zitieren Sie bitte wie folgt:
Elisabeth Burr (2000): "Die
Korpuslinguistik",
<www.uni-duisburg.de/FB3/ROMANISTIK/PERSONAL/Burr/corpus/lecture/Korpuslinguistik.htm>
oder
<www.fb10.uni-bremen.de/homepages/burr/corpus/lecture/Korpuslinguistik.htm>
Die frühe 'Korpuslinguistik' ist im Rahmen der Erforschung der Indianersprachen entstanden. Eine bedeutende Rolle spielten hier die beiden Linguisten deutscher Abstammung, Franz Boas (1858-1942) und Edward Sapir (1884-1939).
Boas war Anthropologe und widmete sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Erfassung der amerikanischen indianischen Kulturen. Durch seine damit zusammenhängende Studien und Beschreibungen der Indianersprachen öffnete er den amerikanischen Sprachwissenschaftlern den Blick für die schier unendliche Variabilität menschlicher Sprache, die die Untauglichkeit des traditionellen grammatischen Kategoriensystems der indoeuropäischen Sprachwissenschaft für die Erfassung ganz fremder Sprachen wie nie zuvor deutlich machte. Zugleich wurde durch Boas' Studien der synchrone Standpunkt bei der Beschreibung von Sprachen den amerikanischen Linguisten ganz selbstverständlich.
Edward Sapirs Verdienst war es vor allem, mit seinem Hauptwerk Language, das 1921 in New York erschien, und seinem pattern-Begriff den systematisch-strukturellen Aspekt in die amerikanische Linguistik eingeführt zu haben. Boas und Sapir sind die großen Anreger und Vorläufer des klassischen amerikanischen Strukturalismus, der auch Distributionalismus genannt wird (cf. Heeschen 1972: 81).
Der Strukturalismus entstand fast gleichzeitig in mehreren Ländern, mit oft nur schwachem Zusammenhang unter seinen einzelnen Vertretern. Nach Heeschen (1972: 9) gebührt das Verdienst, den strukturellen Gesichtspunkt in die Sprachwissenschaft eingebracht zu haben, Ferdinand de Saussure. Es darf aber nicht vergessen werden, dass viele der bei Saussure erscheinenden Ideen schon lange vorher bei denen, die sich mit Sprache beschäftigten, im Umlauf waren. Der Strukturalismus kann selbst wieder insgesamt als Reaktion auf den Positivismus gesehen werden. Deshalb werde ich zunächst kurz in den Positivismus einführen.
Der Positivismus wird in der Sprachwissenschaft durch die später junggrammatische Schule vertreten, die aus der historisch vergleichenden Sprachwissenschaft hervorgegangen ist. Die Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts war weitgehend identisch mit der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft, die Ende des 18. Jahrhunderts in Europa mit William Jones (1746-1794) und seiner näheren Beschäftigung mit dem Sanskrit entsteht. Vergleiche etwa: Friedrich Schlegel (1808): Über die Sprache und Weisheit der Inder. Ab 1815 gibt es die Indogermanistik. Wichtige Namen und Werke sind:
(1816): | Franz Bopp | Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache |
(1818): | Rasmus Kristian Rask | Untersuchungen zum Ursprung der altnordischen oder isländischen Sprache |
(1822): | Jacob Grimm | Deutsche Grammatik |
(1833 ff.): | Franz Bopp | Vergleichende Grammatik des Sanskrits, Zend, Armenischen, Griechsichen, Lateinischen, Litavischen, Altslavischen, Gotischen und Deutschen |
(1833 - 36): | August Friedrich Pott | Etymologische Forschungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen mit besonderem Bezug auf die Lautumwandlung im Sanskrit, Griechischen, Lateinischen, Litthauischen und Gothischen |
(1861-62): | August Schleicher | Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen |
(1863): | August Schleicher | Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft |
(1868): | Wilhelm Scherer | Zur Geschichte der deutschen Sprache |
(1876): | August Leskien | Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen |
Mit den indoeuropäischen Sprachen beschäftigten sich auch die Junggrammatiker, die etwa seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wirkten. Unter den Junggrammatikern wird eine Gruppe von Sprachwissenschaftlern verstanden, die fast allesamt in Leibzig studierten. Ihr Lehrer war Wilhelm Scherer. Ab der Mitte der siebziger Jahre gingen sie daran, ihre damals revolutionären Ansichten in einigen polemischen Manifesten zu verbreiten (cf. Heeschen 1972: 11). Den Namen Junggrammatiker haben die angegriffenen älteren Sprachwissenschaftler eigentlich als herablassende Bezeichnung geprägt, die Gruppe machte ihn sich aber dann als positive Bezeichnung zu eigen (cf. Heeschen 1972: 11-12).
Um 1876 erscheint die junggrammatische Gruppe als "offiziell bestehend". Sie wird durch Karl Brugmann und Hermann Osthoff vertreten. Zur junggrammatischen Schule gehören auch Berthold Delbrück, Hermann Paul, Wilhelm Streitberg, Ferdinand de Saussure, Antoine Meillet, Wilhelm Meyer-Lübke, Graziadio Isaia Ascoli und Pietro Merlo.
Von der heutigen Korpuslinguistik aus gesehen ist dabei interessant, dass es der Gruppe, wie Heeschen (1972: 12) ausführt, um die Durchsetzung der strengen Normen von Wissenschaftlichkeit der exakten positiven Naturwissenschaften ging und sie mit allen metaphysischen Vorstellungen von der Sprache und der Sprachentwicklung aufräumen wollte. Mit den metaphysischen Vorstellungen meine ich, dass die Sprache als lebender Organismus betrachtet wurde, d.h. sie ist einer ständigen Evolution unterworfen, die ihr Entstehen, ihre Ausdifferenzierung und ihr Aussterben bedingt (cf. Gaudino-Falleger 1998: 8). Vergleiche in diesem Zusammenhang etwa die Übertragung der Darwinschen Lehren auf die Sprache durch August Schleicher (1865): Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Dieser Organismus führt von den Sprechenden losgelöst sein eigenes Leben . Vergleiche in diesem Zusammenhang auch die biologistische Metaphorik bei der Beschreibung von Sprachen (Geburt, Jugend. Reife, Alter, Familien) und die Entwicklung des Stammbaummodells. Vergleiche auch die Lehre Steinthals, der in seiner "Völkerpsychologie" weitgehend den Volksgeist, in dem u.a. auch die Sprache angesiedelt wird, von den konkreten Einzelgeistern (Sprechende) getrennt und verselbständigt hatte (cf. Heeschen 1972: 112-13).
