Internationales kolloquium
Jorge Luis Borges: Translación e Historia
Der argentinische Autor Jorge Luis Borges hat sich
von Beginn seines literarischen Schaffens an mit zahlreichen und sehr
unterschiedlichen Disziplinen und Gebieten der Literatur und Kultur
beschäftigt. Zum Schwerpunkt seines Interesses und seiner Arbeit zählt seine
Tätigkeit als Übersetzer von Werken aus dem Englischen, Deutschen und
Skandinavischen ins Spanische. Zu dieser Übersetzungs- oder kulturellen
Vermittlungsarbeit gehören auch seine unzähligen und kreativen Besprechungen,
seine innovativen Lektüren zahlreicher Autoren aus Lateinamerika und Europa,
aber auch aus dem jüdischen und moslemischen Kulturraum und eine nie endende
Flut von Zitaten, von Autoren und von Werken der Weltliteratur.
Bei der Begegnung mit
unterschiedlichen Autoren aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen ist Borges
zugleich veranlasst, sich mit den jeweiligen kulturellen und historischen
Kontexten auseinander zu setzen, wie vor allem seine Beschäftigung mit dem Don
Quichotte von Cervantes oder mit Decline
and Fall of the Roman Empire von Gibbon zeigt.
Bisher ist die Tätigkeit von Borges als Übersetzer in
unterschiedlichen Zusammenhängen
gewürdigt worden, so etwa in dem eindrucksvollen Werk von George Steiner
(1974/21992). After
Während sich für den Aspekt der Übersetzung bereits auf den genannten
Untersuchungen aufbauen lässt, gilt dies nicht für den Aspekt des
Geschichtlichen, da Borges bisher als ein Autor betrachtet wurde, der aufgrund
seines fantastischen Ansatzes mit Geschichte nur peripher in Verbindung
gebracht wurde. Diese einengende Sicht auf die Literatur von Borges gilt es
nun, grundlegend zu korrigieren. Einen ersten Versuch, hier eine Korrektur
herbeizuführen, stellt u.a. die Arbeit von Daniel Balderston (1993). Out of Context. Historical Reference and the
Representation of Reality in Borges (Durham/London: Duke UP) dar, die eine
Basis bietet, jedoch ist es notwendig, das Feld einer umfassenden Untersuchung
zu unterziehen.
In diesem Zusammenhang wird von
einem Begriff der ‘Translatio’ ausgegangen, der
sämtliche komplexe kulturelle und mediale, soziale und pragmasemiotische
Prozesse subsumiert. Damit erfasst der Terminus ‘Translatio’ ein
weitgefächertes Feld, das die bloße Übersetzung überschreitet. Wichtig ist
auch, dass der Terminus ‘Transaltio’ dynamische Strategien wie
‘Rekodifizierung’, ‘Transformation’,
‘Reinvention’ oder ‘Invention’ unterschiedlicher
Enuntiations- oder Diskurssysteme (wie Sprache, Religion, Sitten, Wissen,
soziale Organisation...) meint.
Borges selbst hat sich sein
ganzes Leben als Leser und Übersetzer verstanden:
En
cuanto a los ejemplos de magia que cierran el volumen, no tengo otro derecho
sobre ellos que los de traductor y lector.
A veces creo que los buenos lectores son cisnes aun más tenebrosos y singulares
que los buenos autores. Nadie me
negará que las piezas atribuidas por Valéry a su pluscuamperfecto Edmond Teste
valen notoriamente menos que las de su esposa y amigos.
Leer,
por lo pronto, es una actividad posterior a la de escribir: más resignada, más
civil, más intelectual. (“Prólogo”
de 1935 a Historia Universal de una
Infamia en OC 1989, I: 289)
I think myself as being essentially a reader. As you
are aware, I have ventured into writing; but I think that what I have read is
far more important than what I have written. For one reads what one likes- yet
one writes not what one would like to write, but what one is able to write. (This Craft of Verse 2000: 97)
Um eine systematische und breit
angelegte Forschung zu ermöglichen, ist die Tagung so konzipiert, dass sie die
folgenden Themenkreise behandelt:
1. Untersuchung der Strategien und Resultate von
Borges’ Übersetzungen ins Spanische (Kafka, Joyce, Stevenson, Nordische
Sagen...);
2. Untersuchung der Strategien und Resultate von
Borges’ Übersetzungen eigener Texten in Zusammenarbeit mit anderen
Übersetzern (wie mit Giovanni und Bernès);
3.
