informationen verbreiteten sich damals schließlich langsam und mühevoll und so herrschte dauernd die Gefahr, dass die sprachliche und geistige Einheit verfiel. Nicht von ungefähr spielt das Gleichnis vom Turmbau zu Babel in dieser Zeit eine so große Rolle. Durch solche Bemühungen war es nach Bruni (1984: 6) möglich, auch bei der v.a. ländlichen Bevölkerung ein gemeinsames Bewußtsein zu schaffen.
Als erster sicher datierbarer in einer romanischen Sprache geschriebener Text gelten Les serments de Strasbourg vom 14. Februar 842, die dem Französischen zugeordnet werden müssen. Die ersten Texte, die eindeutig als italienische Texte charakterisiert werden können, entstehen dagegen erst mehr als ein Jahrhundert später. Volkssprachliche Elemente lassen sich aber auch schon in früher entstandenen Texten feststellen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang ein Begriff, der so nur in der italienischen Sprachgeschichte erscheint, d.h. der Begriff volgare. So wie nämlich der Begriff Vulgärlatein nichts mit vulgär zu tun hat, so hat auch volgare nichts mit vulgär zu tun. Volgare meint nämlich die nicht-lateinische Volkssprache zu einer Zeit, als die Dachsprache oder Verkehrssprache noch das Latein war. Der Begriff wird zumeist im Plural gebraucht, weil es in Italien damals viele verschiedene und nebeneinander bestehende volgari gibt. Elemente von solchen Volkssprachen oder volgari lassen sich in folgenden Texten feststellen:
Ansätze zu einer bescheidenen nicht-lateinischen Literatur haben wir in Italien erst Ende des 12./Anfang des 13. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit stammt das älteste uns überlieferte Literatur-"Denkmal" des Italienischen, das in der toskanischen Sprache geschrieben ist, d.h. der sogenannte Ritmo laurenziano, bei dem es sich um eine höfische Gelegenheitsdichtung mit komisch-karikaturalem Einschlag handelt. 1225 oder 1226 entstand dann der Cantico di frate Sole oder Cantico delle creature des Heiligen Francesco d'Assisi. Dieser Sonnengesang besteht aus 33 in rhytmischer Prosa verfaßten Versen, die zu Laissen gegliedert sind. Er enthält umbrische und toskanische Elemente. Es erscheinen hier auch eine Reihe von Latinismen.
Die Anfänge der italienischen Literatur liegen also wesentlich später als die der provenzalischen und französischen Literatur. Die Troubadourlyrik erlebte nämlich bereits im 12. Jahrhundert in Südfrankreich ihren Höhepunkt. In französischer Sprache gab es bereits im 12. Jahrhundert eine reiche epische Literatur und die Anfänge der Chanson de geste lassen sich gar bis ins 10. und 11. Jahrhundert zurückverfolgen.
Die erste bedeutende Literaturtradition Italiens entstand dagegen erst in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und zwar vornehmlich am süditalienischen Hof des Staufers Friedrich II. Sie war dem Vorbild der provenzalischen Lyrik verpflichtet, verwendete aber das Sizilianische. Es handelt sich dabei um die Scuola siciliana. Damit entstand eine erste italienische Schriftsprache. Auch die am Hof lebenden toskanischen Dichter verwenden dieses entdialektalisierte Sizilianisch. In der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts liegt dann die Überlieferung der Scuola siciliana in toskanischen Händen. Als die literarische Produktion der poeti siciliani bald nach dem Zerfall der hohenstaufischen Herrschaft (1268) abbricht, stellen gerade die toskanischen Dichter das Bindeglied zwischen den poeti siciliani und dem von Bologna ausgehenden dolce stil nuovo dar, dessen Liebeslyrik gegen Ende des 13. Jahrhunderts in der Toskana zur Blüte gelangte (Guido Guinizelli 1230?-1276; Guido Cavalcanti 1259?-1300).
Nicht Florenz aber, sondern die westliche Toskana mit Pisa, Lucca und Volterra nahm damals bei der Verbreitung der geschriebenen Volkssprache, des Volgare scritto, eine Vorrangstellung ein. Diese Gegend spielte entsprechend ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung auch schon im 11. und 12. Jahrhundert bei der Produktion nicht-lateinischer Texte eine Hauptrolle. So ist ein Großteil der ältesten erhaltenen Dokumente in pisanischer Sprache abgefaßt. Pisanisch ist auch der erste Text im Volgare toscano, d.h. der Conto navale pisano vom Anfang des 12. Jahrhunderts. Im 13. Jahrhundert entwickeln sich Pisa, Lucca und Arezza dann zu kulturellen Zentren, in denen die Tradition der Scuola siciliana fortgeführt wird. Wir sprechen deshalb von einer letteratura siculo-toscana. Wichtige Vertreter sind u.a. Bonagiunta Orbicciani (Lucca), Inghilfredi (Lucca), Guittone d'Arezzo.
Der älteste überlieferte Beleg des Volgare fiorentino stammt dagegen erst aus dem Jahre 1211. Es handelt sich um die frammenti d'un libro di conti di banchieri fiorentini. Im 13. Jahrhundert wächst dann auch die politische Bedeutung von Florenz und Siena und je mehr diese Bedeutung wächst, umso mehr verstärkt sich ab Mitte des 13. Jahrhunderts dort der Gebrauch des Volgare bei der Abfassung schriftlicher Texte, d.h. sowohl bei der Erstellung von Urkunden als auch im literarischen Bereich.
Natürlich gibt es auch in Florenz wichtige Dichter, doch zum eigentlichen Durchbruch kommt es erst, als Florenz den dolce stil nuovo übernimmt, eine Tradition, die von Bologna ausgeht. Florenz wird jetzt zum führenden kulturellen und literarischen Zentrum.
1265 wird dann Dante Alighieri geboren. Er lebt bis 1321 und bekommt als junger Mann mit, wie in Florenz das Volgare auf allen Ebenen praktiziert wird. Bei der Herausbildung der italienischen Schrift- und Literatursprache kommt Dante höchste Bedeutung zu. Dante schreibt nämlich seine Commedia im Volgare2 und zwar in einem toskanischen Volgare. Da die toskanischen Volgari dem Latein sprachlich sehr nahe standen, konnten alle, die Latein konnten, auch die Commedia verstehen. Durch ihre Verbreitung wurde auch das florentinische Volgare überall bekannt.
Im 14. Jahrhundert war es dann Giovanni Boccaccio (1313-1375) im Bereich der Prosa, v.a. mit seinem Decamerone und Francesco Petrarca (1304-1374) im Bereich der Dichtung mit seinem Canzoniere, die dem Toskanischen als Schriftsprache Geltung verschafften. Das Werk dieser Tre Corone wurde zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert vor allem von toskanischen Bank- und Kaufleuten verbreitet, ihrer Sprache bedienten sich große florentinische Politiker, Päpste, Schriftsteller, so etwa Niccolò Machiavelli, Francesco Guicciardini.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wurde das Florentinische nicht mehr als Volgare betrachtet, sondern war zur Schrift- und Literatursprache geworden, der sich die Gebildeten auch als Verkehrssprache bedienten.
Mit Dante fängt aber auch schon die sogenannte questione della lingua an, bei der es Dante darum geht, welches Volgare an die Stelle des Lateins treten sollte, d.h. die bisher vom Latein ausgeführten Funktionen übernehmen sollte. Diese Frage hatte sich gerade Dante in seiner lateinisch verfaßten Schrift De vulgari eloquentia gestellt, in der er sich mit der Sprache des höchsten literarischen Stils auseinandersetzt.
Nach Dante muß es ein Volgare illustre, cardinale, curiale und aulico sein. Das heißt, der sprachliche Idealtyp sollte diatopisch unmarkiert (omnis latie civitatis est et nullius esse videtur) sein, sein Wert sollte aus dem resultieren, was er in der Gesellschaft leisten soll, er soll hohen ästhetischen Ansprüchen genügen (illustre) und soll ein Bezugspunkt (cardo - Türangel) für alle Dialekte des Landes sein. Er soll durch einen zu schaffenden Königshof (aula) stabilisiert werden und politische Autorität bzw. sprachliches Prästige erhalten. Und schließlich soll sie die Sprache der staatlichen Institutionen sein (curiale). Der Begriff curiale spielt nicht zuletzt auch auf den päpstlichen Hof an, zumindest wird er so in dem Machiavelli zugeschriebenen Discorso o dialogo intorno alla nostra lingua interpretiert (cf. Krefeld 1988: 320). Nach Dante konnten diese Kriterien am ehesten noch von der Sprache der sizilianischen und toskanischen Dichtern erfüllt werden.
Im 16. Jahrhundert ging es dann nicht mehr um das Volgare als solches, sondern um die Art eines bestimmten Volgare. Das Florentinische hatte sich ja schon mehr oder minder dem Latein gegenüber durchgesetzt. Bei dieser Diskussion sind im wesentlichen vier unterschiedliche Positionen vertreten worden (cf. Geckeler / Kattenbusch 1987: 154):
1. Bevorzugung des archaischen Toskanisch: Zu den Vertretern dieser Position gehört vor allem Pietro Bembo (1470-1547). Wichtig ist sein Werk Prose della Volgar lingua (1525). Für Bembo sind Petrarca und Boccaccio richtungsweisend. Dante wird nur mit Einschränkungen akzeptiert. Bembo kritisiert gerade die Sprache der Commedia. Bembo tritt für eine unbewegliche und archaische Sprache ein, die nirgends wirklich gesprochen wird und deshalb wie das klassische Latein gelernt werden muß.
2. Niccolò Machiavelli (1469-1527) tritt dagegen in seinem Werk Dialogo sulla lingua von 1514 für eine Orientierung am damals modernen Toskanisch ein. Er spricht sich nämlich für die fiorentinità contemporanea aus. Diese Position vertreten auch Claudio Tolomei (1492-1556) und Giovan Battista Gelli (1498-1563).
3. Für eine archaisierende, zusammengesetzte Literatursprache (lingua composita), deren Elemente aus den Volgari ganz Italiens, also nicht nur aus dem der Toskana stammen sollten, setzt sich Girolamo Muzio (1496-1575) ein. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer lingua italiana.
4. Für die lingua cortigiana und die italianità del volgare letterario, die sich jedoch auf die moderne Sprache stützt, sprechen sich unter anderem Baldassare Castiglione (1478-1529) und besonders Giangiorgio Trissino (1478-1550) aus. Trissino dient dabei die griechische Sprache als Vorbild:
Sì come i Greci da le loro quattro lingue [...] formarono un'altra lingua, che si dimanda lingua comune; così ancora noi da la lingua Toscana, da la Romana, da la Siciliana, da la Veneziana, e da l'altre d'Italia, ne formiamo una comune, la quale si dimanda lingua Italiana
Die Sprachenfragen, die in Frankreich und Spanien im 16. Jahrhundert auftauchen, stellen keine echten Probleme dar, sondern sind zum großen Teil unter dem Einfluß der Vorgänge in Italien und unter dem Einfluß des italienischen Humanismus entstanden (cf. Klein 1957: 97):
En effet, tous les problèmes de langue affrontés et débattus par la culture française au cours des premières années du XVIIe siècle, trouvent leurs prémisses naturelles, et souvent aussi leur dérivation directe, dans les traités que Bembo, Speroni, Calmeta, Castiglione, Trissino, Machiavelli, Varchi, et bien d'autres encore, composèrent au siècle précédent. (Carile 1976: 92).
