Forschungsdesign

Keine wissenschaftliche Arbeit kommt ohne das Forschungsdesign (auch Untersuchungsdesign) aus. Es lässt als konzeptionelle Anlage einer wissenschaftlichen Arbeit verstehen und bildet die Entscheidungen zu verschiedenen Fragen ab:

  • Was ist das Thema der Arbeit?
  • Welche Fragestellung soll untersucht werden?
  • Mit welchem Ziel soll diese Fragestellung untersucht werden?
  • Anhand welchen Materials/welcher Daten kann und soll auf Thema und Fragestellung zugegriffen werden?
  • Auf welchen Basisannahmen und Forschungsergebnissen baut die Arbeit auf?
  • Wie und mit welchen Werkzeugen soll die Fragestellung untersucht und auf Gegenstand oder Material angewendet werden?
  • Welche Ergebnisse können potentiell mit welcher Reichweite erzielt werden?
  • Unter welchen Rahmenbedingungen findet die Arbeit statt?

Das Forschungsdesign einer Arbeit funktioniert dann, wenn die Antworten, die auf diese Fragen gefunden werden, logisch aufeinander aufbauen und sich voneinander herleiten. Um zu verdeutlichen, was dies für die Praxis bedeuten könnte, hier ein Beispiel zu einem Thema, das sich ganz unterschiedlich bearbeiten ließe:

Beispiel: Frauenrollen im 20. Jahrhundert (Thema)
Fragestellung 1: Was heißt Frausein in der Literatur?

Literatur kann als Spiegel ihrer Zeit verstanden werden. Eine Auseinandersetzung mit Frauenfiguren in literarischen Texten kann daher einen Beitrag leisten, Frauenrollen zu rekonstruieren und zu reflektieren. Ziel einer solchen Untersuchung könnte es sein, einen Überblick über die Bandbreite an literarischen Frauenfiguren zu geben, eine bestimmte Frauenrolle in all ihren Varianten auszuloten oder brüchige Frauenrollen in Zeiten gesellschaftlichen Wandels offenzulegen.

Die Auswahl des zu untersuchenden Materials oder der Untersuchungsgegenstände im engeren Sinne (also literarische Texte) ist ohne Frage- und Zielstellung nicht möglich und muss begründet werden. Oder anders formuliert: Warum sind ausgerechnet die ausgewählten Texte geeignet, zur Forschungsfrage Auskunft zu geben? So benötigt eine Forschungsfrage, die eher auf einen Überblick über die verschiedenen Frauenrollen zielt, einen anderen Textkorpus als eine Forschungsfrage, in der einzelne Aspekte oder Varianten rekonstruiert werden sollen. Insofern ist auch eine (Grund-)Kenntnis aller potentiell in Frage kommenden Untersuchungsgegenstände unvermeidlich, schließlich lässt sich ohne Kenntnis der Gesamtmenge keine geeignete Teilmenge identifizieren. Damit eine solche Untersuchung gelingt, müssen literaturtheoretische Grundlagen und literaturwissenschaftliches Handwerkszeugs bekannt sein.

Literaturtheoretisch müsste es etwa darum gehen, das Verhältnis von Literatur und Wirklichkeit zu fassen, denn literarische Texte gewähren keinen unverstellten, sondern einen künstlerisch bearbeiteten Blick auf die Welt. Dahingehend ist auch die Reichweite der erzielbaren Untersuchungsergebnisse zu reflektieren: Worüber kann die Untersuchung konkret Auskunft geben? Worüber können Aussagen getroffen werden? In Hinblick auf das literaturwissenschaftliche Handwerkszeug müsste der analytisch-interpretative Zugriff auf das Material plausibilisiert werden, um die Ergebnisse methodisch kontrollierbar zu machen und Fehllektüren auszuschließen. Ob etwa hermeneutisch, dekonstruktiv oder diskursanalytisch vorgegangen werden soll, ist nicht egal, sondern stellt die Weichen für die gesamte Untersuchung und die möglichen Ergebnisse.

Fragestellung 2: Was heißt Frausein laut Gesetz?

Gesetzestexte definieren Rechte und Pflichten für Angehörige einer Gesellschaft. Insofern können Gesetzestexte auch als Abbild von gesellschaftlich zugeschriebenen Rollen verstanden werden. Diesen Zusammenhang theoretisch zu fundieren und zu plausibilisieren, wäre ein erster wichtiger Schritt in einer Untersuchung, in der Frauenrollen mithilfe von Gesetzestexten rekonstruiert werden sollen. Außerdem stellt sich die Frage, welche Art von Gesetzestexten mit welcher Reichweite Auskunft über wie gefasste Frauenrollen geben können. Das heißt: Einschlägige Gesetzestexte müssten zunächst als solche identifiziert werden. Dafür ist nicht nur die Kenntnis von potentiell infrage kommenden Gesetzestexten notwendig, sondern zunächst eine eigene, theoretisch fundierte Vorstellung davon, was ein Rollenkonzept überhaupt ist und woraus es besteht. Denn andernfalls ließen sich weder Gesetzestexte als relevant für diesen Zusammenhang erkennen, noch könnten bestehende Lücken oder Leerstellen offengelegt werden. Eine Datengrundlage zu schaffen, ist also bereits eine eigene Leistung des Forschers/der Forscherin, was ohne theoretische Modellierung und ohne Rückgriff auf bestehende Forschungsergebnisse nicht möglich ist. Hinzu kommt die Frage, mit welcher Methode die Gesetzestexte analysiert werden sollen und ob es juristischer Fachkenntnis bedarf.

