Internationales
Kolloquium
Konzept
Die
Bildung und Verbreitung eines literarischen Kanons, sei dies im Rahmen der
Nationalliteraturen oder im Kontext der sog. Universalliteraturen, löst bis
heute große Debatten aus. Denn der Kanon stellt etwas Elitäres, eine besondere
Auslese der Literatur dar. Der Kanon auf der Ebene der Nationalliteraturen dient
zudem der Bildung von nationalen Identitäten und hat mit Fragen der kulturellen
Macht und des Selbstverständnisses einer Nation oder eines Kontinentes bzw.
einer Kultur zu tun.
Die
Autoren und Werke, die in einen Kanon aufgenommen werden, gelten als die gekrönten
und alle anderen, die nicht dazu gehören, geraten in die Zweitklassigkeit. Aber
Begriffe wie Auslese und Zweitklassigkeit ergeben sich aus einer Auswahl a
priori aufgestellter, oft sehr arbiträrer und subjektiver Kriterien, die keine
allgemeine Gültigkeit haben, jedoch so postuliert werden, wie das jüngste
Beispiel und der jüngste Streit über das Buch von Marcel Reich-Ranicki, Alles,
was man lesen muß, zeigt.
Allerdings gibt es eine grundsätzliche wissenschaftliche Debatte spätestens
seit dem umstrittenen wie auch anregenden Buch von Harold Bloom, The Western
Canon, das eine neue Auflage mit
dem Erscheinen von Dietrich Schwanitz, Bildung.
Alles was man wissen muß, erhalten hat. Aber eigentlich besteht diese
Debatte bereits seit Aristoteles’ Poetik
und ist in jeder Epoche durch die Auseinandersetzungen der „anciens
et modernes“ immer wieder neue belebt worden, sei es mit Dantes
proklamiertem „dolce stil novo“, mit der Pléiade,
mit Arte nuevo von Lope de Vega, mit
Victor Hugos Konzeption des „drame“,
mit Borges’ Frühwerk in den 1920er und 30er Jahren [etwa in El
tamaño de mi esperanza (Die Weite
meiner Sehnsucht), Inquisiciones (Inquisitionen), El idioma de
los argentinos (Die Sprache der Argentinier)
oder in Evaristo Carriego], oder durch
den nouveau roman in Frankreich und
durch die nueva novela in
Lateinamerika. Es ging immer
um die Bildung von Paradigmen und die Vorherrschaft einer bestimmten Literatur.
Der
literarische Kanon entwickelt sich sehr eng verbunden mit den unterschiedlichen
Schulen (Realismus, Naturalismus, Surrealismus, Expressionismus ...) und mit
Theorien wie im Falle zahlreicher Autoren, insbesondere in Frankreich und auch
bei Borges.
Borges
stellt jedoch einen ganz besonderen Fall dar: Er scheint stets mit
literaturtheoretischen Fragen und mit dem literarischen Kanon befasst zu sein,
allein aufgrund seiner intertextuellen Praxis der Literatur: zuerst indem er in
seinen Texten zahlreiche Autoren zitiert, sodann wenn er Texte über bestimmte
Autoren und Werke (über Cervantes, Flaubert, Kafka, Berkeley, Leibniz,
Schopenhauer ...) verfasst oder Essays über Literatur schreibt wie in El
tamaño de mi esperanza, Inquisiciones,
El idioma de los argentinos, Evaristo
Carriego oder, und das
ist das evidenteste, wenn er Anthologien herausgibt, wie etwas über die
Literatura fantástica (zusammen mit Bioy Casares und Sylvina Ocampo). All diese
Formen der Beschäftigung mit Literatur Dritter stellen eine bewusste Auswahl
von Autoren und Werken - also einen Kanon - dar.
Hauptziel
des internationalen Kolloquiums ist eine systematische Analyse, um in Erfahrung
zu bringen, ob
Borges
nach bestimmten übergeordneten Kriterien
oder
aber nur
nach
seinem persönlichen Geschmack vorgeht.
Davon
ausgehend ergibt sich eine Fülle von Fragen, z.B.:
Haben
die von ihm betrachteten Autoren und Werke Gemeinsamkeiten, die dazu führen,
dass Borges sie auswählt?
Welches
Konzept von Literatur verbirgt sich hinter seiner Auswahl?
Etabliert
er einen normativen Kanon oder wird sein Kanon immer wieder durch andere
Einschätzungen oder durch die Auswahl anderer, als gegensätzlich zu
betrachtender Autoren in Frage gestellt? Beispiele zu dieser Frage könnten
seine Essays zu Cervantes oder Flaubert sein, in denen er seine Position
zwischen Bewunderung und Distanzierung kundtut.
Hat
Borges überhaupt die Absicht, einen Kanon zu bilden?
Lässt
dieser Kanon Präferenzen und Prioritäten erkennen?
Ändert
sich der Kanon von Borges im Lauf der Jahre?
Welche
Funktion verfolgt Borges mit der Kanonbildung?
Wie
trägt Borges zur Kanonbildung innerhalb der von ihm behandelten
Nationalliteraturen bei?
Um
diese und weitere Fragen zu beantworten, werden bestimmte Bereiche nach
folgendem Plan untersucht:
Essays
in El Hogar, El Sur und anderen
Publikationsorganen, jetzt in: Textos
recobrados 1919-1929 und 1931-1955
sowie Cursos de literatura inglesa
und The Craft of verse
Borges’
Frühwerk - die Debatte zwischen Tradition und Gegenwart: Inquisiciones
(1925), El tamaño de mi esperanza (1926); El idioma de los argentinos (1928)
Borges’
Werk von Evaristo
Carriego
(1930) über Discusión (1932)
bis Historia de
la eternidad (1936)
Borges’ Werk von Ficciones (1941/44) bis El oro de los
tigres (1972)
II.
Untersuchungsbereiche
Es
soll eine Klassifikation seiner Gegenstände oder Konstituenten des Kanons in
literarischen/fiktionalen
narrativen Texten;
lyrischen
Texten;
Essays;
Philosophie;
Religion;
Film
und
sonstigen
Texten
vorgenommen
werden.
III. Besondere
Beziehungen zu Literaturen und Kanonbildung
Borges
und die spanische Literatur
Borges
und die englische Literatur
Borges
und die französische Literatur
Borges
und die italienische Literatur
Borges
und die muslimische und jüdische Literatur
Borges
und die skandinavische Literatur
Borges
und die deutsche Literatur
Borges
und die Literatur der USA
Konzept:
Prof. Dr. Alfonso de Toro
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- Última actualización: 11/2003
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