Da die Accademia della Crusca, sowie die anderen beiden Akademien auch, vor allem wegen ihrer lexikographischen Arbeit von Bedeutung ist, muß ich nun erst einmal auf die Entwicklung der Lexikographie eingehen, d.h. auf die Wörterbuchschreibung.
Zwischen dem XI und XV Jahrhundert werden in verschiedenen Teilen Italiens eine Vielzahl lateinischer Wörterbücher geschrieben:
Darin erscheinen schon zahlreiche Wörter aus dem Volgare, die bewußt oder unbewußt aufgenommen und manchmal sogar unabhängig vom lateinischen Wort lemmatisiert werden.
Vor allem zwischen dem XIV und XV Jahrhundert erscheinen viele zweisprachige, d.h. Latein - Volgare Wortsammlungen:
Schließlich erscheinen auch richtige zweisprachige Wörterbücher:
Schon in den letzten Jahren des '400, d.h. des 15. Jahrhunderts, bestand zudem in verschiedenen Zentren Italiens ein Bedürfnis, das Volgare selbst zu definieren und zu kodifizieren und dazu Sammlungen zu erstellen, die eine den lateinischen oder zweisprachigen Wörterbüchern vergleichbare Autorität besitzen sollten. Die ersten Versuche, einsprachige Wörterbücher zu erstellen, stammen aus der Toscana, d.h. aus der Region, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts schon auf eindrucksvolle Prosawerke und Dichtungen im Volgare zurückblicken konnte. Zusammengestellt wurden sind von Personen aus Florenz, die alle, wenn auch auf unterschiedliche Weise mit dem Hof von Lorenzo de' Medici zu tun hatten.
Ein erstes Modell stellt in diesem Bereich der Vocabulista von Luigi Pulci dar. Von Pulci ist nur bekannt, daß er 1484 starb. Bei dem Vocabulista handelt es sich um das Werk eines Autodidakten. Pulci hat darin nämlich zwei unterschiedliche Sammlungen von Wörtern angelegt:
Viele dieser Wörter finden sich dann in seinem Werk Morgante wieder. Zusammengetragen hat er diese Wörter auf der Grundlage früherer Werke, wie dem Vocabulista ecclesiastico, dem Vocabulista von Papia, dem Liber von Giuniano Maio, den Cornucopiae von Perotti. Er fügt aber auch Wörter ein, die in keiner der genannten Sammlungen stehen. Latinismen werden mit Wörtern des aktuellen Gebrauchs übersetzt, z.B. loquace mit gracchiatore. Es finden sich Bezeichnungen aus der Botanik, der Zoologie, Anatomie sowie aus dem Argot (z.B. mecco - puttaniere). Verben werden nicht im Infinitiv aufgeführt, Substantive und Adjektive nicht unbedingt im Singular und/oder nicht im Maskulinum, Eigennamen werden nicht von Gattungsnamen getrennt, es gibt Unsicherheiten bei den Definitionen (cf. Della Valle 1993: 30).
Wir haben es hier also mit dem ersten Versuch zu tun, ein volkssprachliches Wörterbuch zu erstellen, zu einer Zeit, als es noch keine anhand von Regeln kodifizierte Norm gab.
Auch Leonardo da Vinci hat Listen von Wörtern aufgestellt. Auch diese Listen haben einen autodidaktischen Zweck. Leonardo suchte nach Begriffen eines vulgare regulato, die er uomo sanza lettere in seinen eigenen Schriften gebrauchen könnte. Bei seiner Sammlung handelt es sich also um Listen von gelehrten lateinischen Wörtern, für die Leonardo volkssprachliche Entsprechungen zusammensuchte. In den Listen sind vor allem Verben, Substantive und Adjektive aufgeführt. Seine Quellen waren: die Rudimenta grammatices von Niccolò Perotti, das Catholicon von Giovanni Balbi, der Vocabulista ecclesiastico von Giovanni Bernardo und vor allem der Vocabulista von Luigi Pulci. Aus letzterem hat Leonardo ca. 300 Wörter abgeschrieben und sie alphabetisch geordnet. Leonardo verfolgte damit offensichtlich weniger ein ästhetisches oder stilistisches Ziel, sondern es war ein persönliches Bedürfnis von ihm, Mängel und Zweifel auszumärzen und seinen persönlichen Wortschatz anzureichern. In diesem Sinne stellen die ca. 8.000 Wörter der von Leonardo aufgestellten Listen kein Proto-Wörterbuch des Italienischen dar, wie immer wieder behauptet wurde, sondern sind eher der Ausdruck des Nachdenkens von Leonardo über seine eigene Sprache (cf. Della Valle 1993: 31).
In der Zwischenzeit hatte die heute sogenannte Gutenberg Ära begonnen. Um 1447 war nämlich der mechanische Buchdruck von Johannes Gänsefleisch, genannt Gutenberg (1397-1468) aus Mainz erfunden worden, der sich auf die von Peter Schoeffer entwickelte Bleigußtechnik stützte. Allerdings, und das wird oft vergessen, wurde das erste Buch mit beweglichen Lettern aus Metall schon 1390 in China gedruckt. Doch erst von Mainz aus verbreitete sich der Buchdruck dann über ganz Europa. Das war der Anfang unserer bis vor kurzem vor allem durch das Medium Buch bestimmten Kultur, die, wenn wir dem kanadischen Anglisten Herbert Marshall McLuhan glauben dürfen, nun zu Ende gegangen ist. Dieser spricht nämlich davon, daß das Ende der Gutenberg Ära gekommen sei und diese vom elektronischen Zeitalter abgelöst wird.
Zum Zentrum des Buchdrucks in Italien wurde Venedig. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Aldus Manuzio und Pietro Bembo. Ihr Nebeneinander und ihre Zusammenarbeit haben in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts zu einer ganz neuen Situation geführt, die auf die lexikographischen Aktivitäten allgemein und auf die Normierung der Sprache einen starken Einfluß haben sollte.
So wollte etwa Aldus Manutius (Manuzio) (1449-1515), der ein sehr gelehrter Buchdrucker war, für die Reproduktion von Handschriften mit Hilfe der Metallbuchstaben die schönste Schrift aller Zeiten entwickeln. Er erfand die lettera antica, die dann während des ganzen 16. Jahrhunderts in Europa benutzt und zu einem Modell für viele Steinmetze wurde. Aldus wurde dabei auch von Petrarcas Versuchen, die Aldine oder Kursivschrift zu entwickeln, inspiriert.
Auch Luca Paccioli versuchte in seinem De Divina Proportione (1509) eine Schrift zu entwickeln, und zwar indem er im Stil der Zeichnungen von Leonardo da Vinci die Proportionen des menschlichen Körpers auf geometrische Formen reduzierte.
Anfang des 16. Jahrhunderts verlegte sich das Zentrum dieser Initiativen dann nach Frankreich, wo 1530 das Werk von Geoffroy Tory eine große Wirkung auf den Buchdruck hatte. Tory war Graveur und Setzer und ein brennender Verehrer von Leonardo da Vinci. Er arbeitete in der gleichen Richtung wie Paccioli und entwickelte, gestützt auf das Vorbild der Zeichnungen von Leonardo und Dürer, den Champ-Fleury Stil.
Während im 15. Jahrhundert, wie gesagt, v.a. Florenz das Zentrum der Bemühungen um eine Definition und Kodifizierung des Volgare darstellte, verschob sich Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem Erscheinen der ersten Ausgabe eines gedruckten einsprachigen Wörterbuchs in Venedig das Zentrum der lexikographischen Aktivitäten weg von Florenz nach Venedig. Ausschlaggebend war hierfür die Bedeutung, die Venedig für den Buchdruck hatte. Alle jetzt erscheinenden Wörterbücher tragen in der einen oder anderen Form der Questione della Lingua Rechnung. An allen läßt sich der Einfluß Bembos erkennen. Dieser Einfluß ist aber nicht absolut.
Das erste gedruckte einsprachige Wörterbuch war von Niccolò Liburnio erstellt worden und trug den Titel Le tre fontane di Messer Nicolò Liburnio in tre libri divise, sopra la grammatica, et eloquenza di Dante, Petrarcha et Boccaccio. Es erschien 1526 in Venedig. Zusammen mit diesem Werk wurde eine volkssprachliche Wortliste veröffentlicht, die zum ersten Mal keinen autodidaktischen Zwecken mehr diente.
Liburnio hatte vor diesem Wörterbuch schon die Abhandlung Le vulgari elegantie (1521) veröffentlicht, in der er nicht nur Dante, Petrarca und Boccaccio als sprachliche Modelle bezeichnete, sondern auch die modernen florentinischen und toskanischen Autoren. In seinem Le tre fontane von 1526 reduziert er aber, wie der Titel schon zeitg, das Korpus auf die drei großen Trecentisten. Liburnio scheint sich damit der von Bembo im Rahmen der Questione della lingua verfochtenen Position zu unterwerfen. Er sagt nämlich:
Di molto nome in nostra età è nel studio di lettere la dottrina et giudicio del nobile Messer Pietro Bembo, li cui facondi et ornati ragionamenti volgari sopra la thosca lingua poco avanti in luce usciti, dilettatione grandissima possono addurre agli uomini seguitanti la dirittezza natia dell'isioma thoscano.
Zu unserer Zeit hat im Bereich des Studiums der Texte die Lehre und das Urteil des noblen Meisters Pietro Bembo einen großen Namen, dessen fruchtbare und elegante Ausführungen im Volgare zur Toskanischen Sprache vor kurzem erschienen sind und zur großen Freude/Bereicherung der Männer gereichen können, die der angeborenen Rechtschaffenheit der toskanischen Sprache folgen.
Liburnio spielt damit natürlich auf die Veröffentlichung der Prose della volgar lingua von Bembo an, die ein Jahr zuvor, also 1525 erfolgt war.
Trotz dieser hier zitierten Erklärung finden sich in den Tre fontane aber auch Stellen, die darauf hinweisen, daß Liburnio nicht immer mit der Lösung von Bembo konform geht:
In questo mezzo io non niego nelle tre Cantiche di Dante, et nel Decamerone del Certaldese alcune antiche dittioni trovarsi, le quali non piacerebbemi al tempo nostro usare
Ich leugne nicht, daß es in den drei Gesängen von Dante und im Decamerone von Boccaccio einige alte Ausdrücke gibt, die ich heute nicht gerne gebrauchen würde
oder
tutti que' vocaboli, e quai sonomi di là dall'uso moderno paruti, furono da me avedutamente rifiutati.