An die Stelle solcher Mythologismen also sollte nach den Junggrammatikern eine strikte Orientierung auf die realiter existierenden und beobachtbaren Fakten der Sprache treten. Interessant ist dabei auch von heute aus gesehen, dass die Junggrammatiker erkannten, dass das Beobachtbare nicht die Sprache selbst war, sondern der sprechende Mensch bzw. dessen konkrete Sprechtätigkeitsakte. So schreibt Hermann Paul in seinen Principien der Sprachgeschichte von 1880:
Das wahre Objekt für den Sprachforscher sind vielmehr sämtliche Äußerungen der Sprechtätigkeit an sämtlichen Individuen in ihrer Wechselwirkung aufeinander. Alle Lautkomplexe, die irgendein Einzelner je gesprochen, gehört oder vorgestellt hat mit den damit assoziierten Vorstellungen, deren Symbole sie gewesen sind, alle die mannigfachen Beziehungen, welche die Sprachelemente in den Seelen der Einzelnen eingegangen sind, fallen in die Sprachgeschichte, müßten eigentlich alle bekannt sein, um ein vollständiges Verständnis der Entwicklung zu ermöglichen. (zitiert nach Heeschen 1972: 13).
Hieraus folgen zwei Positionen, die nach Heeschen (1992: 13) die strukturelle Linguistik des 20. Jahrhunderts den Junggrammatikern nie vergeben hat:
Die Junggrammatiker haben sich ganz im Sinne ihres Programms ganz darauf konzentriert, mit akribischer Genauigkeit eine ungeheure Menge von Daten über die Entwicklung der indoeuropäischen Sprachen zusammenzutragen und in Büchern erstaunlichen Umfangs niederzulegen. Vergleiche etwa die vierbändige Romanische Grammatik von Wilhelm Meyer-Lübke (1861-1936) (cf. Geckeler/Dietrich 21997: 55). Die Sprachwissenschaft hat nie wieder eine solche Explosion von Faktenwissen erlebt; vergleichbar wären vielleicht nur die zwanziger und dreißiger Jahre in Amerika mit der massenhaften Erfassung der Indianersprachen durch die amerikanischen Strukturalisten (ich komme darauf noch zurück). Die übrige strukturelle Linguistik des 20. Jahrhunderts zeichnet sich eher durch eine Theoretisierung der Linguistik aus (cf. Heeschen 1972: 18).
Den lautlichen Wandel selbst versuchen die Junggrammatiker anhand von Lautgesetzen und der Analogie zu erklären (cf. Coseriu 1969: 46-48). 1876 formulierte August Leskien erstmalig das berühmt-berüchtigt gewordene Schlagwort von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Den Gesetzmäßigkeiten sprachlautlichen Wandels sollte also der gleiche solide Status wie den Gesetzen der positiven Naturwissenschaften zukommen. Das heißt, wird festgestellt, dass sich ein Laut x unter bestimmten Bedingungen zu einer bestimmten Zeit der Sprachgeschichet zum Laut y gewandelt hat, so wird postuliert, dass sich dieser Vorgang überall, in allen Wörtern der betreffenden Sprache zu dieser Zeit vollzogen hat, wenn diese Bedingungen vorlagen. Dabei werden die lautlichen Vorgänge als grundsätzlich unabhängig von Bedeutungen gedacht.
Ausnahmen werden mit Hilfe der Analogie erklärt, d.h. die Wörter gehen in den Köpfen der einzelnen Sprechenden bestimmte Assoziationen mit anderen Wörtern ein, es bilden sich also Gruppen von Vorstellungen, die sich wiederum zu ganzen Organismen von Vorstellungen zusammenfügen können. Dies geschieht nach festen psychologischen Gesetzen. So kann also ein Wort oder eine Wortgruppe A, in dem die Bedingungen C für einen bestimmten Lautwandel L erfüllt sind, fest mit einem Wort oder einer Wortgruppe B assoziiert sein, in dem diese Bedingungen C nicht erfüllt sind. Je nach Gewicht der beiden Wörter oder Wortgruppen kann es nun passieren, dass entweder der gesetzmäßige Lautwandel L in A analog zu B nicht stattfindet oder sich das andere Wort/die andere Wortgruppe B analog zur ersteren Gruppe, also zu A verhält (cf. Heeschen 1972: 16-17).
Die vier wesentlichen Prinzipien der positivistischen Ideologie sind nach Coseriu (1969: 39):
Das rigide Programm der Junggrammatiker konnte sich nicht lange halten. Die Ergebnisse der Dialektforschung und Dialekgeographie (vgl. Gilliéron), erschütterten den Glauben an die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze und griffen damit das eigentliche Fundament der Junggrammatiker an. Zudem kamen von der Jahrhundertwende an zahlreiche neoidealistische Strömungen auf, die die durch die Junggrammatiker verursachte Verengung des Blickwinkels, unter dem Sprache betrachtet wurde, durch Einbettung der sprachwissenschaftlichen Fragen in ästhetische oder kultursoziologische Fragen aufzuheben suchten. Die idealistisch-spekulative Basis dieser Ansätze machte den Fortschritt rückgängig, den die Junggrammatiker mit ihrem polemisch überspitzten Schlagwort "Fort mit allen Abstraktionen" erreicht hatten, denn zwischen die wissenschaftliche Beobachtung und die sprachlichen Daten schoben sich erneut metaphysische Vorurteile, indem die Sprache als Ausfluß und Anzeichen solcher Gebilde wie "Nationalkulturen", "Volksgeister" u.ä. angesehen wurde (cf. Heeschen 1972: 20).
Der Genfer Linguist Ferdinand de Saussure war es, der die Junggrammatiker sozusagen auf ihrem eigenen Boden und aus ihrem eigenen Ansatz heraus überwand, ohne dabei alle positiven Aspekte des junggrammatischen Programms aufzugeben (cf. Heeschen 1972: 20).
Saussure hat seine wissenschaftliche Ausbildung in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Leipzig erhalten, also mitten im Zentrum der Junggrammatiker. In den Jahren 1906/07, 1908/09 und 1910/11 hielt er an der Genfer Universität Kurse über Fragen der "linguistique générale". Aus den Mitschriften dieser Vorlesungen sowie aus Erinnerungen damaliger Hörer stellten die beiden Kollegen bzw. Schüler de Saussures Charles Bally und A. Sèchehaye unter Mitwirkung von A. Riedlinger das Buch "Cours de linguistique générale" zusammen und gaben es 1916 unter Nennung von de Saussure als Autor kurz nach dessen Tod heraus. Von der 2. Auflage (1922) ab fand das Buch eine ungeheure Verbreitung und wurde sehr schnell in fast alle europäischen Sprachen übersetzt (cf. Heeschen 1972: 20-21).