Untersuchung der
Kommentare von Borges zu Übersetzungen von Texten anderer Autoren, die seine
Ansichten zu einer Theorie der Übersetzung verdeutlichen (gemeint sind hier
etwa Texte in Otras Inquisiciones;
“La supersticiosa ética del lector”; “Las versiones
homéricas”; “Las dos maneras
de traducir”; “Nota
sobre el Quijote”; “Los
traductores de Las 1001 noches”; “Magias parciales
del Quijote”; “La parábola de Cervantes y el Quijote” in Discusión);
4. Untersuchung der Translatio als
‘Rekodifizierung’, ‘Transformation’,
‘Reinvention’ oder ‘Invention’ unterschiedlicher
Enuntiations- oder Diskurssysteme der europäischen und lateinamerikanischen
(argentinischen) Literatur (wie in Inquisiciones (1925: “Queja de
todo criollo”); El tamaño de mi esperanza (1926); El idioma de
los argentinos (1928); “Evaristo Carriego” (1930), “El
escritor argentino y la tradición” (in Discusión 1957), usw.);
5. Untersuchung der Translatio als
‘Rekodifizierung’, ‘Transformation’,
‘Reinvention’ oder ‘Invention’ unterschiedlicher Texte
anderer Autoren auf der Grundlage von intertextuellen Strategien im Sinne von
unzähligen Akten des Wider/Wiederlesens und Wider/Wiederschreibens, die zu
komplett neuen Textaussagen und Genera führen (so in Historia Universal de la infamia; “Pierre Menard, autor del
Quijote”, “El jardín de senderos que se bifurcan”,
“Tlön, Uqbar, Orbis Tertius”, u.v.a.);
6. Untersuchung der Translatio als
‘Rekodifizierung’, ‘Transformation’,
‘Reinvention’ oder ‘Invention’ unterschiedlicher Texte
mittels Buchbesprechungen (so in Sur, Hogar und Textos recobrados aus verschiedenen
Perioden);
7.
Untersuchung der
Translatio als ‘Rekodifizierung’, ‘Transformation’,
‘Reinvention’ oder ‘Invention’ unterschiedlicher Texte
auf der Grundalge von Kommentaren oder Interpretationen (so zu Cervantes,
Kafka, Flaubert, Wilde, Shaw, Chesterton, Pascal, Schopenhauer ... Biblioteca personal, u.v.a..);
8. Untersuchung dessen, was wir Autotranslation nennen,
um die unterschiedlichen Textversionen einzelner Texte durch Borges oder das
Wiederkehren einzelner Aussagen, Formeln und Textfragmente in diversen Texten
von Borges zu bezeichnen, die eine Art ars
combinatoria suggerieren.
Weiterhin hat Borges selbst eine Reihe von
Metaüberlegungen zur Geschichte formuliert, die den zweiten Hauptgegenstand der
Tagung bilden werden. Konzeptionen, die später in der „storie des
Annales“ bzw. in der „nouvelle Histoire“ (Braudel, Bordieu,
Le Goff) zu Hauptkonzepten werden, werden von Borges zuvor und gestreut in
zahlreichen Texten (Otras Inquisiciones;
Discusión; Biblioteca personal u.a.) formuliert, wie etwa die „longe durée“ oder die Konstrukthaftigkeit
der Geschichte bzw. der fiktionale und ästhetische Aspekt der
Geschichtsschreibung, was er, z.B. anhand von Gibbons Decline and Fall of the Roman
Empire erläutert und dabei vieles vom dem vorwegnimmt, was Hayden
White in den 70er und 80er Jahren herausarbeitet. Diese und andere Formen der
Geschichtskonzeption werden ebenso zur Erörterung stehen wie etwa die Frage,
welchen Beitrag Borges zu einem kulturell geprägten Konzept von Nation und
Identität leistet, wenn er sich zum Beispiel bereits in seinem Werk aus den
20er Jahre gegen die von Sarmiento als kulturelles bildungspolitisches Ziel
ausgegebene Opposition ‚Zivilisation vs. Barbarie’ richtet und sich
damit gegen eine kulturelle Polarisierungen wendet. Aber auch andere Momente
wichtiger Aussagen zur Geschichte stehen zur Diskussion, etwa Borges’
politische Position in Bezug auf die argentinische Gesellschaft und seine
Kritik zum zweiten Weltkrieg bzw. zur moslemischen und jüdischen Welt.
©Prof. Dr.
Alfonso de Toro
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