All die Wörter, die mir aus dem modernen Gebrauch verschwunden zu sein scheinen, habe ich umsichtigerweise zurückgewiesen.
Die Tre fontane sind in 3 Teile gegliedert, die selbst jeweils wieder nach den Redeteilen unterteilt sind. Am Ende eines jeden Teils findet sich eine Liste mit Wörtern aus den Werken der drei Autoren. In den Anmerkungen benutzt Liburnio oft Venetismen: rena, cioè sabbione, santoccio, cioè compare del battesimo und stellt so fortwährend einen Vergleich zwischen der Sprache der Autoren und seiner eigenen Erfahrung als Lexikograph her. Solche Übersetzungen oder Vergleiche erscheinen später noch oft in lexikalischen Sammlungen, die vor der ersten Ausgabe des Vocabolario della Crusca veröffentlicht wurden.
Das Ziel seiner Tre fontane und die getroffene Auswahl von Wörtern rechtfertigt er damit, daß er sowohl in den Prosawerken als auch in den Dichtungen der Tre Corone eine einheitliche Sprache aufspüren will, die ein unverfälschtes und unumstößliches Modell darstellen soll.
Während Liburnio, wie wir gesehen haben, die Sprache der drei Autoren eher reduziert, indem er veraltete Wörter nicht aufnimmt, zeigt sich bei den folgenden Werken überall das Bedürfnis, über die Sprache des Autors oder der Autoren, die dem Wörterbuch ausdrücklich zugrundegelegt werden, hinauszugehen.
(Cf. Della Valle 1993: 31-33)
Zwischen den Jahren 1526 und 1543 kann insgesamt ein besonderes Interesse am Sammeln der Wörter eines oder mehrerer Autoren beobachtet werden, deren Sprache gern zum Modell erklärt und zur Nachahmung empfohlen wird. Diese Tendenz stimmt mit den mehr oder minder gleichzeitig vertretenen grammatischen Theorien überein, die sich, wie etwa bei Bembo, an der Wiedereinsetzung des Kanons aus dem '300 orientieren. So wird 1535 in Venedig das Vocabolario von Lucilio Minerbi veröffentlich, das der Sprache von Boccaccio gewidmet ist: Il Decamerone di M. Giovanni Boccaccio col Vocabolario di M. Lucilio Minerbi nuovamente stampato et con somma diligentia ridotto.
Minerbi's Arbeit steht unter dem Zeichen der Normierung. Leiten läßt er sich dabei von seinem eigenen persönlichen Sammlergeschmack. Minerbi geht es dabei nicht nur darum, zum Verständnis des Decamerone beizutragen, sondern er sieht sein Vocabolario auch als Anleitung zum guten Schreiben an und will ein Sprachmodell für die Prosa liefern, das von dem der Dichtung verschieden ist. Das Vocabolario umfaßt 74 Seiten und enthält mehr als 4.000 Einträge. Im Unterschied zu den frühen Sammlungen sind hier die meisten Wörter auf ihre sogenannte Grundform zurückgeführt (Infinitiv bei den Verben, Singular und Maskulinum bei Substantiven und Adjektiven). Die Einträge werden meist von kurzen Glossen gefolgt.
Minerbi hält sich aber nicht an sein vorgegebenes Ziel, nur Wörter aus dem Decamerone aufzunehmen, sondern nimmt auch Wörter auf, die bei Boccaccio nicht zu finden sind. Die Grenzen, die er sich selbst gesetzt hat, scheinen ihm letztendlich wohl doch zu eng zu sein, vor allem, wenn er, wie er ja sagt, die norditalienischen Lesern mit seinem Wörterbuch zum guten Schreiben anleiten will. Im Zusammenhang damit sind auch die Venetismen oder die allgemeinen Settentrionalismen zu sehen, z.B. assaggiare, cioè assazzare. Minerbi bezeichnet sich zwar selbst als gentilhuomo romano, hat aber lange in Venedig gelebt.
(Cf. Della Valle 1993: 33-35)
1539 veröffentlich der Ferrareser Francesco del Bailo, genannt l'Alunno, seine Osservationi sopra il Petrarca. Auch hier ist das Ziel ein alphabetisch angeordnetes Wörterbuch zu einem der großen Trecentisten. In der zweiten erweiterten Ausgabe von 1550 widmet l'Alunno verschiedenen Überlegungen mehr Platz. Hierzu gehört die schon traditionelle Unterscheidung zwischen einer Prosa- und einer Dichtungssprache. Neu ist aber der Versuch, Synonyme genauer zu definieren. Wie später auch in der ersten Ausgabe des Vocabolario della Crusca beruft sich l'Alunno zwar dabei zumeist auf die Bekanntheit des jeweiligen Objektes: barca, legno marittimo noto, foco, elemento notissimo, statt es wirklich zu definieren, es gibt aber auch Versuche, zu wirklichen Definitionen zu kommen:
ligustri, sono fiori piccoli, et bianchi, di odore acuto, et che tosto cadono; schiavine, sono certe coperte da letto pelose da una banda fatta di grossa lana, con cui si vestono ancho e' galioti, i pellegrini, etc.
Das gilt auch bei abstrakten Begriffen:
gelosia, è una tristitia, over infermità d'animo di chi ama, et teme ch'alcuno non habbia quello, che tu hai, overo non habbia quello, che tu vorresti, o si faccia partecipe di quello, che tu piú desideri et ami.
Auch l'Alunno scheint sich dabei immer wieder von seinem deklarierten Projekt, die Sprache eines Autors, nämlich von Petrarca zu kodifizieren, zu entfernen:
appetito: questa voce non la trovo usata dal Pet[rarca], ma in sua vece usò desio ma la trovo però usata da gli altri autori buoni; ameno: non trovo questa voce esser stata usata né dal Petrarca né da Dante né dal Boccaccio, ma in sua vece hanno usato dilettevole, si trova però usata da alcuni buoni autori moderni, come dall'Ariosto, dal Cosmico, dal Tasso et da altri.
1543 veröffentlich l'Alunno dann ein weiteres Wörterbuch, diesmal zu Boccaccio: Le ricchezze della lingua volgare sopra il Boccaccio. Dieses soll dem Erlernen der wahren und gereinigten Volkssprache dienen: il vero, et purgato modo del parlare volgare. Dabei bezeichnet er sich als der erste, der einen solchen Versuch unternimmt.
Das Modell für die Sprache der Prosa bezieht er nicht nur aus dem Decamerone, sondern auch aus den anderen Werken Boccaccios (Filocolo, Fiammetta, Ameto, Labirinto d'amore, Epistola confortatoria a messer Pino de' Rossi).
Dieses Wörterbuch wird für damalige Zeiten zu einem Kassenschlager. Neuerungen sind: rationellere Lemmatisierung, z.B. werden die Verben in der Form des Infinitivs eingetragen und von den anderen Formen typographisch abgehoben, Allotropen werden anhand der Diachronie unterschieden: Giovanetto, ne' testi antichi si legge giovinetti, auf lokale Varianten wird hingewiesen und das Interesse an der Unterscheidung zwischen einer Sprache der Prosa und einer Sprache der Dichtung ist weiter gewachsen.
1548 folgt dann La Fabrica del mondo. Dieses Werk, in dem die Wörter Dantes, Petrarcas, Boccaccios und anderer guter Autoren gesammelt sind, mit denen nach l'Alunno der Mann (l'huomo) alle Vorstellungen von den geschaffenen Dingen ausdrücken kann, kann als erstes methodisches oder Sachgruppen-Wörterbuch des Italienischen betrachtet werden. Es ist in 10 Teile eingeteilt:
Auch hier überschreitet l'Alunno immer wieder die durch die drei Autoren gesetzten Grenzen. Dadurch erweitert sich der Kanon der Autoren um Ariosto und Sannazaro, zum anderen richtet sich der Blick immer mehr auf den wirklichen uso.
(Cf. Della Valle 1993: 35-37)
1536 wurde in Neapel das Vocabolario di cinquemila Vocabuli Toschi non men oscuri che utili e necessarj del Furioso, Bocaccio, Petrarca e Dante novamente dichiarati e raccolti da Fabricio Luna per alfabeta ad utilità di chi legge, scrive e favella veröffentlicht. In seiner Widmung an Bernardino Ventimiglia erklärt Luna, daß er sich beschäftigen will mit
Questa lingua con la quale negotiamo, scriviamo e continuamente parliamo.
Luna zitiert in diesem Werk nicht nur die im Titel genannten Autoren, sondern eine ganze Reihe von gegenwärtigen und früheren Autoren unterschiedlichster geographischer und kultureller Herkunft. Insgesamt sind es etwa 40. Hinzu kommen Grammatiker und Philologen seiner Zeit. Wir haben es hier also mit einer neuen und von den vorherigen Ansätzen verschiedenen Auffassung von Sprache zu tun: Luna vertritt die Konzeption einer Mischsprache (lingua composita), in der die verschiedensten und entferntesten sprachlichen Erfahrungen zusammenfließen, darunter die Sprache der Autoren. In den Definitionen selbst ist dann aber die Sprache des Neapolitaners Luna selbst präsent: vgl. etwa accendere - appicciare; cima - in coppa; pioppi - chiuppi.
Obwohl dieses Werk insgesamt nicht sehr systematisch ist, ist es doch vor allem deshalb von Bedeutung, weil es eben der erste Versuch ist, im Wörterbuch eine Mischsprache zu fassen, die sich aus den Prosatexten und Gedichten von Autoren verschiedener Jahrhunderte und Regionen ergibt. Daß es sich dabei nicht nur um eine rein literarische Sprache, sondern möglicherweise auch um einen lebendigen Sprachgebrauch handelt, läßt sich daraus ableiten, daß in diesem Wörterbuch zum einen auch Wörter erscheinen, die im Werk der Autoren gerade nicht belegt sind, zum anderen Luna als seine Garanten auch bekannte Persönlichkeiten seiner Zeit und Freunde und Bekannte aus unterschiedlichen Regionen nennt.
(Cf. Della Valle 1993: 37-38)
1543 veröffentlichte Alberto Acarisio in Cento (Ferrara) das Vocabolario, Grammatica, et ortographia de la lingua volgare [...] con ispositioni di molti luoghi di Dante, del Petrarca et del Boccaccio. Wie der Titel schon sagt, geht es also hier wieder einmal um die Sprache der Tre Corone. Allerdings enthält dieses Werk eine ganze Reihe von Neuerungen und ist systematischer als seine Vorgänger:
Dem Vocabolario geht eine Grammatik voraus, bei der es sich um eine umgeschriebene Version der Grammatik Acarisios von 1536 handelt. Acarisio distanziert sich hier oft von Bembos Ansichten in grammatischen Fragen. Die unabhängige Haltung von Acarisio den berühmten Grammatikern gegenüber zeigt sich auch, wenn er in seinem Vorwort zu einer Liste von bei Boccaccio erscheinenden Latinismen schreibt:
Sono stati alcuni, i quali hanno detto, che noi ci dobbiamo, quanto più possiamo, da le voci latine scostare, et per che veggio questo essere grandissimo errore, ho voluto qui notare alcune voci del Boccaccio ad imitatione latina dette, assai piú leggiadre, che non sarebbono, se da le latine si fosse scostato [...] per che dico, che noi dobbiamo seguire le pedate de gli auttori da noi approvati, et usare le voci da loro usate, et altre simili, le quali da tutti sono intese, et quelle che meno hanno di leggiadria, che in bocca del popolo sono, schivare.