Saussure beklagt gleich zu Beginn, dass sich die Sprachwissenschaft bisher nicht genügend um die Definition ihres Objekts und damit um die Fundierung ihres eigenen Tuns gekümmert hat. Sie hat sozusagen Sprachen beschrieben, ohne zu wissen, was Sprache ist. Nach Saussure sind der Gegenstand der Sprachwissenschaft nicht wie bei den Junggrammatikern sämtliche Äußerungen der Sprechtätiggkeit an sämtlichen Individuen, sondern es gilt, einen Gesichtspunkt zu finden, von dem aus Ordnung in den "wirren Haufen" dieser Äußerungen gebracht wird und der es zugleich der Sprachwissenschaft ermöglicht, einen ihr und nur ihr eigenen Gegenstand aus dem Chaos der menschlichen Rede auszusondern. Saussure führt dazu den Begriff langue ein und stellt ihn in Opposition zu parole. Für ihn ist Sprache nicht mehr ein bloßer Begriff wie bei den Junggrammatikern, die die Sprache zur begrifflichen Fiktion erklärten und sich statt dessen auf den Usus als mechanischen Durchschnitt, der sich zwischen den Individuen gebildet hat, konzentrieren, sondern eine Sache. Zudem dreht er das Verhältnis zwischen Sprache und Sprechakten gewissermaßen um. Die Sprache ist keine Resultante aus dem Sprechen, sondern sie ist die Voraussetzung des Sprechens, d.h. ohne das Vorhandensein eines Regelsystems ist nach Saussure kein Sprechen möglich. Später sagt man, die Sprache realisiert sich im Sprechen. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass eine Sprache auch dann existieren kann, wenn sie nie verwirklicht wird. Dieser Independenz trägt Saussure mit der Bezeichnung der Sprache als virtuell und potentiell und der Rede als real und materiell Rechnung (cf. Heeschen 1972: 22-23).
Nach Saussure ist die Sprache eine soziale Institution, die außerhalb und unabhängig von den Individuen einer Gemeinschaft existiert. Von dieser Institution geht ein Zwang auf die Individuen aus, d.h. sie können nicht frei Sprachsysteme bilden, sondern sie müssen das System internalisieren. Die Abdrücke des Sozialen in den vielen Individuen sind jeweils identisch, d.h. sie sind eine Kopie der sozialen Institution Sprache (cf. Heeschen 1972: 24).
Die Sprache wird also zunächst als neue, soziale Wesenheit aus den Menschen herausgenommen, diesen dann aber wieder als Voraussetzung ihres Sprechens hineinprojiziert. Damit hat Saussure die Sprachwissenschaft entpsychologisiert und sie nicht nur gegen die Sprachpsychologie abgesondert, sondern sie ihr sogar übergeordnet. D.h. die Linguistik untersucht jenseits allen Psychischen das Soziale, während die Sprachpsychologie per definitionem die psychischen Prozesse und Voraussetzungen des sprechenden Menschen untersucht. Die fundamentalste Voraussetzung ist dabei die soziale langue. So wie die langue keine Funktion, sondern Voraussetzung für den sprechenden Menschen ist, ist die Linguistik die Voraussetzung der Sprachpsychologie, denn erst einmal muss die Sprache bekannt sein, bevor psychologische Aspekte der Sprachverwendung untersucht werden können. Damit aber nicht genug, sondern mit der Unabhängigkeit der langue vom sozialen Leben der Gemeinschaft wird darüber hinaus auch die Autonomie der Linguistik gegenüber den anderen Sozialwissenschaften begründet (cf. Heeschen 1972: 25).
Die Sprache wird also als reine Form und Struktur immanent betrachtet und zwar als eine Struktur, die sich selbst genügt, als ein System von Zeichen, die nur aus ihrem eigenen System heraus bestimmt werden können und zwar durch ihre Stellung zueinander. Da die Zeichen arbiträr sind, d.h. da zwischen dem image acoustique oder signifiant und dem concept oder signifié keine motivierte Beziehung besteht (Ausnahmen sind die Onomatopoetika und Wortzusammensetzungen), beruht diese Stellung im System allein auf oppositionalen Relationen, vgl. z.B. den Unterschied zwischen dem signifiant Tisch und dem signifiant Fisch oder zwischen dem signifié rot und dem signifié grün. d.h. die Einheiten sind etwas, was die anderen Einheiten nicht sind. Dabei sind alle Einheiten sprachspezifische Einheiten, denn das Relationssystem, in dem sie stehen, ist von Sprache zu Sprache verschieden.
Die Bestimmung der Spracheinheiten läßt sich sowohl auf der syntagmatischen Achse vornehmen, wo es um die Aneinanderreihung mehrerer sprachlicher Elemente geht, als auch auf der paradigmatischen Achse, wo es um die Elemente geht, die an der gleichen Stelle in einem Syntagma erscheinen könnten, aber durch das Erscheinen eines bestimmten Elements ausgeschlossen sind. Auf der Grundlage der elementaren paradigmatischen und syntagmatischen Differenzbeziehungen der Elemente können dann Klassifikationen vorgenommen werden, die schließlich zur Aufstellung einer ganzen Hierarchie von Klassen führen. Sie alle wurzeln in der Realität der langue selbst. (cf. Heeschen 1972: 25-33).
Der ganze Wert- und Systembegriff ist aber nur möglich, wenn die relational verbundenen Elemente gleichzeitig, also synchronisch vorhanden sind, d.h. wenn die Sprache als Zustand betrachtet wird. Während also die Junggrammatiker allein die historische (diachronische) Sprachbetrachtung als wissenschaftlich gelten ließen, betrachtet Saussure auch die Betrachtung der Sprache als Zustand als legitim. Diese Betrachtung grenzt er als eigene Wissenschaft von der diachronischen Sprachbetrachtung ab (cf. Heeschen 1972: 33).
Was bedeutet das alles nun für die Daten? Nach Saussure ist ja das Sprachsystem keine theoretische Konstruktion, die aus den Sprachdaten abstrahiert wird und mit deren Hilfe die Daten neu geordnet werden sollen, sondern das System existiert, wenn auch immateriell, und zwar nicht in den Daten, sondern über ihnen. Dadurch wird nicht nur der Blick auf die Daten und Fakten des Sprachverhaltens verstellt, sondern systematisch von diesen abgelenkt. Da die langue als real unabhängig vom Sprachverhalten gedacht wird, braucht sich die Linguistik bei ihrer Beschreibung der langue auch nicht auf streng empirische Untersuchungen über Fakten des Sprachverhaltens stützen. Da die langue selbst aber auch nicht beobachtbar ist, - die parole setzt ja die langue gerade voraus, - stellt sich die Frage, auf was sich die Linguistik eigentlich stützt. Der Weg zu Chomsky's Intuitionen ist damit schon vorgezeichnet.
Zudem regelt die langue eigentlich nur den grammatischen Bau, die grammatische Struktur von Äußerungen in der parole und sagt nichts über die sprachliche Substanz aus, z.B. darüber, wie z.B. ein bestimmter Laut ausgesprochen werden muß oder wie ich mich auf dieses oder jenes Objekt sprachlich beziehen muß. Coseriu wird später versuchen, dieses Problem mit dem Einbringen der sozialen Norm zu beheben, die man aus den sprachlichen Fakten abstrahiert.