Fragestellung 3: Was heißt Frausein heute?

Angenommen, es sollte in einer solchen Untersuchung darum gehen, wie heutige Frauen ihr Frausein konzipieren und leben. Dann würde sich einerseits die Frage stellen, wer die „heutigen Frauen“ sind und wie auf deren Konzepte von Frausein zugegriffen werden kann. Theoretische Basisarbeit wäre relevant für die Modellierung von Selbstkonzepten sowie für die Frage, wie sich genderspezifische Aspekte von anderen Aspekten des Selbstkonzepts trennen lassen. Wie erhält der Forscher/die Forscherin Zugriff auf die Selbstkonzepte? Dies könnte mit Fragebogen, narrativen Interviews oder Gruppendiskussionen geschehen. Sollen möglichst alle für das Frausein relevanten Aspekte erfasst, verschiedene Typen identifiziert oder Frausein in bestimmten sozioökonomischen Lebensbedingungen reflektiert werden? Soll die Untersuchung repräsentativ oder explorativ sein? Auch die Frage, welche Personen als Stichprobe in die Untersuchung einbezogen werden, hängt davon ab, was das Ziel der Untersuchung ist.

 

Die Beispiele mögen holzschnittartig sein; und sollten daraus tatsächlich Forschungsarbeiten werden, so gäbe es noch reichlich zu tun, einzugrenzen und zu spezifizieren. Dennoch sollte deutlich geworden sein, dass die einzelnen Elemente eines Forschungsdesigns nicht ohneeinander denkbar sind, sondern als einander bedingende Faktoren oder, metaphorisch gesprochen, als Teile eines Puzzles verstanden werden müssen.

Außerdem zeigen die Beispiele, dass nicht jede Fragestellung und nicht jedes Material mit den gleichen Methoden bearbeitbar ist. Es ist wichtig zu erklären, warum die gewählte Methode geeignet ist, auf das Material zuzugreifen und warum ausgerechnet dieser Zugriff geeignet ist, über die Forschungsfrage Auskunft zu geben. Zeit und Ressourcen, die für eine Untersuchung zur Verfügung stehen, spielen wiederum eine Rolle: Es macht nicht nur einen Unterschied, ob ich einige Wochen, Monate oder Jahre an einer Untersuchung arbeiten kann und will, sondern auch, ob ich mich erst einmal umfassend einarbeiten oder methodische Grundlagen erwerben muss. Auch die Frage, ob und inwiefern bereits auf vorhandenen Forschungsergebnissen aufgebaut werden kann, ist entscheidend.

Die grundsätzliche Unterscheidung von standardisierten oder hypothesenprüfenden Verfahren (quantitative Forschung) und rekonstruktiven oder theoriebildenden Verfahren (qualitative Forschung) ist ebenso von der Forschungsfrage, dem zugänglichen Material und den eigenen Ressourcen abhängig und findet sich im Forschungsdesign wieder.

Methodische Fragen

Für das methodische Vorgehen sind folgende Fragen relevant:

  • Was ist mein Forschungsfeld? Wie genau lässt es sich abgrenzen? Wer oder was gehört (nicht) dazu?
  • Wie und unter welchen Bedingungen bekomme ich Zugang zu diesem Feld? Inwiefern bin ich als ForscherIn erkennbar?
  • Wer in oder was aus diesem Feld soll in meine Untersuchung einbezogen werden (Sampling)?
  • Wie lässt sich meine Forschungsfrage operationalisieren?
  • Welche Daten sollen wie erhoben werden?
  • Wie sollen diese Daten ausgewertet werden?
  • Wie sollen diese Daten interpretiert werden?

Jeder der Schritte hat eigene Methoden zur Umsetzung.

 


Literatur
  • Baur, Nina; Blasius, Jörg (2019): Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung, 2. Auflage. Wiesbaden: Springer.
  • Diaz-Bone, Rainer; Weischer, Christoph (Hg.)(2015): Methoden-Lexikon für die Sozialwissenschaften. Wiesbaden: Springer VS.
  • Flick, Uwe; von Kardorff, Ernst; Keupp, Heiner; von Rosenstiel, Lutz; Wolf, Stephan (Hg.)(2012): Handbuch qualitative Sozialforschung: Grundlagen, Methoden, Konzepte und Anwendungen, 3. Auflage. Weinheim, Basel: Beltz.
  • Przyborski, Aglaja; Wohlrab-Sahr, Monika (2014): Qualitative Sozialforschung: Ein Arbeitsbuch, 4. Auflage. München: Oldenbourg, Kapitel 1 und 2.
  • Schnell, Rainer; Hill, Paul B.; Esser, Elke (2018): Methoden der empirischen Sozialforschung, 11. Auflage. München: De Gruyter Oldenbourg.
Fragestellung|Design
Die Fragestellung ist das Herz jeder wissenschaftlichen Arbeit. Sie bedingt methodische Entscheidungen und weist den weiteren Weg der Untersuchung.