Manche haben gesagt, daß wir uns so viel wie möglich von den lateinischen Wörtern fernhalten sollen, und weil ich das für einen sehr großen Fehler halte, habe ich hier einige Wörter aus dem Boccaccio aufgeführt, die das Latein immitieren, und die viel eleganter/leichtfüßiger sind, als sie wären, wenn er sich vor dem Latein gehütet hätte [...] deshalb sage ich, daß wir in die Fußstapfen der von uns geschätzten Autoren treten und die von ihnen gebrauchten Wörter gebrauchen müssen, und andere ähnliche Wörter, die von allen verstanden werden, und die, die weniger leichtfüßig sind, die im Munde des Volkes sind, müssen wir vermeiden.
Acarisio verhält sich aber nicht nur den berühmten Grammatikern seiner Zeit gegenüber kritisch, sondern auch gegenüber den im Titel genannten Autoren , indem er entweder Wörter aufnimmt, die in ihren Werken nicht belegt sind, oder vom Gebrauch von Wörtern abrät, die sich in deren Werken finden. Nicht die Autoren sind für ihn also die letzte Instanz, sondern der tatsächliche Gebrauch der Gebildeten. Auch schenkt er seine Aufmerksamkeit den Registern oder Stilebenen sowie den regionalen Varietäten. Zudem räumt er der Etymologie einen breiten Raum ein. Auch die wissenschaftliche Terminologie und die Phraseologie beachtet er mehr als andere vor oder auch nach ihm. Darüber hinaus ist er sich bewußt, daß sich der Gebrauch dauernd wandelt bzw. wandeln muß.
(Cf. Della Valle 1993: 38-40)
Die ständig wachsende Produktion von Wörterbüchern hat, wie die Neuauflagen zeigen, Erfolg auf dem Buchmarkt. Zugleich verbreiten sich auch andere Zusammenstellungen: Reimsammlungen und -anleitungen, Satzsammlungen und zweisprachige Wörterbücher finden auf einem Markt Platz, wo eine Nachfrage nach solchen Werken herrscht:
1535 veröffentlicht der Neapolitaner Benedetto Di Falco in Neapel ein Rimario, wo neben den poetischen Texten fortwährend die lokale Sprache von Di Falco erscheint. Auch hält sich Di Falco nicht ausschließlich an die Sprache der von ihm ausgewählten berühmten Autoren, sondern nimmt auch andere Wörter auf.
1559 veröffentlicht Girolamo Ruscelli aus Viterbo das Rimario di tutte le voci della lingua italiana, zu dem auch ein Wörterbuch gehört, das Vocabolario di tutte le parole contenute nell'opera, bisognose di dichiaratione, o di giudicio. Darin führt er nicht nur die guten Wörter auf, sondern auch diejenigen, die nicht gebraucht werden sollten. Über sie wird zumeist in einem scherzhaften Ton gesprochen. Ruscelli schreckt auch nicht davor zurück, Bembo's Ansichten in Frage zu stellen. Di Falco und Acarisio gegenüber ist er sehr polemisch. Insgesamt geht es bei Ruscelli darum, den Wortschatz der zum Kanon gehörenden Autoren zu selektionieren, d.h. nicht alles einfach zu übernehmen.
1566 erscheint in Venedig Delle frasi toscane von Giovanni Stefano da Montemerlo. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Redewendungen oder Phraseologismen. Interessant ist dabei, daß Montemerlo ausdrücklich sagt, daß er nicht die einzelnen Wörter, sondern die nicht weniger wichtigen Wendungen sammeln will:
non men necessaria [...] et da niuno [...] infin ad hoggi trattata. Et questa è quella, che i Greci, Phrasi, i Latini dissero, Elocutioni, overo Modi, et forme di dire.
Die Wendungen entnimmt er nicht nur den Werken der Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts, sondern auch denen von Ariosto, Bembo und Aretino. Montemerlo versucht dabei, alle in den Werken vorhandenen phraseologischen Kombinationen, seien sie veraltet oder modern, aufzuspüren und sie mit Hilfe der Synonymie zu ordnen, z.B.: uscir di senno - uscire del vero sentimento - uscir d'intelletto, fuori dell'intelletto, fuori del senno - uscir fuori di sé - uscir di sé.
Wir könnten damit Giovanni Stefano da Montemerlo fast als einen Vorgänger der heutigen Kollokationsforschung bezeichnen.
(Cf. Della Valle 1993: 40-41)
1598 erscheint in London ein zweisprachiges Wörterbuch Italienisch - Englisch von John Florio: A Worlde of Wordes, or Most copious, and exact Dictionarie in Italian and English, collected by John Florio. Florio widmet dieses Wörterbuch den Grafen von Rutland und Southampton und der Gräfin von Bedford, bei denen er als Italienischlehrer arbeitete. Sein erklärtes Ziel ist, mit diesem Wörterbuch bei der Überwindung der Schwierigkeiten und Zweifel zu helfen, denen sich Italienischlernende gegenüber sehen, weil das Italienische aus so vielen regionalen Varietäten neben dem Florentinischen besteht.
Florio zieht ausgiebig nicht nur die längst klassischen literarischen Werke der Autoren des 13. und 14. Jahrhunderts, sondern auch die lexikographischen Werke heran. Letzteres weist darauf hin, daß Wörterbücher nun schon als Autoritäten gelten. Darüber hinaus zieht Florio aber auch nicht literarische Werke heran: Kräuterbücher, zoologische Abhandlungen, Abhandlungen zur Falkenzucht und ein Kochbuch.
Florio, der schon 1578 mit First Fruites ein Lehrbuch zum Erlernen der italienischen Sprache veröffentlich hatte, schenkt seine Aufmerksamkeit außerdem den diaphasischen Varietäten oder Sprachstilen und unterscheidet in seinem Wörterbuch, wie auch schon in dem früher erschienenen Lehrbuch etwa Stile wie: parlar familiare - parlar con donzella - parlar con Gentilhuomo - parlar con Gentildonna - parlar con mercante - parlar con servitore - parlar amoroso - parlar al buio.
1532 veröffentlicht der Florentiner Giovambattista Verini, der in Mailand und Venedig als Lehrer der Kalligraphie arbeitete, das Dictionario, das er selbst als operina bezeichnet. Er richtet sich damit an Personen, die nicht lesen können. Mit Hilfe eines guten Lehrers und mit Hilfe des Dictionario sollte es ihnen möglich sein, in 3 Monaten Lesen und Schreiben zu lernen. Diesem didaktischen Ziel entsprechend stellt Verini den Lesenden ein Alphabet, eine Silbenkunde und eine nach Kategorien wie Eigennamen, Städte- oder Schlössernamen, Vogelnamen, Namen von Tieren, die auf dem Land leben etc. eingeteilte Wortlisten mit ca. 800 Wörtern zur Verfügung. Der letzte Teil der operina ist wie folgt überschrieben:
Qui comincia per alfabeto tutte le cose che si dicono che si fanno et che si adoperono per Giovambattista Verini Fiorentino in lingua Toschana.
Diese Wortlisten enthalten zwar markierte Toskanismen, sie zeugen aber vor allem von dem Bemühen, den das Werk nutzenden Personen, die nicht aus der Toskana stammten, auch das entsprechende norditalienische, zumeist venezische oder lombardische Wort anzugeben.
Mit der Ausrichtung an der Sprache des Zielpublikums verschiebt sich also das Augenmerk der Lexikographie. So findet sich in der operina kein Bezug zu dem von Bembo aufgestellten Kanon von Autoren oder zum Kult der Tre Corone. Verini scheint in seiner eigenen Florentinität vielmehr ausreichend Berechtigung dafür zu sehen, daß er den Beruf eines Lehrers ausüben kann, der sich an den Bedürfnissen der zu alphabetisierenden, nicht florentinischen Lernenden ausrichtet. In seinem Wörterbuch, das einem Grundwortschatz entspricht, finden sich denn auch Bezeichnungen aus den verschiedensten Bereichen: Botanik, Anatomie, Mineralogie, Gastronomie, Berufsbezeichnungen, Landschaftsbezeichnungen etc. Das Ziel ist also, einen Gebrauchswortschatz zu vermitteln.
1568 veröffentlicht Francesco Sansovino in der von ihm selbst geleiteten Druckerei in Venedig die Ortografia delle voci della lingua nostra o vero Dittionario volgare et latino, nel quale s'impara a scrivere correttamente ogni parola così in prosa come in verso, per fuggir le rime false et gli altri errori che si possono commettere favellando et scrivendo. Sansovino, der schon in anderen Werken sein linguistisches Interesse bekundet hatte, orientiert sich vor allem an der Fabrica del mondo von l'Alunno, sein Ziel ist aber ein anderes: mit Hilfe eines kleinen Wörterbuchs will er praktische Probleme der Orthographie und Aussprache lösen. Dabei achtet er besonders auch auf die regionalen Varietäten. Autoren werden kaum zitiert. Die Hauptaufmerksamkeit gilt stattdessen dem modernen toskanisch-florentinischen Gebrauch, der mit dem anderer Regionen, v.a. mit Lombardisch, Venezisch, Bolognesisch und nur selten mit dem römischen verglichen wird: lumaca, chiocciola dicono i Fiorentini, buovolo i Vinitiani, limaccia i Lombardi . In diesem Wörterbuch ist also der Gebrauch, der uso zum hautpsächlichen Gegenstand geworden. Während in den früheren Wörterbüchern die seconda lingua, d.h. die Sprache des Autors der Wörterbücher nur in den Erklärungen erscheint und sozusagen erst aufgespürt werden muß, soll der wirkliche Sprachgebrauch und nicht die Sprache der Schriftsteller und Dichter betrachtet werden, ergibt sich bei Sansovino für den mittel- und norditalienischen Raum das Bild einer sehr differenzierten und zusammengesetzten Sprache.