Insgesamt kann man sagen, dass die strukturelle Linguistik von einer Wissenschaft von der Sprache an sich zu einer Wissenschaft von der Grammatik wird und zwar im weitesten Sinne.
Für den Strukturalismus, der sich auf dieser Grundlage entwickelt und der wie gesagt, als Reaktion auf den Positivismus zu betrachten ist, sind nach Coseriu die folgenden 4 Prinzipien, die denen des Positivismus konträr sind, wesentlich: ·
der Relationismus, d.h. der Strukturalismus sieht das einzelne Faktum nicht als wichtig an, sondern die Relation der Fakten untereinander. Deshalb geht es ihm um das Struktur- oder Gestaltungsprinzip, die Fakten werden durch Oppositionen innerhalb eines Sprachsystems festgestellt, z.B. offenes e und o / geschlossenes e und o sind im Spanischen Varianten, im Italienischen stehen sie aber in funktioneller Opposition, man geht vom System zu den Fakten und nicht umgekehrt;
der Formalismus oder Funktionalismus, d.h. für den Strukturalismus werden die Einheiten nicht durch den Stoff definiert, sondern entsprechend ihrer Form oder Funktion, z.B. ist eine Änderung auf der Ausdrucksebene nur dann funktionell, wenn ihr eine Änderung auf der Inhaltsebene entspricht (vgl. o und e im Spanischen und Italienischen);
der Statizismus oder Essentialismus, d.h. dem Strukturalismus geht es um das Wesen der Fakten, nicht um das Werden, d.h. es wird behauptet, die Synchronie sei wichtiger als die Diachronie;
der Antinaturalismus, d.h. der Strukturalismus unterscheidet zwischen Natur und Kultur und betont deshalb die Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften (cf. Coseriu 1969: 39).
Als die Geburtsstunde des Strukturalismus gilt das Jahr 1928. In diesem Jahr haben Roman Jakobson (Prag), N.S. Trubetzkoj (Wien) und S. Karcevskij (Genf) die These 22 auf dem 1. Internationalen Linguistenkongress in den Haag veröffentlicht. Strukturalistische Beschreibungen gab es aber schon vorher. Diese These lautet:
Toute description scientifique de la phonologie d'une langue doit avant tout comprendre la caractéristique de son système phonologique, c.-à-d. la caractéristique du répertoire, propre à cette langue, des différences significatives entre les images acousticomotrices.
Une spécification plus détaillée des types de ces différences est très désirable. Il est surtout utile d'envisager comme une classe à part de différences significatives les corrélations phonologiques. Une corrélation phonologique est constituée par une série d'oppositions binaires définies par un principe commun qui peut être pensé indépendamment de chaque couple de termes opposés.
La phonologie comparée a à formuler les lois générales qui régissent les rapports des corrélations dans les cadres d'un système phonologique donné.
L'antinomie de la phonologie synchronique et de la phonétique diachronique se trouverait être supprimés du moment que les changements phonétiques seraient considérés en fonction du système phonologique qui les subit. Le problème du but dans lequel ces changements ont lieu doit être posé. La phonétique historique se transforme ainsi en une histoire de l'évolution d'un système phonologique.
D'autre part, le problème du finalisme des phénomènes phonétiques fait, que dans l'étude du côté extérieur de ces phénomènes, c'est l'analyse acoustique qui doit ressortir au premier plan. ((1929): Actes du Premier Congrès International de Linguistes, à La Haye, du 10-15 Avrile 1928. Leiden 33; (zit. nach Coseriu 1969: 8-9).
Wie aus dem Text klar hervorgeht, bezog sich diese These nur auf die phonische Seite der Sprache. Später wurde die These dann auch auf die anderen Bereiche der Sprachbeschreibung angewandt. Dabei wurde davon ausgegangen, dass es sich bei dieser These und der sich auf ihrer Grundlage entwickelnden Sprachbeschreibung um eine kohärente Anwendung der von Ferdinand de Saussure vertretenen Methoden und Prinzipien handelte.
Die strukturalistisch ausgerichteten Schulen sind:
Wichtige Vertreter des Struklturalismus sind darüber hinaus in den Ländern, wo sich keine eigene Schule gebildet hat:
Wichtige strukturalistisch ausgerichtete Zeitschriften bzw. Reihen sind:
Vorwiegend strukturell ausgerichtete Zeitschriften sind:
Wenn wir mit Coseriu die folgenden Ebenen der Sprache unterscheiden:
dann betrifft die strukturelle Sprachbeschreibung vor allem die Ebene des Systems. Auf dieser Ebene werden die sogenannten 'funktionellen' Fakten behandelt. Als Funktion wird gerade das 'Funktionieren' in bezug auf das Sprachsystem aufgefaßt. Deshalb bleibt eine strukturelle Beschreibung oft nur auf die Ebene des Sprachsystems bezogen, während die anderen Ebenen nicht berücksichtigt werden.
Der Strukturalismus ist an erster Stelle eine Methode zur Sprachbeschreibung, nicht aber eine Methode zur Untersuchung des sprachlichen Wandels. Im historischen Zusammenhang der Geschichte der Sprachbeschreibung ist der Strukturalismus als Fortsetzung der
Der Strukturalismus setzt selbst, wie gesagt, einen Kontrapunkt gegen die Phase der Sprachwissenschaft, die vor allem durch die historisch-vergleichende Methode charakterisiert ist (vgl. die Junggrammatiker). Die jeweils andere Linie geht aber nie ganz unter, sondern tritt in den Hintergrund (cf. Coseriu 1969: ).
Wie schon gesagt, ist die frühe Korpuslinguistik im Rahmen der Erforschung der Indianersprachen entstanden, der sich in den zwanziger und vierziger Jahren fast ausnahmslos alle amerikanischen Linguisten in der einen oder anderen Form widmeten. Es war die eigentliche praktische Aufgabe, vor die sich die amerikanische Linguistik gestellt sah. Dies müssen wir berücksichtigen, wenn wir das Streben dieser Linguisten nach möglichst mechanischen Verfahren der Sprachbeschreibung verstehen wollen. Vor der total fremden Sprach- und Kulturwelt versagten nämlich die traditionellen Beschreibungs- und Aufnahmetechniken, die ja immer ein bestimmtes intuitives Vorwissen über die zu beschreibende Sprache voraussetzen. Es war Leonard Bloomfield, der in seinem Werk Language von 1933 der amerikanischen Linguistik einen sprachtheoretischen Rahmen setzte, der dieser Notwendigkeit des Mechanismus Rechnung trug und ihn allgemein wissenschaftstheoretisch begründete (cf. Heeschen 1972: 81).
Bloomfield hatte einige Zeit in Leipzig und Göttingen studiert und war dort den junggrammatischen Theorien begegnet. Mit dem Schlagwort von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze und deren Unabhängigkeit von der Bedeutung eröffnete sich für ihn die Möglichkeit, Sprachwissenschaft als strenge erfahrungswissenschaftliche Disziplin zu betreiben. Damit sich seine eigene Theorie aber herausbilden konnte, mußte er erst noch mit der behavioristischen Psychologie vertraut werden (cf. Heeschen 1972: 82).
