Zirkulation von Briefen, Zirkulation in Briefen. Romantische Korrespondenzen edieren heißt Geschichte (neu)schreiben

In ihrem dokumentarischen Wert haben Briefe neben anderen Egodokumenten in der historischen Forschung einen etablierten Platz. Briefe sind jedoch keine reinen Aneinanderreihungen von Fakten, sondern sie vermitteln auch subjektive Informationen – Gefühle, Anforderungen, Wünsche, Selbst- und Fremdinszenierungen, die nicht immer explizit im Brieftext zu finden sind, sondern in einer ganzen Palette von Strategien, die mit dem Briefhabitus insgesamt zusammenhängen. Mit diesen Dimensionen beschäftigt sich die Literaturwissenschaft, die allerdings erst seit vergleichsweise kurzer Zeit Korrespondenzen als literarisches Material in den Fokus gerückt hat.

In diesem Vortrag möchte ich zunächst auf die Elemente eingehen, auf die es zu achten gilt, wenn man Briefe bearbeitet, und insbesondere darauf, was die Berücksichtigung der Strategien von BriefautorInnen für die digitale Aufbereitung von Korrespondenzmaterial bedeutet. Ich werde die neuesten Entwicklungen der TEI im Bereich der Briefkodierung präsentieren: neben CorrespDesc auch CorrespSearch und die Visualisierungmodelle, die sich daran anschliessen lassen.

Im zweiten Teil des Vortrags möchte ich genauer auf Fragen der Zirkulation von Information eingehen und darauf, wie die Zirkulation auf der Ebene einer digitalen Edition angegangen werden kann, die unterschiedliche Korrespondenzen und andere Textgattungen zusammenführt, wie es in Briefe und Texte aus dem intellektuellen Berlin um 1800 der Fall ist. Mit der Vorstellung des Datenmodells meiner Edition möchte ich insbesondere die Adäquatheit zwischen Briefkorpora im Allgemeinen und ihrer digitalen Abbildung zeigen und damit die Frage aufwerfen, ob Korrespondenzen nicht etwa das Potential hätten, den literatur- und ideengeschtlichen Kanon zu verschieben, wenn man ihre digitale Aufbereitung konsequent durchziehen würde.