In den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts erscheint dann noch in Venedig Il Memoriale della lingua italiana necessaria non solo a' Segretarii, et a Poeti, ma a ciascuno che desideri di scrivere regolatamente. Et oltre a ciò utilissima a gli Stranieri, per poter apprendere con facilità, e con regola la purità della favella italiana, estratto dalle scritture de' migliori e piú nobili autori antichi von Giacomo Pergamini, der Priester in Rom und Fossombrone war. Die erste Ausgabe stammt von 1602, die zweite erschien posthum 1617. Pergamini scheint sich noch mehr als seine Vorgänger an den Bedürfnissen der das Wörterbuch Benutzenden zu orientieren. Schon im Titel nennt er ja das von ihm anvisierte Publikum. Wenn sich auch die Auswahl der herangezogenen Autoren nicht von der seiner Vorgänger unterscheidet, so werden für die 2. Ausgabe doch auch moderne Autoren, wie z.B. Tasso in die Auswahl aufgenommen. Bei den Wörterbucheinträgen achtet der Autor vor allem auf das Register und auf die dialektalen Einflüsse: Insegnare, come i Romaneschi, e la bassa Plebe di Roma suole spesso dire Imparare, per insegnare.
Das Wörterbuch gleicht in vielen Aspekten seinen Vorgängern aus dem 16. Jahrhundert. Auch seine sprachliche Konzeption stimmt nicht ganz mit den Theorien der Grammatiken dieser Zeit überein. Solche Abweichungen betreffen: die Präsenz der seconda lingua oder zweiten Sprache des Autors, das Interesse für die diaphasischen Unterschiede, die Zitate aus den unterschiedlichsten regionalen Varietäten und eine zunehmende Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse des Marktes und eines peripheren Publikums, dessen Zusammensetzung breiter und differenzierter ist.
(Cf. Della Valle 1993: 41-45)
Die 1612 erfolgte Veröffentlichung der ersten Ausgabe des Vocabolario della Crusca in Venedig bei Alberti ist ein entscheidender Augenblick für die weitere Geschichte der Lexikographie und bedeutet in gewisser Weise nicht nur einen Bruch mit der bisherigen Lexikographie, sondern auch einen Rückschritt. Einen Einschnitt bedeutet das Erscheinen des Wörterbuchs auch für die ganze Debatte um die Questione della lingua. Die Bedeutung des Akademiewörterbuchs liegt nach Valeria della Valle gerade darin, daß hier die praktische Ausführung des Wörterbuchs mit der dem Wörterbuch zugrundeliegenden Theorie konform geht. Im Unterschied dazu finden sich in den bisher behandelten Wörterbüchern aus dem 16. und den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts Schwankungen in der Methode, verschiedenartige Inkohärenzen, Brüche zwischen den theoretischen Prinzipien und der Ausführung etc. (cf. Della Valle 1993: 46).
Das 16. Jahrhundert und damit die Zeit vor der Gründung der Accademia della Crusca ist aber auch eine entscheidende Zeit nicht nur für die italienische, sondern auch z.B. für die französische Graphie. Bleiben wir zunächst bei Italien, so ist festzuhalten, daß die heutige Graphie des Italienischen im Großen und Ganzen auf das 16. Jahrundert und die damals von Grammatikern, Lexikographen, Druckern und den Literaten insgesamt getroffenen Entscheidungen zurückgeht. Diese Entscheidungen wurden dann mit dem Erscheinen des Vocabolario degli Accademici della Crusca 1612 kodifiziert und stellten durch die Jahrhunderte hindurch einen stabilen und dauerhaften Bezugspunkt für alle gebildeten Schreibenden und vor allem für die Drucker in allen Teilen Italiens dar.
Der Beginn des Schreibens im Volgare war nämlich zunächst von Multigraphismus und der zentralen Bedeutung des graphischen Modells des Lateinischen charakterisiert. Gleichzeit sind in Italien, vor allem in Norditalien auch die französische und provenzalische Schreibtradition präsent. Immer mehr bilden sich mit der Zeit aber Regelmäßigkeiten heraus. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang die Handschriften von Petrarca und Boccaccio, die bis heute überlebt haben und aus denen wir erkennen können, wieviel Mühe sich die beiden Autoren mit ihrer Graphie gegeben haben. Mit der Zeit entstehen dann auch sogenannte regionale scriptae, die einen immer größeren Gültigkeitsradius bekommen und lokale Schreibweisen ersetzen.
Im 16. Jahrhundert wird dann aber durch den Humanismus das Gewicht des lateinischen Modells noch einmal sehr groß und die Grammatiker wenden große Mühe auf, um das graphische System des Italienischen wieder auf seine Wurzeln zurückzuführen. Den Humanisten ist es auch gelungen, die Zurückführung außerhalb des literarischen Bereichs durchzusetzen, da viele von ihnen in den Kanzleien der verschiedenen Staaten eine sehr verantwortliche Stellung innehatten.
Die Bedeutung der Frage der Graphie allgemein läßt sich vor allem an den Ergebnissen messen. So hat sich überall im Westen ein Prozess der graphischen Normierung herausgebildet, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts in recht homogenen und national verbreiteten graphischen Systemen mündete, die z.T. bis heute überlebt haben. An der Diskussion um diese Systeme haben vor allem auch Literaten und Grammatiker teilgenommen und viele Abhandlungen sind dazu erschienen. Zudem sind beachtliche Teile der meisten Grammatiken den Regeln des korrekten Schreibens gewidmet. Ausgearbeitet und kodifiziert wurde dabei auch ein System der Interpunktion. Nach und nach wurde so eine Norm definiert und die Schriftsteller machten sich daran, die neuen Regeln zu lernen und ihre Texte zu korrigieren. Zumindest in Italien wurden diejenigen mit sozialen Sanktionen belegt, die die Regeln nicht anwenden konnten. Das betraf natürlich nur die kleine Schicht der Literaten.
Neue Berufe entstanden, wie Orthographisten und Korrektoren. An erste wandten sich die Autoren, letztere wurden von den Druckereien eingestellt, damit sie die Texte vor dem Druck kontrollierten und an die Regeln anglichen. Trotzdem hat es in Italien das ganze 16. Jahrhundert hindurch gedauert, bis die Graphie vereinheitlicht war. Davon zeugen Schwankungen in den gedruckten Schriften. Das hing auch mit dem Gewicht der regionalen Schrifttraditionen zusammen, die dazu noch oft auf der jeweiligen Literatur gründeten und antiflorentinisch und eher auf das Latein ausgerichtet waren.
Am Anfang des 17. Jahrhunderts wendet sich das Blatt mit der ersten Ausgabe des Vocabolario degli accademici della Crusca (1612). Ein alphabetisches Wörterbuch ist ja schon an für sich ein leicht zu benutzendes Werkzeug für diejenigen, die Zweifel hinsichtlich des korrekten Schreibens haben. Im Falle der Crusca handelte es sich dazu noch um ein wissenschaftlich gut aufgebautes und lexikalisch reiches Wörterbuch, das zudem eine große Autorität besaß.
Diese Entwicklung, die insgesamt als orthographische Revolution bezeichnet werden kann, hat natürlich historische Ursachen, die nicht nur Italien, sondern ganz Europa betreffen. Es handelt sich dabei um ein grundsätzlich sprachliches Phänomen von europäischer Tragweite, das eine soziokulturelle und politische Transformation wiederspiegelt. In Italien ist diese Transformation mit der sich durchsetzenden Akzeptanz eines ganz bestimmten Sprachmodells verbunden, d.h. mit dem klassizistischen und ästhetisierenden Modell, das Bembo vorgeschlagen hat und das sich auf das Florentinische des 13. Jahrhunderts gründet. Dieses ahistorische Modell konnte am leichtesten imitiert werden und garantierte zudem, daß es nicht zu Interferenzen mit der heterogenen und sich verändernden sprachlichen Realität kam, von der sich das literarische Schreiben lösen wollte.
Der Motor dieser Revolution ist wie gesagt der Buchdruck. So wächst in der italienischen Gesellschaft das Bedürfnis zu lesen und zu schreiben und das Veröffentlichen von Büchern wird zu einer Industrie, die sprachlich homogener Produkte bedarf. Wenige wichtige Zentren der neuen Norm bilden sich heraus, die sich auch die Mittel sichern, mit denen diese neue Norm erlernt werden kann. Protagonisten dieses Prozesses sind einerseits Pietro Bembo und Aldo Manuzio, andererseits Leonardo Salviati und die Accademia della Crusca. Damit liegt auch die zeitliche Begrenzung dieses Prozesses fest, nämlich zum einen die Jahre 1501-1502, in denen Bembo die Werke von Dante und Petrarca für den Druck durch Aldo Manuzio vorbereitet, und das Jahr 1584, in dem die Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone von Salviati erschienen. Bemerkenswert ist, daß alle diese Werke in Venedig gedruckt wurden.
Es gibt in diesem Prozeß aber auch noch andere Protagonisten, die zu der langen und lebhaften Debatte um die Orthographie beitragen. So etwa Fortunio (1516) und Trissino (1524), der am Anfang einer Reformbewegung steht, die zwar in Italien nur wenige Anhänger hat, in Europa dagegen viele. Hierzu gehört etwa auch Louis Meigret. Den Anhängern dieser Reformbewegung geht es um eine klarere, genauere Beziehung zwischen Orthographie und Aussprache. Zudem versuchen sie, das traditionelle Alphabet zu erneuern.
Bembo war mit der Vorbereitung seiner Petrarca Ausgabe für Aldo Manuzio, die deshalb auch die Aldina heißt, schon fast fertig, als er eine Handschrift von Petrarca ausleihen und studieren konnte. So konnte er v.a. die von ihm selbst gewählte orthographische Form mit der von Petrarca vergleichen. Wichtig ist dabei vor allem, daß Bembo trotzdem den von ihm selbst einmal eingeschlagenen Weg nicht aufgibt und mit seiner Normalisierung fortfährt, d.h. also daß er die Schwankungen im Manuskript von Petrarca nicht getreu wiedergibt, sondern die Schreibweise nach seinen normativen Vorstellungen ändert.
Weitere Änderungen, die die Herausgabe der Werke von Dante (Le terze rime) und Petrarca (Le cose volgari) betreffen, wie etwa das Taschenbuchformat und der Kursivdruck, setzen sich in Italien und Europa durch. Mit dem Taschenbuchformat wendete sich Manuzio aber nicht an das Volk, sondern an die oberen Schichten des Buchmarktes, wie die Qualität des Papiers und die Aufmachung der Bücher zeigen.
Von großer Bedeutung ist auch, daß die Herausgabe von Petrarcas Le cose volgari und Dantes Terze rime das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen Drucker und Philologe sind, also zwischen Aldo Manuzio und dem jungen Humanisten Pietro Bembo. Dabei hat es sich um eine wirklich enge Zusammenarbeit zwischen zwei Personen mit ganz unterschiedlichen Fähigkeiten gehandelt, die beide an innovativen Projekten Interesse hatten. Durch diese enge Zusammenarbeit bedingt, ist es bis heute nicht unbedingt klar, wer von beiden gewisse Entscheidungen getroffen hat, so zum Beispiel im Bereich der Interpunktion, die eine der größten Neuerungen in den von Aldo Manuzio gedruckten Ausgaben der beiden Klassiker des Volgare darstellen: zum ersten Mal wurden hier nämlich in einem gedruckten Text des Volgare das Komma in der heutigen Form, Strichpunkt, Doppelpunkt, Punkt, Accent grave und Apostroph verwendet. Dadurch wurde die Lesbarkeit der Texte erhöht, was auch die Grammatiker des 16. Jahrhunderts nach einigem Zögern erkennen mußten. Der Apostroph und der Strichpunkt, die beiden größten Neuerungen, blieben zunächst allerdings nur auf gedruckte Texte beschränkt und werden erst in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts allgemein gebraucht.