Die allgemeinen Grundsätze des Behaviorismus sind:
1. Mechanismus - Physikalismus
Nach Bloomfield unterscheiden die folgenden Faktoren die Wissenschaft von anderen menschlichen Betätigungen:
science shall deal only with events that are accessible in their time and place to any and all observers (strict behaviorism) or only with events that are placed in co-ordinates of time and space (mechanism), or that science shall employ such initial statements and predictions as lead to definite handling operations (operationalism), or only terms such as are derivable by rigid definition from a set of everyday terms concerning physical happenings (physicalism). (Bloomfield "Linguistic Aspects of Science": 13)
Das heißt, nach Bloomfield ist eine Aussage nur dann wissenschaftlich, wenn sie nach einem festen Kanon von definierten Regeln auf Aussagen über unmittelbar beobachtbare Tatbestände zurückgeführt werden kann. Jede andere Aussage ist dagegen metaphysisch.
2. Stimulus - Response-Schema
Jede Aussage muß in den Termen von Reiz und Reaktion (stimulus - response) gefaßt sein. Ein bestimmtes Verhalten erklären heißt, angeben, auf welchen Stimulus dieses Verhalten als Reaktion erfolgt. Da das Ganze aber beobachtbar sein muß, kann ein Reiz nur eine physikalisch äußere Einwirkung auf den sich verhaltenden Organismus sein. Zur kausalen Erklärung ist daher jede Bezugnahme auf den inneren geistigen oder psychischen Zustand des Organismus unzulässig.
3. Antimentalismus
Jegliche Begriffe, die sich auf den inneren Zustand beziehen und nicht reduzierbar auf physikalische Gegebenheiten sind, sind als sinnlos und metaphysisch auszuschließen. Bewußtsein, Wille, Intention etc. fallen hierunter.
Wie innerhalb dieses Rahmenwerkes die Sprache anzusiedeln ist, macht die folgende Geschichte klar:
Suppose that Jack and Jill are walking down a lane. Jill is hungry. She sees an apple in a tree. She makes a noise with her larynx, tongue, and lips. Jack vaults the fence, climbs the tree, takes the apple, brings it to Jill, and places it in her hand. Jill eats the apple. (Bloomfield Language 22).
Das heißt, ein Ensemble äußerer Tatbestände wirkt als Reiz S auf Jill. Sie reagiert darauf aber nicht unmittelbar praktisch, sondern mit der Produktion von Schallwellen, d.h. mit einer Sprechäußerung oder einer "linguistic substitute reaction" r. Diese Ersatzreaktion Jills wirkt ihrerseits als linguistischer Ersatzstimulus s auf Jack, der daraufhin mit einer praktischen Handlung R reagiert:
speech utterance
S > r ...........................................s > R
Als Brücke zwischen den einzelnen Organismen einer organisierten Gesellschaft kann die Sprache aber nur dann funktionieren, wenn in einer gegebenen Gesellschaft auf bestimmte sprachliche Äußerungen mit bestimmten festen Reaktionsmustern reagiert wird, und wenn diese Muster sozial verbindlich sind. Die Sprache funktioniert also nicht nur biophysikalisch, sondern biosozial. In der Sprache findet das Soziale am menschlichen Verhalten seine materielle Erklärungsbasis.
Der Gegenstand der Linguistik ist die speech utterance selbst, also der Abschnitt r.............s. Diesen muß die Linguistik beschreiben, und zwar nicht wie die Junggrammatiker als Haufen unzusammenhängender Einzelelemente, sondern als strukturiertes Etwas. Dabei wird das wissenschaftliche Tun durch das strikte Prinzip der Beobachtbarkeit beschränkt. Beobachten lassen sich nur die physikalischen Schallereignisse. Mit den linguistischen Schallereignissen wird aber Bedeutung transportiert. Erst das Studium der Relation von Bedeutung und Laut kann Linguistik genannt werden. Will man aber nicht in mentalistische Definitionen von Bedeutung zurückfallen, so kann die Bedeutung eines Sprechaktes nur in der aktuellen Situation gesehen werden, die als Reiz diesen Sprechakt bewirkt, und in der Reaktion, die auf diesen Sprechakt erfolgt. Um aber der Abfolge der Lautereignisse präzis ihre Bedeutung zuordnen zu können, muß der Linguist praktisch alles wissen, was auf den jeweiligen Sprecher jemals als Reiz gewirkt und damit seine Gewohnheiten geformt hat. Dies setzt einen allwissenden Universalwissenschaftler voraus. Da es einen solchen aber zur Zeit ganz offensichtlich nicht gibt, ist eine Beschreibung der Bedeutung zunächst unmöglich. Trotzdem bleibt der Linguistik nicht allein die phonetische Beschreibung der Schallereignisse, denn, so sagt Bloomfield, in bestimmten Sprachgemeinschaften sind aufeinanderfolgende Aussagen gleich oder teilweise gleich.
Wie im europäischen Strukturalismus so hat es der Linguist also auch im amerikanischen Strukturalismus nur mit Gleichheiten und Verschiedenheiten zu tun. Während dies aber für den europäischen Strukturalismus aus den Eigenschaften der Sprache selbst folgt, so folgt es für Bloomfield lediglich aus einer praktischen Erwägung, ebenso wie auch der Ausschluß des meaning aus der linguistischen Betrachtung nicht aus grundsätzlichen Erwägungen über das "Wesen" der Sprache erfolgt, sondern auch nur aus praktischen Gründen (cf. Heeschen 1972: 82-87).
Die Nachfolger Bloomfields gehen über Bloomfield hinaus und radikalisieren seine Doktrin: Sie verdrängen nämlich die meaning endgültig und total aus der linguistischen Betrachtung. Während Bloomfield die meaning so weit es irgendwie geht, einbezogen hatte, so stellen sie jetzt das verschärfte Postulat auf, dass die Analyseprozeduren frei jeder Bezugnahme auf die Bedeutung des analysierten Materials sein müssen. Damit wird die reale Situation des Linguisten simuliert, der mit Bleistift und Papier eine exotische Sprache und ihm total fremde Sprache zu erfassen hat. Im Unterschied zum Positivismus hat der Neopositivismus allerdings noch Verfahren zur Verfügung, mit Hilfe derer er die Datenmengen systematisieren und ordnen kann. Diese Verfahren sind jedoch lediglich Hilfsmittel der Deskription. Mit ihnen kann nicht mehr ermittelt werden als das, was in den Daten selbst enthalten ist. Ziel der Anwendung dieser Verfahren ist lediglich
to make a compact and quite general statement about what we have been observing (Harris 1931/71966: 152)
die Verfahren sind
merely ways of arranging the orginal data (Harris 1931/71966: 3).
Was den Status der linguistischen Elemente betrifft, so kann ein Element, getreu dem physikalischen und behavioristischen Rahmen nur ein Symbol, ein Korrelat zu "behavioral features" oder zu "sound waves" sein. Sind diese Elemente einmal aufgestellt und stehen sie in ein-eindeutiger Beziehung zu den beobachteten physikalischen oder behavioristischen Ereignissen, so kann man über sie verschiedene formale Operationen durchführen, mit dem Ziel sie zu systematisieren und in kompakter Form zu repräsentieren. Wegen der geforderten 1:1-Entsprechung zwischen den linguistischen Elementen (Symbolen) und den Daten kann dieses System immer wieder rückübersetzt bzw. rückbezogen werden auf die beobachtete Menge der Sprechakte:
It is therefore more convenient to consider the elements as purely logical symbols, upon which various operations of mathematical logic can be performed. At the start of our work we translate the flow of speech into a combination of these elements, and at the end we translate the combinations of our final and fundamental elements back into the flow of speech. All that is required to enable us to do this is that at the beginning there should be a one-one correspondence between portions of speech and our initial elements, and that no operations performed upon the elements should destroy this one-one association. (Harris 1931/71966: 3).
Das Vorgehen der Distributionalisten läßt sich wie folgt schematisieren:
Daten
Menge formaler Verfahren (Klassifikationsverfahren
Systematische Repräsentation der Daten (linguistische Deskritption)
Beobachtbar ist nun, dass die Einheiten vorkommen (occur) und in welcher Umgebung (environment) sie vorkommen, d.h. welche Elemente innerhalb des Sprechstroms vor oder nach ihnen kommen. Ein konkret stattgefundenes Sprecherreignis heißt Äußerung (utterance). Sie ist definiert als stretch of speech zwischen zwei Pausen. Eine Menge protokollierter Äußerungen einer Sprache heißt Corpus. Dieses Corpus allein ist das Objekt der linguistischen Analyse (cf. Heeschen 1972: 89).
Die Menge aller Umgebungen eines Elements innerhalb des Corpus heißt Distribution dieses Elements. Distribution ist ein relationaler Begriff und kann expliziert werden als Menge aller Vorkommen eines Elementes X bezüglich der es umgebenden Elemente. Das Ziel der linguistischen Analyse ist die Klassifikation der im Corpus vorhandenen Elemente auf der Grundlage ihrer distributionellen Beziehungen.
Was die Zerlegung der Äußerungen in kleinste Einheiten betrifft (nicht vergessen, man erforscht gänzlich unbekannte Sprachen), so sind verschiedene Verfahren entwickelt worden:
Mit der Segmentierung der Äußerung ist man aber noch nicht bei den Elementen, d.h. wir wissen dann noch nicht ob z.B. bei den beiden segmentierten Äußerungen a1 b c und d a2 f a1 und a2 auch wirklich gleiche Segmente sind. Um dies herauszufinden, wird normalerweise ein/e native speaker befragt: a1 und a2 werden gegeneinander substituiert (ausgetauscht). Reagiert der/die native speaker auf a2 b c genauso wie auf a1 b c und auf d a1 f genauso wie auf d a2 f, dann gelten a1 und a2 als bisozial äquivalent. Es gilt aber die Zusatzbedingung, dass a1 und a2 gewisse physikalische Eigenschaften gemeinsam haben, durch die sie sich von anderen Segmentklassen unterscheiden.
So können dann die Stücke der beobachteten Sprechereignisse zu Äquivalenzklassen zusammengefaßt werden, die ab jetzt phonetische Elemente genannt werden können. Jede Äußerung ist jetzt repräsentierbar als Kombination von diskreten, sich wiederholenden Elementen. Das Ergebnis ist also die Repräsentierbarkeit von Äußerungen als Ketten, von dem, was man gemeinhin Sprachlaute nennt.
Der zweite Schritt ist die Feststellung der Distribution der phonetischen Elemente. Dabei sind 3 Fälle zu unterscheiden:
Auf der Grundlage der distributionellen Verhältnisse wird nun klassifiziert: Elemente, die zueinander in freier Variation oder komplementarer Distribution stehen, werden als Mitglieder einer Klasse betrachtet. Sind sie phonetische Elemente, so heißen sie Phoneme. Alle Mitglieder solcher Klassen heißen Allophone. Das Phonem ist aber kein sozialer Wert wie im europäischen Strukturalismus, d.h. kein Term eines Systems hinter den Daten, sondern eigentlich eine Klasse von Ereignissen. Zudem ist das Phonem ohne Bezug auf die Bedeutung definiert, im europäischen Strukturalismus ist die konstituierende Funktion der Phoneme dagegen gerade ihre bedeutungsunterscheidende Funktion.
Auch die Morpheme, die als höhere linguistische Einheiten aus Phonemen gebildet werden, werden nicht über die Bedeutung wie im europäischen Strukturalismus definiert, wo sie als die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten gelten. Da die amerikanischen Distributionalisten dieses Kriterium nicht nutzen können, müssen sie die Morpheme wieder über die distributionellen Verhältnisse bestimmen. Morphologische Elemente werden dazu zu Klassen, die man Morpheme nennt, zusammengeschlossen, wenn sie in freier Variation oder komplementärer Distribution zueinander stehen. Z.B. -er und -en im Deutschen können in die Klasse Pluralmorpheme eingehen, denn beide kommen jeweils nur nach Morphemen vor, nach denen das jeweils andere gerade nicht vorkommt: Männer - Frauen. Als in komplementärer Distribution stehend können sie als Allomorphe des Morphems Plural gelten.
Nach Abschluß der morphologischen Analyse können unter steter Anwendung des Distributionskriteriums immer höhere Klassifikationen vorgenommen werden. Zunächst einmal können Klassen von Morphemen gebildet werden, die in einer bestimmten definitorischen Umgebung vorkommen. Z.B. können alle Morpheme, die in der Umgebung llam.* vorkommen, zu einer Klasse zusammengefaßt werden, die man Eigennamen nennen könnte. Mit dem Wort Eigenname wäre aber nichts Inhaltliches verbunden und auch nichts Semantisches impliziert, denn die Klasse der Eigennamen ist eine rein distributionelle Klasse. Wie weit hier distributionelle Eigenschaften der Morpheme zu Eigenschaften ihrer Bedeutung korrelieren, das ist eine andere Frage, für deren Beantwortung der Linguist nicht zuständig ist (cf. cf. Heeschen 1972: 94).
Beispiel:
Database Title: Italian Newspapers 94 Query: mi | chiamo ------------------------------------------------------------------------ (4289) MOSCIA | E DIFENDO LE MINORANZE | | Mi chiamo Claude Be'guin, (11238) | caricato un voluminoso sacco:"Mi chiamo Bruno Palma, sono |
Nach der Bildung von Morphemklassen können weitere Klassen von Morphemklassen gebildet werden, z.B. können alle Klassen, die in der Umgebung nach der Klasse Artikel vorkommen, zu einer hierarchisch höheren Klasse Substantive bzw. Nomina zusammengefaßt werden.