Während Bembo in seinen Prose della Volgar lingua (1525) das Problem der Orthographie kaum behandelt, widmet ihm Leonardo Salviati einen umfangreichen Teil seiner Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone (1584). Dabei muß festgehalten werden, daß sich bei beiden, d.h. bei Bembo und bei Salviati, das Interesse für die Orthographie aufgrund antiker Texte entwickelt hat. Bei Bembo war es der Canzoniere von Petrarca, den er zur Grundlage für die Neugeburt der Literatur im Volgare erklärte.3 Bei Salviati ist es das Decamerone von Boccaccio, das er für das schönste Dokument der Florentinischen Sprache hält. Er selbst hatte zwei Jahre zuvor eine gesäuberte Ausgabe dieses Werks, das der Zensur zum Opfer gefallen war, hergestellt, damit es wieder in Umlauf gebracht werden konnte.
Die Avvertimenti stellen den Endpunkt der im 16. Jahrundert sehr intensiv und ununterbrochen geführten Diskussion über die Othographie dar. Mit ihnen verfolgt Salviati das Ziel, die bei der Herausgabe des Decamerone hinsichtlich der Graphie getroffenen Entscheidungen im Nachhinein analytisch zu rechtfertigen. Zwischen Philologie (Textedition, Textstudien) und Normierung besteht in Italien also ein enger Zusammenhang, auch deswegen, weil sich die von Bembo vertretene archaisierende Position zur Questione della lingua letztendlich durchsetzt.
Hinzu kommt aber, daß für Salviati die Lösung der Frage nach der Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit noch dringender geworden war. So hatte sich in der Zwischenzeit das sprachhistorische Bewußtsein viel weiter entwickelt. Über die Graphie toskanischen Typs des 14. Jahrhunderts war aufgrund der vor allem von Vincenzo Borghini (1515-1580) durchgeführten systematischen Untersuchungen der antiken Manuskripte viel mehr bekannt. Für Salviati war das sehr wichtig. Er hatte zwar die von Bembo vertretene archaisierende Perspektive grundsätzlich akzeptiert, er folgte Bembos strengem Klassizismus aber nicht, sondern es ging ihm um eine Gesamtwertung des Florentinischen des 14. Jahrhunderts in seinen schriftlichen Ausformungen. Zudem hatte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer mehr eine moderne Schriftpraxis im Sinne von "bisogna scrivere come si parla" konsolidiert, wodurch z.B. k, x, y und die griechisierenden Kombinationen th, ph, ch immer mehr aus der Schrift verschwanden. Dieser Entwicklung mußte Salviati als Grammatiker und Herausgeber Rechnung tragen, d.h. er mußte versuchen, einen Kompromiss zwischen der antiken und modernen Graphie sowie zwischen der antiken und der modernen Aussprache zu finden. Da Salviati von der Kontinuität zwischen dem Florentinischen des 14. Jahrhunderts und dem des 16. Jahrhunderts fest überzeugt war, modernisierte er die Schreibweise auf der Grundlage des zu seiner Zeit gesprochenen Florentinisch. Im Rahmen der von Salviati unternommenen Normierung wurde also gerade die Graphie an die Gegenwart angepaßt. Hinzu kommt die Interpunktion, deren Wert Salviati erkannt hatte.
Mit Salviatis Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone schließt sich also die 1501 mit der Veröffentlichung der Werke von Petrarca durch Bembo und Aldo Manuzio begonnene Phase. Die hier aufgestellten Regeln werden fast vollständig von den Accademici übernommen und dem Vocabolario zugrundegelegt und dann über es verbreitet:
Nell'ortografia abbiam seguitato quasi del tutto quella del sopraddetto Salviati parendoci di presente non ci avere, chi n'abbia piú fontamento discorso.
In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts stehen Teile der Apeninnenhalbinsel weiterhin unter spanischer oder französischer Herrschaft (vgl. Frieden von Cateau - Cambrésis). Daneben existieren selbständige Staaten, z.B. das Großherzogtum Toscana oder die Republik Genua und Venedig. Die italienischen Landstriche müssen dauernd Männer und Geld stellen. Die unabhängigen Staaten müssen sich dauernd entscheiden, auf welche Seite sie sich schlagen sollen. Dadurch wurden, wie Kramer behauptet, die Italiener unkriegerisch (Kramer 1968: 23), machten Jagd auf Titel an den Höfen und feierten Feste. Es kommt zu einem gesellschaftlichen Umformungsprozeß, der als Refeudalisierung bezeichnet wird. Während sich in der italienischen Renaissance die Elemente einer stadtbürgerlich-kapitalistischen Erwerbsgesellschaft entwickelt hatten, kam es jetzt zu einer Angleichung an die aristokratischen Strukturen des außeritalienischen Europas. Pate standen vor allem Spanien und Frankreich.
Im Zusammenhang damit ist auch die kulturelle Situation zu sehen. Dadurch, daß die Herrscher der einzelnen Staaten im Cinquecento einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten in der Förderung der Künste und Wissenschaften sahen, waren kulturelle Zentren z.B. an den Höfen von Mantua, Urbino, Ferrara und in der Toskana entstanden und Akademien waren gegründet worden. So entstand ein kulturelles Milieu, dessen Ideen bald weit über die Grenzen Italiens hinaus wirkten. Diese Entwicklung hielt auch im 17. Jahrhundert an. Eine gewisse Vorrangstellung nahm jetzt neben der Toskana auch Rom ein. Das barocke Rom wurde geboren und aus ganz Europa pilgerten Künstler nach Italien. Italien beeinflußte die anderen Länder auch bei der Reflektion über die Sprache. Ihr kam in Italien aufgrund der politischen und kulturellen Vielfalt eine besondere Rolle zu. Es wurde ja schließlich nach einer Norm und Reglementierung der italienischen Sprache gesucht (cf. Questione della lingua). Die recht komplexen Diskussionen des 16. Jahrhunderts um die questione della lingua wurden auch im 17. Jahrhundert weitergeführt. Dabei ging es vor allem um 2 Probleme: die Wahl zwischen dem antiken und abgesegneten Gebrauch und dem, wenn auch diastratisch markierten, so doch modernen und lebendigen Gebrauch und um die genaue Bestimmung des uso (toscano di tipo cruscante, toscano o fiorentino vivo, toscano della tradizione dilatato a italiano).
Schon im Laufe des 16. Jahrhunderts waren in Italien eine Reihe von Akademien entstanden. Sie waren in vielen Städten wichtige Zentren der Verbreitung der Literatur in der Volkssprache und damit auch der Volkssprache selbst. Dabei handelt es sich um eine Art von Salons, zu denen die Gebildeten der Stadt Zugang hatten. Sie diskutierten dort nach mehr oder minder strengen Regeln. Unter den Akademien, die die Sprache betreffen, nimmt die Akademie der Toskana, d.h. die Accademia fiorentina, eine besondere Stellung ein. Hier verbindet sich Macht- und Sprachpolitik. Cosimo II. betreibt nämlich eine Art von politica della lingua, zu deren Durchsetzung er sich eben einer Akademie zu bedienen gedenkt.
Die Ursprünge der europäischen Akademiebewegung der Neuzeit liegen in der "Wiederbelebung der klassischen Studien durch den italienischen Renaissance-Humanismus" und dem Versuch, sich nach dem Vorbild der antiken Platonischen Akademie institutionell zu organisieren.
Platon hatte 385 v. Chr. in einem Tempelbezirk am Stadtrand von Athen, der über dem Grab eines sagenumwobenen attischen Helden namens Akademos errichtet worden war, eine Schule gegründet, der der Name dieses kultischen Bezirks übertragen wurde. Sie diente als Begegnungsstätte der freien Diskussion und Wissensvermittlung. Ein Grund für die Entstehung der ersten Akademien in Italien war sicher, daß die traditionellen Universitäten die neuen wissenschaftlichen Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllen konnten.
Die Akademien gingen zunächst aus informellen Zirkeln hervor. Ihr innovatorisches Potential schwand allerdings später, als sie in das institutionelle Machtgefüge des Staates integriert wurden. Noch später wurden sie zum Instrumentarium der Kultur- und Wissenschaftspolitik.
Die Akademiebewegung in der italienischen Renaissance läßt sich in drei Entwicklungsphasen unterteilen, in denen sich jeweils ein anderer institutioneller Typus herausbildete.
Die erste Phase dauerte von der Mitte der fünfziger Jahre des 15. Jahrhunderts bis in die zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts. In den oberitalienischen Stadtrepubliken scharten wohlhabende Patrizier, z.B. die Medici in Florenz, Künstler und Gelehrte um sich. Das Hauptziel dieser frühen humanistischen Akademien waren die klassischen Studien. Außerhalb der traditionellen Bildungseinrichtungen der Universitäten gruppierten sich so um einige herausragende gelehrte Humanisten, die keine Kleriker, sondern Laien waren, zunächst informelle Zirkel von gleichgesinnten Freunden und Schülern, um gemeinsam die Texte antiker Autoren zu lesen und zu interpretieren. Als entscheidende Anreger wirkten einige griechische und byzantinische Gelehrten, die nach Italien kamen, so etwa der Grieche Gemisthos Plethon (um 1360-1452), der mit Cosimo de' Medici (1389-1464) in Florenz auf dem Unionskonzil von 1439 in Kontakt getreten war, oder der Byzantiner Giovanni Argyropulos (1415-1487), der ab 1457 an der Florentiner Universität Vorlesungen über antike griechische Philosophie hielt.
Unter dem Protektorat von Lorenzo de' Medici wurde von dem Philosophen Marsilio Ficino (1433-1499) in Florenz die Accademia Platonica gegründet. Dabei handelte es sich um einen kleinen Freundeskreis, der sich unabhängig vom Hof der Mediceer und ohne Reglementierung zur Diskussion und zum Austausch von Erfahrungen und Kenntnissen in allen möglichen Wissensbereichen zusammenfand. Platons Werk stand dabei also nicht unbedingt im Mittelpunkt des Interesses. Ficino selbst hat aber Platons Gesamtwerk und den Kommentar zu Platons Werken ins Lateinische übersetzt. Von dieser Übersetzung gingen wichtige Impulse aus. Die Accademia Platonica erlosch mit Ficinos Tod.
Die führenden Philosophen und Literaten gehörten dagegen dem Kreis um Angelo Poliziano (1454-1494) und der von Lorenzo de' Medici protegierten Universität an, die das intellektuelle Zentrum der achtziger und neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts bildete.
Seit 1464 gab es in Rom zudem einen Gesprächskreis um den Humanisten Pomponio Leto (1428-1497), genannt Accademia Romana bzw. Pomponiana, zu deren Mitgliedern Pietro Bembo (1470-1547) und Baldassarre Castiglione (1478-1529) zählten. Diese wurde zunächst von seiten des Papstes bekämpft, konnte dann aber ihre Studien unbehelligt weiterverfolgen. Die Accademia Romana wurde 1527 infolge des Sacco di Roma aufgelöst.
In Neapel konstituierte sich 1471 die Accademia Pontaniana. Ihr Initiator war der Dichter und Humanist Giovanni Pontano (1426-1503), daher auch der Name. Ziel dieses Kreises war die Lektüre der Werke von Vergil. Die Accademia Pontaniana wurde 1523 aufgelöst.
Die zweite Phase ist die der Sprachgesellschaften des 16. Jahrhunderts. Zwar integrierten die Universitäten die humanistischen Inhalte in ihren Lehrbetrieb, sie ließen aber die Volkssprache und die in ihr verfaßte Literatur unberücksichtigt. Als sich das humanistische Interesse zum Vulgärhumanismus ausweitete, traten die Volkssprachen gleichberechtigt neben die klassischen Sprachen, wobei das Schwergewicht, wie wir schon wissen, auf der florentinischen Sprache und Literatur und insbesondere auf Dante, Petrarca und Boccaccio lag. Auf diesen von den Universitäten vernachlässigten Bereich spezialisierten sich die Akademien, deren Mitglieder nicht mehr vorwiegend professionelle Intellektuelle, sondern adlige Amateure waren, da das wohlhabende Bürgertum als kulturtragende Schicht von der höfischen Gesellschaft mit dem Fürsten an der Spitze abgelöst worden war. Die Akademien wurden immer mehr zum staatlichen Kulturinstrument des aristokratischen Staates, allerdings auf Kosten des intellektuellen Niveaus.
Florenz stand auch in dieser Phase wieder im Mittelpunkt. Die 1540 gegründete Accademia degli Umidi war zunächst eine freie Vereinigung von Dichtern, die dann im folgenden Jahr von Cosimo II. de' Medici zur Accademia Fiorentina mit Statuten umgewandelt und organisatorisch mit der Universität verbunden wurde. Mit Erlaß vom 23. Februar 1541-42 verleiht er nämlich der Accademia fiorentina Anerkennung, Privilegien, Grade, Gehälter und Nebeneinkünfte. Er wollte, daß diese Akademie schriftlich Sprachregeln festlegen sollte.4
Diesem Anspruch wird allerdings erst die 1582 in Florenz gegründete Accademia della Crusca gerecht, die zuerst neben der Accademia fiorentina bestand, dann aber ihre Nachfolgerin hinsichtlich der philologischen und kulturellen Arbeit wurde. Sie wurde zum Vorbild für alle weiteren europäischen Sprachgesellschaften und -akademien. Das seit 1591 in Arbeit befindliche normative Wörterbuch, das 1612 in Venedig als Vocabolario degli Accademici della Crusca erschien, war schließlich eine herausragende lexikographische Leistung und konnte so auch für andere Nationalsprachen zum Vorbild werden.
Die dritte Phase beginnt dann Ende des 16. Jahrhunderts mit der Gründung von naturwissenschaftlichen Akademien, die meist aus privaten Zusammenkünften hervorgegangen sind.
Giovanni Battista della Porta (1538-1615) gründete 1560 in Neapel die Academia Secretorum Naturae, deren Mitglieder gemeinsam naturwissenschaftliche Experimente durchführten. Sie bestand bis 1568.
In Rom rief Fürst Federico Cesi (1582-1630) die Accademia dei Lincei ins Leben, zu deren Mitgliedern auch della Porta und Galileo Galilei zählten. Die Scharfsinnigkeit des Luchses (lince) sollte die Akribie symbolisieren, mit der die wissenschaftlichen Forschungen dieser Akademie betrieben wurden. Die Akademie stellte 1630 mit dem Tod von Cesi ihre Arbeit ein. Diese Akademie wurde mehrmals wiederbelebt und bestand von 1745-1752, 1801-1840, 1847-1939 und sie besteht wieder seit 1944.
Eine der bedeutendsten naturwissenschaftlichen Akademien war die Accademia del Cimento in Florenz. Cimento bedeutet Experiment und weist auf das naturwissenschaftliche, besonders physikalische Experimentieren hin. Sie bestand nur von 1657-1667 und stand unter dem Patronat ihres Gründers Leopold di Toscana. Ihr gehörte der Dichter und Gelehrte Alfonso Borelli (1608-1679) und Galileis Schüler Vincenzio Viviani (1622-1703) an.
Die Accademia della Crusca wurde, wie schon gesagt, 1582 in Florenz gegründet. Ursprünglich handelt es sich dabei um einen privaten Zirkel, dessen Mitglieder sich als Crusconi bezeichneten. Diesen Crusconi schloß sich im Jahre 1583 Lionardo Salviati an. Er gab diesem Kreis dann den Namen Accademia dellla Crusca. Unter Salviatis Führung wurde auch die Struktur der Accademia festgelegt.
Im Rahmen der Arbeit der Accademia wurden nicht allein die herausragenden Autoren kanonisiert, sondern das gesamte Schrifttum des Trecento. Betrachten wir kurz die einzelnen Stationen, die zu dieser Haltung führten.
Bembo (1470-1547) hatte seine These, dass dem ästhetischen Ideal die Literatursprache des 14. Jahrhunderts entspräche, mit der Modellhaftigkeit der Trecentisti gerechtfertigt, die seiner Meinung nach eine Tradition begründet hatten, der die späteren Werke niemals das Wasser reichen konnten.
Radikalisiert und systematisiert wurde Bembos Position zunächst durch Vincenzo Borghini (1515-1580). Borghini schreibt nämlich in Per le regole della lingua toscana von 1571:
Però io ho creduto che il suo perfetto grado sia stato dal 1348 al 1420 o quelle intorno ... Onde io dico che la lingua nostra è ... viva, viva dico nei libri non solo del Boccaccio, che non disse ogni cosa, ma nei libri domestici, come gli chiama Cicerone, nelle lettere familiari di quel buon tempo, nei libri dei conti, giornali e ricordanze, e di più nella lingua de' nostri buoni e puri cittadini che l'hanno di tempo in tempo cavata dai lor padri e madri e mantenuta pura e hanno il riscontro (zitiert nach Vitale 1978: 100).
Die lebende Sprache wird also mit der Schriftlichkeit gleichgesetzt. Zudem zeigt sich hier ein romantischer Grundzug des rückwärtsgewandten, ästhetisierenden Purismus (cf. Krefeld 1988).
Leonardo Salviati (1539-1589) radikalisierte und systematisierte diesen Ansatz dann noch weiter. Lionardo Salviati wurde 1539 in Florenz geboren und starb 1589. Er entstammt einer Nebenlinie der bedeutenden gleichnamigen Familie in Florenz. Sein philologischer Lehrer war Vincenzo Borghini (1515-1580), also der Borghini, der auch die Manuskripte des 14. Jahrhunderts studierte. Salviati erwarb sich den Ruf eines Schriftstellers, Redners und Stilisten und er wurde sowohl von Borghini als auch von Guarini und Tasso um Rat gefragt. Von seinem Werk, den Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone, das ab 1584 erschien, waren ursprünglich 3 bzw. 4 Bände geplant, es existieren jedoch nur zwei. Avvertimenti ist dabei im Sinne von Erörterung zu verstehen, etwa so wie später die Remarques von Vaugelas. Salviati will hier keine Grammatik schreiben, sondern verschiedene Themenbereiche aus der Sprache und Grammatik behandeln. Innerhalb seines Werkes gibt er außerdem konkrete Hinweise, wie im Hinblick auf einen guten Sprachgebrauch zu verfahren ist, d.h. an welchen Kriterien man sich orientieren soll.
Salviati differenziert dabei zwischen lebenden und toten Sprachen. Die toten Sprachen sortiert er sofort aus. Bei den lebenden Sprachen differenziert er weiter zwischen solchen, die nicht oder nur unter Schwierigkeiten geschrieben werden können. Auch diese sortiert er aus. Er konzentriert sich dagegen auf die Sprachen, die gesprochen und geschrieben werden oder geschrieben werden können. Daneben unterscheidet er solche Sprachen, für die die Regeln erst erstellt werden müssen, was ein Einzelner nicht schaffen kann, und solchen, die schon Regeln haben, die nur noch gesammelt werden müssen.
Das korrekte Schreiben soll nach Salviati der Aussprache folgen: "la scrittura seguiti la pronunzia". Dabei beruft er sich auf Quintilian: "E benchè dica Quintiliano, scriuasi, come si parla". Das bezieht sich natürlich vor allem auf die Orthographie.
Eine perfekte Sprache ist nach Salviati charakterisiert durch treffenden Ausdruck, Leichtigkeit des Ausdrucks und Kürze und durch die Klarheit der Aussage. Seiner Meinung nach zeichnen sich gerade die Autoren zwischen 1300 und 1400 durch einen solchen treffenden, leichten und klaren Ausdruck aus. Deshalb sind sie auch die Repräsentanten einer guten und perfekten Sprache.
le regole del uolgar nostro douersi prendere da'nostri uecchi Autori, cioè da quelli, che scrissero dell'anno mille trecento, fino al mille quattrocento: perciocchè innanzi non era ancor uenuto al colmo del suo piu bel fiore il linguaggio: e dopo, senza alcun dubbio, subitamente diede principio a sfiorire. (Salviati 1584-1586: 74).
Bei seiner Argumentation für die Sprache der Autoren des 14. Jahrhunderts geht Salviati wie folgt vor: Zunächst stellt er fest, daß sich in der von den genannten Autoren verwendeten Sprache natürlich auch scorrezioni di favella, d.h. abusi der gesprochenen Sprache befinden, denn die Sprache der Autoren geht ja auch auf gesprochene Sprache zurück. Deshalb gilt es nach Salviati zwischen zwei Arten von uso zu unterscheiden:
[...] anzi sia l'uso in tutti i tempi, non gli scrittori, l'arbitro del fauellare: e bene in cio, e sauiamente disse il Latino poeta: ma dello scriuere, non l'uso assolutamente, ma l'uso buono, e approuato dal consenso de'saui, n'aurà lo'mperio, e'l dominio. (Salviati 1584-1586: 73) (cf. Quintilian)
Die zeitgenössische Sprache von Florenz kann schon deshalb nicht das Modell sein, da es keinen Konsens gibt, daß sie besser ist als die, die Boccaccio und die anderen Trecentisti geschrieben haben. Die aktuelle Sprache von Florenz weist auch zu viele Unzulänglichkeiten auf und die gute Sprache findet sich gegenwärtig ausschließlich bei den Autoren mit höchstem Ansehen. Im 14. Jahrhundert dagegen war die gute Sprache nach Salviati durchaus weit verbreitet.
Hinzu kommt, so sagt Salviati, daß die abusi in der gesprochenen Sprache heute viel größer sind als sie es im 14. Jahrhundert waren. Zudem manifestieren sie sich heute auch in der geschriebenen Sprache häufiger als im Trecento. Deshalb ist selbst die Sprache der piu lodati nicht so gut, wie die Sprache im Trecento. Von den Autoren des Trecento soll deshalb das Lexikon, die Redeweise und die Grammatik übernommen werden. Diese sollen so lange gültig sein, bis ein besserer Sprachgebrauch entstanden sein wird oder von Autoren höchsten Ansehens andere Richtlinien erarbeitet werden, die auf einem allgemeinen Konsens der saui, also der Gebildeten oder Weisen beruhen.
Salviati sieht damit zwar den Sprachgebrauch als ausschlaggebend an, aber keineswegs den aktuellen Sprachgebrauch. Dieser entspricht nämlich gerade nicht dem buon uso. Der gute Sprachgebrauch wird stattdessen nur durch die Autoren des Trecento repräsentiert (cf. Bagola). Salviati entwickelt also insgesamt eine Theorie vom historischen Niedergang einer ehemals reinen und natürlichen Sprache. Er stellt auch bereits das gesamte Programm zur puristischen Wiederannäherung an die alte Idealsprache auf. Danach gilt es nicht nur Latinismen, nicht florentinische Neologismen, Fremdwörter incl. der Dialektismen und Fachwörter, sondern auch die affettazione stilistica zu vermeiden (cf. Vitale 1978: 104).
Salviati benennt zudem mit Schlagwörtern die ästhetischen Qualitäten des Florentinischen (vgl. Orazione in lode della fiorentina lingua, 1564): das 'fiorentino puro' besitzt eine 'dolcezza in comparabile', so daß es ganz Italien zur 'dilettazione' gereicht (cf. Migliorini 1949: 39).
Leonardo Salviati (1539-1589) regte selbst die Schaffung eines normativen Wörterbuchs an. Dabei sollte zwischen dem Guten und Schlechten unterschieden werden, wie Salviati sagt: "procedere a una scelta fra il buono e il cattivo."
Am 20. Januar 1612 kam das Vocabolario degli Accademici della Crusca bei Giovanni Alberti in Venedig heraus. Es war das erste große Wörterbuch einer modernen Sprache. Die Selektionskriterien für dieses erste große Wörterbuch der Italoromania hatte das puristische Programm von Salviati und seinen Vorgängern geliefert. So heißt es im Vorwort [A' lettori]:
Nel compilare il presente Vocabolario (col parere dell'Illustrissimo Cardinal Bembo, de' Deputati alla correzione del Boccaccio dell'anno 1573. e ultimamente del Caualier Lionardo Salviati) abbiamo stimato necessario di ricorrere all'autorità di quegli scrittori, che vissero, quando questo idioma principalmente fiorì, che fù da' tempi di Dante, o uer poco prima, sino ad alcuni anni, dopo la morte del Boccaccio. Il qual tempo, raccolto in una somma di tutto un secolo, potremo dir, che sia dall'anno del Signore 1300. al 1400. poco più, o poco meno: perchè, secondo che ottimamente discorre il Saluati, gli scrittori, dal 1300 indietro, si possono stimare, in molte parti della lor lingua, souerchio antichi, e quiei dal 1400 auanti, corruppero non piccola parte della purità del fauvellare di quel buon secolo
Den Grundstock des Wörterbuchs bildeten sämtliche aus dem 14. Jahrhundert überlieferten Quellen; spätere Epochen oder gar der zeitgenössische Sprachgebrauch wurden nur gelegentlich berücksichtigt:
"delle scritture cinquecentesche accoglieva solo quelle che al Trecento fiorentino si erano rifatte (Bembo, Ariosto, Della Casa e pochi altri); all'uso vivo ricorreva solo in via subordinata e occasionalmente a completamento della lingua trecentesca; codificava la lingua letteraria e si poneva come severa e intransigente salvaguardia del patrimonio linguistico della tradizione toscana (Vitale 1978: 105).
Aufgenommen worden waren also lediglich Wörter toskanischer, vor allem antiker Autoren, deren Sprache als besonders rein galt, während die der übrigen Autoren als unrein abgelehnt wurde. Die Sprache der Trecentisten, allen voran Boccaccio, wird idealisiert. Integriert werden so zwar auch die niedrigen und volkstümlichen Ausdrucksweisen, die in den Texten aus dem 14. Jahrhundert erscheinen, aber kein Fachvokabular. Das Wörterbuch bedeutet somit nicht nur einen Bruch mit der bisherigen Lexikographie, sondern hinsichtlich des berücksichtigten Kanons auch einen Rückschritt. Wir hatten ja gesehen, daß gerade in die meisten didaktisch ausgerichteten Werken Wörter aus den unterschiedlichsten Fachgebieten aufgenommen wurden.
Auch im Bereich der Orthographie wendet sich das Blatt mit dem Erscheinen des Wörterbuchs. So gab es jetzt ein Werkzeug, für diejenigen, die Zweifel bei der Orthographie hatten. Dem Wörterbuch zugrunde lagen die von Salviati in den Avvertimenti sopra la lingua del Decamerone aufgestellten Regeln. Sie werden fast vollständig von den Accademici übernommen und dann über das Wörterbuch verbreitet:
Nell'ortografia abbiam seguitato quasi del tutto quella del sopraddetto Salviati parendoci di presente non ci avere, chi n'abbia piú fontamento discorso.
Die heutige Graphie des Italienischen geht also im Großen und Ganzen auf das 16. Jahrhundert und die damals von Grammatikern, Lexikographen, Druckern und den Literaten insgesamt getroffenen Entscheidungen zurück. Diese Entscheidungen wurden mit dem Erscheinen des Vocabolario degli Accademici della Crusca 1612 kodifiziert und stellten durch die Jahrhunderte hindurch einen stabilen und dauerhaften Bezugspunkt für alle gebildeten Schreibenden und vor allem für die Drucker in allen Teilen Italiens dar. Dank des Vocabolario und seiner Neuauflagen konnte sich zudem der Purismus in Italien auf historisch dauerhafte Art institutionalisieren. Die Einstellung zur unverändert beibehaltenen Konzeption des Wörterbuchs sollte auch in den folgenden Jahrhunderten Prüfstein exklusiver Sprachbewertung und Kristallisationspunkt puristisch-archaisierender Bewegungen bleiben. Zum Abschluß kommt dieser Prozeß erst gegen die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert. (cf. Krefeld 1988: 314-315).
Die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts wird vom Streit um dieses Wörterbuch bestimmt(cf. Krefeld 1988). Gegen die Verabsolutierung des Toskanischen durch die exklusive Schule Bembos bzw. der Crusca wie auch durch die Propagandisten der zeitgenössischen fiorentinità in der Nachfolge Machiavellis und dem gleichzeitigen Anspruch auf eine gültige Norm treten vor allem auch nicht toskanische Autoren auf:
Franzoni verfaßte ein gegen die Crusca gerichtetes Oracolo della lingua d'Italia (1641). Er beruft sich auf die anerkannten Autoren, die nicht aus der Toskana bzw. aus Florenz stammen:
Concludo adunque, che la miglior lingua d'Italia sia quella, che da diverse città, e diverse Provincie di essa, et anche straniere, riceve il meglio (zit. nach Vitale 1978: 172).
Auch in der Toskana selbst, v.a. in Siena, war das Prestige des Florentinischen nicht unangefochten. Girolamo Gigli (1660-1722) setzte dem puristischen Wörterbuch der Crusca ein umfangreiches satirisches Vocabolario Cateriniano entgegen. Die Heilige Catarina da Siena stammte zwar aus einer wohlhabenden Familie in Siena, d.h. aus der Toskana, und war eine Trecentista (geboren wurde sie 1347), sie gehörte aber nicht zu den kanonisierten Autoren der Crusca (cf. Vitale 1978: 192-195).
Der Grund für diese Opposition gegen das Wörterbuch lag in der Konzeption des Vocabolario begründet, nämlich in seiner Ausrichtung am archaischen Sprachgebrauch des Trecento. Die Orientierung an einem älteren Sprachgebrauch und seine Erhebung zur exemplarischen Norm engte den Raum für die Sprachentwicklung erheblich ein. Die Gegner des Vocabolario betrachteten die Sprache nämlich als gegenwartsbezogen, als eine dynamische Kraft, d.h. sie berücksichtigten auch die Sprachveränderung und -entwicklung. Zudem sahen sie die größte Perfektion der Sprache nicht im Trecento. Mit der Zeit wandten sich auch Akademiemitglieder gegen das Wörterbuch, vor allem als 1623 bei der 2. Auflage, die bei Jacopo Sarzina in Venedig erscheint, an der Grundkonzeption keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden.
Insgesamt ergibt sich bei dem Streit um das Wörterbuch in etwa die folgende Aufteilung der Parteien:
1. Cruscaner |
a) archaisch orientiert |
b) modern ausgerichtet |
|
2. Anticruscaner |
Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, daß es sich bei der Sprache, um die es hier dauernd geht, um das Ausdrucksmittel einer sozialen Oberschicht oder kulturellen Führungsschicht handelt, die trotz aller politischen Unterschieden zwischen den Parteien existiert.
1691 erscheint die 3. Ausgabe des Vocabolario della Crusca in Florenz bei der Druckerei der Accademia della Crusca.
1729-1738 erscheint die 4. Ausgabe des Vocabolario della Crusca in 6 Bänden
1923 wird die 5. Ausgabe des Vocabolario unterbrochen.
Die Accademia ist heute, wie zu Anfang gesagt, eine vom italienischen Staat geförderte Institution und hat ihren Sitz in Florenz. Sie hat 24 Mitglieder, darunter 15 ordentliche (8 Frauen und 7 Männer) und 9 emeritierte (1 Frau und 8 Männer) Mitglieder. Ihr Präsident ist seit kurzem Francesco Sabatini (vorher war es Giovanni Nencioni), die Vizepräsidentin ist Nicoletta Maraschio. Der Vorstand setzt sich insgesamt aus 5 Personen zusammen (4 Frauen, 1 Mann). Das Aushängeschild der Accademia ist noch heute der sogenannte frullone. Weitere Informationen zur Geschichte der Accademia finden Sie hier.
Anmerkungen
1 Das Ende des Weströmischen Reichs war 476.
2 Divina Commedia heißt das Werk erst seit der Ausgabe von 1555, also lange nach Dantes Tod.
3 Vgl. das oben zu Bembos Herausgebertätigkeit Gesagte.
4 Vgl. die Ähnlichkeit mit der Gründung der Académie française.