Beispiel:
Suche Französisch le, la
Database Title: French Newspapers 94 Query: le, la la (2219) (31) | | | | | | | | | | Du sang sur la neige au Karakorum | | (40) et les sombres tours | minérales de la chaîne du Karakorum, des (47) | | Ils portent, de ce côté-ci de la montagne, les insignes et (57) "le PC opérationnel le plus élevé de la planète", selon le | mot (61) se livrent ici | une guerre cruelle. La tension ordinaire entre ces (64) a été aéroporté sur les | passes | de la chaîne du Saltoro, qui (68) Ladakh | jusqu' à Zingrulma, au bout de la voie carrossable, là où, du (69) là où, du Siachen, | naît | la rivière Nubra. De ce camp (75) tour, installé des positions | dans la chaîne du Saltoro, en (76) dit le général Rashid, qui commande la brigade de Skardu, grand (78) où nous | occupons, à | 7#000, la "selle de Conway", le plus (83) étrangers eurent publié des échos de la "guerre des | glaciers", (98) assure le | général | Rashid (1). La garde de ces arpents glacés (100) il fait - 6 C; mais en hiver la température s' abaisse à - (102) d' efforts, alors, se battre... "La vie | militaire est en | (104) | Nasrullah, chef d' état-major de la brigade 323, dans son PC (105) qui descendent vers l' ouest depuis la | chaîne du Saltoro. "Le (109) à vue sur | tout ce qui bouge. Mais la pitié naît parfois envers (115) Une confirmation | des récits | de la presse indienne, selon qui (124) | marche du PC homonyme, nous parle de la vie entre 6#000 et 7#000: (127) que les igloos à deux places ont la forme | et | la taille (128) à deux places ont la forme | et | la taille d' un grand (132) dans des | bunkers taillés dans la montagne, où les hommes (140) des | glaciers du versant ouest de la chaîne, dont un bout du (141) duquel on aper coit, à 12 kilomètres, la passe de Saltoro, au centre (142) et qui a fait il y sept ans, selon la presse de Delhi, l' | (147) que l' on | distingue | mal dans la lumière cotonneuse. L' (154) ul-Haq, chef de l' artillerie pour la zone. Mais il y a | (156) 600 obus en une journée." | | "C' est la guerre la plus imbécile qui (156) une journée." | | "C' est la guerre la plus imbécile qui ait lieu (158) es, | d' Islamabad, qui suit à la loupe les relations avec (158) loupe les relations avec Delhi. Mais la "guerre | des glaciers" n' (159) n' est évidemment pas séparable de la tension de longue | haleine (162) Siachen est à l' extrême | nord-est de la ligne de cessez-le-feu qui (165) était alors justifié par la | conviction générale | (170) et le Xinjiang, dépendant de | la Chine, une alliée de longue (171) et ennemie de l' Inde | depuis | la guerre de 1962 (3). | | (173) 1986, | entre hauts fonctionnaires de la défense et des affaires (176) en cours, depuis 1990, dans la partie indienne du (182) l' humeur n' | est nullement à | la négociation: "Pour nous, (186) nous dit: "Au Siachen, nous aidons la lutte des | Cachemiris en (190) des guerilleros. Sur ce terrain-ci, | la supériorité, en hommes et (197) son mouvement vers | l' avant dans la région en utilisant, cette (200) terme "escalade" pourrait revêtir dans la région un sens | sans (204) sur le terrain ou sont | tirés | de la presse des deux pays. | (2) (206) "NJ | 9842". Au-delà, a-t-on convenu, la ligne court "vers le nord, (207) estime que cela signifie: vers la passe du | Karakorum. (209) stratèges indiens | suggèrent même que la ligne devrait aboutir au (209) aboutir au K2, deuxième sommet de la | planète, orgueil du (212) par lequel le Pakistan cède à la Chine 3#000 km2 de | (214) où passe à présent, | à | 4#700 m, la "grand' route du (216) l' annexion, en 1962, par Pékin, de la partie du | Ladakh | (239) sortant du Parti démocratique de la gauche (PDS) ne cache pas | (240) se considère comme un bouc émissaire. La stagnation de son parti, (241) stagnation de son parti, | face | à "la montée préoccupante de la (241) | face | à "la montée préoccupante de la droite", s' explique (242) "leadership" du PDS. Aussi cède-t-il la place, | face aux (245) que son secrétaire-fondateur claque la | porte, le | PDS se (247) le fond du problème de ce parti axe de la gauche qui s' | effrite (252) à peu près indemne des décombres de la première | République - (258) même occasionnellement les restes de la Démocratie | chrétienne. (260) non sans une résistance acharnée de la droite, à | Rome | (269) était oublier surtout que, "en face", la | démocratie-chrétienne (272) D' où le succès presque par défaut de la gauche au sens | large - la (273) défaut de la gauche au sens | large - la seule à s' être organisée. (274) dans des conditions faussées que la "joyeuse machine de | (281) | éléments | aussi disparates que la Ligue du Nord, (290) projection du "nouveau" | visage de la politique voulue par les (290) la politique voulue par les électeurs, la gaucherie d' un Achille | (296) que c' est par ses attaques contre la | droite que la gauche, en (297) ses attaques contre la | droite que la gauche, en mal d' identité, (298) d' | exister? | | Aujourd' hui, la situation n' est cependant (309) au | moins | au niveau local. "La reconquête de la gauche (309) | au niveau local. "La reconquête de la gauche doit passer par | (312) "parachuté" l' année dernière par la direction. | | Une (315) | Car | il semble à présent admis, à la suite des défaites (317) coordonnera les | offensives | de la future alliance (320) cette dernière fonction. | | Quant à la direction du PDS proprement (325) | débats. | Une première réunion de la direction avait lieu (326) matin. Certains | voudraient voir la question réglée (339) Chirac à accélérer son | entrée dans la course présidentielle | | (344) anti-européens, ou qui contestent la voie jusqu' à | présent (347) du 12 juin. Tirant les le cons de la montée | de la | droite (347) Tirant les le cons de la montée | de la | droite en Italie, le
Dabei fällt auf, dass immer wieder die Kombination le plus bzw. la plus vorkommt
Database Title: French Newspapers 94 Query: le | plus (34) dix années "le | champ de bataille le plus haut du monde" | | (50) en face, si bien abrités qu' ils sont le plus | souvent (53) au rebord du glacier du Siachen, "le plus haut champ de | (57) | ou de tôle, "le PC opérationnel le plus élevé de la planète", (78) à | 7#000, la "selle de Conway", le plus haut poste permanent (698) à la dominer. Le | Nigéria, pays le plus peuplé de l' Afrique (728) en tant que | telle, | qui n' est le plus souvent qu' un (1035) s' il demeure | l' homme politique le plus populaire du pays. Ces (1495) Dimanche, aux portes de Crater, le plus vieux quartier | d' (1831) a reconnu que | son parti - le plus important du pays - (4984) des | services qu' ils facturent. Le plus important de ces (5464) Louis Deledicq a | extrait le plus intime: les croquis d' (5890) les | contrats à terme, échappent le plus souvent au contrôle (5923) Et, au dire des spécialistes, le plus dur | est | (6679) négative (- 1\6 %). Le | recul | le plus spectaculaire concerne (6955) | Ainsi évitait-on le premier piège, le plus évident, de cette (7054) option | possible | était Sprint, le plus petit des américains, (7467) rouleau compresseur de l' existence a le plus | durement touchés, (7508) | chevronnés. Ce qu' ils jugent le plus décisif: savoir (7512) toute l' humanité qui émane d' eux le plus naturellement du | (7524) "Pour établir, dit | Marius Rigal, le plus | actif d' entre eux, (7579) ces manoeuvres se réalisent dans | le plus grand respect des
Database Title: French Newspapers 94 Query: la | plus (156) une journée." | | "C' est la guerre la plus imbécile qui ait lieu (477) pour Tchernobyl | | HUIT ans après la plus grande catastrophe (611) | condamnée au saccage de la valeur la plus essentielle: l' (632) normalisé, | médiatisé, de la valeur la plus essentielle, celle qui (2412) Monde "-" Paris-Match " a recueilli la plus forte audience | | (2416) | Monde-Paris-Match | qui a recueilli la plus forte audience (6\3 %, (2570) se déterminera pour savoir lequel a la plus de chances. Et | si, (3801) | qu' un intérêt poli; que la torture la plus avilissante ait encore (4592) | conduit dans la centrale nucléaire "la plus dangereuse du monde", (4611) "Il s' agit de la | centrale la plus | dangereuse que j' ai (4681) | fondamentalement. L' amélioration la plus importante a été l' (4731) la | formation des hommes, la partie la plus importante et la plus (4731) la partie la plus importante et la plus difficile, | selon M. (5342) l' | exception de Mary Jane Highby, la | plus âgée, que Kastle a (6300) serait, selon cet observateur, la | plus plausible. | | (7041) services de télécommunications y est la plus élevée. L' anglais BT (8120) le | partenaire idéal. L' attitude la plus efficace: noter
Hierbei fällt wiederum auf, dass sich die Endung des Wortes hinter plus verändert.
Schließlich können auch, wieder nur unter Berücksichtigung distributioneller Verhältnisse, Klassen von Morphemfolgen gebildet werden. Z.B. haben die Nomina viele interessante Umgebungen gemeinsam.
Dieses hierarchische block building kann schließlich bis zur Ebene des Satzes fortgesetzt werden, vgl. das Beispiel bei Heeschen (1972: 95).
Wir haben es hier mit einer sogenannten from bottom to top Analyse zu tun. Ein anderes Verfahren, das im amerikanischen Strukturalismus entwickelt wurde, ist das from top to bottom Verfahren, bei dem eine höhere Einheit in die größtmöglichen kleineren Einheiten zerlegt wird, die ihrerseits wieder in ihre größtmöglichen kleineren Einheiten zerlegt werden, etc. Die jeweils größtmöglichen Einheiten, in die eine gegebene Einheit zerlegt werden kann, heißen Immediate Constituents (IC) der zerlegten Einheiten. Dieses Verfahren geht auf morphologisch-syntaktischem Gebiet schon auf Bloomfield zurück. Natürlich geht auch die IC-Analyse auf der Basis rein ditributioneller Kriterien vonstatten (cf. Heeschen 1972: 95).
Auf der Basis einer distributionellen Analyse eines Corpus können auch strukturelle Formeln (patterns) für den Bau von Äußerungen aufgestellt werden, die für die betreffende Sprache charakteristisch sind. Z.B. kann im Deutschen eine Nominalphrase aus Art + A + N bestehen, nicht aber aus Art + N + A, wie es in den romanischen Sprachen möglich ist (cf. Heeschen 1972: 96).
Zusammenfassend läßt sich also sagen, dass die Forderung von Bloomfield, eine wissenschaftliche Analyse müsse auf Aussagen über physikalische Ereignisse reduzierbar sein oder aber sie müsse reduzierbar sein auf Aussagen über die Wissenschaftssprache, im Distributionalismus erfüllt ist. Es stellt sich aber dann noch die Frage, welchen Status das distributionalistisch aus den Daten gefilterte System hat, bzw. in welchem Verhältnis dieses System zur Realität steht.
1935 hatte Twaddell in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, dass das Phonem eine rein fiktive Einheit sei, dessen Realität einzig und allein im Kopf des Linguisten bestehe. Im Anschluß daran hat sich eine heftige Kontroverse entwickelt, die später dann in die berühmte Kontroverse zwischen sogenannten Hokuspokus-Leuten und den Gods truth-Leuten einmündete. Für die einen war das System nichts anderes als eine Abstraktion, die aus Daten nach bestimmten Spielregeln herausgezaubert werden kann, während für die anderen das System und die Struktur in den Daten real vorhanden ist. Dabei erklärt sich Gods truth aus der ironischen Überlegung, dass, wenn die mit formalen, mathematischen Methoden aus den Daten gewonnene Struktur in den Daten real vorhanden wäre, Gott als Schöpfer dieser Daten ein Mathematiker gewesen sein muss. Schließlich sind die meisten amerikanischen Distributionalisten zur Ansicht gelangt, dass weder die eine noch die andere Position korrekt ist. Die Hokuspokus-Position ist nicht korrekt, denn
Die Gods truth-Position ist nicht korrekt, da es sich bei dem System immer nur um ein Modell der Realität handelt und nicht um die Realität selbst.
Selbst die Gods truth Auffassung geht aber im Unterschied zum europäischen Strukturalismus nicht von einem Sprachsystem aus, das hinter den Daten steht und sich in diesen realisiert, sondern von einem System, das sich aus den Daten selbst ergibt.
Im amerikanischen Strukturalismus bleiben so insgesamt die realen Sprechakte das wirkliche Objekt der Linguistik. Damit ist der amerikanische Strukturalismus mit den Junggrammatikern verbunden. Das System als reales Objekt, wie es im europäischen Strukturalismus gesehen wird, ist dem amerikanischen Strukturalismus fremd. Bloomfield wie Harris gehen stattdessen davon aus, das die Linguistik eigentlich Verhalten (habits) beschreibt, d.h. sozial verbindliche Sprechgewohnheiten, die sich als Verteilungsregularitäten in den Äußerungen fassen lassen (cf. Heeschen 1972: 96-98).
Fassen wir das, was wir zum Gegenstand der Linguistik bisher gesagt haben, noch einmal zusammen, dann ergibt sich folgendes Bild: